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Kommentierung zu
Art. 240 ZPO

Eine Kommentierung von Philip Carr / Tobias Aggteleky

Herausgegeben von Lorenz Droese

defriten

I. Regelungsgegenstand

1 Entscheide werden allgemein nur den am Verfahren beteiligten Parteien (und den Nebenparteien) eröffnet,

wobei die Modalitäten der Entscheideröffnung im Wesentlichen durch Art. 239 ZPO geregelt werden. Art. 240 ZPO sieht in Erweiterung dieses Grundsatzes vor, dass der Entscheid auch Behörden und betroffenen Dritten mitgeteilt oder veröffentlicht wird, soweit es das Gesetz vorsieht oder es der Vollstreckung dient.

2 Die Mitteilung des Entscheids an Behörden oder Dritte stellt keine förmliche Eröffnung des Entscheids dar und die Adressaten der Mitteilung erlangen dadurch keine Parteistellung.

Die Entscheidmitteilung nach Art. 240 ZPO ist insofern auch von der Eröffnung familienrechtlicher Entscheide gegenüber dem Kind, welches das 14. Altersjahr vollendet hat, zu unterscheiden (vgl. Art. 301 lit. b ZPO).

3 Art. 240 ZPO bezieht sich sodann nicht auf das Zugänglichmachen von Entscheiden nach Art. 54 Abs. 1 ZPO (etwa durch Auflage beim Gericht, Publikation in Entscheidsammlungen etc.).

Art. 54 Abs. 1 ZPO räumt dem interessierten Publikum unter Umständen Anspruch auf Einsicht in Gerichtsentscheide ein.
Auch gerichtliche Meldepflichten an Behörden gemäss Bundesrecht
oder kantonalem Recht
stellen keinen Anwendungsfall einer Mitteilung gemäss Art. 240 ZPO dar.

4 Die Veröffentlichung gestützt auf Art. 240 ZPO ist weiter von der öffentlichen Bekanntmachung gemäss Art. 141 ZPO abzugrenzen.

Bei der öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 141 ZPO handelt es sich um eine Form der Zustellung (sog. Ediktalzustellung), die unter gewissen Voraussetzungen erfolgt, wenn sich die anderen Zustellungsformen als unmöglich erweisen.

II. Grundsätzliches

5 Besteht eine gesetzliche Grundlage, entscheidet das Gericht von Amtes wegen, ob ein Entscheid Behörden oder Dritten mitgeteilt oder veröffentlicht wird.

Die Personen und Behörden, denen der Entscheid mitgeteilt wird, müssen im Entscheid ausdrücklich genannt werden (Art. 238 lit. e ZPO).
Aus dem Entscheiddispositiv sollen alle Adressaten des Entscheids hervorgehen.
Die nachträgliche Mitteilung ist nur mittels Berichtigung des Entscheids (Art. 334 ZPO) möglich.

6 Die Mitteilung an Behörden und Drittpersonen erfolgt meist durch Zustellung eines Auszugs des Entscheiddispositivs.

Ausnahmsweise kann sich die Mitteilung des vollständigen Entscheids zusammen mit den Erwägungen aufdrängen, wenn ein blosser Auszug dem Informationsbedarf der adressierten Behörde oder Drittperson nicht gerecht würde.

7 Sieht das Gesetz eine Veröffentlichung des Entscheids vor, bestimmt – vorbehältlich bundesrechtlicher Vorgaben (vgl. etwa Art. 35 SchKG oder Art. 986 Abs. 2 OR) – grundsätzlich das kantonale Recht das Publikationsorgan. Es handelt sich dabei regelmässig um das kantonale Amtsblatt.

III. Anwendungsfälle (Auswahl)

8 Nachfolgend werden ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Beispiele aufgelistet, bei denen gemäss Art. 240 ZPO eine Mitteilung des Entscheids an Behörden (A) oder Dritte (B) bzw. eine Veröffentlichung des Entscheids erfolgt (C).

