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Kommentierung zu
Art. 67a BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

1 Art. 67a BPR geht – wie Art. 67 und 67b BPR – auf eine Änderung des Bundesgesetzes von 1996 zurück.

Es wird daher auf die Kommentierung zu Art. 67 BPR verwiesen.

II. Bedeutung der Vorschrift

A. Allgemeines

2 Art. 67a BPR enthält die Formerfordernisse bei einem Kantonsreferendum. Sie gelten unabhängig davon, ob das Referendumsbegehren gestützt auf den subsidiären Art. 67 BPR oder das kantonale Recht gestellt wird. Wie bei der Volksinitiative wird die Schriftform und die genaue Bezeichnung des Erlasses, über den abgestimmt werden soll, verlangt.

B. Rechtsvergleich

3 Kantone, in denen es ein Gemeindereferendum gibt,

kennen mit Art. 67b BPR vergleichbare Bestimmungen zu den formellen Anforderungen. Basel-Land verlangt speziell die Bezeichnung der federführenden Gemeinde.
Graubünden
und Jura
prüfen die Einhaltung der Frist und generell der Formvorschriften. Luzern kennt spezifische Formvorschriften, die Art. 67b BPR stark ähneln und im Übrigen vorsehen, dass eine Vertretung der Gemeinden bezeichnet wird.
Solothurn verlangt unter anderem einen Protokollauszug und erklärt ansonsten sinngemäss die Bestimmungen zur Volksinitiative für anwendbar.
Der Kanton Tessin verlangt die Bezeichnung einer Vertretung und verweist im Übrigen auf die Vorschriften zum Volksreferendum.
Zürich kennt soweit ersichtlich keine ausdrücklichen formellen Vorschriften für das Gemeindereferendum,
verlangt aber die Bezeichnung einer Vertretung.

III. Kommentierung des Normtextes

A. Schreiben (Einleitungssatz)

4 Gemäss Einleitungssatz informiert die Kantonsregierung den Bund schriftlich, dass der Kanton ein Kantonsreferendum unterstützt.

Die Bezeichnung dieses Organs im Bundesrecht ist bemerkenswert, sieht doch die subsidiäre Regelung von Art. 67 BPR vor, dass das Kantonsparlament für die Ergreifung des Kantonsreferendums zuständig ist. Zudem haben fast alle Kantone das Kantonsparlament in ihrem Recht bezeichnet.
Allerdings vertreten die Regierungen ihre Kantone grundsätzlich gegen aussen. Insgesamt wäre es föderalismusfreundlicher gewesen, kein spezielles Organ zu bezeichnen, sondern einfach von einem «Schreiben des Kantons» zu sprechen. Da es sich um eine Ordnungsvorschrift handelt, wäre ein Schreiben, das nicht von der Kantonsregierung, sondern vom für die Ergreifung des Kantonsreferendums zuständigen Organ ausgeht, trotzdem als rechtswirksam einzustufen.

5 Empfängerin des Schreibens ist die Bundeskanzlei, die auch das Zustandekommen des Kantonsreferendums feststellt.

B. Klare Nennung des Bundeserlasses (lit. a)

6 Diese Vorschrift verlangt, dass der Erlasstitel und das Datum der Beschlussfassung durch die Bundesverfassung im Schreiben genannt werden. Sie dient dazu, den fraglichen Bundeserlass zweifelsfrei zu identifizieren.

C. Beschliessendes Organ (lit. b)

7 Das Schreiben muss das Organ nennen, welches im Namen des Kantons die Volksabstimmung verlangt. Dies erlaubt es der Bundeskanzlei zu überprüfen, ob das Kantonsreferendum tatsächlich vom zuständigen Organ ausgeht (vgl. lit. c). Die Formvorschrift ist laut Botschaft nötig, weil das Bundesrecht das für das Kantonsreferendum zuständige Organ nur subsidiär regelt.

D. Bestimmungen des kantonalen Rechts (lit. c)

8 Das Schreiben muss auch die Bestimmungen des kantonalen Rechts enthalten, die regeln, welches Organ für die Ergreifung des Kantonsreferendums zuständig ist. Damit kann die Bundeskanzlei überprüfen, ob es das gleiche Organ ist, welches das Kantonsreferendum beschlossen hat (vgl. lit. b). Gäbe es keine kantonale Regelung, müsste dies im Schreiben vermerkt und auf Art. 67 BPR verwiesen werden.

