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Kommentierung zu
Art. 322septies StGB

Eine Kommentierung von Loris Baumgartner / Marco Hurni

Herausgegeben von Marianne Johanna Lehmkuhl / Jan Wenk

defriten

I. Vorbemerkungen

1 Art. 322septies StGB schützt die identischen Rechtsgüter wie die inländische Amtsträgerbestechung (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 1 ff.). Der Anwendungsbereich ist jedoch auf fremde Staaten und internationale Organisationen erweitert.

2 Mit Ausnahme der Erweiterung der zu bestechenden Person auf Personen, welche für einen fremden Staat oder eine internationale Organisation tätig sind, entspricht Art. 322septies Abs. 1 StGB dem Wortlaut von Art. 322ter StGB. Der Abs. 2 von Art. 322septies StGB entspricht Art. 322quater StGB. Entsprechend wird unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausführungen auf die Kommentierung dieser Artikel verwiesen (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter und 322quater StGB).

A. Aktive Bestechung fremder Amtsträger

3 Tauglicher Täter der aktiven Bestechung fremder Amtsträger ist jede natürliche Person.

4 Neben natürlichen Personen stellen auch juristische Personen im Rahmen der Unternehmensstrafbarkeit nach Art. 102 Abs. 2 StGB taugliche Sanktionssubjekte dar und stehen im Fokus der Strafverfolgungsbehörden, namentlich der Bundesanwaltschaft. Ausgangspunkt waren die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die ALSTOM SA sowie die ALSTOM Network (Schweiz) AG im Jahre 2009. Das Verfahren gegen die Schweizerische Tochtergesellschaft, die ALSTOM Network (Schweiz) AG, wurde im November 2011 mittels Strafbefehls abgeschlossen, wobei die Anlasstat die Bestechung fremder Amtsträger nach Art. 322septies StGB war.

Die Unternehmensstrafbarkeit kommt dann in Frage, wenn die Gesellschaft nicht sämtliche erforderlichen und notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung von Bestechungsdelikten trifft und die Anlasstat gerade aufgrund dieser fehlenden Vorkehrungen möglich wird. An die Voraussetzung der erforderlichen und notwendigen organisatorischen Vorkehrungen sind strengere Anforderungen zu stellen, je höher das Bestechungsrisiko in der jeweiligen Branche und dem ausländischen Staat ist, in welchen das Unternehmen seine Tätigkeiten führt.
Im Laufe der Jahre hat die Bundesanwaltschaft diverse weitere Strafverfahren gegen juristische Personen geführt, welche Art. 322septies StGB zur Anlasstat hatten.
Es ist davon auszugehen, dass die Anzahl dieser Verfahren auch in Zukunft zunehmen wird.

5 Die Tathandlung muss gegenüber einem fremden Amtsträger erfolgen. Die Bestechung fremder Amtsträger hat ihre Grundlage in der OECD-Konvention über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr.

Die OECD überprüft die Einhaltung dieses Übereinkommens regelmässig mittels "monitoring mechanisms"
. Dabei handelt es sich um ein Instrumentarium, bei dem sich Staaten jeweils gegenseitig überprüfen und Verbesserungsvorschläge anbringen können. Dadurch entsteht eine Art politischer Gruppendruck, welcher die Einhaltung des Übereinkommens durch die Staaten sicherstellen soll.
Gemäss Art. 1 Ziff. 4 lit. a der OECD-Konvention gilt als ausländischer Amtsträger (i) eine Person, die in einem anderen Staat durch Ernennung oder Wahl ein Amt im Bereich der Gesetzgebung, Verwaltung oder Justiz innehat, (ii) eine Person, die für einen anderen Staat einschliesslich einer Behörde oder eines öffentlichen Unternehmens öffentliche Aufgaben wahrnimmt, oder (iii) ein Amtsträger oder Bevollmächtigter einer internationalen Organisation. Bereits die Botschaft spricht davon, dass eine wortwörtliche Übernahme des Konventionstexts nicht sinnvoll ist und die Auslegung des Amtsträgerbegriffs den Tatbeständen der inländischen Amtsträgerbestechung nachzubilden ist.
Der Begriff des fremden Amtsträgers wird dementsprechend nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung autonom und im Einklang mit dem Begriff des Amtsträgers nach schweizerischen Recht ausgelegt.
Entsprechend fallen unter den Begriff des Amtsträgers sowohl institutionelle als auch funktionale Beamte und Mitglieder richterlicher oder anderer Behörden.
Eine Auslegung des Begriffs des fremden Amtsträgers nach schweizerischem Recht hat zur Folge, dass auch Personen als Amtsträger qualifiziert werden, die in ihrem Land nach nationalem Recht den Beamtenbegriff nicht erfüllen würden.
Der Amtsträgerbegriff umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zudem Parlamentarier eines fremden Staates, und zwar unabhängig davon, ob die Bestechung eines Amtsträgers im fremden Land unter Strafe gestellt ist oder nicht.

6 Als internationale Organisationen gelten intergouvernementale Organisationen und Organisationen, die von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften geschaffen werden.

