-
- Art. 11 OR
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- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
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- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehungsgeschichte
- II. Art. 75b Abs. 1 BV
- III. Art. 75b Abs. 2 BV
- IV. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
- V. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
- VI. Wirkungsanalyse
- Weitere empfohlene Lektüre
- Literatur- und Materialienverzeichnis
I. Entstehungsgeschichte
A. Die Probleme mit Zweitwohnungen
1. Überfremdung des Schweizer Bodens
1 Die erste bundesrechtliche Regelung betreffend Zweitwohnungen wurde als Massnahme gegen die Veräusserung einheimischen Bodens an ausländische Personen 1961 eingeführt. Die dringlichen Bundesbeschlüsse wurden in das Bundesgesetz vom 16. Dezember 1983 über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland (SR 211.412.41) überführt, welches diesen Erwerb beschränkt und einer Bewilligungspflicht unterstellt. Die mittlerweile «Lex Koller» genannte Regelung bezweckt, die Überfremdung
2. Übernutzung der Schweizer Berglandschaften
2 Insbesondere aufgrund ihrer eingeschränkten Wirksamkeit versuchte der Bundesrat im Jahre 2007, die Lex Koller aufzuheben, scheiterte jedoch damit im Parlament.
3 Die Initiative bezweckte durch den Stopp des Zweitwohnungsbaus den Erhalt von Landschaft und Landwirtschaftsland, wodurch die Berggebiete als Tourismusräume attraktiv bleiben sowie bezahlbarer Wohnraum für die einheimische Bevölkerung entstehen sollte.
3. Annahme und Inkrafttreten der Zweitwohnungsinitiative
4 Am 11. März 2012 wurde die Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» schliesslich mit 50.6% Ja-Stimmen und von 13.5 Ständen angenommen und die Bundesverfassung mit dem vorliegenden Art. 75b sowie Art. 197 Ziff. 9 ergänzt.
B. Umsetzungsprobleme
5 Mit Annahme der Initiative traten deren Bestimmungen unmittelbar in Kraft (vgl. Art. 195 BV). Vieles andere blieb aufgrund der unsorgfältigen, wenig strukturierten und insgesamt mangelhaften Formulierungen der neuen Verfassungsnormen hingegen unklar.
6 Erschwerend gesellte sich der Umstand hinzu, dass höchstens eine Handvoll Gemeinden, welche von der Initiative betroffen waren, dieser auch zugestimmt hatten.
C. Lösungsansätze
1. Zweitwohnungsverordnung vom 22. August 2012 (aZWV)
7 Bereits vor dem Inkrafttreten des ZWG erliess der Bundesrat am 22. August 2012 eine Zweitwohnungsverordnung, um dem Gesetzgebungsauftrag der Initiative nachzukommen und die drängendsten Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. Diese Verordnung trat am 1. Januar 2013 in Kraft
8 Das Vorgehen des Bundesrats war ob seiner zeitlichen Dringlichkeit und damit zusammenhängenden Fragen der Kompetenz nicht unumstritten (s. dazu hinten N. 47). Diese Verordnung, nicht zu verwechseln mit derjenigen, welche mittlerweile gestützt auf das ZWG besteht,
2. Entscheide des Bundesgerichts vom 22. Mai 2013
a. Unmittelbare Anwendbarkeit
9 Schliesslich hatte das Bundesgericht aufgrund zahlreicher Gesuche zum Bau von Zweitwohnungen bereits im Mai 2013 Gelegenheit, zu verschiedenen Fragen in Zusammenhang mit der Umsetzung von Art. 75b und Art. 197 Ziff. 9 BV Stellung zu nehmen. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Zweitwohnungsinitiative hielt es fest, dass Klarheit und Bestimmtheit des Tatbestandes und der Rechtsfolge hinsichtlich derjenigen Wohnnutzungen bestehe, die unzweifelhaft unter den Zweitwohnungsbegriff fielen und in einer Gemeinde mit eindeutig überschiessendem Zweitwohnungsanteil beabsichtigt seien. Die so erfassten Sachverhalte («kalte Betten») seien relativ einfach abzugrenzen und nicht komplex. Der sofortigen Anwendbarkeit dieses «harten Kerns» der neuen, speziellen Verfassungsnorm stehe daher nichts entgegen, auch wenn sie eine nicht unerhebliche Beschränkung der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) bedeute.
