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BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Verfahrenszweck
- II. Rechtsnatur
- III. Materielle Einziehungsvoraussetzungen
- IV. Einziehungsbetroffene
- V. Anwendungsbereich des selbstständigen Einziehungsverfahrens
- VI. Vereinbarkeit mit den Verteidigungsrechten des Täters?
- VII. Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung?
- VIII. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz «ne bis in idem»?
- IX. Zuständigkeit der Schweizer Strafbehörden im internationalen Kontext
- Literaturverzeichnis
- Materialienverzeichnis
I. Verfahrenszweck
1 Der Zweck des selbstständigen Einziehungsverfahrens nach Art. 376-378 StPO ergibt sich aus den Zwecken, die mit den verschiedenen Einziehungsarten verfolgt werden.
2 Die Sicherungseinziehung (Art. 69 StGB) befasst sich mit der Einziehung von Gegenständen, die einen Konnex zu einer Straftat aufweisen und angesichts ihrer Gefährdung für öffentliche Rechtsgüter ihrem Inhaber entzogen werden sollen.
3 Die Einziehung von Vermögenswerten (Art. 70 StGB) bezweckt ihrerseits den Ausgleich deliktischer Vorteile. Der Täter (oder der Begünstigte) soll nicht im Genuss eines durch eine strafbare Handlung erlangten Vermögensvorteils bleiben.
4 Die Einziehung von Vermögenswerten einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 72 StGB) bezweckt schliesslich die Wegnahme des Betriebskapitals einer solchen Organisation.
II. Rechtsnatur
A. Rechtsnatur der Einziehung
5 Die Frage der Rechtsnatur der Einziehung wird je nach Einziehungsart unterschiedlich beantwortet.
1. Sicherungseinziehung (Art. 69 StGB)
6 Bei der Sicherungseinziehung (Art. 69 StGB) geht das Bundesgericht davon aus, dass es sich um eine (sachliche) Massnahme ohne Strafcharakter handle.
2. Vermögenseinziehung (Art. 70 StGB)
7 Weitgehend Unklarheit herrscht betreffend die Rechtsnatur der Vermögenseinziehung (Art. 70 StGB).
8 Die Lehre ist sich jedoch nicht einig, nach welchen Kriterien sich die Abgrenzung von Strafen und Massnahmen richten soll.
9 Das Bundesgericht hat die Vermögenseinziehung nach Art. 70 StGB wiederholt als sachliche Massnahme bezeichnet,
10 Das Fehlen einer bundesgerichtlichen Klarstellung dieser Frage und der Umstand, dass keinerlei Einigkeit in der Fachliteratur zur Rechtsnatur der Vermögenseinziehung besteht, legen nahe, dass weder die Kategorie der «Strafe» noch diejenige der «Massnahme»
3. Einziehung von Vermögenswerten einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 72 StGB)
11 Bei der Einziehung nach Art. 72 StGB geht es nicht (wie bei Art. 70 StGB) um den Ausgleich deliktisch erlangter Vorteile, sondern um den Zugriff auf das Betriebskapital krimineller oder terroristischer Organisationen.
12 Angesichts der Zielsetzung
13 Indessen wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Einziehungsart auch pönale Elemente aufweist und damit repressiver Natur ist.
B. Rechtsnatur des selbstständigen Einziehungsverfahrens
14 Unabhängig davon, wie die einzelnen Einziehungsarten qualifiziert werden (Strafe oder Massnahme), ist festzuhalten, dass das selbstständige Einziehungsverfahren nach Art. 376 ff. StPO durchaus als «Strafverfahren» im weiteren Sinne qualifiziert werden kann. Denn es wird von Strafbehörden in Anwendung der StPO durchgeführt.
III. Materielle Einziehungsvoraussetzungen
15 Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der selbstständigen Einziehung ergeben sich nicht aus Art. 376-378 StPO, sondern aus den materiellrechtlichen Bestimmungen des StGB, in denen die verschiedenen Einziehungsarten geregelt sind (Art. 69 ff. StGB).
