-
- Art. 11 OR
- Art. 12 OR
- Art. 50 OR
- Art. 51 OR
- Art. 84 OR
- Art. 143 OR
- Art. 144 OR
- Art. 145 OR
- Art. 146 OR
- Art. 147 OR
- Art. 148 OR
- Art. 149 OR
- Art. 150 OR
- Art. 701 OR
- Art. 715 OR
- Art. 715a OR
- Art. 734f OR
- Art. 785 OR
- Art. 786 OR
- Art. 787 OR
- Art. 788 OR
- Art. 808c OR
- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
-
- Art. 2 BPR
- Art. 3 BPR
- Art. 4 BPR
- Art. 6 BPR
- Art. 10 BPR
- Art. 10a BPR
- Art. 11 BPR
- Art. 12 BPR
- Art. 13 BPR
- Art. 14 BPR
- Art. 15 BPR
- Art. 16 BPR
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- Art. 19 BPR
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- Art. 21 BPR
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- Art. 58 BPR
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- Art. 59b BPR
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- Art. 63 BPR
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- Art. 76 BPR
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- Art. 90 BPR
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- Vorb. zu Art. 1 DSG
- Art. 1 DSG
- Art. 2 DSG
- Art. 3 DSG
- Art. 5 lit. f und g DSG
- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
- Art. 7 DSG
- Art. 10 DSG
- Art. 11 DSG
- Art. 12 DSG
- Art. 14 DSG
- Art. 15 DSG
- Art. 19 DSG
- Art. 20 DSG
- Art. 22 DSG
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- Art. 26 DSG
- Art. 27 DSG
- Art. 31 Abs. 2 lit. e DSG
- Art. 33 DSG
- Art. 34 DSG
- Art. 35 DSG
- Art. 38 DSG
- Art. 39 DSG
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- Art. 64 DSG
- Art. 65 DSG
- Art. 66 DSG
- Art. 67 DSG
- Art. 69 DSG
- Art. 72 DSG
- Art. 72a DSG
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- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 5 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 6 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 7 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 9 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 11 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 12 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 29 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 33 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
I. Allgemeines
1 In einer zunehmend globalisierten Welt können insbesondere sowohl Personen als auch Gegenstände mit Leichtigkeit über Grenzen hinweg bewegt werden. Dies machen sich auch Kriminelle zunutze. In Strafverfahren geht es daher immer häufiger um ein oder mehrere fremde Elemente. Damit Kriminalität wirksam bekämpft werden kann, müssen die Staaten miteinander kooperieren. Das Strafrecht und insbesondere die Ausübung von Zwang fallen in den souveränen Zuständigkeitsbereich der Staaten. Wenn ein Staat für den Fortgang eines Strafverfahrens in seinem Hoheitsgebiet ein Beweismittel oder eine Person benötigt, die sich nicht in seinem Hoheitsgebiet oder unter seiner Gerichtsbarkeit befindet, kann er seine Zwangsvorrechte nicht ausüben, ohne von dem Staat unterstützt zu werden, in dessen Hoheitsgebiet oder unter dessen Gerichtsbarkeit sich die gesuchte Person oder das gesuchte Beweismittel befindet. Es muss also eine Zusammenarbeit stattfinden. Das IRSG regelt diese Verfahren. Dieses Konzept der territorialen Souveränität wird durch das Auftreten neuer Arten von Beweismitteln, insbesondere elektronischer Beweismittel, und deren Erhebung herausgefordert. Der Standort dieser Beweismittel ist ungewiss. Die USA haben z. B. ein Gesetz verabschiedet, das den US-Strafverfolgungsbehörden unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit eines extraterritorialen Zugriffs einräumt. Das IRSG bleibt jedoch in den traditionellen Begriffen der territorialen Souveränität verankert.
2 Art. 1 IRSG definiert den materiellen Anwendungsbereich des Gesetzes, d.h. die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen. Diese umfasst alle Maßnahmen, die auch Zwangsmaßnahmen sein können, die ein Staat ergreifen kann, um einen anderen Staat im Rahmen seiner Strafverfahren zu unterstützen, und zwar in allen Phasen des Verfahrens. Die Zusammenarbeit kann also in der Ermittlungsphase, im Rahmen des Verfahrens, aber auch nach der Urteilsverkündung, insbesondere bei der Vollstreckung von Entscheidungen, stattfinden.
3Art. 1 IRSG wurde seit seiner Annahme dreimal geändert. Ein erstes Mal mit dem Ziel, den Anwendungsbereich von den Grenzen der Zusammenarbeit zu trennen. In diesem Sinne wurde Art. 1 Abs. 2 IRSG in einen neuen Art. 1a IRSG übernommen. Die zweite Änderung datiert vom 1. Juli 2002. Im Zusammenhang mit dem Beitritt der Schweiz zum Römer Statut wurde das JStG verabschiedet. Art. 1 IRSG wurde geändert, damit das IRSG Vorrang hat. Schliesslich eröffnet die Änderung vom 1. Juni 2021 die Möglichkeit, das IRSG analog auf die Zusammenarbeit mit "internationalen Gerichten oder anderen zwischenstaatlichen oder supranationalen Einrichtungen, die Funktionen von Strafbehörden ausüben", anzuwenden. Dieser Punkt wird weiter unten näher erläutert.