10 Allerdings müsse Art. 75b BV noch in weiten Teilen konkretisiert werden, insbesondere betreffend die Erstellung von bewirtschafteten Zweitwohnungen, die Umnutzung von Erst- und Zweitwohnungen sowie die Erweiterung und den Ersatz bestehender Zweitwohnungen. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 75b Abs. 1 i.V.m. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV beschränke sich dementsprechend auf ein vorsorgliches Baubewilligungsverbot für Zweitwohnungen in den betroffenen Gemeinden bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen, was im Ergebnis einer Planungszone gleichkomme. Dieses Verbot sei weit auszulegen, um dem Gesetzgeber nicht vorzugreifen und eine Präjudizierung der künftigen Ausführungsbestimmungen zu verhindern. Insgesamt handle es sich um eine bloss vorübergehende Einschränkung der Eigentumsgarantie bis zum Erlass der Ausführungsbestimmungen. Für eine derartige vorsorgliche und zeitlich beschränkte Massnahme seien keine hohen Anforderungen an die Bestimmtheit der Norm zu stellen.
11 Diese Urteile ergingen, obschon sich ein grosser Teil der Lehre gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der Initiative aussprach.
b. Umgang mit Baubewilligungen
12 Ebenfalls umstritten war, wie mit den Baubewilligungen für Zweitwohnungen zu verfahren war, welche nach Annahme der Initiative am 11. März 2012 erteilt wurden. Das Bundesgericht gelangte diesbezüglich zum Schluss, dass Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV, welcher die Nichtigkeit für Baubewilligungen vorsieht, die ab dem 1. Januar 2013 bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen erteilt werden, keine abweichende übergangsrechtliche Regelung sei, sondern bloss die Rechtsfolge verschärfe (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit). Es gelangten somit die üblichen Grundsätze zur intertemporalen Geltung des Rechts zur Anwendung
3. Zweitwohnungsgesetz
13 Am 1. Januar 2016 wurde schliesslich das lang erwartete ZWG und die dazugehörige Zweitwohnungsverordnung vom 4. Dezember 2015 (ZWV; SR 702.1) – nicht zu verwechseln mit derjenigen vom 22. August 2012 (vorne N. 7) – in Kraft gesetzt. Der Gesetzgeber erfüllte damit den Auftrag von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV und erliess die Ausführungsgesetzgebung. Das ZWG bestimmt u.a. den Begriff der Zweitwohnung (Art. 2 Abs. 4) und in Abgrenzung dazu Erstwohnungen sowie Wohnungen, welche den Erstwohnungen gleichgestellt sind. Es regelt die Berechnung des Zweitwohnungsanteils (Art. 4 f.) und enthält eine Präzisierung des Zweitwohnungsverbots von Art. 75b BV (Art. 6). Weiter finden sich Bestimmungen zur Erstellung neuer Wohnungen (Art. 7 ff.) sowie der Änderung altrechtlicher Wohnungen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20%. Zudem enthält es Vollzugs- (Art. 15 ff.), Straf- (Art. 21 ff.) und Schlussbestimmungen zur Ausführung respektive zum Übergang (Art. 23 ff.).
14 Dem ZWG ging ein ausserparlamentarischer Kompromiss zwischen einer Delegation von Nationalräten und dem Initiativkomitee voraus. Im Gegenzug für inhaltliche Zugeständnisse im Gesetz sicherten die Initianten zu, auf ein Referendum zu verzichten. Der gefundene Kompromiss wurde durch das Parlament in der Folge ohne grössere Widerstände angenommen.
