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Kommentierung zu
Art. 67b BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

1 Art. 67b BPR geht – wie Art. 67 und 67a BPR – auf eine Änderung des Bundesgesetzes von 1996 zurück.

Es wird daher auf die Kommentierung zu Art. 67 BPR verwiesen.

2 Speziell zu erwähnen ist, dass Art. 67b Abs. 1 BPR im Jahr 2002 leicht geändert wurde.

Gemäss der Fassung von 1996 hatte die Bundeskanzlei festzustellen, ob das Referendum von der erforderlichen Anzahl «Kantone oder Halbkantone» ergriffen worden ist. Durch die Änderung von 2002 werden die «Halbkantone» nicht mehr im Normtext genannt. Grund ist, dass der Begriff seit der Totalrevision von 1999 nicht mehr in der Bundesverfassung vorkommt.

II. Bedeutung der Vorschrift

A. Allgemeines

3 Art. 67b BPR regelt die Zuständigkeit für die Prüfung des Zustandekommens eines Kantonsreferendums (Abs. 1), die Ungültigkeitsgründe (Abs. 2) und die Eröffnung des Entscheids (Abs. 3).

B. Rechtsvergleich

4 Kantone, in denen es ein Gemeindereferendum gibt,

kennen mit Art. 67b BPR vergleichbare Bestimmungen zur Prüfung der formellen Anforderungen. Im Kanton Graubünden prüft beispielsweise die Standeskanzlei die Unterlagen.
Das Zustandekommen stellt dann aber die (Kantons-)Regierung fest,
während beim Kantonsreferendum die Bundeskanzlei und nicht der Bundesrat als Regierung hierfür zuständig ist.

III. Kommentierung des Normtextes

A. Prüfung (Abs. 1)

5 Die Bundeskanzlei prüft nach Ablauf der 100-tägigen Referendumsfrist gemäss Art. 141 Abs. 1 BV, ob die erforderliche Anzahl Kantone das Kantonsreferendum ergriffen haben. Die Bestimmung entspricht sinngemäss derjenigen zum Volksreferendum.

6 Das Quorum von acht Kantonen ergibt sich aus Art. 141 Abs. 1 BV. Alle Kantone zählen ganz.

7 Das Kantonsreferendum kann – wie das Volksreferendum – nicht zurückgezogen werden (Art. 59b BPR).

B. Ungültige Referendumsbegehren (Abs. 2)

8 Das Gesetz sieht drei alternative Gründe vor, die dazu führen können, dass ein Referendumsbegehren eines Kantons ungültig ist. Ein ungültiges Referendumsbegehren wird für das Erreichen des Quorums von acht Kantonen nicht mitgezählt.

1. Verpassen der Referendumsfrist (lit. a)

9 Ein Referendumsbegehren ist ungültig, wenn es das zuständige Organ des Kantons erst nach Verstreichen der 100-tägigen Referendumsfrist beschliesst. Der Beschluss alleine ist aber nicht fristwahrend. Das Referendumsbegehren muss gemäss lit. a auch innert der Frist bei der Bundeskanzlei «eingereicht» werden. Gemäss Art. 59a BPR bedeutet dies, dass das Begehren vor Fristablauf bei der Bundeskanzlei eintreffen muss und das Datum des Poststempels nicht ausreichend ist.

2. Unzuständiges Organ (lit. b)

10 Ungültig ist ein Referendumsbegehren, das von einem sachlich unzuständigen Organ beschlossen wurde. Die Bundeskanzlei prüft insbesondere anhand der Angaben gemäss Art. 67a lit. b und c BPR,

ob das Organ, das die Ergreifung des Kantonsreferendums beschlossen hat auch das tatsächlich zuständige Organ ist. Ist dies nicht der Fall, ist das Referendumsbegehren ungültig.

3. Nicht zweifelsfreie Bezeichnung des Erlasses (lit. c)

11 Ist unklar, welcher Bundeserlass zur Abstimmung gebracht werden soll, ist das Referendumsbegehren ungültig.

4. Nicht: Verletzung der Formvorschriften

12 Die Verletzung der Formvorschriften von Art. 67a BPR wird in Art. 67b Abs. 2 nicht genannt und ist deshalb kein eigenständiger Ungültigkeitsgrund.

C. Entscheid (Abs. 3)

13 Für den Entscheid über das Zustandekommen oder Nichtzustandekommen des Kantonsreferendums ist die Bundeskanzlei (und nicht etwa der Bundesrat) zuständig. Den Kantonen, die ein Referendumsbegehren gestellt haben, ist das rechtliche Gehör zu gewähren.

Die Bundeskanzlei eröffnet den Entscheid per Verfügung.

14 Über ein allfälliges Volksreferendum zum gleichen Erlass entscheidet die Bundeskanzlei in einer separaten Verfügung.

Die Unterschriften der Stimmberechtigen und die Kantonsstimmen werden nicht zusammengezählt.