4Art. 1 IRSG enthält in seiner aktuellen Fassung fünf Absätze. Der erste grenzt die verschiedenen Materien ab, die von der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen erfasst werden (siehe Punkt II. A.), und erläutert den subsidiären Charakter des IRSG (siehe Punkt II. B.). Absatz 2 wurde, wie oben erwähnt, aufgehoben. Absatz 3 stellt klar, dass das Gesetz nur auf Strafsachen anwendbar ist (vgl. Punkt II. C.). Die Absätze 3bis und 3ter behandeln die Zusammenarbeit mit den internationalen Strafinstitutionen (vgl. Punkt II. D.) und der letzte Absatz erinnert an den Potestativcharakter des IRSG (vgl. Punkt III.).
II. Anwendungsbereich
A. Erfasste Stoffe (Abs. 1)
5Art. 1 Abs. 1 IRSG stellt klar, dass das Gesetz die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen als Ganzes regelt.
6Die Zusammenarbeit ist international in dem Sinne, dass sie in der Regel mindestens zwei Staaten einbezieht. Der Begriff des Staates wird im Völkerrecht definiert. Dabei werden drei Kriterien verwendet: das Territorium, das Volk und die Regierung. Die internationale Anerkennung ist keine notwendige Bedingung für die völkerrechtliche Einstufung eines Staates als solcher. Und Staaten, deren Status umstritten ist, stellen trotzdem Anträge auf internationale Zusammenarbeit in Strafsachen. Die Schweiz arbeitet mit einigen Staaten zusammen, deren Anerkennung von einem Teil der internationalen Gemeinschaft bestritten wird. Dies gilt für das Kosovo, das von der Schweiz, aber nicht von der gesamten internationalen Gemeinschaft anerkannt wird und mit dem zwei bilaterale Verträge geschlossen wurden. Dies ist auch der Fall bei Taiwan (Republik China), das weder von der gesamten internationalen Gemeinschaft noch von der Schweiz anerkannt wird. Dennoch wurden Rechtshilfeersuchen angenommen und vom Bundesgericht bestätigt. Mit Staaten, die die Schweiz nicht anerkennt, können jedoch keine internationalen Abkommen wie z.B. bilaterale Verträge abgeschlossen werden. Die Zusammenarbeit erfolgt auf der Grundlage des IRSG. Bei der Überstellung verurteilter Personen kann dies zu besonderen Problemen führen, da in der Regel zusätzlich zum IRSG ein Vertrag erforderlich ist.
7An der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen sind also mindestens zwei Staaten beteiligt, es können aber auch mehr Staaten beteiligt sein. Dies kann bei einem komplexen Fall der Fall sein, bei dem Beweismittel in verschiedenen Staaten verfügbar sind. In diesem Fall werden mehrere Ersuchen zwischen den verschiedenen betroffenen Staaten gestellt. Dies ist auch bei gemeinsamen Ermittlungsgruppen der Fall, die aus mehr als zwei Staaten gebildet werden können. In beiden Fällen werden die Ersuchen jedoch immer von einem Staat an den anderen gerichtet. In der Schweiz beruht die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen auf einem Rechtshilfeersuchen (Art. 80dter IRSG). Wenn sich mehrere Staaten an einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe beteiligen, ist ein Rechtshilfeersuchen zwischen der Schweiz und jedem teilnehmenden Staat erforderlich.
8Die jüngsten Entwicklungen im Völkerrecht haben zur Entstehung internationaler Strafgerichte und anderer internationaler Strafinstitutionen geführt, die von Staaten oder internationalen Organisationen auf der Grundlage internationaler Abkommen oder Resolutionen der Vereinten Nationen eingerichtet wurden. Diese internationalen Strafinstitutionen haben eine eigene Rechtspersönlichkeit und Befugnisse im Bereich der Strafverfolgung. Sie verfügen jedoch nicht immer über eigene Ermittlungsbehörden, wie sie die Staaten haben, und können nicht auf dem souveränen Hoheitsgebiet eines Staates tätig werden. In dieser Hinsicht sind diese Institutionen auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen und müssen die Staaten um internationale Zusammenarbeit in Strafsachen ersuchen. Diese Zusammenarbeit ist auch im Sinne des IRSG als international anzusehen.
9Die Zusammenarbeit, auf die das IRSG abzielt, ist die Zusammenarbeit in Strafsachen (Art. 1 Abs. 1 und 3 IRSG). Sie muss im Zusammenhang mit Strafsachen und nicht für Zivil- oder Verwaltungssachen beantragt werden. Dieser Punkt wird unten näher erläutert (siehe Punkt C.).