15 Die Reaktionen auf das Ergebnis waren überwiegend kritisch. Biaggini ist der Ansicht, dass «[d]ie gesetzgeberische Umsetzung (…) nicht zu den Sternstunden der Rechtsetzungsmethodik und des Parlamentarismus [gehört]»
16 Im Weiteren war auch zwingend eine Versöhnung der apodiktisch verfassten Bestimmungen von Art. 75b BV mit anderen Verfassungsnormen notwendig (u.a. Raumplanung, Verhältnismässigkeitsprinzip, Eigentumsgarantie, Niederlassungsfreiheit).
II. Art. 75b Abs. 1 BV
A. Verhältnis zu anderen Verfassungsnormen
1. Raumplanung
17 Mit Annahme der Initiative verfügt der Bund über die Kompetenz zur Gesetzgebung im Bereich der Zweitwohnungen. Sie stellt m.E. eine blosse Ergänzung zur Grundsatzgesetzgebung im Bereich der Raumplanung nach Art. 75 RPG dar und ist restriktiv zu handhaben.
18 Art. 75b BV und die darauf beruhende Ausführungsgesetzgebung überlassen den Kantonen und Gemeinden weiterhin Raum für gewisse Regelungen zu Zweitwohnungen. So erlaubt es Art. 3 Abs. 2 ZWG den Kantonen, Vorschriften zu erlassen, welche die Erstellung und Umnutzung von Wohnungen stärker einschränken, als es das Zweitwohnungsgesetz vorsieht, z.B. mittels Kontingenten oder Zweitwohnungssteuern.
2. Verhältnismässigkeit und Eigentumsgarantie
19 Grundsätzlich sind alle Normen der Verfassung gleichrangig, solange nicht einer einzelnen Regelung durch den Verfassungsgeber bewusst Vorrang eingeräumt wird.
B. Geltungsbereich
1. Sachlicher Geltungsbereich
20 Art. 75b Abs. 1 BV ist sowohl eine konditionale als auch eine finale Norm.
21 Verschiedentlich wird gefordert, dass dieselbe Rechtsfolge auch eintreten soll, wenn der Anteil Zweitwohnungen der für Wohnzwecke genutzten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde 20% überschreitet.
22 Der finale Gehalt von Art. 75 BV zum anderen manifestiert sich darin, dass er die 20%-Grenze als anzustrebendes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen festhält.
2. Örtlicher Geltungsbereich
23 Der örtliche Geltungsbereich von Art. 75b BV beschlägt insofern die ganze Schweiz, als sämtliche Gemeinden ein Wohnungsinventar zu erstellen haben (so auch Art. 4 ZWG; vgl. hinten III.). Aufgrund dessen wird entschieden,
24 Es ist den Gemeinden möglich, sich dem örtlichen Geltungsbereich der Beschränkungsmassnahmen zu entziehen, wenn durch Fusionen oder Spaltungen ihr Zweitwohnungsanteil unter die Grenze von 20% fällt. Als rechtsmissbräuchlich können diesbezüglich nur neu entstandene Gemeinden gelten, deren Gebiet nicht zusammenhängt und die sich nur zum Zweck der Umgehung von Art. 75b zusammengeschlossen bzw. aufgespalten haben.
C. Begriff der «Zweitwohnung»
25 Der Begriff der Zweitwohnung (vgl. vorne N. 11) ist mittlerweile in Art. 2 ZWG ausführlich definiert worden. Er ist negativ umschrieben; d.h. eine Wohnung gilt gemäss dessen Abs. 4 als Zweitwohnung, wenn sie weder eine Erstwohnung ist noch einer Erstwohnung gleichgestellt wird.
