-
- Art. 11 OR
- Art. 12 OR
- Art. 50 OR
- Art. 51 OR
- Art. 84 OR
- Art. 143 OR
- Art. 144 OR
- Art. 145 OR
- Art. 146 OR
- Art. 147 OR
- Art. 148 OR
- Art. 149 OR
- Art. 150 OR
- Art. 701 OR
- Art. 715 OR
- Art. 715a OR
- Art. 734f OR
- Art. 785 OR
- Art. 786 OR
- Art. 787 OR
- Art. 788 OR
- Art. 808c OR
- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
-
- Art. 2 BPR
- Art. 3 BPR
- Art. 4 BPR
- Art. 6 BPR
- Art. 10 BPR
- Art. 10a BPR
- Art. 11 BPR
- Art. 12 BPR
- Art. 13 BPR
- Art. 14 BPR
- Art. 15 BPR
- Art. 16 BPR
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- Art. 19 BPR
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- Art. 21 BPR
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- Art. 23 BPR
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- Art. 56 BPR
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- Art. 58 BPR
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- Art. 59b BPR
- Art. 59c BPR
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- Art. 63 BPR
- Art. 67 BPR
- Art. 67a BPR
- Art. 67b BPR
- Art. 75 BPR
- Art. 75a BPR
- Art. 76 BPR
- Art. 76a BPR
- Art. 90 BPR
-
- Vorb. zu Art. 1 DSG
- Art. 1 DSG
- Art. 2 DSG
- Art. 3 DSG
- Art. 5 lit. f und g DSG
- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
- Art. 7 DSG
- Art. 10 DSG
- Art. 11 DSG
- Art. 12 DSG
- Art. 14 DSG
- Art. 15 DSG
- Art. 19 DSG
- Art. 20 DSG
- Art. 22 DSG
- Art. 23 DSG
- Art. 25 DSG
- Art. 26 DSG
- Art. 27 DSG
- Art. 31 Abs. 2 lit. e DSG
- Art. 33 DSG
- Art. 34 DSG
- Art. 35 DSG
- Art. 38 DSG
- Art. 39 DSG
- Art. 40 DSG
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- Art. 44a DSG
- Art. 45 DSG
- Art. 46 DSG
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- Art. 47a DSG
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- Art. 50 DSG
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- Art. 57 DSG
- Art. 58 DSG
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- Art. 62 DSG
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- Art. 64 DSG
- Art. 65 DSG
- Art. 66 DSG
- Art. 67 DSG
- Art. 69 DSG
- Art. 72 DSG
- Art. 72a DSG
-
- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 5 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 6 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 7 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 8 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 9 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 11 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 12 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 29 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 33 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Einführung
- II. Entstehungsgeschichte
- III. Rechtssystematik und Rechtsnatur
- IV. Tatbestand
- V. Rechtsfolgen
- VI. Rechtsdurchsetzung
- Materialien
- Literaturverzeichnis
I. Einführung
A. Gehalt und Hintergrund der Vorschrift im Überblick
1 Art. 734f OR verankert erstmals verbindliche Geschlechterrichtwerte im schweizerischen Aktienrecht. Demnach müssen die von der Norm erfassten Gesellschaften,
2 Art. 734f OR ist eine genuin gesellschaftspolitisch (und damit rechtspolitisch) motivierte Vorschrift. Sie ist Ausdruck des Zugs unserer Zeit, in dem das Private und das Öffentliche in zunehmende Verquickung miteinander treten. "Frauenförderung" sei nicht mehr nur eine Angelegenheit des Staates (der Öffentlichkeit), sondern auch privater Unternehmen. Es ist denn auch nicht verwunderlich, dass die Aktienrechtsnovelle von 2020 durchaus samt und sonders an dieser einen, mit Blick auf das Ganze kaum entscheidenden Vorschrift zu scheitern drohte – so sehr vermochte sie die politischen Gemüter zu erhitzen!
B. Normzweck
3 Zweck von Art. 734f OR ist die Verwirklichung des dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich aufgegebenen Auftrags zur tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen in der Arbeit (Art. 8 Abs. 3 Satz 2 BV).