10Art. 1 Abs. 1 IRSG listet zudem die vier Hauptbereiche auf, die im IRSG geregelt sind, nämlich die Auslieferung, die Rechtshilfe im engeren Sinne, die Delegation der Strafverfolgung und die Vollstreckung ausländischer Strafurteile. Diese verschiedenen Rechtsakte sind in den Teilen 2 bis 5 des IRSG im Einzelnen geregelt. Diese Liste ist nicht erschöpfend und weitere Bereiche im Zusammenhang mit der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen könnten im Rahmen künftiger Revisionen des IRSG in den Anwendungsbereich des Gesetzes aufgenommen werden. Somit wird im Hinblick auf weitere Revisionen des Gesetzes eine gewisse Flexibilität gelassen.
1. Auslieferung
11Die Auslieferung (Art. 32 ff. IRSG) bezweckt die Übergabe einer natürlichen Person von einem Staat an einen anderen für die Zwecke eines Strafverfahrens. Die Person, gegen die ein Auslieferungsersuchen gestellt wird, kann im ersuchenden Staat Gegenstand eines Strafverfahrens sein und wird dann im Hinblick auf dieses Verfahren ausgeliefert. Ein Auslieferungsersuchen kann auch gestellt werden, wenn eine Person in einem Staat verurteilt wurde, ihre Strafe im Urteilsstaat jedoch noch nicht vollständig verbüßt hat. Die Person wird dann zum Zweck der Vollstreckung der strafrechtlichen Sanktion ausgeliefert.
2. Rechtshilfe im engeren Sinne
12Die Rechtshilfe im engeren Sinne (Art. 63 ff. IRSG) umfasst alle Maßnahmen, die ein Staat für einen anderen Staat ergreift, um Beweismittel zu sammeln, die für die Verfolgung einer Straftat durch den ersuchenden Staat relevant sind. Dazu gehören z. B. die Sammlung von Zeugenaussagen, Hausdurchsuchungen, die Übermittlung von verfahrensrelevanten Dokumenten, die Sperrung und Rückgabe von Vermögenswerten oder die Zustellung von Gerichtsurkunden.
3. Delegation der Strafverfolgung
13Die Delegation der Strafverfolgung (Art. 85 ff. IRSG) zielt auf Situationen ab, in denen die strafbaren Handlungen im Ausland begangen wurden, aber in der Schweiz geahndet werden, oder umgekehrt auf Fälle, in denen die Straftat in der Schweiz begangen wurde, aber im Ausland verfolgt wird. Gründe dafür können sein, dass eine Auslieferung nicht möglich ist oder dass eine Delegation der Strafverfolgung z. B. bessere Chancen auf eine soziale Wiedereingliederung bietet. Der ersuchte Staat verfolgt die Person dann anstelle des Staates, in dem sich die Tat ereignet hat. Dies soll verhindern, dass eine Person, die nicht ausgeliefert werden kann, straffrei bleibt, und setzt somit den Grundsatz aut dedere aut judicare in die Tat um. Dies fördert in einigen Fällen auch eine bessere soziale Neuordnung, indem die verfolgte Person in dem Staat, in dem sie die meisten Bindungen hat, verfolgt werden kann.
4. Vollstreckung von Strafurteilen
14Die vierte Verfahrensart, die im IRSG geregelt ist, ist die Vollstreckung ausländischer Strafurteile (Art. 94 ff.). Dabei geht es darum, dass ein Staat eine von einem anderen Staat erlassene Strafentscheidung in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt. Dieser Teil unterscheidet sich von der Auslieferung zur Vollstreckung einer Strafe dadurch, dass bei der Auslieferung der Staat, der die Entscheidung getroffen hat, um die Auslieferung der verurteilten Person ersucht, damit diese ihre Strafe im Hoheitsgebiet des Urteilsstaates vollstreckt. Bei der Vollstreckung eines Strafurteils wurde das Urteil vom Urteilsstaat erlassen und der Urteilsstaat beantragt, dass die Strafe in einem anderen Staat vollstreckt wird, in dem sich die verurteilte Person aufhält. Die Vollstreckung eines Strafurteils kann sich auf eine Freiheitsstrafe sowie auf die Vollstreckung einer Geldstrafe beziehen, für die eine Auslieferung nicht in Frage kommt. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Hoheitsgebiet eines anderen Staates hat zum Ziel, der verurteilten Person eine bessere Chance auf soziale Wiedereingliederung zu bieten.
B. Subsidiärer Charakter (Abs. 1)
15Das IRSG ist ein subsidiäres Gesetz. Art. 1 Abs. 1 IRSG stellt dies klar: Das Gesetz findet nur Anwendung, wenn kein anderes Gesetz oder Abkommen anwendbar ist. Dies wird auch in Art. 1 Abs. 3bis IRSG wiederholt. Das IRSG ergänzt somit das bestehende Recht.
