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Kommentierung zu
Art. 30 BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

1 Die Formulierung, wonach die bereinigten Wahlvorschläge Listen heissen, und die Vorgabe, die Listen mit Ordnungsnummern zu versehen, waren bereits im Nationalratswahlgesetz von 1919

enthalten und wurden 1976 unverändert ins BPR übernommen. Nach dem Nationalratswahlgesetz wurden die Listen «nach der Reihenfolge ihres Eingangs» nummeriert. Im BPR wurde auf diesen Passus verzichtet, «um damit dem oft übertriebenen Wettbewerb nach den ersten Nummern der Listen vorzubeugen», wie der Bundesrat in seiner Botschaft schrieb. Seither ist es den Kantonen überlassen, nach welchen Regeln sie die Listennummern vergeben.

II. Bedeutung der Vorschrift

A. Allgemeines

2 Die Bestimmung hält fest, dass die bereinigten Wahlvorschläge Listen heissen, und dass sie – aus wahlorganisatorischen Gründen – mit Ordnungsnummern zu versehen sind. Die Spielregeln der Vergabe der Ordnungsnummern sind Sache des kantonalen Rechts.

B. Rechtsvergleich

3 Die deutschsprachigen Kantone haben die Formulierung des BPR übernommen, wonach die bereinigten Wahlvorschläge als Listen bezeichnet werden.

Auch bei kantonalen Parlamentswahlen werden den Listen Ordnungsnummern zugeteilt. Die Regeln, nach denen die Listennummern vergeben werden, sind mannigfaltig: Als Kriterien dienen in der Regel die Parteistärke (die unterschiedlich definiert wird) und/oder der Zeitpunkt des Eingangs der Wahlvorschläge; teilweise kommt es zusätzlich zu Losentscheiden.
Reine Losverfahren, bei welchen sämtliche Listennummern ausgelost werden, kennen die Kantone Glarus, Tessin, Waadt und Genf.
Daneben existieren weitere Modelle, so werden etwa im Kanton Zug die Listen nach deren Bezeichnung in alphabetischer Reihenfolge nummeriert.

III. Listen

A. Terminologie (Abs. 1)

4 Die Bestimmung besagt, dass die «Wahlvorschläge» nach der Bereinigung als «Listen» bezeichnet werden. Diese Ausdrucksweise entspricht einem amtlichen bzw. akademischen Sprachgebrauch. In der Öffentlichkeit, in den Mitteilungen der Parteien und in den Medien werden bereits die «Wahlvorschläge» auch als «Listen» bezeichnet. Die Rede ist von der Einreichung der Listen, von Männer- und Frauenlisten einer Partei, von Listennummern, Listenverantwortlichen usw. Im französischen Gesetzestext heissen die Wahlvorschläge «listes de candidatures» und die Listen «listes électorales», in der Öffentlichkeit spricht man schlicht von «listes» und auch im kantonalen Parlamentswahlrecht ist vor und nach der Bereinigungsphase oft ohne präzisierenden Zusatz von «listes» die Rede.

B. Ordnungsnummern (Abs. 2)

5 Die Listen müssen gemäss dieser Bestimmung mit Ordnungsnummern (Listennummern) versehen werden. Dies gebieten organisatorische Gründe: Die Listennummern sind massgeblich für die Reihenfolge der Listen bei der Publikation, bei der Abfolge der Listen im Wahlzettelblock, bei der Erfassung der Listen in der Wahlinformatik usw. Im Weiteren dienen Listennummern auch der Orientierung der Wählerschaft.

6 Die Spielregeln zur Vergabe der Listennummern bei den Nationalratswahlen werden durch das kantonale Recht festgelegt, und sie sind vielfältig. Kriterien sind meistens (in unterschiedlicher Ausgestaltung) die Parteistärke und/oder der Zeitpunkt des Eingangs der Wahlvorschläge, und es kommen teilweise auch Losverfahren zum Zuge (auch diese in unterschiedlicher Ausgestaltung).