IV. Einziehungsbetroffene
16 Als Einziehungsbetroffene kommen im Rahmen des selbstständigen Einziehungsverfahrens der Inhaber des gefährlichen Gegenstandes (Art. 69 StGB), der Täter und der direktbegünstigte Dritte (Art. 70 Abs. 1 StGB), nachträgliche Erwerber (Art. 70 Abs. 2 StGB) sowie Beteiligte bzw. Unterstützer einer kriminellen oder terroristischen Organisation (Art. 72 StGB) in Betracht.
V. Anwendungsbereich des selbstständigen Einziehungsverfahrens
A. Wortlaut
17 Nach dem Wortlaut von Art. 376 StPO wird ein selbstständiges Einziehungsverfahren durchgeführt, wenn «ausserhalb eines Strafverfahrens» über die Einziehung von Gegenständen oder Vermögenswerten zu entscheiden ist. Diese Formulierung hat in der Lehre Anlass zur Kritik gegeben.
B. Subsidiärer Charakter
18 Ist ein Strafverfahren formell eröffnet worden (vgl. Art. 309 StPO),
19 Der subsidiäre Charakter des selbstständigen Einziehungsverfahrens kann nicht dadurch umgegangen werden, dass etwa kurz vor der Durchführung der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bzw. der Berufungsverhandlung Gegenstände oder Vermögenswerte gerichtlich beschlagnahmt werden mit dem Hinweis, dass das Gericht erst nach Gewährung des rechtlichen Gehörs der Einziehungsbetroffenen über die Einziehung entscheiden wird. Erstens würde eine solche Vorgehensweise das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) der Einziehungsbetroffenen verletzen. Zweitens würde eine solche Vorgehensweise einer faktischen Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens gleichkommen, welche in der StPO nicht vorgesehen ist.
C. Einziehung bei Vorliegen von Schuldausschlussgründen
20 Wird im Rahmen des ordentlichen Strafverfahrens festgestellt, dass eine Strafbarkeit der beschuldigten Person ausgeschlossen ist, weil Schuldausschlussgründe
D. Gegenstand der selbstständigen Einziehung
21 Im Rahmen eines selbstständigen Einziehungsverfahrens kann die Sicherungseinziehung (Art. 69 StGB),
22 Innerhalb eines Strafverfahrens befinden sich alle Gegenstände und Vermögenswerte, die nach formeller Verfahrenseröffnung beschlagnahmt werden.
E. Anwendungsfälle
1. Grundsatz: Selbstständige Einziehung bei fehlender Durchführung eines Strafverfahrens
23 Die selbstständige Einziehung kommt grundsätzlich in Betracht, wenn in der Schweiz aus irgendwelchen Gründen kein Strafverfahren stattfindet.
die Staatsanwaltschaft gemäss Art. 310 StPO die Nichtanhandnahme verfügt, z.B. weil Verfahrenshindernisse (Art. 310 Abs. 1 lit. b StPO) bestehen, wozu die Verjährung der Straftat gehört;
BGE 142 IV 383 E. 2.1; Jeanneret/Kuhn, Rz. 18027. bei einem Antragsdelikt kein Strafantrag (vgl. Art. 30 f. StGB) vorliegt, was die Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Täter – mangels Prozessvoraussetzung
BGE 129 IV 305 E. 4.2.3 mit Hinweisen. – ausschliesst;BGE 139 IV 209 E. 5.3; BGE 129 IV 305 E. 4.2.6; BSK-Baumann, Art. 376 StPO N. 4; Conti/Tunik, Art. 376 StPO N. 10; Jeanneret/Kuhn, Rz. 18027; Perrier Depeursinge, S. 569; Schmid, Art. 70-72 StGB N. 26; Schwarzenegger, Art. 376 StPO N. 2a; kritisch: BSK-Baumann, Art. 70/71 StGB N. 19; Scholl, Art. 70 StGB N. 413; vgl. zur Kritik zudem die in BGE 129 IV 305 E. 4.2.4 zitierten Autoren. das Strafverfahren gegen den Täter aus objektiven bzw. tatsächlichen Gründen scheitert, z.B. weil dieser verstorben, unbekannten Aufenthalts oder unbekannt ist;