1. Gegenüber Verträgen
16In der Schweiz hat das Völkerrecht Vorrang vor dem nationalen Recht, und die Schweiz verpflichtet sich, ihre internationalen Verpflichtungen gemäß dem Grundsatz pacta sunt servanda einzuhalten. Die von der Schweiz abgeschlossenen Verträge haben Vorrang vor dem IRSG. Dies gilt beispielsweise für die europäischen Auslieferungs- und Rechtshilfeübereinkommen oder sogar für die im Rahmen des Schengen-Abkommens verabschiedeten Übereinkommen oder die Übereinkommen der Vereinten Nationen. So gilt z.B. die Bestimmung des ZP II über gemeinsame Ermittlungsgruppen vorrangig vor der Bestimmung des IRSG mit den Staaten, die diesem Protokoll beigetreten sind. Dies gilt auch für bilaterale Verträge, die die Schweiz mit anderen Staaten abschließt. Zwei Ausnahmen werden jedoch im Folgenden erwähnt.
2. Gegenüber dem innerstaatlichen Recht
17In Bezug auf das innerstaatliche Recht sieht die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes lex specialis derogat legi generali im Allgemeinen vor, dass die Spezialgesetze Vorrang vor den allgemeinen Gesetzen haben. Dies bedeutet zweierlei: Entweder hat das IRSG gegenüber anderen Bestimmungen des schweizerischen Straf- oder Strafprozessrechts, die ähnliche Aspekte regeln könnten, den Charakter eines Spezialgesetzes, oder bestimmte Gesetze haben in den von ihnen geregelten Bereichen gegenüber dem IRSG den Charakter eines Spezialgesetzes.
18So müssen die Bestimmungen des IRSG in Rechtshilfeverfahren den Regeln anderer, allgemeinerer Schweizer Gesetze vorgehen, insbesondere denjenigen der StPO oder des StGB, die Punkte regeln würden, die auch auf die Rechtshilfe anwendbar sind. Die Parteistellung oder die Beschwerderechte der Personen, gegen die sich ein Rechtshilfeverfahren richtet, sind z.B. ausschliesslich im IRSG geregelt.
19Dieser Grundsatz besagt auch, dass Spezialgesetze, die bestimmte Bereiche des Rechts der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen regeln, Vorrang vor dem IRSG haben. Zu denken ist etwa an das Bundesgesetz über die Teilung eingezogener Vermögenswerte, das spezifische Regeln zu diesem Thema festlegt, oder an das ZISG, das die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof regelt.
3. Ausnahmen
20Zwei Ausnahmen von dieser Subsidiarität sind zu erwähnen.
a. Günstigkeitsprinzip
21Die erste ist die Anwendung des Günstigkeitsprinzips in der Schweiz, das die Anwendung des IRSG vorsieht, wenn es für die Zusammenarbeit günstiger ist als das internationale Recht. Dieses Prinzip ergibt sich aus den Zielen, die sich die Schweiz im Rahmen der Verbrechensbekämpfung gesetzt hat. Die internationale Rechtshilfe in Strafsachen soll die Verfolgung von Straftaten fördern, was für die Schweiz wichtig ist. So gewährt sie die umfassendste Rechtshilfe, die möglich ist. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass ein Vertrag in diesem Bereich die Rechtshilfe fördern soll und es somit paradox wäre, einem Staat, mit dem die Schweiz einen Vertrag abgeschlossen hat, eine eingeschränktere Rechtshilfe zu gewähren als einem Staat, mit dem sie nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit in Anwendung des IRSG zusammenarbeitet. Dies bedeutet zum Beispiel, dass Revisionen des IRSG, die neue Maßnahmen vorsehen, auch auf Staaten angewendet werden können, mit denen die Schweiz einen Vertrag geschlossen hat, selbst wenn der Vertrag diese Maßnahmen nicht ausdrücklich vorsieht. Dies ist der Fall bei den neuen Bestimmungen über gemeinsame Ermittlungsgruppen (Art. 80dter ff. IRSG). Diese Bestimmungen können die Bildung einer solchen gemeinsamen Ermittlungsgruppe zwischen der Schweiz und einem Staat, mit dem sie einen Vertrag geschlossen hat, auch dann ermöglichen, wenn eine solche Möglichkeit nicht direkt im Vertrag vorgesehen ist.
22Das Günstigkeitsprinzip gilt, sofern es nicht ausdrücklich durch ein Gesetz oder Übereinkommen ausgeschlossen wird. Dies ist im LCPI der Fall, wo es heißt: "Die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof erfolgt ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und des Statuts". Es muss noch darauf hingewiesen werden, dass dieses Günstigkeitsprinzip zwar gegenüber dem Staat gilt, aber nicht unbedingt zugunsten der Person, gegen die sich die Rechtshilfemaßnahme richtet.
b. Ergänzende Anwendung
23Die zweite Ausnahme ist die ergänzende Anwendung des IRSG auf Fragen, die nicht in anderen Gesetzen oder Abkommen geregelt sind, auch hier unter der Voraussetzung, dass die Zusammenarbeit nicht ausschließlich für die anderen Abkommen oder Gesetze geregelt ist. Internationale Verträge regeln beispielsweise keine Fragen des Verfahrens, der Rechtsmittel, der Fristen etc. Hier ist das IRSG anwendbar.