A. Mitteilungen des Entscheids an Behörden

9 Eine Mitteilung des Entscheids an eine Behörde ist beispielsweise in den folgenden Fällen gesetzlich vorgesehen:

  • Im Bereich des ZGB: Das Gericht hat den zuständigen Zivilstandsämtern bzw. deren Aufsichtsbehörden eine Vielzahl familien- und personenrechtlicher Entscheide mitzuteilen (z.B. Verschollenerklärung, Eheschliessung, Feststellung der Vaterschaft oder des Personenstandes; Art. 42 ZGB sowie Art. 40 und 42 f. ZStV).

    Die Auflösung bzw. Aufhebung im Handelsregister eingetragener Vereine und Stiftungen sind dem Handelsregisteramt zwecks Löschung mitzuteilen (Art. 79 und Art. 89 Abs. 2 ZGB).
    Verfügungsbeschränkungen eines Ehegatten über ein Grundstück sind dem Grundbuchamt mitzuteilen (Art. 178 Abs. 3 ZGB).
    Gleich verhält es sich etwa mit gerichtlich angeordneten Vormerkungen vorläufiger Eintragungen (Art. 961 Abs. 2 ZGB und Art. 124 Abs. 1 GBV).

  • Im Bereich des OR: Bestimmte Entscheide in gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten sind dem zuständigen Handelsregisteramt mitzuteilen (z.B. vorläufiger Entzug der Vertretungsbefugnis [Art. 565 Abs. 2 OR], Auflösung und Eintragung der Liquidatoren der Kollektivgesellschaft [Art. 574 Abs. 2 OR und Art. 583 Abs. 3 OR] oder der Aktiengesellschaft [Art. 737 OR und Art. 740 Abs. 2 OR]).

    Urteile über angefochtene Mietzinse und andere Forderungen der Vermieter sind dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung mitzuteilen (Art. 23 Abs. 2 VMWG).

  • Im Bereich des SchKG: Bestimmte Anordnungen im Zusammenhang mit Konkursverfahren, wie etwa die Eröffnung, der Widerruf des Konkurses sowie die Einstellung oder der Abschluss des Konkursverfahrens, sind dem Handelsregisteramt mitzuteilen (Art. 176 SchKG, Art. 939 OR, Art. 158 Abs. 1 HRegV).

    Selbiges gilt (vorbehältlich Art. 293c Abs. 2 SchKG) für die Bewilligung der definitiven oder provisorischen Nachlassstundung (Art. 296 SchKG, Art. 160 HRegV) sowie die Bestätigung des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung (Art. 308 SchKG, Art. 161 HRegV).

  • Im Bereich des Immaterialgüterrechts: Entscheide in Patent- oder Markensachen sind dem Institut für Geistiges Eigentum zuzustellen (Art. 70a PatG, Art. 54 MSchG).

  • Im Bereich des Kartellrechts: Entscheide, die in Anwendung des Kartellgesetzes gefällt werden, sind dem Sekretariat der Wettbewerbskommission zuzustellen (Art. 48 Abs. 2 KG).

B. Mitteilungen des Entscheids an Dritte

10 Eine Mitteilung des Entscheids an Dritte ist beispielsweise in den folgenden Fällen gesetzlich vorgesehen:

  • Im Bereich des ZGB: Entscheide über Persönlichkeitsverletzungen können auf Antrag einer Partei Dritten mitgeteilt werden (Art. 28a Abs. 2 ZGB).

    Vernachlässigt die verpflichtete Person die Erfüllung einer Unterhaltspflicht, so kann das Gericht ihre Schuldner anweisen, die Zahlungen ganz oder teilweise an die berechtigte Person zu erbringen (Art. 132 Abs. 2 ZGB).
    Schränkt eine Beistandschaft die Handlungsfähigkeit einer Person ein, so ist den Schuldnern eine entsprechende Mitteilung zu machen (Art. 452 Abs. 2 ZGB).

