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Kommentierung zu
Art. 86c ZGB

Eine Kommentierung von Lukas Brugger / Claude Humbel

Herausgegeben von Nils Güggi / Lukas von Orelli

defriten

I. Rechtspolitischer Hintergrund der Norm

1 Eine der wenigen Forderungen der parlamentarischen Initiative (14.470) zur Stärkung des Schweizer Stiftungsstandorts von (Alt-)Ständerat Werner Luginbühl,

die von der zuständigen Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (RK-S) als politisch mehrheitsfähig erachtet wurde,
betraf die «Vereinfachung von Änderungen der Stiftungsurkunde durch unbürokratische Änderungen ohne notarielle Beurkundung» (Ziff. 4, erster Halbsatz). Mit dieser Forderung sollte auf den Umstand reagiert werden, dass Änderungen der Stiftungsurkunde, die von der zuständigen Umwandlungsbehörde mittels einer Änderungsverfügung angeordnet wurden, nach der Praxis gewisser Kantone notariell beglaubigt werden musste und in anderen Kantonen hingegen nicht.

II. Form von Änderungen der Stiftungsurkunde

2 Der am 1. Januar 2024 in Kraft getretene Art. 86c ZGB sieht nunmehr einheitlich für die gesamte Schweiz vor, dass Änderungsverfügungen der zuständigen Behörde ohne zusätzliche notarielle Urkunde möglich sind. Damit wird die – je nach kantonaler Praxis – drohende Doppelspurigkeit eliminiert, bei der eine Statutenänderung, die aufgrund einer hoheitlichen Änderungsverfügung erfolgt, zusätzlich öffentlich beurkundet werden muss. Vor dem Hintergrund der Funktionen der öffentlichen Beurkundung

(Übereilungsschutz; Umsetzung des wirklichen, vollständigen und unverfälschten Parteiwillens; Verkehrsschutz) ist zu konstatieren, dass diese durch die staatlich-hoheitliche Mitwirkung an der Urkundenänderung bereits gewährleistet sind. Deshalb ist die Neuerung zu begrüssen, führt sie doch zu einer Verfahrensbeschleunigung, ohne neue Schutzlücken entstehen zu lassen. Art. 86c ZGB findet auf (reine) Familienstiftung und kirchliche Stiftung keine Anwendung, da diese keiner staatlichen Aufsichtsbehörde unterstehen.

3 Die Statutenänderung muss dem Handelsregister bei «klassischen» Stiftungen und Personalfürsorgestiftungen von Amtes wegen durch die Umwandlungsbehörde gemeldet werden (Art. 97 Abs. 1 lit. c HRegV, allgemein zum Verfahren bei Statutenänderungen s. OK-Brugger/Humbel, Art. 85/86 ZGB N. 22).

Um zu gewährleisten, dass sowohl Stiftung als auch Stiftungsaufsichtsbehörde über eine vollständige Fassung der Stiftungsurkunde bzw. der Statuten verfügen, ist eine konsolidierte Fassung derselben zu erstellen, die neben den jüngsten Änderungen auch die bisherigen Bestimmungen enthält.

4 Diese vollständig neue Fassung muss gemäss Art. 22 Abs. 3 HRegV dem Handelsregisteramt als Beleg eingereicht werden.

Literaturverzeichnis

Arnet Ruth, «Form folgt Funktion» – Zur Bedeutung der öffentlichen Beurkundung im Immobiliarsachenrecht, ZBJV 149 (2013), S. 391 ff.

Grüninger Harold, in: Geiser Thomas/Fountoulakis Christiana (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1–456 ZGB, 7. Aufl., Basel 2022.

Riemer Hans Michael, Berner Kommentar, Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Die juristischen Personen, Die Stiftungen, Art. 80–89c ZGB, 2. Aufl., Bern 2020 (zit. BK-Riemer).

Fussnoten

  • Parlamentarische Initiative «Schweizer Stiftungsstandort. Stärkung» (14.470), eingereicht von (Alt-)Ständerat Werner Luginbühl https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20140470.
  • Vgl. Parlamentarische Initiative. Schweizer Stiftungsstandort, Stärkung. Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 22.2.2021 (BBl 2021 485); ferner Parlamentarische Initiative Schweizer Stiftungsstandort, Stärkung Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates vom 22.2.2021. Stellungnahme des Bundesrates (BBl 2021 1169).
  • Vgl. hierzu BBl 2021 485, S. 7, m.H.a. BK ZGB-Riemer, Vorbem. zu Art. 85–86b N. 9 und Merkblatt der BVG- und Stiftungsaufsicht beider Basel vom April 2016 zu den beiden möglichen Verfahren bei Urkundenänderungen nach Art. 86b ZGB (resp. nach Art. 62 Abs. 2 BVG in Verbindung mit Art. 86b ZGB) gemäss §10 der Ordnung über die Stiftungsaufsicht vom 23.1.2012 resp. § 7 der Ordnung über die berufliche Vorsorge vom 23.1.2012, abrufbar unter https://www.bsabb.ch/fileadmin/bsabb/user_upload/dokumente/Vorsorgeeinrichtungen/Merkblaetter/merkblatt_zum_vorgehen_bei_urkundenaenderungen_-_stand_april_2016.pdf.
  • Im Detail zum Zweck der öffentlichen Beurkundung im schweizerischen Recht (am Beispiel des Immobiliarsachenrechts), Arnet, ZBJV 149 (2013), S. 391, S. 399 ff.
  • OK-Brugger/Humbel, Art. 87 ZGB N. 14.
  • BSK ZGB I-Grüninger, Art. 85/86 N. 1; BK ZGB-Riemer, Vorbem. zu Art. 85–86b N. 9.
  • BBl 2021 485, S. 7.

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10.17176/20250708-173328-0

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