24Die ergänzende Anwendung des IRSG ist auch nur möglich, wenn ein Gesetz einen Bereich nicht ausschließlich regelt. So wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, obwohl sie künftig in den Anwendungsbereich von Art. 1 Abs. 3bis IRSG fallen kann, weiterhin ausschließlich durch das IRSG geregelt.
C. Strafsachen, in denen der Richter angerufen werden kann (Abs. 3)
25Art. 1 Abs. 3 IRSG sieht vor, dass die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen nur (1.) für Strafsachen gewährt werden kann, (2.) in denen ein Richter angerufen werden kann.
1. Strafsache
26Das IRSG ist nur im Zusammenhang mit einem Strafverfahren anwendbar. So muss ein Verfahren, das die Ahndung einer Straftat zum Ziel hat, im ersuchenden Staat eingeleitet oder abgeschlossen werden. Der Begriff des Strafverfahrens ist weit auszulegen. Das Hauptelement ist die Verfolgung einer strafbaren Handlung. Unter einer strafrechtlichen Straftat sind Straftaten zu verstehen, die in der Schweiz durch das StGB geahndet werden, sowie Straftaten, die durch das Nebenstrafrecht geahndet werden. Eine strafbare Handlung muss mit einer Strafe geahndet werden. Freiheitsstrafen sind strafrechtliche Sanktionen par excellence, aber auch die anderen im StGB vorgesehenen Sanktionen (Art. 34 ff. StGB) belegen den strafrechtlichen Charakter einer Straftat.
27Der Begriff der Strafsache kann auch strafrechtliche Nebenverfahren oder Verwaltungsmaßnahmen umfassen. Ebenso geht das Rechtshilfeersuchen in der Regel von Justizbehörden aus, kann aber manchmal auch von Verwaltungsbehörden im ersuchenden Staat übermittelt werden, sofern diese Verwaltungsbehörden zur Einleitung eines Strafverfahrens befugt sind.
28Damit es sich um eine Strafsache im Sinne des IRSG handelt, muss die Person, gegen die sich das Verfahren richtet, noch nicht notwendigerweise angeklagt worden sein. Es reicht aus, dass im ersuchenden Staat ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden ist. Diese Ermittlungen müssen jedoch vor dem zuständigen Richter abgeschlossen werden können (siehe Punkt 2. unten).
29Der Staat muss außerdem für die Verfolgung der Straftat, die Gegenstand des Ersuchens ist, zuständig sein. Der ersuchende Staat kann also nur dann ein Rechtshilfeersuchen stellen, wenn er selbst für die Verfolgung der Straftat, auf die sich das Ersuchen bezieht, zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit wird jedoch insofern vermutet, als die Gerichtsorganisation eines Staates in dessen souveräne Zuständigkeit fällt. Die Schweiz kann diesen Punkt nur prüfen, wenn es offensichtlich ist, dass eine solche Zuständigkeit nicht gegeben ist.
2. Möglichkeit, den Richter anzurufen
30Die zweite Bedingung von Art. 1 Abs. 3 IRSG sieht vor, dass die Person, gegen die sich das Strafverfahren richtet, die Möglichkeit haben muss, einen Richter im ersuchenden Staat anzurufen. Diese Bedingung soll das Recht auf ein faires Verfahren gewährleisten, das sowohl von der Bundesverfassung als auch von den internationalen Abkommen, die die Schweiz ratifiziert hat, garantiert wird.
31Die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen ermöglicht es dem ersuchenden Staat, den ersuchten Staat um Zwangsmaßnahmen zu ersuchen. Solche Massnahmen müssen im eröffneten Strafverfahren gerichtlich überprüft werden können. So muss die Person, gegen die sich das Verfahren richtet, für das um Rechtshilfe ersucht wird, im Laufe des Verfahrens die Möglichkeit haben, den sachlich zuständigen Richter im ersuchenden Staat anzurufen. Dabei handelt es sich in der Regel um einen Strafrichter, auch wenn in bestimmten Fällen ein Verwaltungsrichter nicht ausgeschlossen ist, sofern er für die Verhängung strafrechtlicher Sanktionen zuständig ist.
32Schlussendlich verlangt das IRSG nur die Möglichkeit, einen Richter anzurufen. Es reicht aus, dass die Person nach dem Recht, das auf das im ersuchenden Staat eröffnete Verfahren anwendbar ist, eine solche Möglichkeit hat, auch wenn sie davon letztlich keinen Gebrauch macht.
D. Zusammenarbeit mit internationalen Strafrechtsinstitutionen
1. Zusammenarbeit von Amts wegen (Abs. 3bis)
33Absatz 3bis regelt die Zusammenarbeit von Amtes wegen mit internationalen Strafgerichten oder anderen internationalen, gemischten und supranationalen Institutionen, die strafrechtliche Funktionen ausüben (nachfolgend: internationale Strafinstitutionen), sofern sie schwere Verbrechen des Völkerrechts verfolgen oder sich auf eine für die Schweiz verbindliche Resolution der Vereinten Nationen stützen.