BSK-Baumann, Art. 376 StPO N. 4; BSK-Baumann, Art. 70/71 StGB N. 19; Bernasconi, Art. 376 StPO N. 1; Conti/Tunik, Art. 376 StPO N. 10; Jeanneret/Kuhn, Rz. 18027; Jositsch/Schmid, Art. 376 StPO N. 1; Moreillon/Parein-Reymond, Art. 376 StPO N. 3; Perrier Depeursinge, S. 569; Pitteloud, Rz. 1099; Schwarzenegger, Art. 376 StPO N. 2a; vgl. Botschaft StPO, S. 1303 Ziff. 2.8.6. die einziehungsbegründende Straftat (nicht aber der Einziehungsanspruch als solcher)
Gemäss Art. 70 Abs. 3 StGB verjährt das Recht zur Einziehung nach sieben Jahren; ist jedoch die Verfolgung der Straftat einer längeren Verjährungsfrist unterworfen, so findet diese Frist auch auf die Einziehung Anwendung. Auf den Beginn und das Ende des Einziehungsrechts sind die allgemeinen Bestimmungen betreffend die Verjährung der Strafverfolgung (vgl. Art. 97 f. StGB) analog anwendbar (BGE 141 IV 305 E. 1.4; BGer 6B_739/2022 vom 22.3.2023 E. 1.5; BGer 6B_425/2011 vom 10.4.2012 E. 4.3 mit Verweis auf die Botschaft 1993, S. 316 Ziff. 224). Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB ergangen, verjährt auch das Einziehungsrecht nicht mehr (BGE 141 IV 305 E. 1.4 mit Verweis auf BGer 6B_425/2011 vom 10.4.2012 E. 4.3). verjährt ist;BGE 142 IV 383 E. 2.2.2; BGE 129 IV 305 E. 4.2.2; BSK-Baumann, Art. 376 StPO N. 4; Conti/Tunik, Art. 376 StPO N. 10; Moreillon/Parein-Reymond, Art. 376 StPO N. 3; Schwarzenegger, Art. 376 StPO N. 2a. Dabei sind nur diejenige Fälle angesprochen, in welchen zufolge Verjährung der Straftat ein Strafverfahren gar nicht eröffnet worden ist, nicht aber die Fälle, in denen erst im Verlauf des Strafverfahrens die Straftat verjährt beziehungsweise deren Verjährung festgestellt wird und daher eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft (Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO) oder durch das Gericht (Art. 329 Abs. 4 StPO) erfolgt (BGE 142 IV 383 E. 2.2.2); vgl. zur gerichtlichen Verfahrenseinstellung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung: BGer 7B_211/2022 vom 12.3.2024 E. 2.3.1. das Strafverfahren gegen den Täter bereits abgeschlossen ist und nachträglich einziehbare Gegenstände oder Vermögenswerte auftauchen, soweit der Strafbehörde die Existenz der einziehbaren Gegenstände oder Vermögenswerte bei Anwendung der notwendigen Sorgfalt nicht hätte bekannt sein können;
BGE 144 IV 1 E. 4.1.2 = Pra 107 (2018) Nr. 87; BGer 6B_592/2016 vom 13.1.2017 E. 4.4; BGer 6B_887/2016, 6B_888/2016 und 6B_891/2016 vom 6.10.2016 E. 2.4.2; BGer 6B_801/2008 vom 12.3.2009 E. 2.3; BSK-Baumann, Art. 70/71 StGB N. 21; BSK-Baumann, Art. 376 StPO N. 4; Jeanneret/Kuhn, Rz. 18029; Jositsch/Schmid, Art. 376 StPO N. 2; Perrier Depeursinge, S. 569; Tag, Art. 11 StPO N. 20. bei Auslandtaten in der Schweiz einzuziehende Vermögenswerte vorhanden sind und die Anlasstat unter schweizerische Gerichtsbarkeit
Sei dies gestützt auf Art. 3-8 StGB oder Spezialbestimmungen (z.B. Art. 24 BetmG [SR 812.121]). fällt.BGE 128 IV 145 E. 2; BSK-Baumann, Art. 376 StPO N. 4; Conti/Tunik, Art. 376 StPO N. 10.
