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BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
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ZIVILGESETZBUCH
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DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Einleitende Hinweise zur Meinungsfreiheit und zur Informationsfreiheit
- II. Meinungsfreiheit (Art. 16 Abs. 1 und 2 BV)
- III. Informationsfreiheit (Art. 16 Abs. 1 und 3 BV)
- Weitere empfohlene Lektüre
- Literaturverzeichnis
- Materialienverzeichnis
I. Einleitende Hinweise zur Meinungsfreiheit und zur Informationsfreiheit
A. Entstehungsgeschichte
1 Die Forderung nach Freiheit der Rede und Meinungsäusserung lässt sich ideengeschichtlich bis in die Antike zurückverfolgen.
2 Erstmals positivrechtlich verankert wurde die Meinungsfreiheit in den Grundrechtskatalogen und Menschenrechtserklärungen des späten 18. Jahrhunderts.
3 In der Schweiz war die Meinungsfreiheit weder im Text der Bundesverfassung von 1848 noch in der Verfassung von 1874 verankert; beide früheren Verfassungen garantierten jedoch in Art. 45 aBV (1848) respektive Art. 55 aBV (1874) die Pressefreiheit.
4 Zu ihrem Status als Grundrecht der Bundesverfassung kam die Meinungsfreiheit schliesslich in den 1960er-Jahren: In einem Entscheid von 1961 bezeichnete das Bundesgericht die Meinungsfreiheit als «grundlegendes Prinzip» des Bundesrechts und des kantonalen Rechts
5 Im Kontext dieser Entwicklung des ungeschriebenen Grundrechts der Meinungsfreiheit stellte sich dem Bundesgericht im Jahr 1978 die Frage, ob die Informationsfreiheit – als Recht auf Zugang zu Behördeninformationen – ebenfalls als ungeschriebenes Grundrecht der Bundesverfassung zu anerkennen sei.
6 Mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 wurden die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit in Art. 16 BV verankert. Dem Gedanken der Nachführung folgend beschränkte sich der Verfassungsgeber auf eine Verschriftlichung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung; auf die Verankerung weiter gefasster Garantien, etwa der Informationsfreiheit, wurde deshalb verzichtet.
B. Rechtsvergleichende Hinweise und Völkerrecht
7 Auf Ebene des internationalen Rechts sind die Meinungs- und die Informationsfreiheit unter anderem in Art. 10 EMRK und Art. 19 und 20 UNO-Pakt II garantiert.
8 Für die Auslegung und Konkretisierung von Art. 16 BV ist insbesondere die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK von Bedeutung. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung orientiert sich seit der Ratifikation der Konvention durch die Schweiz massgeblich an der dynamischen Rechtsprechung
9 Einen parallelen Schutz von Meinungsäusserungen vermitteln zudem die Garantien von Art. 19 und 20 UNO-Pakt II.
10 Alle Verfassungen mit Grundrechtskatalogen garantieren heute explizit ein Grundrecht der Meinungsfreiheit;
C. Verhältnis zu anderen Bestimmungen der Bundesverfassung
11 Die Meinungsfreiheit wird im Gefüge der Kommunikationsgrundrechte häufig als «subsidiäres Auffanggrundrecht»
12 Während die Meinungsfreiheit als grundlegende Bestimmung der Kommunikationsgrundrechte Meinungsäusserungen und Kommunikation allgemein schützt, vermitteln die spezifischen Grundrechte der Medienfreiheit (Art. 17 BV), der Sprachenfreiheit (Art. 18 BV), der Wissenschaftsfreiheit (Art. 20 BV), der Kunstfreiheit (Art. 21 BV), der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV), der Vereinigungsfreiheit (Art. 23 BV), des Petitionsrechts (Art. 33 BV) und der politischen Rechte (Art. 34 BV)
13 Ähnlich verhält sich auch die Informationsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 1 und 3 BV zu Ansprüchen auf Informationszugang im Rahmen der anderen, spezifischen Kommunikationsgrundrechte. So schützt das Bundesgericht etwa den Anspruch auf Zugang zu behördlichen Informationen bei Medienschaffenden primär im Rahmen der Medienfreiheit gemäss Art. 17 BV. Damit trägt es dem speziellen, im Vergleich zu anderen Kommunikationsgrundrechten gesteigerten Informationsbedürfnis von Medienschaffenden und ihrer Rolle in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung.