34Die internationalen Strafinstitutionen umfassen die internationalen Strafgerichte wie den ehemaligen Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien oder den ehemaligen Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda sowie den Internationalen Mechanismus zur Ausübung der Restfunktionen der Strafgerichte, der die Restfunktionen dieser beiden Gerichte oder ähnlicher Gerichte, die in Zukunft geschaffen werden könnten, ausübt. Ebenfalls betroffen sind gemischte Gerichte oder Institutionen, d. h. solche mit nationalen und internationalen Komponenten wie die Außerordentlichen Kammern innerhalb der Gerichte von Kambodscha, der Sonderstrafgerichtshof der Zentralafrikanischen Republik oder die Spezialkammern des Kosovo (CSK) und die Sonderstaatsanwaltschaft. Diese Gerichte beruhen sowohl auf nationalem als auch auf internationalem Recht und werden von einer internationalen Organisation wie z.B. den Vereinten Nationen unterstützt. Schliesslich fallen auch die von den Vereinten Nationen eingesetzten Untersuchungskommissionen wie der Internationale, unparteiische und unabhängige Mechanismus zur Erleichterung der Untersuchung der schwersten Verstösse gegen das Völkerrecht in der Arabischen Republik Syrien oder der Europarat wie die "Marty-Kommission" unter Art. 1 Abs. 3bis IRSG. Voraussetzung ist, dass diese internationalen Strafinstitutionen Funktionen von Strafbehörden ausüben, d.h. dass sie Straftaten untersuchen oder verfolgen.
35Die Zusammenarbeit mit einigen dieser Institutionen war zuvor bereits im Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts geregelt. Einige neue Gerichte oder Institutionen fielen jedoch nicht in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes. Dies war z.B. beim Sondergerichtshof für den Libanon der Fall, mit dem die Zusammenarbeit vor der Änderung des IRSG, die am 1. Juni in Kraft trat, nicht möglich war, da er keine schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts verfolgte.
36 Art. 1 Abs. 3bis IRSG sieht vor, dass die Zusammenarbeit mit den internationalen Strafinstitutionen in zwei Fällen von Amtes wegen auf der Grundlage des IRSG erfolgt. Der erste (lit. a.) ist, dass die internationale Strafinstitution schwere Verletzungen des Völkerrechts untersucht oder verfolgt. Schwere Verletzungen des Völkerrechts im Sinne dieses Artikels sind Straftaten, die nach den Titeln 12bis, 12ter oder 12quater StGB geahndet werden, d.h. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Das Verbrechen der Aggression würde, sollte es in Schweizer Recht umgesetzt werden, ebenfalls unter die Definition schwerer Verstöße gegen das Völkerrecht fallen. Dabei handelt es sich um Verbrechen, die insbesondere vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt werden. Diese Verbrechen sind so schwerwiegend, dass eine Zusammenarbeit von Amts wegen erforderlich ist. Die internationale Strafinstitution nach lit. a muss nicht von den Vereinten Nationen eingesetzt worden sein. Es kann sich um eine Institution handeln, die von einer anderen internationalen Organisation unterstützt oder eingerichtet wurde.
37Der zweite Fall (lit. b) ist die Zusammenarbeit mit internationalen Strafinstitutionen, die gewöhnliche Straftaten ermitteln und verfolgen, d. h. Straftaten des StGB mit Ausnahme derjenigen, die nach Titel 12bis, 12ter oder 12quater StGB geahndet werden. Das bekannteste Beispiel ist der Sondergerichtshof für den Libanon, der durch eine Resolution der Vereinten Nationen eingerichtet wurde, um Personen zu verfolgen, die beschuldigt wurden, den Bombenanschlag vom 14. Februar 2005 verübt zu haben. Die Straftaten, die von dieser Institution verfolgt wurden, waren Terrorakte, Verbrechen und Vergehen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Personen, unerlaubte Vereinigungen und die Nichtaufdeckung von Verbrechen und Vergehen. In diesem Fall erfolgt die Zusammenarbeit nur dann von Amts wegen, wenn sich die Institution auf eine für die Schweiz verbindliche Resolution der Vereinten Nationen stützt oder von der Schweiz unterstützt wird. Die Unterstützung der Schweiz wird anhand ihrer offiziellen Positionen analysiert, wie z. B. ihrer Stimmabgabe, wenn die Resolution von einem Organ stammt, in dem die Schweiz abstimmen konnte. Wenn sie sich nicht zu der Resolution äußern konnte, insbesondere weil die Resolution von einem Organ stammt, in dem die Schweiz nicht vertreten ist, sind ihre offiziellen Stellungnahmen maßgeblich. Mit Organ, in dem die Schweiz nicht vertreten ist, meint das Gesetz in erster Linie den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, wenn die Schweiz nicht Mitglied dieses Rates ist. Der Sonderstatus der Vereinten Nationen ergibt sich aus der multilateralen und sogar globalen Rolle dieser Organisation sowie aus der Möglichkeit, Resolutionen zu verabschieden, die für ihre Mitgliedstaaten bindend sind.
