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BUNDESVERFASSUNG
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BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
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ZIVILGESETZBUCH
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DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehungsgeschichte
- II. Bedeutung der Vorschrift
- III. Unterzeichnungsquoren
- Literaturverzeichnis
- Materialienverzeichnis
I. Entstehungsgeschichte
1 Die Bestimmung über die Unterzeichnungsquoren ist über die Jahrzehnte hinweg mehrfach angepasst worden. Schon im Nationalratswahlgesetz von 1919 fand sich die Vorschrift, wonach jeder Wahlvorschlag von mindestens 15 im Wahlkreis wohnhaften Stimmberechtigten eigenhändig unterzeichnet sein muss.
2 Bei der Revision von 2002 wurde vorerst jenen Parteien das Beibringen der Unterschriften erlassen, die bei der Bundeskanzlei registriert sind, im Kanton einen einzigen Wahlvorschlag einreichen und in der ablaufenden Amtsdauer im Wahlkreis vertreten waren oder bei der letzten Gesamterneuerungswahl mindestens drei Prozent der Stimmen erreicht hatten.
II. Bedeutung der Vorschrift
A. Allgemeines
3 Sinn der Vorschrift, wonach ein Wahlvorschlag von einer Mindestzahl Stimmberechtigter unterstützt werden muss, ist die Verhinderung nicht ernst gemeinter Wahlvorschläge (sog. Juxlisten) und die Eindämmung der in parlamentarischen Debatten regelmässig beklagten «Listen- und Kandidateninflation». Die Erhöhung des Quorums auf 50 Unterschriften im Rahmen der Schaffung des BPR sollte dazu dienen, «der leichtfertigen oder mutwilligen Hinterlegung von Listen etwas Einhalt zu gebieten».
4 Als anderer Ansatz im Bestreben, der «Listeninflation» noch stärker entgegenzuwirken, war in der politischen Debatte mehrmals die Einführung eines Druckkostenbeitrags an die Wahlzettel bzw. eines Depositums hierfür angeregt worden – wobei das Depositum zurückbezahlt werden würde, wenn die Listen eine bestimmte Anzahl Stimmen erreichten. Bei der Debatte zum Erlass des BPR war ein Antrag für ein entsprechendes Depositum im Nationalrat gestellt worden
5 Das Ziel der Eindämmung der «Listen- und Kandidateninflation» wird mit der Norm nicht erreicht. Als das Parlament 1976 das Quorum auf 50 erhöhte, waren in den vorangegangenen Wahlen von 1975 in den Proporzkantonen 170 Listen mit 1947 Kandidierenden zur Wahl angetreten. Als das Parlament 1993 das Quorum ein zweites Mal erhöhte (auf 100, 200 und 400) waren in der vorangegangenen Nationalratswahl von 1991 schon 248 Listen mit 2561 Kandidierenden zur Wahl gestanden. Bei den Nationalratswahlen von 2023 stellten sich in den Proporzkantonen 618 Listen mit 5909 Kandidierenden zur Wahl.
Eingereichte Listen nach Parteien und Kantonen 1971–2023 (ohne Majorzkantone)
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/tabellen.assetdetail.27546292.html, besucht am 2.4.2024.
Kandidierende nach Parteien und Kantonen 1971–2023 (ohne Majorzkantone)
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/tabellen.assetdetail.27546272.html, besucht am 2.4.2024.
6 Auch kleinere Aussenseitergruppen oder Einzelkämpfer haben in der Regel keine Mühe, die nicht sehr hohen Unterschriftenquoren zu erbringen. Der Blick auf die Statistik zeigt allerdings, dass der massive Zuwachs der Listen und Kandidaturen gar nicht im Wesentlichen auf die Aussenseiterkandidaturen zurückzuführen ist. Stark angestiegen ist in den letzten Jahren insbesondere die Zahl der Wahlvorschläge der Parteien, die im Nationalrat vertreten sind oder seit mehreren Jahren in der Politik auftreten – deren Zahl stieg von 368 im Jahr 2015 auf 458 im Jahr 2019 und 553 im Jahr 2023. Die etablierten Parteien treten mit immer mehr (z. B. regionalen, geschlechts- oder altersspezifischen) Teillisten an.
B. Rechtsvergleich
7 Die Kantone kennen in ihren Regeln zur Wahl der Kantonsparlamente vergleichbare Vorschriften.
III. Unterzeichnungsquoren
A. Mindestzahl (Abs. 1)
8 Jeder Wahlvorschlag muss handschriftlich von einer Mindestzahl Stimmberechtigter mit politischem Wohnsitz im Wahlkreis unterzeichnet sein.