14 In Bezug auf kommerzielle Werbung hält das Bundesgericht und mit ihm mehrere Stimmen in der Lehre fest, dass diese Art der Kommunikation nicht im Rahmen der Meinungsfreiheit gemäss Art. 16 Abs. 1 und 2 BV, sondern im Rahmen der Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV geschützt sei (zur Abgrenzung zwischen kommerziellen und ideellen Äusserungen unten N. 22).
D. Schutzzwecke und Funktionen
15 Die Garantie der Meinungsfreiheit erfüllt eine das Individuum schützende, aber auch eine gesellschaftliche bzw. demokratische Funktion.
16 Über diese das Individuum schützende Funktion hinaus begründet sich der Schutz der Meinungsfreiheit und der Kommunikationsgrundrechte allgemein aus der grundlegenden Bedeutung freier Meinungsäusserung als Mittel und Voraussetzung der gesellschaftlichen und demokratischen Willensbildung.
17 Die Charakterisierung der Meinungsfreiheit als «unabdingbare Voraussetzung» für gesellschaftliche und demokratische Verfahren der Meinungsbildung
18 Die demokratische Bedeutung der Meinungsfreiheit erschöpft sich indessen nicht in ihrer Rolle als notwendige Voraussetzung gesellschaftlicher Debatten und demokratischer Willensbildung: Der Meinungsfreiheit kommt darüber hinaus die wichtige Funktion der Kontrolle staatlicher Macht durch begleitende Kritik und öffentliche Debatte zu.
19 Die zentrale Bedeutung der Meinungsfreiheit als Voraussetzung sowohl demokratischer und gesellschaftlicher Willensbildung wie auch der Persönlichkeitsentfaltung des Individuums begründet die besondere Stellung der Meinungsfreiheit und der Kommunikationsgrundrechte insgesamt im Gefüge der Grundrechte.
II. Meinungsfreiheit (Art. 16 Abs. 1 und 2 BV)
A. Sachlicher Schutzbereich
1. Begriff der Meinung
20 Als Meinungen i.S.v. Art. 16 Abs. 1 und 2 BV gelten Informationen und Gedankengut jeder Art, welche von Personen an Dritte kommuniziert werden können.
21 Als geschützte Meinungen gelten gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung «die Gesamtheit der Mitteilungen menschlichen Denkens»;
22 Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 16 Abs. 1 und 2 BV ist gemäss Bundesgericht beschränkt auf sog. ideelle Äusserungen. Kommerzielle Äusserungen, d.h. «Äusserungen, die auf eine wirtschaftliche Transaktion zielen (insbesondere Werbung) oder ausschliesslich im Zusammenhang mit solchen Transaktionen erfolgen»,
23 Der Begriff der Meinung i.S.v. Art. 16 Abs. 1 und 2 BV erfasst nicht nur verbale Äusserungen in Schrift oder Wort, sondern auch nonverbale Äusserungen
24 Der verfassungsrechtliche Begriff der Meinung ist auch in Bezug auf die geschützten Inhalte weit zu verstehen
25 Insofern ist der Begriff der Meinung nach Art. 16 Abs. 1 und 2 BV weiter als beispielsweise derjenige im deutschen Verfassungsrecht,
2. Geschützte Teilgehalte und Ansprüche
26 Die Meinungsfreiheit schützt die Grundrechtsträger gemäss Art. 16 Abs. 2 BV darin, «ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten». Das Individuum ist somit in seinem Recht geschützt, sich seine Meinung frei zu bilden, eine Meinung zu haben und diese auch nach aussen kundzutun.
27 Das Recht jedes Einzelnen, sich eine Meinung zu bilden, setzt insbesondere voraus, dass die Grundrechtsträger Zugang zu Informationen und Meinungen Anderer haben. Aus diesem Grund ist dieser Aspekt der Meinungsfreiheit eng mit dem Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 16 Abs. 3 BV) sowie den in Art. 34 Abs. 2 BV spezifisch geschützten Garantien im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen verbunden.