38Das IRSG gilt analog auch für die Zusammenarbeit mit internationalen Strafrechtsinstitutionen. Dieses Gesetz wurde in seiner Gesamtheit nicht geändert, um den Besonderheiten der internationalen Strafinstitutionen Rechnung zu tragen. Es ist so abgefasst, dass es die zwischenstaatliche Zusammenarbeit regelt. So bedeutet die analoge Anwendung, dass, wenn das Gesetz staatsbezogene Begriffe wie z. B. "zwischenstaatlich", "ersuchender Staat", "ersuchter Staat" usw. verwendet, den internationalen Strafinstitutionen dieselben Rechte wie den Staaten eingeräumt werden. Daraus folgt, dass die auf der Grundlage des IRSG entwickelte Rechtsprechung, Lehre und Praxis auch auf die Zusammenarbeit mit internationalen Strafrechtsinstitutionen anwendbar sein wird. Die analoge Anwendung des IRSG auf die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen ermöglicht es, diesen Institutionen Rechtshilfe im engeren Sinne zu gewähren, aber auch die anderen im IRSG vorgesehenen Maßnahmen wie die Auslieferung, die Delegation des Verfahrens oder auch die Vollstreckung von Strafurteilen.
39Schließlich ist auch die Anwendung des IRSG auf die Zusammenarbeit mit internationalen Strafrechtsinstitutionen subsidiär. Wenn die Zusammenarbeit mit einer solchen Institution durch ein anderes Gesetz oder ein internationales Abkommen geregelt ist, findet das IRSG keine Anwendung (vgl. oben Punkt B. für weitere Einzelheiten zum Begriff der Subsidiarität). So wird die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof weiterhin ausschließlich durch das IRSG geregelt. Die internationalen Instrumente zur Errichtung dieser Institutionen werden, wenn sie bestimmte, direkt anwendbare Normen für die Zusammenarbeit vorsehen, ebenfalls vorrangig auf die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen angewendet.
40In Bezug auf das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts wurde sein Anwendungsbereich vollständig in Art. 1 Abs. 3bis IRSG übernommen. Insofern wurde dieses Gesetz mit Inkrafttreten des neuen Artikels aufgehoben.
2. Abs. 3ter: Die Ausweitung der Zusammenarbeit auf bestimmte internationale Strafinstitutionen per Verordnung.
a. Allgemeines
41 Abs. 3ter gibt dem Bundesrat die Möglichkeit, den Geltungsbereich des IRSG durch Verordnung auf andere internationale Strafinstitutionen auszudehnen, unabhängig von der Art der Straftaten, die von diesen Institutionen verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat bei der Revision von 2021 beschlossen, dass das IRSG der Einfachheit halber die internationale strafrechtliche Zusammenarbeit mit allen internationalen Strafinstitutionen regeln können soll. In der Tat hat sich auf der Grundlage des IRSG eine langjährige Praxis entwickelt und eine ausführliche Rechtsprechung ergangen. Durch die Anwendung dieses Gesetzes auf die Zusammenarbeit mit allen internationalen Strafinstitutionen, die in Zukunft entstehen könnten, können Antworten auf die meisten Fragen gegeben werden, die sich möglicherweise stellen könnten.
42Die in Art. 1 Abs. 3ter IRSG vorgesehene Kompetenzdelegation ähnelt derjenigen des früheren Gesetzes über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten zur Verfolgung von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts, das die Anwendung dieses Gesetzes auf die Zusammenarbeit mit dem Sondergerichtshof für Sierra Leone (SCSL) ermöglicht hat.
b. Bedingungen
43 Damit der Bundesrat eine solche Verordnung erlassen kann, müssen drei verschiedene kumulative Bedingungen erfüllt sein: Das Gericht oder die Institution muss auf einer Rechtsgrundlage beruhen, die ihre Zuständigkeiten im Bereich des Strafrechts und des Strafverfahrens klar definiert, das Verfahren vor dem Gericht oder der Institution muss die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundsätze gewährleisten und die Zusammenarbeit muss der Wahrung der Interessen der Schweiz dienen.
44Das IRSG sieht zunächst vor, dass die von der Verordnung betroffene internationale Strafrechtsinstitution durch einen Rechtsakt gegründet worden sein muss, der die Zuständigkeiten der Institution festlegt. Die materiellen Zuständigkeiten, d.h. die Straftaten, die von der internationalen Strafinstitution verfolgt werden, sowie die verfahrensrechtlichen Zuständigkeiten, d.h. die Vorschriften über den Ablauf der Ermittlungen, das Verfahren, die Ernennung von Richtern usw. müssen im Gründungsakt vorgesehen sein. Dieser Akt muss in einem transparenten und rechtsstaatlichen Kriterien genügenden Verfahren angenommen worden sein. Dieser Prozess ergibt sich jedoch aus einer zwischenstaatlichen Organisation. Die Kriterien sind möglicherweise nicht die gleichen wie im innerstaatlichen Recht.