C. Rechtstatsächliche Ausgangslage; Vergleich mit dem Ausland
4 Empirisch steht fest: Frauen sind in den Führungsetagen grosser (meist börsenkotierter) Unternehmen in der Schweiz weniger stark vertreten als Männer. Es ist aber seit Längerem eine Entwicklung hin zu einer ausgewogenen Repräsentation beider Geschlechter sowohl in den Verwaltungsräten als auch in den Geschäftsleitungen solcher Unternehmen erkennbar. Nicht nur wird mitunter medienwirksam erklärt, den Frauenanteil in den kommenden Jahren in den wichtigsten Führungspositionen deutlich erhöhen zu wollen.
D. Verfassungsrechtliche Ausgangslage
5 Die mit der Einführung von Geschlechterrichtwerten verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen können und sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen erörtert werden. Art. 734f OR greift in die grundrechtlich geschützte Wirtschaftsfreiheit, die unter anderem das Recht der Männer auf freien Zugang zu privatwirtschaftlichen Erwerbs- und Geschäftstätigkeiten sowie das Recht privater Gesellschaften auf freie Wahl ihrer Arbeitsbeziehungen und auf freie Gestaltung ihrer Organisation (Freiheit, die Zusammensetzung der eigenen Leitungsorgane selber zu bestimmen) umfasst, ein.
6 Das hiesige Schrifttum vertritt unter Berufung auf Art. 8 Abs. 3 Satz 2 BV indes die Auffassung, dass sich die Geschlechterrichtwerte und der gewählte Comply-or-explain-Ansatz
7 Gegen diese Begründung des Bundesrates sowie des Schrifttums ist in der Literatur zu Recht Kritik erhoben worden: Aus der empirisch festgestellten Unterrepräsentanz von Frauen in den Leitungsorganen kann nämlich nicht ohne Weiteres auf eine fehlende Gleichstellung (Diskriminierung) geschlossen werden. Das Bundesgericht hat einer Ergebnisgleichheit in diesem Sinne vielmehr eine klare Absage erteilt.
II. Entstehungsgeschichte
A. Rechtslage vor der Aktienrechtsnovelle 2020
1. Gesetz
a. Auf Stufe Verwaltungsrat
8 Dem schweizerischen Aktienrecht waren gesetzlich verpflichtende Quoten oder Richtwerte zur Vertretung der Geschlechter bislang fremd. Der Generalversammlung stand es vor Inkrafttreten von Art. 734f OR per 1. Januar 2021 frei, mit Wirkung für den Verwaltungsrat eine statutarische Wählbarkeitsvoraussetzung einzuführen, die darauf abzielte, eine bestimmte (prozentuale) Mindestvertretung der Geschlechter sicherzustellen. Die Frage nach der Zulässigkeit einer auf das Geschlecht ausgerichteten Wählbarkeitsvoraussetzung wurde im juristischen Schrifttum bislang nur kursorisch diskutiert.
b. Auf Stufe Geschäftsleitung
9 Die Generalversammlung kann die Delegationskompetenz des Verwaltungsrates im Wege einer statutarischen Bestimmung beschränken (Art. 627 Ziff. 12 OR bzw. künftig Art. 716b Abs. 1 revOR).
2. Selbstregulierung
10 Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance (Swiss Code) enthielt lange Zeit keine Regelung betreffend die Vertretung der Geschlechter in Führungsgremien. Vor dem Hintergrund der politischen Diskussion rund um die Forderung nach einer stärkeren Vertretung von Frauen in Führungsgremien empfiehlt der Swiss Code in der revidierten Fassung von 2014 unter Ziffer 12 ("Zusammensetzung von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung"), dass dem Verwaltungsrat sowohl männliche als auch weibliche Mitglieder angehören sollen, verbunden mit der Verpflichtung zu "comply or explain".
B. Gang der GesetzgebungsarbeitenSiehe eingehend zum Gang der Gesetzgebungsarbeiten Müller/Forrer, Geschlechterrichtwerte, S. 1019 ff.; siehe auch die Zusammenfassung bei Forstmoser/Küchler, N. 3 ff. zu Art. 734f OR.
11 Weder der Vorentwurf 2005 noch der Entwurf 2007 zum neuen Aktienrecht sahen Bestimmungen zur Zusammensetzung des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung vor. Ebenso wenig wurden Transparenzvorschriften für Gender Diversity in der Unternehmensführung aufgenommen. Erst im Vorentwurf vom 28. November 2014 hat der Bundesrat einen Vorschlag für eine gesetzliche Bestimmung betreffend Gender Diversity unterbreitet, der nahezu identisch mit der heutigen Regelung von Art. 734f OR war ("Richtwerte für die Vertretung beider Geschlechter im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung" von grösseren börsenkotierten Gesellschaften).