  • Im Bereich des Datenschutzes: Auch im Datenschutzrecht kann die klagende Partei die Mitteilung des Entscheids an Dritte verlangen (Art. 15 Abs. 3 DSG und Art. 25 Abs. 3 lit. b DSG).

  • Im Bereich vorsorglicher Massnahmen: Unter den Voraussetzungen von Art. 261 ZPO ordnet das Gericht vorsorgliche Massnahmen an.

    Eine solche kann unter anderem in einer Anweisung an eine dritte Person (oder eine Registerbehörde) bestehen (Art. 262 lit. c ZPO).

C. Veröffentlichung des Entscheids

11 Eine Veröffentlichung des Entscheids ist beispielsweise in den folgenden Fällen gesetzlich vorgesehen:

  • Im Bereich des ZGB: Entscheide über Persönlichkeitsverletzungen können auf Antrag einer Partei veröffentlicht werden (Art. 28a Abs. 2 ZGB).

    Unter Umständen kann auch der Entzug der Vertretungsbefugnis eines Ehegatten veröffentlicht werden (Art. 174 Abs. 3 ZGB).
    Der unbekannte Gläubiger eines Schuldbriefs kann vom Gericht öffentlich zur Meldung aufgefordert werden (Art. 856 Abs. 1 ZGB).

  • Im Bereich des Datenschutzes: Auch im Bereich des Datenschutzrechts kann die klagende Partei die Veröffentlichung des Entscheids verlangen (Art. 15 Abs. 3 DSG und Art. 25 Abs. 3 lit. b DSG).

  • Im Bereich des OR: Die Kraftloserklärung von Wertpapieren ist im Schweizerischen Handelsamtsblatt und nach Ermessen des Gerichts auch anderweitig zu veröffentlichen (Art. 986 Abs. 2 OR; vgl. auch Art. 972 OR und Art. 977 OR).

  • Im Bereich des SchKG: Der Widerruf des Konkurses wird öffentlich gemacht (Art. 195 Abs. 3 SchKG). Ebenso verhält es sich hinsichtlich der Bewilligung der definitiven oder provisorischen Nachlassstundung (Art. 296 SchKG, vorbehältlich Art. 293c Abs. 2 SchKG) sowie der Bestätigung des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung (Art. 308 SchKG).

  • Im Bereich des Immaterialgüterrechts: Das Gericht kann die obsiegende Partei ermächtigen, einen patentrechtlichen Entscheid auf Kosten der Gegenpartei zu veröffentlichen (Art. 70 Abs. 1 PatG).

Materialien

Botschaft zur Schweizerischen Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006, BBl 2006, S. 7221 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/fga/2006/914/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-fga-2006-914-de-pdf-a.pdf, besucht am 22. Juni 2022.

Literaturverzeichnis

Killias Laurent, Berner Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Band II, Bern 2012.

Kriech Markus, in: Brunner Alexander / Gasser Dominik / Schwander Ivo (Hrsg.), DIKE Kommentar, ZPO Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich / St. Gallen 2016.

Michel Margot / Steck Daniel, in: Spühler Karl / Tenchio Luca / Infanger Dominik (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2017.

Nordmann Francis / Oneyser Stéphanie, in: Staehelin Daniel / Bauer Thomas / Lorandi Franco (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesgesetzt über Schuldbetreibung und Konkurs I, 3. Aufl., Basel 2021.

Oberhammer Paul / Weber Philipp, in: Oberhammer Paul / Domej Tanja / Haas Ulrich (Hrsg.), Kurzkommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2021.

Sogo Miguel / Naegeli Georg, in: Oberhammer Paul / Domej Tanja / Haas Ulrich (Hrsg.), Kurzkommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2021.

Staehelin Daniel, in: Sutter-Somm Thomas / Hasenböhler Franz / Leuenberger Christoph (Hrsg.), Schulthess Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO), 3. Aufl., Zürich / Basel / Genf 2016.