9 Handschriftlich unterzeichnet heisst: Von den Stimmberechtigten eigenhändig unterzeichnet. Gefordert ist die Einreichung des Wahlvorschlags mit den Originalunterschriften. Die Einreichung der Unterschriften per Fax oder Scan reicht nicht.
10 Die einen Wahlvorschlag unterzeichnenden Stimmberechtigten müssen ihren politischen Wohnsitz im Wahlkreis haben. Für die Kandidierenden dagegen ist dies nicht erforderlich (vgl. OK-Wyler, Art. 22 BPR N. 7). Auch Auslandschweizer Stimmberechtigte, deren Stimmgemeinde im Wahlkreis liegt, können einen Wahlvorschlag unterzeichnen.
11 Kandidatinnen und Kandidaten können ihren eigenen Wahlvorschlag unterzeichnen, wenn sie ihren politischen Wohnsitz im Wahlkreis haben und zum Zeitpunkt der Einreichung des Wahlvorschlags volljährig sind. (Um gültig kandidieren zu können, reicht es, wenn sie spätestens am Wahltag volljährig sind.) Gemäss Artikel 8b Absatz 2 VPR erklärt eine kandidierende Person mit ihrer Unterzeichnung des Wahlvorschlags gleichzeitig die Zustimmung zur eigenen Kandidatur im Sinne von Artikel 22 Absatz 3 BPR.
12 Die Mindestzahl der Unterschriften für einen Wahlvorschlag beträgt:
100 in Kantonen mit 2–10 Sitzen; (derzeit: LU, SZ, ZG, FR, SO, BS, BL, SH, GR, TG, TI, VS, NE, JU)
200 in Kantonen mit 11–20 Sitzen; (derzeit: SG, AG, VD, GE)
400 in Kantonen mit mehr als 20 Sitzen. (derzeit: ZH, BE).
13 Diese Quoren sind sehr tief. Sie bewegten sich – Stand: Nationalratswahlen 2023 – zwischen 0,2 Prozent der Stimmberechtigten in den Kantonen Schaffhausen und Jura und 0,04 Prozent der Stimmberechtigten in den Kantonen Zürich, Luzern und Waadt.
14 Die Venedig-Kommission (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht), eine Institution des Europarates, hat in ihrem 2002 verabschiedeten «Verhaltenskodex für Wahlen»
15 In einem Entscheid zu der Ungültigerklärung eines Wahlvorschlags bei den Schwyzer Kantonsratswahlen hat das Bundesgericht (auch mit Verweis auf Artikel 24 BPR) das Erfordernis eines Unterschriftenquorums für Wahlvorschläge geschützt.
16 Einige Kantone verlangen, dass bei Einreichung des Wahlvorschlags für die unterzeichnenden Personen eine Stimmrechtsbescheinigung der Gemeinde beizulegen ist
B. Nur ein Wahlvorschlag (Abs. 2)
17 Eine stimmberechtigte Person darf nicht mehr als einen Wahlvorschlag unterzeichnen.
18 Die Unterschrift kann nach der Einreichung des Wahlvorschlages nicht mehr zurückgezogen werden.
19 Der Name eines Stimmberechtigten, der mehrere Wahlvorschläge unterzeichnet, ist von der kantonalen Wahlbehörde unverzüglich auf allen Wahlvorschlägen zu streichen (Art. 8b Abs. 3 VPR).
20 Das Verbot des Rückzugs einer einzelnen Unterschrift impliziert gemäss Bundeskanzlei das Verbot des Rückzugs sämtlicher Unterschriften. Daraus folgt, dass ein einmal eingereichter Wahlvorschlag nicht mehr zurückgezogen werden kann.
C. Registrierte Parteien (Abs. 3 und 4)
21 In Absatz 3 werden Ausnahmen von der Pflicht zur Erbringung der Unterschriftenquoren statuiert. Die Quoren nach Absatz 1 gelten demnach nicht für eine Partei, die am Ende des den Wahlen vorangehenden Jahres bei der Bundeskanzlei ordnungsgemäss registriert war (Art. 76a BPR), vorausgesetzt, dass sie in der ablaufenden Amtsdauer für den gleichen Wahlkreis im Nationalrat vertreten ist oder dass sie bei der letzten Gesamterneuerungswahl im gleichen Kanton mindestens 3 Prozent der Stimmen erreichte. Die Erleichterung gilt für sämtliche Listen der betreffenden Partei im Kanton (Jugendlisten, regionale Listen, Auslandschweizerlisten usw.)