12 Im Rahmen der Vernehmlassung wurde das Ziel einer besseren Vertretung der Frauen in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung von börsenkotierten Gesellschaften zwar allgemein als erstrebenswert erachtet. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung sind die Stellungnahmen jedoch kontrovers ausgefallen. Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien verlangten den Verzicht auf eine Gesetzesnorm.
13 Trotz dieser Ausgangslage hielt der Bundesrat im Entwurf 2016 an seinem ursprünglichen Vorschlag aus dem Jahre 2014 fest, wobei es im Unterschied zu den im Vorentwurf 2014 geforderten 30 Prozent Frauen in Geschäftsleitungen es nun bloss 20 Prozent sein sollten, und dies nach einer längeren Übergangsfrist von zehn statt fünf Jahren. Für Verwaltungsräte blieb es beim Vorschlag des Vorentwurfs 2014.
14 Der Nationalrat stimmte der vom Bundesrat im Entwurf 2016 vorgeschlagenen Regelung in der Sommersession 2018 nach hitzigen Diskussionen zu – mit einer Stimme Mehrheit. Am 19. Juni 2019 schloss sich der Ständerat mit 27 zu 13 Stimmen dem Nationalrat an.
C. Inkrafttreten
15 Die Aktienrechtsrevision wurde am 16. Juni 2020 verabschiedet. Im Gegensatz zu den übrigen Anpassungen bedurfte die Einführung der Geschlechterrichtwerte keiner Ausführungsbestimmungen. Der Bundesrat hat deshalb die entsprechenden Bestimmungen zu den Geschlechterrichtwerten an seiner Sitzung vom 11. September 2020 auf den 1. Januar 2021 in Kraft gesetzt.
III. Rechtssystematik und Rechtsnatur
A. Systematische Stellung im Gesetz
16 Art. 734f OR wird sich künftig im vierten Abschnitt betreffend Vergütungen von börsenkotierten Aktiengesellschaften (Art. 732 ff. revOR) befinden, der im Zuge der Aktienrechtsrevision vom Sommer 2020 zur Überführung der VegüV ins OR aufgenommen worden ist und in globo mit Wirkung per 1. Januar 2023 in Kraft treten wird,
B. Allgemeiner Charakter der Norm
1. Zwingende Norm
17 Art. 734f OR ist zwingendes Recht.
2. Lex specialis
18 Art. 734f OR ist eine lex specialis. Diese Charakterisierung ist freilich wenig aussagekräftig, solange nicht dargetan wird, inwieweit der Anwendungsbereich dieser lex specialis reicht und wie ihr Verhältnis zur lex generalis ist. Die Regel "lex specialis derogat legi generali" ist eine rein formale und daher wenig ergiebige Regel, die erst durch Auslegung der lex specialis an Aussagekraft gewinnt, wobei vor allem die Teleologie eine gewichtige Rolle spielt. Mit Blick auf Art. 734f OR ist Folgendes zu sagen: Wenn alle Tatbestandsmerkmale dieser Norm erfüllt sind, dann verdrängt (derogiert) sie Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR betreffend das freie Recht der Generalversammlung zur Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates und Art. 716b Abs. 1 OR betreffend die Befugnis des Verwaltungsrates zur freien Auswahl jener Personen, denen er die Geschäftsleitung zu übertragen gedenkt. Die Derogation tritt freilich nur im Ausmass des Anwendungsbereichs von Art. 734f OR und der durch diese Norm angeordneten Rechtsfolgen ein. Konkret: Da die Rechtsfolge von Art. 734f OR – nämlich: Begründungspflicht
3. Atypische Comply-or-explain-Norm
a. Normtheoretische Einordnung; typische und atypische Normen
19 Erfüllt ein Unternehmen die Richtwerte gemäss Art. 734f OR nicht, so muss es im Vergütungsbericht dartun, aus welchen Gründen das Geschlecht nicht in dem in dieser Vorschrift vorgesehenen Verhältnis im Verwaltungsrat bzw. in der Geschäftsleitung vertreten ist und welche Massnahmen es zur Förderung dieses Geschlechts ergreifen will. Im Gegensatz zu anderen Staaten – etwa Deutschland oder Norwegen