Nicht als internationale Organisation gilt nach der aktuellen Rechtslage ein Sportdachverband.
Entsprechend können Bestechungshandlungen gegenüber Funktionären der in der Schweiz ansässigen internationalen Sportdachverbände nicht unter die Amtsträgerbestechungstatbestände subsumiert werden. Gegebenenfalls können aber die Tatbestandsmerkmale der Privatbestechung gemäss Art. 322octies f. StGB erfüllt sein.

7 Die Tathandlung und das Tatmittel von Art. 322septies StGB entsprechen denjenigen von Art. 322ter StGB. Im Hinblick auf den nicht gebührenden Vorteil werden bestimmte vom ausländischen Recht vorgesehene und notwendige Zahlungen von diesem Begriff ausgenommen.

Hingegen sind lokale Bräuche, welche nicht die Form von Gesetzes- oder Gewohnheitsrecht annehmen, nicht ausreichend, um einen Rechtfertigungsgrund für die Gewährung eines Vorteils darzustellen.
Dies führt insbesondere dort zu Abgrenzungsschwierigkeiten, wo eine Person sog. Beschleunigungszahlungen (sog. facilitation payments) gewährt, um die Vornahme einer ihr zustehenden Amtshandlung zu fördern.
Die Begriffe der Amtspflichtverletzung und der im Ermessen stehenden Handlung sind weit gefasst. Dies führt dazu, dass eine Beschleunigungszahlung zwar im Hinblick auf eine zustehende Amtshandlung erbracht wird, diese Amtshandlung jedoch im Ermessen des ausführenden Beamten liegt. Entsprechend fallen solche Beschleunigungszahlungen ebenfalls unter Art. 322septies StGB, sofern sie nach ausländischem Recht nicht explizit erlaubt sind.

8 Die Tathandlung im engeren Sinne umfasst das Anbieten, Versprechen und Gewähren eines ungebührlichen Vorteils (OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 21 ff.). Zudem muss ein Äquivalenzverhältnis zwischen dem angebotenen, versprochenen oder gewährten ungebührlichen Vorteil und der erhofften Gegenleistung vorliegen (OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 49 ff.). Eine grenzüberschreitende Vorteilsgewährung bzw. Vorteilsannahme, die sich nicht auf eine bestimmte Amtshandlung bezieht, ist nicht von Art. 322septies erfasst und bleibt daher straflos.

9 Zum subjektiven Tatbestand ist auf die Ausführungen zu Art. 322ter StGB zu verweisen (OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 53).

B. Passive Bestechung fremder Amtsträger

10 Der Tatbestand der passiven Bestechung fremder Amtsträger ist spiegelbildlich zur aktiven Begehungsvariante aufgebaut. Demnach kommt auch bei der passiven Begehungsvariante der identische Amtsträgerbegriff zur Anwendung.

Daraus ergibt sich die Problematik, dass eine Person durch die Anwendung des autonomen Amtsträgerbegriffs als fremder Amtsträger gelten kann, obwohl sie im eigenen Land und nach dessen Rechtsordnung gerade nicht als Amtsträger gilt.

II. Konkurrenzen

11 Art. 322septies Abs. 1 und Abs. 2 StGB sind spiegelbildlich ausgestaltet. Daher kann jeweils keine Mittäterschaft oder Teilnahme am Gegendelikt begründet werden.

Literaturverzeichnis

Hilti Martin, Kommentierung zu Art. 322septies StGB, in: Graf Damian K. (Hrsg.), Annotierter Kommentar StGB, Bern 2020.

Isenring Bernhard, Kommentierung zu Art. 322septies StGB, in: Donatsch Andreas (Hrsg.), Orell Füssli Kommentar, StGB, 21. Aufl., Zürich 2022.

Lengauer Daniel/Ruckstuhl Lea, Compliance, Zürich et al. 2017.

Lenz Stefan/Mäder Walter, Grenzüberschreitende Korruption, Die Anwendbarkeit des schweizerischen Unternehmensstrafrecht aus Sicht der Praktiker, forumpoenale 1 (2013), S. 33-38.

Pieth Mark, Kommentierung zu Art. 322septies StGB, in: Niggli Marcel Alexander/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar, StGB II, 4. Aufl., Basel 2019.

Pieth Mark, Funktionale Äquivalenz, Praktische Rechtsvergleichung und internationale Harmonisierung von Wirtschaftsstrafrecht, ZSR 119 (2000), S. 477-489.

Pieth Mark/Zerbes Ingeborg, Sportverbände und Bestechung: Sachgerechte Grenzen des Korruptionsstrafrechts?, ZIS 9 (2016), S. 619-625.

Rochow Marius, Die Massnahmen von OECD und Europarat zur Bekämpfung der Bestechung, Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 56, Halle 2006.

Trechsel Stefan/Betz Kathrin, Kommentierung zu Art. 322septies, in: Trechsel Stefan/Pieth Mark (Hrsg.), Praxiskommentar, StGB, 4. Aufl., Zürich et al. 2021.

Materialienverzeichnis

Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Korruptionsstrafrechts) sowie über den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr vom 19.4.1999, BBl 1999 5497 ff., abrufbar unter: https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1999/1_5497_5045_4721/de, besucht am 20.11.2023, (zit. Botschaft Revision).

Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des Strafrechts-Übereinkommens und des Zusatzprotokolls des Europarates über Korruption (Änderung des Strafgesetzbuches und des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb) vom 10.11.2004, BBl 2004 6983 ff., abrufbar unter: https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2004/1217/de, besucht am 20.11.2023, (zit. Botschaft Genehmigung).

Botschaft über die Änderung des Strafgesetzbuchs (Korruptionsstrafrecht) vom 30.04.2014, BBl 2014 3591 ff. abrufbar unter: https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2014/787/de, besucht am 20.11.2023, (zit. Botschaft Änderung).

Strafbefehl der Bundesanwaltschaft im Verfahren Nr. EAII.04.0325-LEN vom 22.11.2011 betreffend Alstom Network (Schweiz) AG.

Fussnoten

  • Vgl. AK-Hilti, Art. 322septies StGB N. 1; Botschaft Revision, S. 5523.
  • Medienmitteilung der Bundesanwaltschaft betreffend Verfahrensabschuss gegen die beiden Alstom-Gesellschaften: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-42300.html.
  • Lenz/Mäder, S. 34.
  • Vgl. zu den erlassenen Strafbefehlen der Bundesanwaltschaft gegen diverse Gesellschaften PK-Trechsel/Betz, Art. 322septies StGB N. 5.
  • OECD-Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (SR 0.311.21, Stand vom 25.3.2015).
  • Vgl. zum Begriff BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 6 m.w.H.
  • BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 6; Pieth, S. 477 ff.; Rochow, S. 16; vgl. dazu die Evaluations- und Konformitätsberichte der GRECO: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/sicherheit/korruption/greco.html.
  • Botschaft Revision, S. 5538.
  • Botschaft Revision, S. 5538; BStGer SK.2015.77 vom 01.4.2016 E. 2.5; BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 11 ff.; PK-Trechsel/Betz, Art. 322septies StGB N. 1; OFK-Isenring, Art. 322septies StGB N. 4; entsprechend wird auch auf den Begriff des fremden Amtsträgers die Legaldefinition nach Art. 110 Abs. 3 StGB angewendet.
  • BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 11.
  • BStGer SK.2014.24 vom 01.10.2014 E. 4.1.1, in welchem das Bundesstrafgericht den Sohn eines Diktators aufgrund seiner Stellung als funktionalen Beamten einstuft. Vgl. AK-Hilti, Art. 322septies StGB N. 7 für weitere Urteile des Bundesstrafgerichts bezüglich der Qualifizierung funktionaler Beamten.
  • BStGer BB.2014.181 vom 14.10.2015 E. 4.6.
  • Botschaft Revision, S. 5539, welche ausdrücklich die Europäische Union als internationale Organisation erwähnt.
  • BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 16; PK-Trechsel/Betz, Art. 322septies StGB N. 2; vgl. zudem Pieth/Zerbes, S. 620 f., wonach im Zuge der Vergabeskandale um FIFA-Weltmeisterschaften und weitere Sportgrossanlässe die Forderung laut wurde, Art. 322septies StGB auf die Bestechung von Funktionären internationaler Sportverbände zu erweitern. Entsprechend der Botschaft Änderung, S. 3592, wurde dieses Problem erkannt und durch die Schaffung der Tatbestände zur Privatbestechung entschärft.
  • Botschaft Revision, S. 5539 f.; OFK-Isenring, Art. 322septies StGB N. 3a; PK-Trechsel/Betz, Art. 322septies StGB N. 3.
  • Botschaft Revision, S. 5539 f.; BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 18 m.w.H; vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322decies StGB N. 3.
  • Zu denken ist bspw. an eine Zollabfertigung oder das Ausstellen einer Arbeitsbewilligung, die nach einer Zahlung von CHF 10.00–CHF 20.00 vorgenommen wird. Wäre eine entsprechende Zahlung ausgeblieben, so hätte man die Amtshandlung, auf die ein Anspruch besteht, nicht oder nur mit grosser Verspätung vorgenommen. Vgl. Lengnauer/Ruckstuhl, S. 156 f.
  • Botschaft Änderung, S. 3605; OFK-Isenring, Art. 322septies StGB N. 3b.
  • PK-Trechsel/Betz, Art. 322septies StGB N. 3; BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 30 und 39 m.w.H.
  • Botschaft Genehmigung, S. 7004; AK-Hilti, Art. 322septies StGB N. 17 m.w.H.
  • BSK-Pieth, Art. 322septies StGB N. 34 f.; AK-Hilti, Art. 322septies StGB N. 17 mit dem Hinweis auf BStGer BB.2014.181-186 vom 14.10.2015 E. 8, in welchem das Bundesstrafgericht auf einen ausländischen Parlamentarier den schweizerischen Amtsträgerbegriff anwendet, obwohl der Beschuldigte nach seinem Heimatrecht nicht unter den Begriff des Amtsträgers fallen würde.
  • AK-Hilti, Art. 322septies StGB N. 16; vgl. BGer 6B_402/2008 vom 6.11.2008 E. 2.2.2 m.w.H.

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