Eine Kommentierung von Matthias Lanz
Herausgegeben von Andreas Glaser / Nadja Braun Binder / Corsin Bisaz / Bénédicte Tornay Schaller
Art. 67a Form
Das Schreiben der Kantonsregierung an die Bundeskanzlei bezeichnet:
a. den Erlass mit dem Datum der Beschlussfassung durch die Bundesversammlung;
b. das Organ, welches im Namen des Kantons die Volksabstimmung verlangt;
c. die kantonalrechtlichen Zuständigkeitsbestimmungen zum Kantonsreferendum;
d. das Datum und das Ergebnis des Referendumsbeschlusses.
I. Entstehungsgeschichte
1 Art. 67a BPR geht – wie Art. 67 und 67b BPR – auf eine Änderung des Bundesgesetzes von 1996 zurück.
II. Bedeutung der Vorschrift
A. Allgemeines
2 Art. 67a BPR enthält die Formerfordernisse bei einem Kantonsreferendum. Sie gelten unabhängig davon, ob das Referendumsbegehren gestützt auf den subsidiären Art. 67 BPR oder das kantonale Recht gestellt wird. Wie bei der Volksinitiative wird die Schriftform und die genaue Bezeichnung des Erlasses, über den abgestimmt werden soll, verlangt.
B. Rechtsvergleich
3 Kantone, in denen es ein Gemeindereferendum gibt,
III. Kommentierung des Normtextes
A. Schreiben (Einleitungssatz)
4 Gemäss Einleitungssatz informiert die Kantonsregierung den Bund schriftlich, dass der Kanton ein Kantonsreferendum unterstützt.
5 Empfängerin des Schreibens ist die Bundeskanzlei, die auch das Zustandekommen des Kantonsreferendums feststellt.
B. Klare Nennung des Bundeserlasses (lit. a)
6 Diese Vorschrift verlangt, dass der Erlasstitel und das Datum der Beschlussfassung durch die Bundesverfassung im Schreiben genannt werden. Sie dient dazu, den fraglichen Bundeserlass zweifelsfrei zu identifizieren.
C. Beschliessendes Organ (lit. b)
7 Das Schreiben muss das Organ nennen, welches im Namen des Kantons die Volksabstimmung verlangt. Dies erlaubt es der Bundeskanzlei zu überprüfen, ob das Kantonsreferendum tatsächlich vom zuständigen Organ ausgeht (vgl. lit. c). Die Formvorschrift ist laut Botschaft nötig, weil das Bundesrecht das für das Kantonsreferendum zuständige Organ nur subsidiär regelt.
D. Bestimmungen des kantonalen Rechts (lit. c)
8 Das Schreiben muss auch die Bestimmungen des kantonalen Rechts enthalten, die regeln, welches Organ für die Ergreifung des Kantonsreferendums zuständig ist. Damit kann die Bundeskanzlei überprüfen, ob es das gleiche Organ ist, welches das Kantonsreferendum beschlossen hat (vgl. lit. b). Gäbe es keine kantonale Regelung, müsste dies im Schreiben vermerkt und auf Art. 67 BPR verwiesen werden.
E. Datum und Ergebnis des Referendumsbeschlusses (lit. d)
9 Das Schreiben des Kantons muss das Datum des Referendumsbeschlusses enthalten (Datum des Beschlusses des Kantonsparlaments oder der Kantonsregierung oder Datum der Volksabstimmung). Dies ermöglicht es der Bundeskanzlei festzustellen, ob der Beschluss innerhalb der Referendumsfrist ergangen ist. Allerdings ist für die Fristwahrung auch die rechtzeitige Einreichung bei der Bundeskanzlei erforderlich.
10 Weiter muss der Kanton gemäss lit. d das Ergebnis des Referendumsbeschlusses angeben. Die Botschaft äussert sich nicht dazu, was damit genau gemeint ist. Ist es nur die Zustimmung oder Ablehnung eines Referendumsbegehrens durch das zuständige Organ? Oder ist das «Ergebnis» das genaue Abstimmungsresultat (Stimmen dafür, Stimmen dagegen und Enthaltungen)? Gegen erstere Auslegung spricht, dass ein Schreiben, in dem offenbleibt, ob ein Kanton ein Referendumsbegehren stellt, kaum vorstellbar ist. Die Auslegung, wonach der Kanton das genaue Abstimmungsresultat der Bundeskanzlei melden muss, überzeugt aber auch nicht restlos. Entweder ergreift ein Kanton das Kantonsreferendum oder nicht – die Mehrheitsverhältnisse beim Beschluss spielen keine Rolle. Ist die Kantonsregierung das zuständige Organ, kann zudem gar kein Abstimmungsresultat offengelegt werden, da dies das Kollegialitätsprinzip verletzen würde.