20 Die Comply-or-explain-Technik entstammt dem angelsächsischen Rechtsraum.
21 Im Lichte dieser Überlegungen erweist sich Art. 734f OR indes als atypische Form einer Comply-or-explain-Vorschrift. In ihrer typischen, "reinen" Gestalt statuiert eine Comply-or-explain-Norm in ihrem Tatbestand ("wenn") zunächst eine Pflicht und bestimmt sodann in ihrer Rechtsfolge ("dann"), wie die Verletzung dieser Pflicht zu begründen ist. Von diesem Schema weicht Art. 734f OR insoweit ab, als es, genau besehen, einer Pflicht im Tatbestand mangelt: Eine Pflicht im Sinne einer Mindestquote für ein bestimmtes Geschlechterverhältnis besteht nämlich von vornherein überhaupt nicht (im Wortlaut ist nicht einmal von "Richtwert" die Rede,
b. Kritik am Comply-or-explain-Konzept
22 Mangels Androhung "harter" (zivil-, geschweige denn strafrechtlicher) Sanktionen
IV. Tatbestand
A. Persönlicher Anwendungsbereich
1. Persönlich-räumlicher Geltungsbereich
a. Inkorporation in der Schweiz; Börsenkotierung; doppelter Schwellenwert
23 Art. 734f OR gilt wegen des Inkorporationsprinzips zunächst einmal nur für Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz (vgl. Art. 154 Abs. 1 IPRG, ferner Art. 640 OR).
24 Der Gesetzgeber hat den persönlichen Geltungsbereich von Art. 734f OR gegenüber dem allgemeinen Geltungsbereich von Art. 732 ff. OR bewusst eingegrenzt, indem er auf das zusätzliche Kriterium der wirtschaftlichen Bedeutung abgestellt hat. Als Begründung hat der Bundesrat ins Feld geführt, dass kleinere börsenkotierte Gesellschaften, zumal solche, die nicht am Main Standard der SIX Exchange kotiert sind, nicht in den Geltungsbereich von Art. 734f OR fallen sollten.
25 In der Doktrin ist allerdings Kritik daran entbrannt, dass Art. 734f OR nur für börsenkotierte Aktiengesellschaften Geltung beansprucht. Während die anhand der Schwellenwerte von Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR ermittelte wirtschaftliche Bedeutung der Gesellschaft im Interesse der Schonung der KMU ein sachliches Kriterium sei, sei mit Rücksicht auf das Prinzip "substance over form" fragwürdig, weshalb nichtkotierte Gesellschaften vom Geltungsbereich von Art. 734f OR befreit seien, zumal der ganz überwiegende Teil der hiesigen Gesellschaften nicht kotiert ist. Auf die Rechtsform eines Unternehmens dürfe es nicht ankommen; allein massgeblich sollte vielmehr rechtsformneutral die wirtschaftliche Bedeutung einer Gesellschaft sein.
b. "Opt-in"
26 Obwohl nichtkotierte Aktiengesellschaften nicht in den Geltungsbereich von Art. 734f OR fallen, können sie gemäss Art. 732 Abs. 2 revOR durch Anordnung in ihren Statuten die Vorschriften des vierten Abschnitts als teilweise oder vollständig anwendbar erklären (sog. Opt-in).
2. Persönlich-sachlicher Geltungsbereich
27 Art. 734f OR gilt ausweislich des Wortlauts ("[s]ofern") nur für Gesellschaften, welche die darin vorgesehenen Geschlechterrichtwerte nicht erreichen. Mit anderen Worten müssen alle Gesellschaften, die diese Richtwerte erreichen, die darin verlangten Angaben (Begründung und Förderungsmassnahmen) nicht in ihren Vergütungsbericht aufnehmen; sie müssen in ihm von Gesetzes wegen nicht einmal festhalten, dass sie die Geschlechterrichtwerte erreichen. Art. 734f OR gilt für diese Gesellschaften schlicht nicht. Freilich ist es solchen Gesellschaften unbenommen, sich etwa aus Gründen der Reputationsförderung gleichwohl zu dieser Thematik zu äussern.
3. Normadressaten
28 Vom persönlichen Geltungsbereich abzugrenzen ist die Frage nach den Normadressaten von Art. 734f OR. Auf diese Frage gibt der Wortlaut der Vorschrift klar Auskunft: Es geht um den Verwaltungsrat und um die Geschäftsleitung jener Gesellschaften, die in den persönlichen Geltungsbereich von Art. 734f OR fallen.