24 Nach der Rechtsprechung und der Lehre bestehen gewisse Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität
2. Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität des selbstständigen Einziehungsverfahrens
a. Besondere Art des einzuziehenden Gegenstandes
25 Ein selbstständiges Einziehungsverfahren kommt gemäss bundesgerichtlicher Praxis – über den Wortlaut von Art. 376 StPO hinaus – auch dann in Betracht, wenn zwar ein Strafverfahren im Gange ist, aber wegen der Art des allenfalls einzuziehenden Gegenstandes über die Einziehung rasch entscheiden werden sollte, da der fragliche Gegenstand etwa leicht verderblich ist oder einer schnellen Wertverminderung unterliegt.
b. Wahrung der Geschädigteninteressen
26 Nach der Praxis des Bundesgerichts besteht mit Blick auf den Schutz der Geschädigteninteressen auch dann Anlass, die Entscheidung über die Einziehung nicht akzessorisch zu einem pendenten ausländischen Strafverfahren, sondern in einem selbstständigen Verfahren zu prüfen, wenn seit der Tat bereits einige Zeit verstrichen ist und nicht zu erwarten ist, dass das ausländische Strafverfahren in naher Zukunft abgeschlossen sein wird. Für eine vorzeitige Herausgabe der Vermögenswerte an den Geschädigten verlangt das Bundesgericht jedoch, dass der Anspruch des Geschädigten «hinreichend liquid» sein muss. Denn eine vorzeitige Herausgabe ist gemäss Bundesgericht nur gerechtfertigt, wenn offensichtlich ist, dass die Vermögenswerte aus der entsprechenden strafbaren Handlung stammen und der Berechtigte durch diese Straftat geschädigt ist. Nur wenn die Rechtslage klar ist oder sofort beweisbare tatsächliche Verhältnisse vorliegen und keine besseren Ansprüche Dritter geltend gemacht werden, besteht die Gefahr widersprüchlicher Urteile im Einziehungs- und im Strafverfahren nicht. Ist dies nicht der Fall, ist der Anspruch des Geschädigten nicht liquid und muss das Ergebnis des ausländischen Strafverfahrens abgewartet werden, welches beim Einziehungsentscheid durch den Richter beigezogen werden muss.
27 Die Möglichkeit eines solchen vorgezogenen selbstständigen Einziehungsverfahrens wird von einem Teil der Lehre generell (d.h. nicht beschränkt auf Fälle, in denen ein ausländisches Strafverfahren pendent ist) bevorzugt.
c. Sperrung des Zugangs zu Webseiten mit strafrechtlich relevanten Inhalten?
28 In Lehre
29 Dagegen wurde zu Recht eingewendet, dass es für eine solche Sperranordnung bereits an den materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Sicherheitseinziehung (Art. 69 StGB) mangels eines instrumentum sceleris
VI. Vereinbarkeit mit den Verteidigungsrechten des Täters?
30 Wie bereits erwogen, hängt die Möglichkeit der Anordnung der Einziehung nicht von der Strafbarkeit einer bestimmten Person ab.
31 Das Verfahren der selbstständigen Einziehung wird zu Recht als problematisch erachtet, wenn und soweit die einziehungsbegründende Anlasstat in diesem Verfahren festgestellt wird, ohne dass sich der angebliche Täter im Rahmen eines ordentlichen Strafverfahrens unter Wahrnehmung der ihm zustehenden Verteidigungsrechte zur Wehr setzten konnte.