1. Wohnung
26 Art. 2 Abs. 1 lit. a – e ZWG nennt die Anforderungen an eine Wohnung, welche kumulativ erfüllt sein müssen. Als Wohnung gilt somit eine Gesamtheit von Räumen, die für eine Wohnnutzung geeignet sind, eine bauliche Einheit bilden, einen Zugang entweder von aussen oder von einem gemeinsam mit anderen Wohnungen genutzten Bereich innerhalb des Gebäudes haben, über eine Kocheinrichtung verfügen und keine Fahrnis darstellen. Normalerweise besteht eine Wohnung aus mehreren Räumen, aber auch ein einziger Raum kann für sich allein sämtliche Anforderungen erfüllen (Einraumwohnung). Keine Rolle spielt das Nutzungsrecht an der Wohnung, d.h. es ist unerheblich, ob eine Wohnung im Eigentum des Nutzenden steht oder an diesen vermietet wird.
2. Erstwohnung respektive Zweitwohnung
27 Eine Erstwohnung wiederum ist eine Wohnung, die von mindestens einer Person genutzt wird, die in der Gemeinde niedergelassen ist, in welcher die Wohnung liegt (Art. 2 Abs. 2 ZWG). Neben diversen anderen Ausnahmen sind insbesondere Wohnungen, die zu Erwerbs- und Ausbildungszwecken dauernd bewohnt werden, Erstwohnungen gleichgestellt (vgl. Art. 2 Abs. 3 lit. a-h ZWG) und somit im Sinne des Gesetzgebers nicht verpönt.
28 Der so durch den Gesetzgeber bestimmte Begriff der Zweitwohnungen ist nicht zu beanstanden und dürfte mit den Absichten der Zweitwohnungsinitiative verfolgten Zielen übereinstimmen. Grundsätzlich sollen jene Wohnungen, die selten genutzt und/oder primär der Kapitalanlage dienen und nicht für längere Zeit als Wohnraum zur Verfügung gestellt werden (sog. «kalte Betten»; vorne N. 3), als Zweitwohnungen gelten.
3. Berechnung des Zweitwohnungsanteils
29 Gestützt auf den vorgenannten Begriff lässt sich auch der Anteil von Zweitwohnungen exakt berechnen. Er ergibt sich aus den Wohnungen, die als Zweitwohnungen gelten, geteilt durch das Total aller Wohnungen (multipliziert mit 100).
D. Zweitwohnungsverbot und weiterhin erlaubte Wohnungen
30 Neue Zweitwohnungen gemäss Art. 2 ZWG dürfen in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von mehr als 20% gestützt auf Art. 6 Abs. 1 ZWG nicht mehr bewilligt werden. Dadurch wird das Zweitwohnungsverbot von Art. 75b BV präzisiert, welches gemäss Rechtsprechung zwar bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit bestand, allerdings aber nur einen «harten Kern» umfasste (vorne N. 9 ff.).
1. Neue Wohnungen mit Nutzungsbeschränkungen
31 Das Verbot umfasst das Erstellen einer Zweitwohnung sowohl durch Neubau als auch mittels Umgestaltung einer bestehenden Baute, die bisher keine Wohnungen enthielt. In den betroffenen Gemeinden dürfen neue Wohnungen grundsätzlich nur noch mit einer spezifischen Nutzungsbeschränkung erstellt werden (Art. 7 Abs. 1 ZWG), deren Abänderung normalerweise (bau)bewilligungspflichtig ist (Art. 13 ZWG).
2. Neue Wohnungen ohne Nutzungsbeschränkungen
32 Vom Zweitwohnungsverbot nach Art. 6 ZWG ausgenommen sind insb. Wohnungen, die gestützt auf einen Ausnahmetatbestand nach Art. 8 oder 9 ZWG als Wohnung ohne Nutzungsbeschränkung bewilligt worden sind. Dies sind einerseits Wohnungen zur Querfinanzierung strukturierter Beherbergungsbetriebe, und zwar sowohl von bestehenden als auch neu zu errichtenden Betrieben (vgl. Art. 8 ZWG).