B. Höhe und Bemessung der Richtwerte
1. Höhe
29 Der Richtwert für den Verwaltungsrat beträgt 30 Prozent, derjenige für die Geschäftsleitung – im Unterschied zum Vorentwurf 2014
2. Bemessungsgrundlage; Berechnung
30 Art. 734f OR definiert den Begriff des Geschlechts nicht. Implizit geht die Vorschrift aber zweifellos von der Dualität der Geschlechter (Männer und Frauen) aus, die dem geltenden Recht zugrunde liegt.
31 Es ist daher festzuhalten: De lege lata geht Art. 734f OR von der Dualität der Geschlechter aus. Massgeblich für die Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht ist das im Zivilstandsregister eingetragene Geschlecht (vgl. Art. 8 lit. d ZStV). Der Bundesrat hat dem Parlament Ende 2019 einen Entwurf zur Änderung des ZGB unterbreitet,
32 Der Erläuterung bedarf schliesslich die Frage nach der Rundung bei der Berechnung der Geschlechterrichtwerte.
3. Praktische Umsetzung
33 Schliesslich erhebt sich die Frage, wie Art. 734f OR in der Praxis umgesetzt werden soll. Im Grunde stehen der Gesellschaft zwei Wege zu Gebote: Sie können entweder die Mitgliederzahl ihrer Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen erhöhen (was im ersteren Fall in der Regel eine Änderung der Statuten erheischen dürfte) und die neu geschaffenen Positionen mit Angehörigen des untervertretenen Geschlechts (in der Regel also mit Frauen) besetzen oder aber ohne zahlenmässige Vergrösserung der Gremien ausgeschiedene (zumeist männliche) durch (weibliche) Mitglieder ersetzen.
C. Zeitlicher Anwendungsbereich (Übergangsfrist)
34 Art. 4 ÜBest. OR sieht Übergangsfristen für die Anwendung von Art. 734f OR vor. Die Berichterstattungspflicht gilt im Hinblick auf den Verwaltungsrat spätestens ab dem Geschäftsjahr, das fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Aktienrechts beginnt (Abs. 1), und im Hinblick auf die Geschäftsleitung spätestens ab dem Geschäftsjahr, das zehn Jahre hiernach beginnt (Abs. 2). Art. 734f OR und Art. 4 ÜBest. OR sind mit Wirkung per 1. Januar 2021 in Kraft getreten (im Gegensatz zu den meisten anderen neuen Aktienrechtsvorschriften).
35 In der Regel stimmt das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr überein (zwingend ist dies freilich nicht)
V. Rechtsfolgen
A. Comply or explain
36 Während Art. 734f OR hinsichtlich des Tatbestands eine durchaus gewöhnliche Rechtsnorm ist, ist hinsichtlich der Rechtsfolge eine Abweichung von der üblichen Normstruktur festzustellen. Es ist schon erläutert worden und soll hier nochmals in Erinnerung gerufen werden, dass die Erfüllung des Tatbestands von Art. 734f OR nicht etwa die Nichtigkeit eines Wahlaktes oder eine sonstige "harte" Sanktion (etwa ein Bussgeld) zur Folge hat (wie es den meisten Rechtsnormen eigentümlich ist), sondern einzig bewirkt, dass die Gesellschaft über bestimmte Gesichtspunkte Bericht erstatten muss. Diese ungewöhnliche Art der Rechtsfolge wird, dem Zeitgeist folgend, mit der englischen Wendung "comply or explain" bezeichnet.
B. Berichterstattungspflicht
1. Gefäss für den Bericht: Vergütungsbericht
37 Wiewohl aus dogmatisch-systematischer Sicht durchaus zweifelhaft, hat der Gesetzgeber aus pragmatischen Gründen den Vergütungsbericht als das "Gefäss" für den gemäss Art. 734f OR gebotenen Bericht auserkoren.