E. Datum und Ergebnis des Referendumsbeschlusses (lit. d)

9 Das Schreiben des Kantons muss das Datum des Referendumsbeschlusses enthalten (Datum des Beschlusses des Kantonsparlaments oder der Kantonsregierung oder Datum der Volksabstimmung). Dies ermöglicht es der Bundeskanzlei festzustellen, ob der Beschluss innerhalb der Referendumsfrist ergangen ist. Allerdings ist für die Fristwahrung auch die rechtzeitige Einreichung bei der Bundeskanzlei erforderlich.

10 Weiter muss der Kanton gemäss lit. d das Ergebnis des Referendumsbeschlusses angeben. Die Botschaft äussert sich nicht dazu, was damit genau gemeint ist. Ist es nur die Zustimmung oder Ablehnung eines Referendumsbegehrens durch das zuständige Organ? Oder ist das «Ergebnis» das genaue Abstimmungsresultat (Stimmen dafür, Stimmen dagegen und Enthaltungen)? Gegen erstere Auslegung spricht, dass ein Schreiben, in dem offenbleibt, ob ein Kanton ein Referendumsbegehren stellt, kaum vorstellbar ist. Die Auslegung, wonach der Kanton das genaue Abstimmungsresultat der Bundeskanzlei melden muss, überzeugt aber auch nicht restlos. Entweder ergreift ein Kanton das Kantonsreferendum oder nicht – die Mehrheitsverhältnisse beim Beschluss spielen keine Rolle. Ist die Kantonsregierung das zuständige Organ, kann zudem gar kein Abstimmungsresultat offengelegt werden, da dies das Kollegialitätsprinzip verletzen würde.

Die Bundeskanzlei scheint in der Praxis davon auszugehen, dass mit dem Ergebnis das genaue Abstimmungsresultat gemeint ist. Beim erfolgreichen Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket wies sie dieses gar in der Verfügung aus (ausser beim Kanton St. Gallen, wo die Kantonsregierung den Beschluss fasste).
Beim gescheiterten Kantonsreferendum gegen das FATCA-Abkommen kritisierte sie das Fehlen des «Ergebnisses des Grossratsbeschlusses» obwohl sie das Schreiben des Kantons Wallis offensichtlich als Ergreifung des Kantonsreferendum interpretierte.
Beim nicht erfolgreichen Kantonsreferendum gegen die Festlegung der Grundbeiträge des Ressourcenausgleichs hielt sie nur fest, dass das «Ergebnis des Referendumsbeschlusses» in den Schreiben der vier Kantone wiedergegeben sei.
Die Formvorschrift verlangt jedenfalls im Minimum, dass aus dem Schreiben klar hervorgeht, dass der Kanton eine Volksabstimmung verlangt.

F. Ordnungsvorschrift, nicht Ungültigkeitsgrund

11 Art. 67a BPR ist als Ordnungsvorschrift zu qualifizieren.

Ihre Verletzung ist kein eigenständiger Ungültigkeitsgrund. Art. 67b Abs. 2 BPR führt die Verletzung einer Formvorschrift (gemäss Art. 67a BPR) nicht als Ungültigkeitsgrund auf. Damit ein Referendumsbegehren ungültig ist, muss zwingend (auch) ein Ungültigkeitsgrund gemäss Art. 67b Abs. 2 BPR vorliegen.

12 Das folgende Beispiel veranschaulicht die Rechtslage: Bei einem erfolglosen Kantonsreferendum des Kantons Wallis von 2013 erwähnte dieser zwar das FATCA-Abkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten als Gegenstand, nicht aber das Datum des Bundesbeschlusses (Art. 67a lit. a BPR). Weiter fehlten die Angaben zu den Bestimmungen des kantonalen Rechts zur Zuständigkeit (Art. 67a lit. c) und zum Ergebnis des Referendumsbeschlusses (Art. 67a lit. d). Die Bundeskanzlei liess ausdrücklich offen, ob die bundesrechtlichen Formvorschriften erfüllt waren, weil das Quorum von acht Kantonen sowieso verfehlt worden war.