7 Nachstehend die Regeln zur Listennummernvergabe in einigen ausgewählten Kantonen (eine Übersicht betreffend die Nationalratswahlen 2023 findet sich auf der Homepage der Bundeskanzlei

).

  • Zürich: Die Listennummern werden zunächst nach Parteistärke vergeben, zuerst an die im Nationalrat vertretenen Listen nach den bei den letzten Nationalratswahlen im Kanton erzielten Parteistimmen (die Liste mit der höchsten Stimmenzahl erhält die Nummer 1), danach an die nicht im Nationalrat, aber im Kantonsrat vertretenen Listen nach den bei den letzten Kantonsratswahlen erreichten Parteistimmen, als dritte Kategorie folgen (bisher nicht berücksichtigte) Listen, die in einer Unterlistenverbindung stehen mit einer im Nationalrat vertretenen Liste, wiederum nach den bei der letzten Nationalratswahl erreichten Parteistimmen. Die Listennummern der übrigen Listen werden ausgelost.

  • Bern: Die Nummerierung der Listen erfolgt entsprechend der Zahl der Parteistimmen, welche bei den letzten Nationalratswahlen erzielt wurden, wobei die Parteistimmen mehrerer Listen derselben politischen Gruppierung zusammengezählt werden. Die Listen derselben politischen Gruppierung werden fortlaufend nummeriert. Erstmals antretende Listen erhalten eine zugeloste Listennummer.

  • Aargau: Die Listen werden entsprechend der Parteistärke (Zahl der Parteistimmen der letzten Nationalratswahl) mit Zahlen nummeriert, Listen der gleichen politischen Gruppierung werden zusätzlich durch einen Buchstaben gekennzeichnet (Liste 1a, 1b, 1c usw.). Die Listennummern für neu eingereichte Listen werden ausgelost.

  • St. Gallen: Die Listen werden entsprechend der Parteistärke (Zahl der Parteistimmen der letzten Nationalratswahl) mit Zahlen nummeriert, Listen der gleichen politischen Gruppierung werden zusätzlich durch einen Buchstaben gekennzeichnet (Liste 1a, 1b, 1c usw.). Die Listennummern für neu eingereichte Listen werden nach der Reihenfolge des Eingangs der Listen vergeben, die Listennummern für am gleichen Tag eingegangene Listen werden ausgelost.

  • Thurgau: Die Listen werden nach der Reihenfolge des Eingangs der Wahlvorschläge vergeben. Unter am gleichen Tag eingegangenen Wahlvorschlägen wird die Listennummer ausgelost.

  • Tessin/Waadt/Genf: Die Listennummern sämtlicher Listen werden ausgelost.

  • Basel-Stadt: Wahlvorschläge von Parteien und Gruppierungen, die unter gleichem Namen oder «mit einem unbestrittenen Nachfolgeanspruch» an der vorhergehenden Proporzwahl teilgenommen haben, erhalten eine angestammte Ordnungsnummer. Die übrigen Wahlvorschläge werden in der Reihenfolge ihres Eingangs nummeriert, bei gleichentags eingegangenen wird gelost.

  • Zug: Die Listen werden in alphabetischer Reihenfolge nach den Anfangsbuchstaben der Titel (Listenbezeichnungen) nummeriert.

8 Die Regeln zur Vergabe der Listennummern sind in den Debatten über das Wahlrecht ein Dauerthema. Wiewohl nicht eindeutig belegbar, wird zumindest in manchen Parteien angenommen, dass eine tiefe Listennummer einen Wahlvorteil verschaffen kann. Die Verteilung der Listennummern nach Parteienstärke wirkt unter dieser Annahme mit Blick auf die von der Wahlbehörde zu gewährleistende Gleichbehandlung aller kandidierenden Gruppierungen störend, werden damit doch die grossen Parteien bevorteilt. Die Zuteilung der Ordnungsnummern nach dem Zeitpunkt des Eingangs der Wahlvorschläge hat ihrerseits den Nachteil, dass es, wie die Praxis zeigt, dauernd zu Diskussionen darüber kommt, bei welcher Art von Änderungen ein Wahlvorschlag die zugeteilte Nummer wieder verliert und als neu eingereicht zu gelten hat. Ein fortlaufendes Nummerieren der Listen derselben Gruppierung macht das Listen-Tableau zwar übersichtlicher, verstärkt aber auch die Schwächen beider Modelle (Parteistärke bzw. Datum des Eingangs). Letztlich wirkt die Lösung der Kantone Tessin, Waadt und Genf, bei welcher sämtliche Listennummern durch das Los bestimmt werden, gerade mit Blick auf die Chancengleichheit der Parteien und Gruppierungen als die gerechteste.