45Zweitens muss das Verfahren vor der internationalen Strafinstitution die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gewährleisten. Dies bedeutet, dass das Verfahren die Grundrechte, wie sie in der EMRK verankert sind, gewährleisten muss. Dazu gehören insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, die Verteidigungsrechte, die Unschuldsvermutung, die Zusicherungen im Zusammenhang mit der Inhaftierung und das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. So muss der Gründungsakt der Institution solche Schutzmaßnahmen enthalten oder auf ein Instrument verweisen, das diese Rechte im Rahmen der von der Institution durchgeführten Verfahren wahrt.
46Drittens muss die Zusammenarbeit mit der internationalen Strafrechtsinstitution zur Wahrung der Interessen der Schweiz beitragen. Dies bedeutet insbesondere die Berücksichtigung der aussenpolitischen Ziele, die in der Verfassung vorgesehen sind, sowie der Ziele der aussenpolitischen Strategie, die vom Bundesrat zu Beginn jeder Legislaturperiode verabschiedet wird. Als Interessen der Schweiz sind z.B. ihr Engagement für Frieden und Sicherheit zu nennen, das die Untersuchung und Verfolgung schwerer Verbrechen des Völkerrechts beinhaltet, um deren Straflosigkeit zu bekämpfen, aber auch das allgemeine Ziel der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die zum Wohlstand der Schweiz beiträgt, wie er in der Strategie des Bundesrates beschrieben wird.
47Dabei kann es sich um Institutionen handeln, die außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen eingerichtet wurden und die gewöhnliche Straftaten verfolgen. Die erste vom Bundesrat verabschiedete Verordnung zielt nämlich auf eine von der Europäischen Union geschaffene Institution ab, die zumindest zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung eher Finanzdelikte verfolgt.
c. Verordnungen des Bundesrates
48Der Bundesrat machte von der in Absatz 3 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch. 3ter zum ersten Mal am 21. Dezember 2022. Er verabschiedete die Verordnung über die Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft, um die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen zwischen den Schweizer Behörden und diesem neuen Organ zu regeln. Die Botschaft nennt als Beispiel andere Institutionen, für die eine solche Verordnung erlassen werden könnte, wie das Rote-Khmer-Tribunal oder die Marty-Kommission, oder sogar andere internationale Strafinstitutionen, die bereits bestehen oder in Zukunft entstehen könnten, je nach den Bedürfnissen der Behörden.
49Die Verordnung des Bundesrates besteht lediglich aus zwei Artikeln. Der erste sieht den Gegenstand der Verordnung vor, der zweite das Inkrafttreten der Verordnung. Die Verordnung des Bundesrates sieht eine analoge Anwendung des IRSG auf die Zusammenarbeit mit einer solchen neuen Institution vor. Wie bereits erwähnt, ermöglicht die analoge Anwendung die Übernahme der bestehenden Praxis und Rechtsprechung ohne eine umfassende Änderung des IRSG, da die Begriffe in Bezug auf den Begriff des Staates so auszulegen sind, dass sie auch internationale Strafinstitutionen umfassen.
III. Potestativer Charakter (Abs. 4)
50Absatz 4 bildet den Eckpfeiler des IRSG, das ein Potestativgesetz ist. Es erlaubt der Schweiz, sowohl mit anderen Staaten als auch mit den in seinem Geltungsbereich enthaltenen internationalen Strafinstitutionen zusammenzuarbeiten. Eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden. In diesem Sinne geht es weniger weit als die bi- oder multilateralen internationalen Abkommen, die die Schweiz möglicherweise abgeschlossen hat, da einige dieser Abkommen eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit vorsehen. So erlaubt das IRSG den Schweizer Behörden, Staaten oder internationalen Strafinstitutionen die Zusammenarbeit zu gewähren, aber es erlaubt weder anderen Staaten noch internationalen Strafinstitutionen, mit denen die Schweiz nicht durch ein Abkommen verbunden ist, die Zusammenarbeit von der Schweiz zu verlangen.
51Eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit bestimmten Staaten kann sich aus internationalen Abkommen ergeben, die die Schweiz ratifiziert hat. Eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit bestimmten internationalen Institutionen kann sich aus dem Gründungsakt dieser Institution ergeben. So sehen beispielsweise einige Resolutionen des Sicherheitsrats, mit denen internationale Strafgerichte eingerichtet wurden, eine solche Verpflichtung zur Zusammenarbeit vor. Während das IRSG auf die Zusammenarbeit mit diesen Gerichten auf der Grundlage des neuen Art. 3bis anwendbar ist, ergibt sich die Verpflichtung zur Zusammenarbeit aus dem anwendbaren Völkerrecht, d. h. aus der Resolution zur Errichtung der Institution, und nicht aus dem IRSG.
Die vertretene Auffassung widerspiegelt die persönliche Meinung der Autorin und bindet nicht das Bundesamt für Justiz.
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