15 Der Entscheid wird den Regierungen aller Kantone, die das Referendum ergriffen haben, schriftlich mitgeteilt. An die Kantone, die sich nicht am Kantonsreferendum beteiligt haben, erfolgt keine direkte Mitteilung. Da gemäss Art. 67a BPR die Kantonsregierung das Schreiben mit dem Referendumsbegehren übermittelt,

erfolgt die Mitteilung des Entscheids ebenfalls an die Kantonsregierung.

16 Die Allgemeinheit wird mittels Publikation der Verfügung im Bundesblatt informiert. Dabei ist die Anzahl der gültigen und ungültigen kantonalen Referendumsbegehren anzugeben. Beim erfolgreichen Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket

wies die Bundeskanzlei zudem insbesondere die Daten der Schreiben der Kantone, die kantonalen Rechtsgrundlagen, die beschliessenden kantonalen Organe, die Daten der Beschlüsse und die Abstimmungsergebnisse (im Kantonsparlament) aus.
Bei einem Nichtzustandekommen eines Kantonsreferendums muss eine Rechtsmittelbelehrung erfolgen.

17 Eine Verfügung der Bundeskanzlei über das Nichtzustandekommen des Kantonsreferendums kann gemäss Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BPR mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden.

Die Beschwerdefrist beträgt 30 Tage.
Von den Kantonen sind nur diejenigen berechtigt, die Beschwerde zu erheben, die das Kantonsreferendum ergriffen haben.
Aufgrund ihres Referendumsbegehrens erfüllen diese Kantone die Voraussetzungen für das Beschwerderecht.
Die anderen sind hingegen nicht beschwerdelegitimiert, denn die Kantone sind in einer durch ein Kantonsreferendum ausgelösten Volksabstimmung nicht stimmberechtigt.
Die Beschwerde ist auch möglich, wenn das Quorum des Kantonsreferendum deutlich verfehlt wird.
Stellt die Bundeskanzlei fest, dass das Kantonsreferendum zustande gekommen ist, ist keine Beschwerde möglich.

Danksagung: Der Autor dankt Rahel Freiburghaus und Christoph Lanz für die Durchsicht und die wertvollen Hinweise.

Autor: Dr. iur. Matthias Lanz, LL.M. (Cantab.), Juristischer Mitarbeiter beim Departement für Finanzen und Gemeinden Graubünden, ehemaliger Persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen,  www.linkedin.com/in/matthiaslanz.

Literatur- und Materialverzeichnis

Siehe das Literatur- und Materialverzeichnis zur Kommentierung zu Art. 67 BPR.

Fussnoten

  • Änderung des Bundesgesetzes über politische Rechte vom 21.6.1996, in Kraft seit 1.4.1997 (AS 1997 753, S. 755 f.).
  • N. 1 ff.
  • Änderung des Bundesgesetzes über politische Rechte vom 21.6.2002, in Kraft seit 1.1.2003 (AS 2002 3193, S. 3197).
  • Botschaft 2001, S. 6412 und 6419. Siehe die Bezeichnungen in Art. 1 und Art. 142 Abs. 4, Art. 150 Abs. 2 BV (vgl. Botschaft 1996, S. 125).
  • Vgl. Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 26.
  • Art. 88 Abs. 1 Gesetz über die politischen Rechte im Kanton Graubünden (GPR/GR; BR 150.100).
  • Art. 88 Abs. 3 GPR/GR.
  • Art. 67b Abs. 3 BPR.
  • Art. 66 Abs. 1 BPR.
  • Siehe die Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 5.
  • Botschaft 1993, S. 491.
  • Kommentierung zu Art. 67a BPR, N. 7 f.
  • Vgl. Kommentierung von Art. 67a BPR, N. 11 f.
  • Art. 29 ff. Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021). Für ein Praxisbeispiel siehe Verfügung Ressourcenausgleich, Begründung Bst. i.
  • Vgl. Verfügung FATCA-Abkommen, Begründung Bst. d; Verfügung Strafgesetzbuch, Begründung Bst. d.
  • Vgl. Verfügung FATCA-Abkommen, Begründung Bst. c.
  • Vgl. Kommentierung zu Art. 67a BPR, N. 4.
  • Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 10 f.
  • Verfügung Kantonsreferendum Steuerpaket.
  • Vgl. auch Art. 88 Abs. 1 lit. b Bundesgesetz über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110).
  • Art. 100 Abs. 1 BGG.
  • Besson, S. 854 f.; BSK-Steinmann/Mattle, Art. 89 BGG N. 75; Hangartner/Kley, Rz. 1022.
  • Vgl. Art. 89 Abs. 1 BGG.
  • Hangartner/Kley, Rz. 1022. Art. 89 Abs. 3 BGG ist nicht auf die Kantone anwendbar (vgl. BGE 134 I 172 E. 1.3.1). Vgl. auch Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 6.
  • Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BPR ist nicht auf das Kantonsreferendum anwendbar.
  • CR-Tornay Schaller, N. 11 und 26 m. w. H.

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10.17176/20230901-111355-0

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