33 Ebenso weiter zulässig sind Wohnungen, die gestützt auf einen projektbezogenen Sondernutzungsplan nach Art. 26 f. ZWG bewilligt werden können,
34 Aus Sicht von Art. 75b BV ist insbesondere Art. 8 ZWG (Wohnungen zur Querfinanzierung strukturierter Beherbergungsbetriebe) problematisch, weil dadurch Hotelbetriebe unter gewissen Umständen neue «kalte» Betten erstellen (vorne N. 3), bzw. bis zu 50% ihrer Hauptnutzfläche in «kalte» Betten umwandeln können.
E. Rechtsmissbrauch im Zusammenhang mit Nutzungsbeschränkungen
35 Gestützt auf Art. 14 Abs. 1 ZWG besteht die Möglichkeit, die Nutzungsbeschränkung als Erstwohnung für eine bestimmte Dauer zu sistieren, womit Härtefalle vermieden werden sollen, welche sich bei einer strikten, schematischen Gesetzesanwendung ungeachtet der konkreten Umstände ergeben können.
36 Gemäss Bundesgericht hat sich insbesondere mit der Einführung der Möglichkeit nach lit. b das Missbrauchspotential im Zusammenhang mit dem Bau neuer Wohnungen in Gemeinden, welche unter den Anwendungsbereich von Art. 75b BV fallen, vergrössert. Dementsprechend hat es seine Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauch im Bereich der Erstellung von Wohnungen in den betroffenen Gemeinden verschärft. Konkret ist von Amtes wegen zu prüfen, ob spezifische Indizien vorliegen, welche die Absicht bzw. die Möglichkeit einer Erstwohnungsnutzung des Bauvorhabens als unrealistisch erscheinen lassen.
F. Besitzstandsgarantie; altrechtliche Wohnungen
37 In Zusammenhang mit den Auswirkungen von Art. 75b BV auf bereits bestehende Wohnungen wird regelmässig die Besitzstandsgarantie erwähnt. Diese gewährleistet, dass legal erstellte Bauten, die durch neue Erlasse rechtswidrig geworden sind, unterhalten und in der bisherigen Art weitergenutzt werden dürfen.
1. Ausnahmeregelung
38 Weil die Besitzstandsgarantie nur die bisherige Nutzung erfasst, können altrechtliche Wohnungen, die als Erstwohnungen genutzt wurden, nach Inkrafttreten von Art. 75b BV grundsätzlich nicht mehr in Zweitwohnungen umgewandelt werden.
2. Bedenken und mögliche Konsequenzen
39 In Zusammenhang mit der unbeschränkten Umnutzung altrechtlicher Wohnungen zu Zweitwohnzwecken befürchtet der Bundesrat zwei zentrale unerwünschte Entwicklungen. Einerseits bestehe für Ortsansässige aufgrund der Angebotsverknappung der Zweitwohnungen ein grosser finanzieller Anreiz, ihre an zentraler Lage gelegene altrechtliche Erstwohnung an Auswärtige zu verkaufen, die sie als Zweitwohnung nutzen möchten. Mit dem erzielten Gewinn könnten sie anschliessend eine neue und grössere Erstwohnung an peripherer Lage am Dorfrand erstellen oder erwerben. Dies führt zu einer Entleerung der Dorfkerne und einer zusätzlichen Zersiedelung;
40 Um solch unerwünschte Entwicklungen zu unterbinden, hielt bereits Art. 3 Abs. 4 aZWV ein Verbot missbräuchlicher Umnutzungen fest. Es erwies sich jedoch aufgrund seiner rechtlichen und praktischen Mängel als nicht umsetzbar. Art. 12 Abs. 1 ZWG sieht nun bloss noch vor, dass Kantone und Gemeinden bei Bedarf Massnahmen ergreifen, um Missbräuche und unerwünschte Entwicklungen zu verhindern, die sich aus der Umnutzung ergeben. Möglich ist dabei, die Umnutzung von bisher zu Erstwohnzwecken genutzten Wohnungen zu Zweitwohnzwecken sowie die Änderungsmöglichkeiten altrechtlicher Wohnungen einzuschränken. Zudem können diese nutzungsmässigen und baulichen Änderungen der Baubewilligungspflicht unterstellt werden, soweit dies noch nicht der Fall ist (Art. 12 Abs. 2 ZWG). In seiner jetzigen Form ist Art. 12 ZWG allerdings in weiten Teilen redundant, da die Kantone die vorgeschlagenen Massnahmen bereits gestützt auf Art. 3 Abs. 2 ZWG ergreifen können, der sie ermächtigt, Vorschriften zu erlassen, welche die Nutzung von Wohnungen stärker einschränken, als es das ZWG tut. Obschon nicht ausdrücklich erwähnt, wäre gestützt auf Art. 3 Abs. 2 ZWG ebenfalls die Einführung von fiskalischen Beschränkungsmassnahmen möglich.