VII. Vereinbarkeit mit der Unschuldsvermutung?
32 Die Anordnung einer Sicherungseinziehung (Art. 69 StGB) setzt das Vorliegen einer tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Anlasstat voraus.
33 Gemäss Art. 32 Abs. 1 BV
34 Wird in der selbstständigen Einziehungsentscheidung eine nicht rechtskräftig verurteilte Person vorbehaltlos der Begehung der Anlasstat beschuldigt, ist dies unter dem Gesichtspunkt der Unschuldsvermutung problematisch.
35 Bezüglich der Vermögenseinziehung folgt aus Art. 70 Abs. 2 StGB e contrario, dass deliktisch erlangte Vermögenswerte grundsätzlich bei jedem Dritten eingezogen werden können, der diese in Kenntnis der Einziehungsgründe oder ohne gleichwertige Gegenleistung erwirbt.
VIII. Vereinbarkeit mit dem Grundsatz «ne bis in idem»?
36 Ein selbstständiges Einziehungsverfahren ist unter anderem möglich, wenn nach rechtskräftigem Abschluss des ordentlichen Strafverfahrens einziehbare Gegenstände und Vermögenswerte zum Vorschein kommen.
37 Der Grundsatz «ne bis in idem» ist in Art. 11 Abs. 1 StPO geregelt. Er ist auch in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK
38 Kommen nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens neue einziehbare Gegenstände oder Vermögenswerte zum Vorschein, stehen die Rechtskraft des rechtskräftigen Strafentscheids und der Grundsatz «ne bis in idem» der späteren Anordnung der Einziehung im Rahmen des selbstständigen Einziehungsverfahrens grundsätzlich nicht entgegen, da von beiden Verfahren verschiedenen Materien betroffen sind.
39 Die Durchführung eines selbstständigen Einziehungsverfahrens ist hingegen ausgeschlossen, soweit der Strafbehörde bereits im ordentlichen Strafverfahren unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Existenz der einziehbaren Gegenstände oder Vermögenswerte hätte bekannt sein können.
IX. Zuständigkeit der Schweizer Strafbehörden im internationalen Kontext
40 In Fällen der rechtshilfeweisen Herausgabe von Vermögenswerten deliktischer Herkunft zur Einziehung gelangt das GwUe
41 Eine selbstständige Einziehung von Vermögenswerten in der Schweiz aus Auslandtaten setzt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung
42 Im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsache ist die Herausgabe zur Einziehung in Art. 74a IRSG
43 Bis zum Vorliegen eines solchen Entscheids des ersuchenden Staates kann praxisgemäss unter Umständen eine beträchtliche Zeit vergehen. In dieser Zeitspanne sind die beschlagnahmten Vermögenswerte von den zuständigen schweizerischen Strafbehörden, i.d.R. die kantonalen Staatsanwaltschaften oder die Bundesanwaltschaft, möglichst sicher, werterhaltend und ertragbringend anzulegen.
Zum Autor
Dr. iur. Tommaso Caprara, Rechtsanwalt, CAS Forensics, ist Gerichtsschreiber bei der II. strafrechtlichen Abteilung des Schweizerischen Bundesgerichts in Lausanne.
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Weingart Denise, Das Einspracheverfahren gegen den selbstständigen Einziehungsbefehl nach Art. 377 Abs. 4 StPO, Besonderheiten und offene Fragen, in: Bopp Dominik/Kistler Alexander/Lisik Natalie/Reber Kristof (Hrsg.), Der Prozess, Zürich 2023, S. 261 ff.
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Materialienverzeichnis
Botschaft vom 19.8.1992 über die Ratifikation des Übereinkommens Nr. 141 des Europarats über Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, BBl 1992 VI 9 ff. (zit. Botschaft 1992).
Botschaft vom 30.6.1993 über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Melderecht des Financiers), BBl 1993 III 277 ff. (zit. Botschaft 1993).
Botschaft vom 21.12.2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff. (zit. Botschaft StPO).
Botschaft vom 14.9.2018 zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, BBl 2018 6427 ff. (zit. Botschaft 2018).