Eine Kommentierung von Massimo Chiasera
Herausgegeben von Damian K. Graf / Doris Hutzler
Art. 11 Straf- und Haftungsausschluss
1 Wer guten Glaubens Meldung nach Artikel 9 erstattet oder eine Vermögenssperre nach Artikel 10 vornimmt, kann nicht wegen Verletzung des Amts-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnisses belangt oder wegen Vertragsverletzung haftbar gemacht werden.
2 Dieser Straf- und Haftungsausschluss gilt auch für:
a. Finanzintermediäre, die Meldung nach Artikel 305ter Absatz 2 StGB erstatten;
b. Revisionsunternehmen, die Meldung nach Artikel 15 Absatz 5 erstatten;
c. Aufsichtsorganisationen nach Artikel 43a FINMAG, die Meldung nach Artikel 16 Absatz 1 erstatten;
d. Selbstregulierungsorganisationen, die Meldung nach Artikel 27 Absatz 4 erstatten.
I. Grundlagen und Zweck der Bestimmung
1 Der Straf- und Haftungsausschluss gemäss Art. 11 GwG befindet sich im zweiten Abschnitt des zweiten Kapitels unter dem Titel «Pflichten bei Geldwäschereiverdacht». Trotz der systematischen Einordnung dieser Bestimmung statuiert sie keine zusätzliche Pflicht. Vielmehr handelt es sich um eine Schutz- bzw. Entlastungsnorm zugunsten derjenigen Personen, Gesellschaften oder Behörden, welche zwecks Bekämpfung der Geldwäscherei verpflichtet sind, eine Geldwäschereimeldung zu erstatten bzw. eine Vermögenssperre vorzunehmen.
2 Art. 11 GwG soll gewährleisten, dass Finanzintermediäre, welche ihrer Pflicht zur Meldung verdächtigter Vermögenswerte im Sinne von Art. 9 GwG nachkommen bzw. von ihrem Melderecht nach Art. 305ter Abs. 2 StGB Gebrauch machen, keine zivilrechtlichen Schadenersatzpflichten und/oder strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben.
3 Gemäss Art. 14 StGB kann das Gesetz nicht dasselbe Verhalten vorschreiben oder erlauben und es gleichzeitig unter Strafe stellen.
4 Art. 11 GwG kommt im Normengefüge auch eine gewisse Signalwirkung zu, zumal die Eingliederung dieser Bestimmung im Geldwäschereigesetz ein bedeutendes Zeichen zugunsten der Finanzintermediäre setzt bzw. das Bekenntnis des Gesetzgebers zu einem vertrauenswürdigen Finanzplatz unterstreicht.
II. Sachlicher Anwendungsbereich des Straf- und Haftungsausschlusses
A. Meldung nach Art. 9 GwG
5 Unter Meldung ist die Übermittlung verdächtiger Transaktionen bzw. Geschäftsbeziehungen an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) zu verstehen. Art. 11 Abs. 1 GwG bezieht sich dabei auf Meldungen gemäss Art. 9 GwG, d.h. Meldungen im Rahmen der gesetzlichen Meldepflicht. Art. 11 Abs. 2 GwG klärt zusätzlich, dass derselbe Schutz gilt, wenn ein Finanzintermediär von seinem Melderecht gemäss Art. 305ter Abs. 2 StGB Gebrauch macht.
6 Meldungen an ausländische Meldestellen sowie die Bekanntgabe von Informationen an Dritte sind vom Anwendungsbereich des Art. 11 GwG ausgenommen.
B. Vermögenssperre nach Art. 10 GwG
7 Die Verdachtsmeldung stellt sowohl den zeitlichen bzw. chronologischen als auch den systematischen Ausgangspunkt der Vermögenssperre dar.
III. Persönlicher Anwendungsbereich des Straf- und Haftungsausschlusses
8 Nach dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 GwG gilt der Straf- und Haftungsausschluss für diejenigen Personen, die eine Meldung gemäss Art. 9 GwG erstatten oder eine Vermögenssperre gemäss Art. 10 GwG vornehmen.