Allerdings verfügte sie gleichzeitig, dass «einzig» der Kanton Wallis eine Volksabstimmung fristgerecht verlangt habe,
schien also von der Gültigkeit des Walliser Referendumsbegehrens auszugehen. Zu Recht, denn es lag kein Ungültigkeitsgrund gemäss Art. 67b Abs. 2 BPR vor: Die Frist war eingehalten (lit. a), das sachlich zuständige kantonale Organ hatte den Beschluss gefällt (was sich trotz der Nichtangabe der kantonalen Rechtsgrundlagen und des «Ergebnisses des Referendumsbeschlusses» überprüfen liess; lit. b) und es war (trotz Fehlen des Datums des Bundesbeschlusses) klar, für welchen Erlass die Volksabstimmung verlangt worden war (lit. c).

Danksagung: Der Autor dankt Rahel Freiburghaus und Christoph Lanz für die Durchsicht und die wertvollen Hinweise.

Autor: Dr. iur. Matthias Lanz, LL.M. (Cantab.), Juristischer Mitarbeiter beim Departement für Finanzen und Gemeinden Graubünden, ehemaliger Persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen, www.linkedin.com/in/matthiaslanz.

Literatur- und Materialverzeichnis

Siehe das Literatur- und Materialverzeichnis zur Kommentierung zu Art. 67 BPR.

Fussnoten

  • Änderung des Bundesgesetzes über politische Rechte vom 21.6.1996, in Kraft seit dem 1.4.1997 (AS 1997 753, S. 755 f.).
  • N. 1 ff.
  • Art. 60 Abs. 1 Einleitungssatz und lit. b BPR (vgl. Botschaft 1993, S. 495).
  • Vgl. Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 26.
  • § 81a Abs. 2 Gesetz über die politischen Rechte vom 7.9.1981 (GpR/BL; SGS 120).
  • Art. 88 Abs. 1 Gesetz über die politischen Rechte im Kanton Graubünden vom 17.6.2005 (GPR/GR; BR 150.100).
  • Art. 97 Loi sur les droits politiques du 26.10.1978 (LDP/JU, RSJ 161.1).
  • § 146b und 146d Stimmrechtsgesetz vom 25.10.1988 (StRG/LU; SRL 10).
  • § 151 Abs. 1 und 152 Abs. 1 i. V. m. § 136 und 137 Gesetz über die politischen Rechte vom 22.9.1996 (GpR/SO; BGS 113.111).
  • Art. 116 Abs. 2 und Art. 119 Legge sull’esercizio dei diritti politici del 19.11.2018 (LEDP/TI; RL 150.100).
  • Vgl. für den Entscheid über das Zustandekommen § 143 a Gesetz über die politischen Rechte vom 1.9.2003 (GPR/ZH; LS 161).
  • § 28 a Abs. 2 Satz 2 Verordnung über die politischen Rechte vom 27.10.2004 (VPR/ZH; LS 161.1).
  • Möglich wäre gemäss Art. 21a VwVG auch eine elektronische Eingabe.
  • Vgl. Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 32.
  • Vgl. N. 12 f. und Kommentierung zu Art. 67b BPR, N. 12.
  • Art. 67b Abs. 1 und 3 BPR.
  • Botschaft 1993, S. 495.
  • Vgl. Kommentierung zu Art. 67b, N. 9.
  • So beim Kanton St. Gallen, wo der Regierungsrat entschied, das Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket zu ergreifen (Verfügung Steuerpaket, Dispositiv Ziff. 2, Nr. 9).
  • Verfügung Kantonsreferendum Steuerpaket, Dispositiv Ziff. 2.
  • Verfügung FATCA-Abkommen, Begründung Bst. f.
  • Verfügung Ressourcenausgleich, Begründung Bst. f.
  • Die Nichteinhaltung einer Ordnungsvorschrift kann ohne Rechtsfolgen bleiben (vgl. BGE 99 V 177 E. 3).
  • Verfügung FATCA-Abkommen, Dispositiv Ziff. 1 und 2, Begründung Bst. f. Auch bei einem erfolglosen Referendum des Kantons Tessin 1982/83 liess die Bundeskanzlei die Frage offen, hielt aber fest, dass es gegen eine Ungültigkeitserklärung spreche, wenn der angefochtene Erlass trotz Fehlens des Datums «unmissverständlich bezeichnet» sei (Verfügung Strafgesetzbuch, Begründung Bst. f). Zu diesem Zeitpunkt enthielt das BPR allerdings auch noch keine ausdrückliche Formvorschrift betreffend die Nennung des Datums des Erlasses.
  • Verfügung FATCA-Abkommen, Dispositiv Ziff. 2.

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10.17176/20230901-111141-0

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