F. Ordnungsvorschrift, nicht Ungültigkeitsgrund
11 Art. 67a BPR ist als Ordnungsvorschrift zu qualifizieren.
12 Das folgende Beispiel veranschaulicht die Rechtslage: Bei einem erfolglosen Kantonsreferendum des Kantons Wallis von 2013 erwähnte dieser zwar das FATCA-Abkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten als Gegenstand, nicht aber das Datum des Bundesbeschlusses (Art. 67a lit. a BPR). Weiter fehlten die Angaben zu den Bestimmungen des kantonalen Rechts zur Zuständigkeit (Art. 67a lit. c) und zum Ergebnis des Referendumsbeschlusses (Art. 67a lit. d). Die Bundeskanzlei liess ausdrücklich offen, ob die bundesrechtlichen Formvorschriften erfüllt waren, weil das Quorum von acht Kantonen sowieso verfehlt worden war.
Danksagung: Der Autor dankt Rahel Freiburghaus und Christoph Lanz für die Durchsicht und die wertvollen Hinweise.
Autor: Dr. iur. Matthias Lanz, LL.M. (Cantab.), Juristischer Mitarbeiter beim Departement für Finanzen und Gemeinden Graubünden, ehemaliger Persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen, www.linkedin.com/in/matthiaslanz.
Literatur- und Materialverzeichnis
Siehe das Literatur- und Materialverzeichnis zur Kommentierung zu Art. 67 BPR.
Fussnoten
- Änderung des Bundesgesetzes über politische Rechte vom 21.6.1996, in Kraft seit dem 1.4.1997 (AS 1997 753, S. 755 f.).
- N. 1 ff.
- Art. 60 Abs. 1 Einleitungssatz und lit. b BPR (vgl. Botschaft 1993, S. 495).
- Vgl. Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 26.
- § 81a Abs. 2 Gesetz über die politischen Rechte vom 7.9.1981 (GpR/BL; SGS 120).
- Art. 88 Abs. 1 Gesetz über die politischen Rechte im Kanton Graubünden vom 17.6.2005 (GPR/GR; BR 150.100).
- Art. 97 Loi sur les droits politiques du 26.10.1978 (LDP/JU, RSJ 161.1).
- § 146b und 146d Stimmrechtsgesetz vom 25.10.1988 (StRG/LU; SRL 10).
- § 151 Abs. 1 und 152 Abs. 1 i. V. m. § 136 und 137 Gesetz über die politischen Rechte vom 22.9.1996 (GpR/SO; BGS 113.111).
- Art. 116 Abs. 2 und Art. 119 Legge sull’esercizio dei diritti politici del 19.11.2018 (LEDP/TI; RL 150.100).
- Vgl. für den Entscheid über das Zustandekommen § 143 a Gesetz über die politischen Rechte vom 1.9.2003 (GPR/ZH; LS 161).
- § 28 a Abs. 2 Satz 2 Verordnung über die politischen Rechte vom 27.10.2004 (VPR/ZH; LS 161.1).
- Möglich wäre gemäss Art. 21a VwVG auch eine elektronische Eingabe.
- Vgl. Kommentierung zu Art. 67 BPR, N. 32.
- Vgl. N. 12 f. und Kommentierung zu Art. 67b BPR, N. 12.
- Art. 67b Abs. 1 und 3 BPR.
- Botschaft 1993, S. 495.
- Vgl. Kommentierung zu Art. 67b, N. 9.
- So beim Kanton St. Gallen, wo der Regierungsrat entschied, das Kantonsreferendum gegen das Steuerpaket zu ergreifen (Verfügung Steuerpaket, Dispositiv Ziff. 2, Nr. 9).
- Verfügung Kantonsreferendum Steuerpaket, Dispositiv Ziff. 2.
- Verfügung FATCA-Abkommen, Begründung Bst. f.
- Verfügung Ressourcenausgleich, Begründung Bst. f.
- Die Nichteinhaltung einer Ordnungsvorschrift kann ohne Rechtsfolgen bleiben (vgl. BGE 99 V 177 E. 3).
- Verfügung FATCA-Abkommen, Dispositiv Ziff. 1 und 2, Begründung Bst. f. Auch bei einem erfolglosen Referendum des Kantons Tessin 1982/83 liess die Bundeskanzlei die Frage offen, hielt aber fest, dass es gegen eine Ungültigkeitserklärung spreche, wenn der angefochtene Erlass trotz Fehlens des Datums «unmissverständlich bezeichnet» sei (Verfügung Strafgesetzbuch, Begründung Bst. f). Zu diesem Zeitpunkt enthielt das BPR allerdings auch noch keine ausdrückliche Formvorschrift betreffend die Nennung des Datums des Erlasses.
- Verfügung FATCA-Abkommen, Dispositiv Ziff. 2.
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