9 Art. 11 GwG erfasst alle Personen, die in irgendeiner Weise an der Durchführung der Meldung oder Vermögenssperre beteiligt sind.
10 Seit dem 1.2.2009 werden auch ausdrücklich Selbstregulierungsorganisationen, die gemäss Art. 27 Abs. 4 GwG Meldungen erstatten, vom Geltungsbereich von Art. 11 GwG erfasst.
IV. Erfordernis des guten Glaubens
11 Der Verfolgungs- und Haftungsausschluss setzt voraus, dass die Meldung oder die Vermögenssperre in gutem Glauben erfolgt ist.
12 Art. 11 GwG schützt somit auch in Fällen, in denen sich nachträglich herausstellt, dass die Vermögenswerte nicht aus einem Verbrechen stammen.
13 Art. 11 GwG ist nicht nur relevant, um festzustellen, ob überhaupt eine Meldung oder eine Sperre angeordnet werden durfte, sondern auch bei der Beurteilung, wie der Finanzintermediär den Verdacht im Rahmen der Absetzung der Meldung begründet hat.
14 Das Bundesgericht bewertet den damit verbundenen Grad der gebotenen Aufmerksamkeit nach einem Durchschnittsmass an Aufmerksamkeit, welches der Redliche unter den gegebenen Umständen anzuwenden pflegt, wobei auch die Verkehrsübung in der betroffenen Branche berücksichtigt wird.
15 Der gute Glaube muss zum Zeitpunkt der Meldung bzw. der Vermögenssperre vorliegen.
V. Rechtsfolgen
16 Art. 11 GwG befreit Personen, die Meldungen nach Art. 9 GwG erstatten oder Vermögenssperren gemäss Art. 10 GwG durchführen, von zivil- und strafrechtlicher Verantwortlichkeit, da diese Personen «nicht wegen Verletzungen des Amts-, Berufs- oder Geschäftsgeheimnisses belangt» oder «wegen Vertragsverletzung haftbar gemacht werden können.»
17 Nicht abschliessend geklärt ist, ob der Strafausschluss von Art. 11 GwG trotz seines auf Geheimnisschutzpflichten beschränkten Wortlauts auch für Art. 173/174 StGB (Ehrverletzungsdelikte), Art. 303 StGB (falsche Anschuldigung) und Art. 304 StGB (Irreführung der Rechtspflege) gelten soll.
Literaturverzeichnis
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Hürlimann-Kaup Bettina, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Einleitungstitel des ZGB in den Jahren 2014 bis 2017 (2/2), ZBJV 155 (2029), S. 110 ff.
Hutzler Doris, Art. 11 Straf- und Haftungsausschluss, in: Ackermann, Jürg-Beat (Hrsg.), Kommentierung zu Kriminelles Vermögen – Kriminelle Organisation – Band II, Zürich 2018 (zit. KV-KO-Hutzler).
Lengauer Daniel/Ruckstuhl Lea, Recht für die Praxis, Compliance, Zürich 2017, S. 301 ff.
Luchsinger Roland J, Kommentierung zu Art. 11 GwG, in: Kunz Peter V./Jutzi Thomas/Schären Simon (Hrsg.), Geldwäschereigesetz, Stämpflis Handkommentar, Bern 2017.
Naef Francesco/Calvarese Daniele, I chiarimenti complementari nella lotta antiriciclaggio, NF 9 (2022), S. 488 ff.
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Porpiglia Gianni/Kunz Oliver M., Kommentierung zu Art.11 GwG, in: Peter Ch. Hsu/Daniel Flühmann (Hrsg.), Basler Kommentar zum Geldwäschereigesetz, Basel 2021 (zit. BSK-Porpiglia/Kunz).
Schären Simon, Die Vermögenssperre als Instrument der Geldwäschereibekämpfung, GesKR 2018, S. 322 ff.
Strasser Othmar, Aufsichts- und verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in der Geldwäschereibekämpfung von Banken, SJZ 118 (2022), S. 691 ff.