2. Inhalt und Dichte des Berichts
38 Gemäss Art. 734f OR muss der Vergütungsbericht Auskunft geben (Berichtsinhalt) über die Gründe, derentwegen die Geschlechter nicht in dem von dieser Vorschrift vorgesehenen Verhältnis im Verwaltungsrat bzw. in der Geschäftsleitung vertreten sind (Ziff. 1), und über die Massnahmen zur Förderung des weniger stark vertretenen Geschlechts (Ziff. 2). Die konkreten Gründe für die Untervertretung dürften sich je nach Branche und Unternehmen ganz erheblich voneinander unterscheiden, und nicht selten dürfte es auch dem Verwaltungsrat selbst schwerfallen, diese Gründe eindeutig zu ermitteln. Hinsichtlich der Fördermassnahmen macht das Gesetz dem Verwaltungsrat keinerlei Vorgaben betreffend Inhalt (was?), Art und Weise (wie?) und Ausmass (wie viel?), und auch dem gesetzlichen Ziel (Förderung) geht jeder Anspruch auf Verbindlichkeit ab, denn das Gesetz verlangt nicht, dass der Verwaltungsrat tatsächlich Fördermassnahmen ergreift – es gibt ihm vielmehr lediglich auf, darüber zu berichten, ob und welche Massnahmen er ergreifen wolle. Dem Verwaltungsrat ist deshalb bei beiden Aspekten ein erheblicher, beinahe schrankenloser Ermessensspielraum einzuräumen.
39 Zu den inhaltlichen Anforderungen der Begründung und der Fördermassnahmen, denen der Vergütungsbericht genügen muss (Berichtsdichte), schweigt sich Art. 734f OR aus.
40 Hinsichtlich Breite und Tiefe der Ausführlichkeit lässt Art. 734f OR dem Verwaltungsrat weitgehend freie Hand bei der Gestaltung des Berichts.
41 Die im Schrifttum anzutreffende Auffassung, wonach allgemeine und pauschale Aussagen nicht mit Art. 734f OR vereinbar seien,
3. Prüfung durch die Revisionsstelle
42 Art. 17 VegüV (per 1. Januar 2023: Art. 728a Abs. 1 Ziff. 4 revOR) sieht vor, dass der Vergütungsbericht von Gesellschaften, deren Aktien börsenkotiert sind, der Prüfung durch die Revisionsstelle unterliegt. Folglich fallen alle Gesellschaften, die zur Berichterstattung gemäss Art. 734f OR verpflichtet sind, in den Anwendungsbereich von Art. 17 VegüV bzw. Art. 728a Abs. 1 Ziff. 4 revOR.
43 Damit sich gesetzliche Vorschriften überhaupt als Massstab der Revision eignen, müssen sie, der Natur der Revision entsprechend, einen Bezug zur Rechnungslegung (Buchhaltung, Jahresrechnung, Gewinnverwendungsantrag) oder zur Vergütung von Verwaltungsrat, Geschäftsleitung und Beirat aufweisen.
44 Es ist daher festzuhalten: Wenn sich die Revisionsstelle dazu anschickt, den Vergütungsbericht einer Prüfung zu unterziehen, muss sie sich selbst grösste Zurückhaltung auferlegen.
VI. Rechtsdurchsetzung
A. Instrumente des Aktionärs
1. Überblick
45 Wenn die Revisionsstelle weder geeignet noch berechtigt ist, über die Einhaltung der Berichterstattungspflicht des Verwaltungsrates zu wachen, dann kann diese Aufgabe nur den Aktionären der Gesellschaft zukommen. Diese "Überwachung" kann von zwei Seiten her geschehen: einerseits mittels Beschaffung von Informationen, andererseits mittels Haftung. Im Folgenden sollen vor diesem Hintergrund das Instrument des Rechts auf Auskunft und Einsicht (N. 46 f.) und jenes der aktienrechtlichen Verantwortlichkeit (N. 48 ff.) erörtert werden, wobei sich die Ausführungen auf die mit Rücksicht auf das Erkenntnisinteresse wesentlichen Voraussetzungen beschränken werden. Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass vor allem das erstgenannte Instrument im Zuge der Aktienrechtsnovelle von 2020 einige Änderungen erfahren hat; im Gegensatz zum früheren Recht besteht de lege lata bei den materiellen Voraussetzungen kein Unterschied mehr zwischen dem Auskunfts- und dem Einsichtsrecht.
2. Recht auf Auskunft und Einsicht
46 Art. 697 Abs. 4 und Art. 697a Abs. 3 revOR werden dem Recht des Aktionärs auf Auskunft bzw. auf Einsicht jeweils eine doppelte Grenze setzen:
47 Zum andern dürfen durch die Auskunft bzw. die Einsicht keine Geschäftsgeheimnisse und keine anderen schutzwürdigen Interessen der Gesellschaft gefährdet werden. Grund für diese Gefahr ist die mangelnde Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft.