Materialienverzeichnis

Beschluss des Regierungsrats des Kantons Bern vom 12.8.1987 «betreffend die Nummerierung der Listen bei den Nationalratswahlen» (BSG 141.122).

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über die politischen Rechte vom 9.4.1975 (BBl 1975 I 1317).

Fussnoten

  • SR 163.2; BBl 1919 I S. 262.
  • BBl 1975 I S. 1317, S. 1338.
  • § 92 Abs. 1 Gesetz des Kantons Zürich vom 1.9.2003 über die politischen Rechte (GPR/ZH, SG 161); Art. 79 Gesetz des Kantons Bern vom 5.6.2012 über die politischen Rechte (PRG/BE, SG 141.1); § 7 Gesetz des Kantons Aargau vom 8.3.1988 über die Wahl des Grossen Rates (Grossratswahlgesetz/AG, SG 152.100); Art. 42 Abs. 1 Gesetz des Kantons St. Gallen vom 5.12.2018 über Wahlen und Abstimmungen (WAG/SG, SG 125.3).
  • Als Beispiele: § 92 Abs. 2 und 3 GPR/ZH; Art. 63 Verordnung des Kantons Bern vom 4.9.2013 über die politischen Rechte (PRV/BE, SG 141.112); § 7 Abs. 2 und 3 Grossratswahlgesetz AG; § Art. 42 WAG/SG; § 17 Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau vom 24.6.2014 zum Gesetz über das Stimm- und Wahlrecht (StWV/TG, SG 161.11).
  • Art. 44 Abs. 2 Gesetz des Kantons Glarus vom 7.5.2017 über die politischen Rechte (GPR/GL, SG I D/22/2); Art. 51 Abs. 3 Legge del cantone Ticino del 19.11.2018 sull’esercizio dei diritti politici (LEDP/TI, SG 150.100); Art. 64 Abs. 1 Loi du canton de Vaud du 5.10.2021 sur l’exercice des droits politiques (LEDP/VD, SG 160.01); Art. 4A Abs. 1 Règlement du canton de Genève du 12.12.1994 d’application de la loi sur l’exercice des droits politiques (REDP/GE, SG A 5 05.01).
  • § 37 Abs. 2 Gesetz des Kantons Zug vom 28.9.2006 über die Wahlen und Abstimmungen (WAG/ZG, SG 131.1).
  • Siehe etwa Art. 59 ff. LEDP/VD.
  • Informationen zu den Listennummern: www.bk.admin.ch Startseite > Politische Rechte> Nationalratswahlen > Nationalratswahlen 2023, besucht am 5.4.2024.
  • § 110 Abs. 2–7 GPR/ZH.
  • Regierungsratsbeschluss BE vom 12.8.1987 «betreffend die Numerierung der Listen bei den Nationalratswahlen» (SG 141.122).
  • § 4 Verordnung des Kantons Aargau vom 25.1.1995 über die Wahl des Nationalrates AG (SG 131.131).
  • Art. 42 WAG/SG.
  • § 17 StWV/TG.
  • Art. 51 Abs. 3 LEDP/TI; Art. 64 Abs. 1 (per Analogie) i.V. mit Art. 51 LEDP/VD; Art. 4A Abs. 1 REDP/GE.
  • Verordnung des Kantons Basel-Stadt vom 3.10.1995 zum Gesetz über Wahlen und Abstimmungen (Wahlverordnung) WV/BS (SG 132.110).
  • § 37 Abs. 2 WAG/ZG.

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DOI (Digital Object Identifier)

10.17176/20240512-143555-0

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