Strasser Othmar, Die Geldwäscherei-Strafbestimmung von Art. 305bis StGB als Schutznorm für geschädigte Anleger? in: Cavallo Angela et al. (Hrsg.), Liber Amicorum für Andreas Donatsch: Im Einsatz für Wissenschaft, Lehre und Praxis, Zürich 2012, S. 867 ff.
Thelesklaf Daniel, Kommentierung zu Art. 11 GwG, in: Thelesklaf Daniel/Wyss Ralph/Van Thiel Mark/Ordolli Stiliano (Hrsg.), GwG/AMLA, Orell Füssli Kommentar, 3. Aufl., Zürich 2019.
Materialienverzeichnis
Botschaft zum Bundesgesetz zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG) vom 17.6.1996, BBl 1996 III 1101 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1996/3_1101_1057_993/de, besucht am 11.7.2025 (zit. Botschaft GwG 1996).
Fussnoten
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 6 f.; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 6; KV-KO-Hutzler, Art. 11 GwG N. 1.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 37 und N. 39.
- Botschaft GwG 1996, S. 1134; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 2 f.; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 15 und N. 18; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 4.
- Die Financial Action Task Force (FATF) ist eine internationale Vereinigung, die dazu dient, Massnahmen zur Bekämpfung der Geldwäscherei und zum Kampf gegen die Terrorismus- und Proliferationsfinanzierung zu entwickeln und zu fördern.
- Die bundesrätliche Formulierung basierte auf einer entsprechenden Empfehlung der FATF: Bereits die kurz nach deren Gründung im April 1990 FATF-Empfehlungen 1990 sahen nämlich nicht nur die Einführung eines Melderechts oder einer Meldepflicht vor. Vielmehr wurden die Staaten aufgefordert, gleichzeitig gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, um die Finanzinstitute und ihre Mitarbeitenden vor straf- oder zivilrechtlicher Haftung zu schützen, sofern die Meldung in gutem Glauben erstattet wird («there should be legal provisions to protect financial institutions and their employees from criminal or civil liability for breach of any restriction on disclosure of information imposed by contract or by any legislative, regulatory or administrative provision, if they report in good faith, in disclosing suspect criminal activity to the competent authorities, even if they did not know precisely what the underlying criminal activity was, and regardless of whether illegal activity actually occurred»: FATF-Empfehlungen 1990, Nr. 16; weitgehend ähnlich auch die FATF-Empfehlungen 2003, Nr. 14(a), sowie FATF-Empfehlungen 2012, Nr. 21[b]).
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 16; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 1; OFK-Thelesklaf, Art. 11 GwG N. 1.
- BSK-Niggli/Göhlich, Vor Art. 14 StGB N. 5; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N.21; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 16 f.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 17; KV-KO-Hutzler, Art. 11 GwG N. 13.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 18.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 23; KV-KO-Hutzler, Art. 11 GwG N. 10.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 25 f.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 26.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 26.
- Schären, S. 327.
- Schären, S. 325.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 28.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 29.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 26.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 30.
- KV-KO-Hutzler, Art. 11 GwG N. 18; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 30.
- Siehe oben, N. 5 ff.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 7.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 37 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 37 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 38 f.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 39.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 9; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 42.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 11; Schären, S. 333.
- Schären, S. 326 e contrario; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 43; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 10, m.w.H.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 13 f.; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 49; Herren, S. 118.
- KV-OK-Hutzler, Art. 11 GwG N. 5; SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 14.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 49.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 50.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 59 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 59 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 50 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 50.
- OFK-Thelesklaf, Art. 11 GwG N. 2; KV-KO-Hutzler, Art. 11 GwG N. 5; Lengauer/Ruckstuhl, Compliance, N. 751.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 14 ff.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 18.
- BGE 113 II 397, E. 2b.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 69.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 77 ff.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 77.
- BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 77.
- CR-Bovet/Bacharach, Art. 11 GwG N. 27.
- SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 19; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 80.
- Befürwortend: SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 21; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 95.
- Siehe oben, N. 15.
- Zustimmend: SHK-Luchsinger, Art. 11 GwG N. 21; BSK-Porpiglia/Kunz, Art. 11 GwG N. 95.
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