41 Verschiedentlich wird die indirekte Ausgestaltung der Massnahmen, um Missbrauch und unerwünschten Entwicklungen zu verhindern, als zu wenig weitgehend erachtet und angesichts des Sinns und Zwecks von Art. 75b BV als verfassungswidrig eingeschätzt.
III. Art. 75b Abs. 2 BV
42 Wie verschiedene andere Begriffe in Art. 75b BV wird auch der «Erstwohnungsanteilplan» äusserst missverständlich eingesetzt. Der Begriff «Erstwohnungsanteilplan» wird im vorliegenden Kontext üblicherweise als Synonym für Erstwohnungsanteilregelungen gebraucht, die den Anteil der Erstwohnungen in einer Gemeinde festlegen. In der gesetzlichen Umsetzung von Art. 75b Abs. 2 BV wird der Begriff aber offensichtlich so verstanden, dass er Auskunft über die Nutzungsart sämtlicher Wohnungen in einer Gemeinde geben soll, damit festgestellt werden kann, wie hoch der Anteil an Zweitwohnungen ist. Es handelt sich dementsprechend um ein Inventar respektive ein Register und nicht um eine planerische Massnahme.
43 Konkret muss jede Gemeinde dem BFS ihre Einwohnerdaten jährlich mit Stichtag 31. Dezember bis spätestens am 31. Januar des Folgejahrs liefern. Bis zum gleichen Zeitpunkt müssen die Gemeinden ihre Daten ebenfalls im Gebäudewohnungsregister (GWR) nachführen (Art. 1 Abs. 1 ZWV). Aufgrund der Gemeindedaten im GWR stellt das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) für jede Gemeinde bis zum 31. März jeden Jahres fest, ob ihr Zweitwohnungsanteil mehr als 20% beträgt oder nicht (Art. 2 Abs. 2 ZWV). Gegen die Verfügung des ARE kann zuerst Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und danach Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben werden.
44 Gemeinden, deren Zweitwohnungsanteil sich ständig im Grenzbereich von 20% bewegt (sog. Liftgemeinden),
IV. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV
45 Mit dieser Übergangsbestimmung wurde der Bundesrat ermächtigt, die nötigen Ausführungsbestimmungen über Erstellung, Verkauf und Registrierung im Grundbuch durch Verordnung zu erlassen, wenn innerhalb von zwei Jahren (d.h. bis zum 11. März 2014) die zur Umsetzung von Art. 75b erforderliche Gesetzgebung nicht in Kraft getreten ist. Offensichtlich sollte damit der Gesetzgeber unter zeitlichen Druck gesetzt werden.
46 Es stellte sich jedoch die Frage, ob der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt überhaupt zum Erlass einer solchen Verordnung befugt war.
47 Nach dem 11. März 2014 und bis zum Inkrafttreten des von Art. 75b BV geforderten Gesetzes galt die aZWV sodann als Verordnung i.S.v. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV, wobei sie dann auch zweifellos über eine gesicherte Kompetenzgrundlage verfügte.
V. Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV
48 Auch über die Tragweite von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV bestand vor den wegleitenden Entscheidungen des Bundesgerichts Uneinigkeit. Der überwiegende Teil der Lehre sowie die kantonalen Gerichte gingen davon aus, dass diese Übergangsbestimmung Art. 75b Abs. 1 BV präzisiere und ihm als lex specialis vorgehe. Als Rechtsfolge von Art. 75b Abs. 1 BV halte Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV die Nichtigkeit von Baubewilligungen unmissverständlich erst ab dem 1. Januar 2013 fest und nicht bereits ab Inkrafttreten der Initiative. Daraus ergebe sich der zwingende Umkehrschluss, dass bis am 31. Dezember 2012 das alte Recht weiter gelte und erteilte Baubewilligungen gültig blieben.
49 Das Bundesgericht erblickte in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV jedoch keine übergangsrechtliche Norm, sondern eine Verschärfung der Rechtsfolge von Art. 75b Abs. 1 BV (Nichtigkeit statt Anfechtbarkeit, vorne N. 11).
50 Aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 75b Abs. 1 BV präsentiert sich die Rechtslage somit folgendermassen: Für Baugesuche, die vor dem 11. März 2012 erteilt und anschliessend angefochten worden sind, gilt das Recht zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beurteilung durch die kantonalen Behörden. Auf Baubewilligungen, die erst nach dem 11. März 2012 erteilt worden sind, ist das neue Recht anwendbar; sie sind anfechtbar, selbst wenn sie vor Annahme der Initiative eingereicht worden sind. Wurde die Baubewilligung erst nach dem 1. Januar 2013 erstinstanzlich erteilt, so ist sie nichtig. Anders ist nur zu entscheiden, wenn besondere Konstellationen des Vertrauensschutzes sowie der Rechtsverweigerung oder -verzögerung vorliegen.
51 Konsequenz dieser Entscheide des Bundesgerichts wäre eigentlich, dass auch Wohnungen, welche vor dem 11. März 2012 erstinstanzlich bewilligt worden sind, als «altrechtlich» gelten, auch wenn sie danach noch Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens waren.
VI. Wirkungsanalyse
52 Während des Abstimmungskampfs präsentierten die Befürworter der Initiative diese als einfaches Mittel, um der Zersiedelung in den Bergregionen Einhalt zu gebieten und der einheimischen Bevölkerung günstigen Wohnraum zu verschaffen (vorne N. 3). Wie andere Initiativen auch in letzter Zeit war sie im Hinblick auf ihre Erfolgschancen an der Urne eher auf eine einfache, aber schneidige Formulierung fokussiert, als dass sie sich ernsthaft mit nachhaltigen Lösungen für die thematisierten Probleme auseinandersetzte. Die Realität präsentierte sich in der Folge – wie so häufig – weit komplexer als gedacht und die Bilanz der Zweitwohnungsinitiative fällt dementsprechend durchzogen aus.
A. Ökonomische Aspekte
53 Die befürchteten negativen wirtschaftlichen Konsequenzen sind in den betroffenen Gemeinden – wie von den Experten prognostiziert und damit wenig überraschend – eingetreten, obschon dies vor der Abstimmung konsequent in Abrede gestellt worden ist.
54 Die Preise für Immobilien in den betroffenen Gemeinden wiederum sanken generell in den ersten Jahren nach Annahme der Initiative – dies entgegen den Erwartungen der Fachpersonen. Erst im Jahre 2021 und insbesondere unter dem Einfluss der Corona-Pandemie ab 2020 erreichten die Preise das gleiche Niveau, welches sie ohne die Initiative voraussichtlich gehabt hätten. Eigentlich wurde davon ausgegangen, dass die Zweiteilung des Marktes in alt- und neurechtliche Wohnungen unmittelbar Preissteigerungen zur Folge haben würde, da auch nach Annahme von Art. 75b BV weiterhin 90% der Transaktionen altrechtliche Wohnungen betreffen.