28 Das Recht, eine Meinung zu haben, ist «Grundlage der Freiheit, eine Meinung zu äussern».
29 Als Meinungsäusserungsfreiheit garantiert Art. 16 Abs. 1 und 2 BV dem Grundrechtsträger darüber hinaus auch das Recht, die eigene Meinung zu äussern, sie also nach aussen kundzutun und an andere zu verbreiten. Das geschützte Recht, eine Meinung zu äussern, umfasst insbesondere auch das Recht, sich nicht zu äussern oder zu schweigen.
30 In ihrer subjektiv-rechtlichen Dimension vermittelt die Meinungsfreiheit den geschützten Grundrechtsträgern verschiedene justiziable Ansprüche. Als Abwehrrecht schützt die Garantie vor direkten, indirekten, vorgängigen, nachträglichen, rechtlichen und faktischen Eingriffen in das Grundrecht.
31 Staatliche Leistungspflichten konkretisieren sich sodann auch in der Gewährleistung von Ansprüchen auf Organisation und Verfahren.
3. Kerngehalt
32 Als Kerngehalt der Meinungsfreiheit – d.h. als besonders schutzwürdiger und schutzbedürftiger Inhalt, welcher unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf
33 Unter dem Begriff der (absolut verbotenen) Zensur i.S.v. Art. 17 Abs. 2 BV wird nach wohl h.L. primär die systematische und vorgängige Inhaltskontrolle von Meinungsäusserungen verstanden.
34 Das absolute Verbot der Zensur in diesem Sinne lässt sich aus der Bedeutung der Meinungsfreiheit für die gesellschaftliche Meinungsbildung herleiten: Zensur i.S.v. Art. 17 Abs. 2 BV hat zur Folge, dass die in der öffentlichen Diskussion zulässigen Meinungen präventiv beschränkt und damit über das inhaltlich zulässige Meinungsspektrum bestimmt wird.
35 Neben dem Zensurverbot ebenfalls als Kerngehalt geschützt ist das sogenannte forum internum.
B. Persönlicher Schutzbereich
36 Der Schutz der Meinungsfreiheit kommt allen natürlichen und juristischen Personen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit zu.
37 Insbesondere schützt das Grundrecht auch Personen in Sonderstatusverhältnissen (öffentlich-rechtliche Angestellte
38 Nicht Träger der Meinungsfreiheit sind Staatsorgane und Behörden – sie hingegen sind grundrechtsverpflichtet.
39 In Bezug auf die Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen mit besonderer Nähe zum Staat
40 Auch (teil-)automatisierte Äusserungen sind grundsätzlich als Meinungsäusserungen zu schützen (vgl. Ausführungen oben N. 21). Daraus folgt jedoch nicht, dass Programme, die Meinungsäusserungen generieren, Träger der Meinungsfreiheit wären.
C. Einschränkungen der Meinungsfreiheit
1. Schutzintensitäten
41 Die Meinungsfreiheit schützt Äusserungen unabhängig von deren Inhalt und gesellschaftlichem Wert. Nicht alle Äusserungen werden dabei jedoch gleich intensiv geschützt. Aus den Funktionen der Meinungsfreiheit ergibt sich, dass einzelne Äusserungen aufgrund ihres Inhalts im Kern der Anliegen der Meinungsfreiheit liegen, während andere zwar ebenfalls geschützt sind, ihr Schutz jedoch aufgrund eines weniger engen Konnexes zu den Funktionen des Grundrechts weniger intensiv ist.
42 Ausdruck finden diese unterschiedlichen Schutzintensitäten einerseits durch erhöhte materielle Anforderungen an die Einschränkungen intensiver geschützter Äusserungen und andererseits – gerade in der Rechtsprechung des EGMR
43 Als besonders schutzwürdig gelten insbesondere Meinungsäusserungen zu Themen von gesellschaftlichem Interesse, die sog. «politische Kommunikation».
44 Auch Kunst ist aufgrund ihrer Bedeutung in einer demokratischen Gesellschaft besonders geschützt.
45 Weniger intensiv ist der Schutz durch die Meinungsfreiheit für rassistische, revisionistische, zu Gewalt aufrufende, pornografische oder andere Meinungsäusserungen mit qualifiziert verwerflichen Inhalten
2. Begriff und Arten des Eingriffs
46 Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind grundsätzlich nach den Voraussetzungen von Art. 36 BV zu beurteilen.