22 Eine politische Partei kann sich gemäss Artikel 76a Absatz 1 BPR bei der Bundeskanzlei amtlich registrieren lassen, wenn sie a) die Rechtsform eines Vereins im Sinne der Artikel 60–79 des Zivilgesetzbuches aufweist und b) unter dem gleichen Namen mit mindestens einem Mitglied im Nationalrat oder mit mindestens drei Mitgliedern in drei Kantonsparlamenten vertreten ist. Das Parteienregister ist öffentlich.
23 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist die Voraussetzung von Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe b nur dann erfüllt, wenn das Mitglied des Nationalrats bereits bei der letzten Gesamterneuerungswahl als Vertreter der betreffenden Partei gewählt worden ist. Eine neu gegründete Partei, der ein Mitglied des Nationalrats angehört, welches bei der letzten Wahl als Vertreter einer anderen Partei gewählt worden ist, erfüllt die Voraussetzungen für die Eintragung nicht.
24 Damit sie von der Erbringung der Unterschriften gemäss Quorum befreit ist, muss die Partei am Ende des den Wahlen vorangegangenen Jahres ordnungsgemäss registriert sein. Die Eintragung muss regelmässig aktualisiert werden. Die bereits eingetragenen Parteien müssen der Bundeskanzlei alle Änderungen ihrer Statuten, ihres Namens und ihres Sitzes sowie der Namen und Adressen der präsidierenden und der geschäftsführenden Personen der Bundespartei mitteilen. Registrierte Parteien, die bis zum 1. Mai des Wahljahres ihrer Meldepflicht für Mutationen nicht nachkommen, verlieren den Anspruch auf die Befreiung von den Unterschriftenquoren nach Artikel 24 Absätze 3 und 4 BPR.
25 Neben der ordnungsgemässen Registrierung muss eine Partei eine weitere Voraussetzung erfüllen, um in einem Kanton vom Unterschriftenquorum befreit zu werden: Sie muss in der ablaufenden Amtsdauer für den gleichen Wahlkreis im Nationalrat vertreten sein oder bei der letzten Gesamterneuerungswahl mindestens 3 Prozent der Stimmen im Wahlkreis erreicht haben. Die Ergebnisse mehrerer Listen derselben Partei werden dabei zusammengezählt.
26 Die Ausnahmeregel von Artikel 24 Absatz 3 wurde 2002 geschaffen und 2014 entscheidend ausgeweitet (vgl. vorne N. 2). In ihrer neuen Fassung führt sie dazu, dass in vielen Kantonen die geforderten Unterzeichnungsquoren nur noch für eine Minderheit von Wahlvorschlägen erfüllt werden müssen. Die Ausnahme mutiert zur Regel.
27 Eine Partei, die die Bedingungen nach Absatz 3 erfüllt, muss lediglich die rechtsgültigen Unterschriften aller Kandidatinnen und Kandidaten gemäss Artikel 22 Absatz 3 BPR sowie jene der präsidierenden und der geschäftsführenden Personen einreichen (Absatz 4).
28 Bei der Frage, wer die massgeblichen präsidierenden und geschäftsführenden Personen einer Partei sind, ist auf die Statuten der Kantonalpartei abzustellen.
Literaturverzeichnis
Muheim Anton, Wahl des Nationalrates, in: Das Bundesgesetz über die politischen Rechte, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen, St. Gallen 1978, S. 65–89.
Steinmann Gerold, Kommentar zum Urteil 1C_213/2017 des Bundesgerichts, in Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht, ZBl 2019, S. 198–208.
Materialienverzeichnis
Bericht des Bundesrates vom 13.11.2019 an den Nationalrat über die Nationalratswahlen für die 51. Legislaturperiode (BBl 2019 7461).
Beschluss 314/2023 des Regierungsrates des Kantons Bern vom 22.3.2023 über die Durchführung der Nationalratswahlen vom 22.10.2023.
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über die politischen Rechte vom 9.4.1975 (BBl 1975 I 1317).
Botschaft des Bundesrates über eine Teiländerung der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte vom 1.9.1993 (BBl 1993 III 445).
Botschaft des Bundesrates über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001 (BBl 2001 6401).
Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 29.11.2013 (BBl 2013 9217).
Dekret des Regierungsrates des Kantons Schwyz vom 24.1.2023 für die Nationalratswahlen vom 22.10.2023.
Europäische Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission): Verhaltenskodex für Wahlen (Code of good practice in electoral matters). Verabschiedet am 5./6.7. und 18./19.10.2002.
Information der Staatskanzlei des Kantons Aargau vom 23.3.2023 zu den Nationalratswahlen 2023: Anleitung zum Wahlvorschlag.
Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen vom 19.10.2022 über die Gesamterneuerungswahl des Nationalrates vom 22.10.2023 (BBl 2022 2547) (zit. Kreisschreiben BR NRW 2023).