55 Die weiteren Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt der betroffenen Gemeinden sind unsicher. Zwar ist davon auszugehen, dass die Preissteigerung für altrechtliche Wohnungen mit Verspätung eintreten sollte, verstärkt durch das Bedürfnis nach zusätzlichem Wohnraum in dezentralen Orten aufgrund der Pandemie und der verstärkten Möglichkeit zu Home-Office. Zusätzlicher bezahlbarer Wohnraum für die lokale Bevölkerung ist hingegen eher nicht zu erwarten. Altrechtliche Wohnungen werden für Einheimische schwerer erschwinglich, während der Markt für neurechtliche Wohnungen nach wie vor klein ist (auch aufgrund der Baulandverknappung durch das neue RPG) und diese somit teuer bleiben. Sollte der Bestand an neurechtlichen Wohnungen wider Erwarten zunehmen – schliesslich haben einheimische Eigentümer altrechtlicher Wohnungen einen finanziellen Anreiz, diese zu verkaufen und damit günstigere neurechtliche Wohnungen zu finanzieren – würde die unerwünschte Zersiedlung verstärkt.
56 Ob aufgrund des sich verstärkenden Home-Office-Trends durch die Covid-19-Pandemie sich die Nutzung der Zweitwohnungen intensivieren wird oder allenfalls gar Wohnsitznahmen in den Randregionen zunehmen werden, wodurch der Zweitwohnungsanteil dauerhaft sinken würde, lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen.
B. Juristische Aspekte
57 Unter rechtlicher Perspektive ist vorab zu beanstanden, dass aufgrund der wenig durchdachten Formulierung bei der Umsetzung der Initiative reichlich Juristenfutter entstanden ist. Gemäss der Wirkungsanalyse zum Zweitwohnungsgesetz hat sich dadurch immerhin in relativ kurzer Frist bereits eine Rechtspraxis zu einigen wesentlichen Fragen entwickeln können.
58 Für die Zukunft sollte insbesondere den Bedürfnissen der wenig touristischen Gegenden vermehrt Beachtung geschenkt werden; die von der Initiative betroffenen Bergregionen bestehen nicht nur aus St. Moritz, Zermatt oder Verbier. Eine pragmatische Handhabung des Zweitwohnungsverbots ist besonders in peripheren, strukturschwachen Gebieten angebracht, ansonsten sich die Abwanderung der lokalen Bevölkerung aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Perspektiven zusätzlich verschärfen wird. Dabei ist nicht nur der Bundesgesetzgeber gefordert, auch die betroffenen Gemeinden sollten vermehrt Gebrauch machen von den raumplanerischen und fiskalischen Möglichkeiten, die ihnen bereits jetzt zur Verfügung stehen.
C. Résumé
59 Insgesamt konnten bis anhin die beiden mit Art. 75b BV anvisierten Ziele (Stopp der Zersiedelung und günstiger Wohnraum) nicht erreicht werden. Für die nähere Zukunft sieht es hinsichtlich des Zersiedelungsstopps unsicher aus, während der günstige Wohnraum für die einheimische Bevölkerung weiterhin eine Utopie bleiben dürfte. Die Resultate der ersten Wirkungsanalyse sind aufgrund der verhältnismässig kurzen Dauer seit Inkrafttreten von Art. 75b BV insb. in ökonomischer Hinsicht allerdings noch von eingeschränkter Aussagekraft;
Zum Autor
Dr. iur. Fabian Mösching, Rechtsanwalt, LL.M. (University of Sydney), ist Gerichtsschreiber an der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts in Lausanne. Er hat seine Dissertation über Massnahmen zur Beschränkung von Zweitwohnungen verfasst.
Weitere empfohlene Lektüre
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