Stäubli Christoph, in: Honsell Heinrich / Vogt Nedim Peter / Watter Rolf (Hrsg.), Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 5. Aufl., Basel 2016.

Steck Daniel / Brunner Norbert, in: Spühler Karl / Tenchio Luca / Infanger Dominik (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2017.

Sutter-Somm Thomas / Seiler Benedikt, Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich / Basel / Genf 2021.

Zürcher Johann, in: Brunner Alexander / Gasser Dominik / Schwander Ivo (Hrsg.), DIKE Kommentar, ZPO Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Zürich / St. Gallen 2016.

Fussnoten

  • Vgl. Botschaft 2006, S. 7345; BK-Killias, N. 1 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 7 zu Art. 240 ZPO.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 1 zu Art. 240 ZPO; vgl. ferner BSK-Michel/Steck, N. 11 ff. zu Art. 301 ZPO.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 22 zu Art. 240 ZPO.
  • Vgl. KUKO-Oberhammer/Weber, N. 2 zu Art. 54 ZPO.
  • Vgl. etwa Art. 443 Abs. 2 ZGB: Meldung hilfsbedürftig erscheinender Personen.
  • Vgl. etwa § 167 GOG/ZH (Ordnungs-Nr. 211.1) oder § 34 EG StPO/AG (SAR 251.200): Meldung strafbarer Handlungen.
  • SK ZPO-Staehelin, N. 7 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 17 zu Art. 240 ZPO.
  • Urteil 4A_646/2020 vom 12. April 2021 E. 3.1. Soweit es um die Zustellung von Betreibungsurkunden geht, ist Art. 66 Abs. 4 SchKG zu beachten.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 6 zu Art. 240 ZPO.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 1 zu Art. 240 ZPO.
  • KUKO-Sogo/Naegeli, N. 16 zu Art. 238 ZPO
  • SK ZPO-Staehelin, N. 5 zu Art. 240 ZPO.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 4 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 6 zu Art. 240 ZPO.
  • Vgl. etwa § 4 Abs. 1 GOG/BS (SG 154.100) oder § 121 Abs. 2 GOG/ZH (Ordnungs-Nr. 211.1).
  • BK-Killias, N. 4 zu Art. 240 ZPO.
  • BK-Killias, N. 4 zu Art. 240 ZPO.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 6 zu Art. 240 ZPO.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 5 zu Art. 240 ZPO.
  • BK-Killias, N. 4 zu Art. 240 ZPO; vgl. auch BSK-Stäubli, N. 4 zu Art. 737 OR.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 5 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 11 zu Art. 240 ZPO.
  • SK ZPO-Staehelin, N. 3 zu Art. 240 ZPO.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 5 zu Art. 240 ZPO.
  • SK ZPO-Staehelin, N. 3 zu Art. 240 ZPO.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 6 zu Art. 240 ZPO.
  • BK-Killias, N. 6 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 16 zu Art. 240 ZPO.
  • Vgl. Urteil 4A_427/2021 vom 20. Dezember 2021 E. 4.1.
  • Im Vordergrund steht dabei die Anweisung an eine Bank, ein bestimmtes Konto zu sperren (vgl. Botschaft 2006, S. 7355; vgl. dazu ferner DIKE-Komm.-Zürcher, N. 33 f. zu Art. 262 ZPO).
  • SK ZPO-Staehelin, N. 3 zu Art. 240 ZPO; zur Veröffentlichung von Gegendarstellungen vgl. Art. 28k ZGB.
  • CHK-Sutter-Somm/Seiler, N. 7 zu Art. 240 ZPO.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 18 zu Art. 240 ZPO.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 16 zu Art. 240 ZPO; DIKE-Komm.-Kriech, N. 21 zu Art. 240 ZPO.
  • DIKE-Komm.-Kriech, N. 19 zu Art. 240 ZPO.
  • Vgl. ferner BSK-Nordmann/Oneyser, N. 4 zu Art. 35 SchKG.
  • BSK-Steck/Brunner, N. 20 zu Art. 240 ZPO.

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