3. Aktienrechtliche Verantwortlichkeit
48 Eine Haftung des Verwaltungsrates aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit nach Art. 754 Abs. 1 OR setzt zunächst eine Pflichtverletzung voraus. Die Sorgfaltspflicht (Art. 717 Abs. 1 OR) verlangt von den Mitgliedern des Verwaltungsrates Gesetzestreue, zumal bei zwingenden Normen.
49 Die Haftung aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit bedarf sodann eines Schadens. Gelangt die Pflichtverletzung in das Licht der Öffentlichkeit und sinkt in Folge der dadurch beeinträchtigten Reputation der Börsenkurs der Aktie, so könnte man darin einen Schaden erblicken. Allerdings handelt es sich dabei mangels nachteiliger Auswirkung auf das Vermögen der Gesellschaft nicht um einen (direkten) Schaden derselben
50 Zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Schaden muss ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang bestehen.
B. Anspruch auf "Einstellung"?
51 Zumindest denkbar wäre ein Anspruch eines bei der Bestellung des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung nicht berücksichtigten Kandidaten auf klageweise "Einstellung" (genauer: auf klageweise Begründung eines Organverhältnisses). Ein solcher Anspruch ist abzulehnen. Er ginge an Gegenstand und Zweck von Art. 734f OR gänzlich vorbei. Diese Norm wird vom Gedanken der Transparenz getragen und sieht für den Fall der Verwirklichung ihres Tatbestandes keine "harten" Rechtsfolgen, sondern nur eine Begründungspflicht vor.
Materialien
Bericht zur Vernehmlassung zum Vorentwurf vom 28. November 2014 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), Bern, 17. September 2015 (zit. Bericht Vernehmlassung VE-OR 2014).
Bertschinger Urs, Vernehmlassung zur «Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht)», Vorentwurf vom 28. November 2014, 14. März 2015 (zit. Vernehmlassung).
Botschaft des Bundesrates vom 23. November 2016 zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht), BBl 2017 399 ff. (zit. Botschaft 2016).
Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Obligationenrechts (Revisionspflicht im Gesellschaftsrecht) sowie zum Bundesgesetz über die Zulassung und Beaufsichtigung der Revisorinnen und Revisoren vom 23. Juni 2004, BBl 2004 3969 ff. (zit. Botschaft Revisionspflicht 2004).
Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs (Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister) vom 6. Dezember 2019, BBl 2020 799 ff. (zit. Botschaft Personenstandsregister 2014).
Erläuternder Bericht des Bundesrates zum Vorentwurf 2014 (zit. Bericht VE-OR 2014).
European Women on Boards (Hrsg.), Gender Diversity Index 2021, https://europeanwomenonboards.eu/wp-content/uploads/2022/01/2021-Gender-Diversity-Index.pdf, besucht am 4.3.2022 (zit. Gender Diversity Index 2021).
guido schilling ag, schillingreport 2022, Medienmitteilung vom 4. März 2022, https://www.schillingreport.ch/content/uploads/sites/2/2022/02/Medienmitteilung_2022.pdf, besucht am 4.3.2022 (zit. Medienmitteilung Schilling-Report 2022).
Schweizerische Kammer der Wirtschaftsprüfer und Steuerexperten, Vernehmlassung zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 13. März 2015.
von der Crone Hans Caspar, Vernehmlassungseingabe zur Revision des Aktienrechts, 13. März 2015 (zit. Vernehmlassung).
Literaturverzeichnis
Bertschinger Urs, Delegation der Geschäftsführung bei der Aktiengesellschaft und Kompetenzen der Generalversammlung, GesKR 2/2012, S. 294 ff. (zit. Delegation).
Böckli Peter, Eine Blütenlese der Neuerungen im Vorentwurf zur Aktienrechtsrevision, GesKR 1/2015, S. 1 ff. (zit. Blütenlese).
Böckli Peter, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009 (zit. Aktienrecht).
Bühler Christoph B., «Business Judgment Rule»: Massstab für die richterliche Beurteilung unternehmerischen Ermessens im Aktienrecht, in: Müller Matthias P. A./Forrer Lucas/Zuur Floris (Hrsg.), Das Aktienrecht im Wandel, Zum 50. Geburtstag von Hans-Ueli Vogt, Zürich/St. Gallen 2020, S. 29 ff.
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