47 Vorgängige oder präventive Einschränkungen der Meinungsfreiheit verhindern, dass die betreffenden Informationen erst verbreitet werden können und haben damit zur Folge, dass die entsprechenden Meinungen gar nicht erst Eingang in die öffentliche Debatte finden können. Solche Massnahmen, etwa in der Form von vorsorglichen Massnahmen im Zivilprozess nach Art. 261 ff. ZPO, stellen deshalb besonders intensive Eingriffe in die Meinungsfreiheit dar.
48 Im Gegensatz dazu gelten nachträglich wirkende Einschränkungen wie beispielsweise straf- oder zivilrechtliche Sanktionen
49 Wiederum als tendenziell problematisch gelten inhaltsbezogene Einschränkungen, dies in Abgrenzung zu Eingriffen, die als Beschränkungen von Äusserungen zu einem bestimmten Ort oder einer bestimmten Zeit grundsätzlich
50 Nicht nur rechtliche, sondern auch faktische Beeinträchtigungen der Äusserung einer Meinung wie beispielsweise der Einzug von Schriften
51 Im Kontext der Meinungsfreiheit erlangen mittelbare Einschränkungen durch einen sogenannten chilling effect
3. Beurteilung von Einschränkungen nach Art. 36 BV
a. Gesetzliche Grundlage (Art. 36 Abs. 1 BV)
52 Einschränkungen der Meinungsfreiheit bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 1 BV einer gesetzlichen Grundlage, d.h. einer Grundlage in Form einer generell-abstrakten Norm.
53 Je schwerwiegender der Eingriff im konkreten Fall ist, umso höhere Anforderungen sind an die Normstufe und Normdichte der jeweiligen Eingriffsgrundlage zu stellen. So sieht die Bundesverfassung in Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV bezüglich der Anforderung an die Normstufe vor, dass schwerwiegende Einschränkungen im Gesetz selbst vorgesehen sein müssen. In Bezug auf die Normdichte hält der EGMR in seiner Rechtsprechung fest, dass die betreffende gesetzliche Grundlage so präzise formuliert sein muss, dass die Rechtsbetroffenen ihr Verhalten danach ausrichten können und die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einer gewissen Bestimmtheit absehen können.
54 Einschränkungen der Meinungsfreiheit erfolgen in vielen Fällen gestützt auf verschiedene Rechtsgrundlagen im Zivilrecht (insb. Art. 28 ff. ZGB)
55 Rechtsprechung und Lehre halten fest, dass die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage in Sonderstatusverhältnissen unter Umständen weniger streng sind. Dies gilt primär für Normen, welche die konkrete Ausgestaltung des Sonderstatusverhältnisses regeln; hierbei sind sowohl die Erfordernisse der Normstufe als auch jene der Normdichte weniger streng zu handhaben. Bezüglich der Normen zur Begründung des jeweiligen Rechtsverhältnisses sind die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage hingegen nicht gesenkt.
56 Die gesetzlichen Bestimmungen, welche als Grundlage der Einschränkung von Meinungsäusserungen dienen, sind jeweils im Licht von Art. 16 BV grundrechtskonform auszulegen und anzuwenden (vgl. zur indirekten Drittwirkung und grundrechtskonformen Auslegung auch unten N. 76 f.).
57 Ausnahmsweise – beim Vorliegen einer ernsten, unmittelbaren und nicht anders abwendbaren Gefahr für hochrangige Rechtsgüter
b. Öffentliches Interesse und Schutz von Grundrechten Dritter (Art. 36 Abs. 2 BV)
58 Einschränkungen der Meinungsfreiheit müssen gemäss Art. 36 Abs. 2 BV durch ein überwiegendes öffentliches Interesse oder den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.
59 Art. 36 Abs. 2 BV kennt keinen abschliessenden Katalog von möglichen öffentlichen Interessen zur Einschränkung des Grundrechts.
60 Nicht zulässig sind Einschränkungen zum Schutz von Interessen, die der Schutzrichtung des Grundrechts im Kern zuwiderlaufen.
c. Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV)
61 Einschränkungen der Meinungsfreiheit müssen nach Art. 36 Abs. 3 BV verhältnismässig sein. Als verhältnismässig gilt eine Einschränkung, wenn sie zum Erreichen des angestrebten staatlichen Ziels geeignet und erforderlich ist und wenn die Massnahme für den oder die Grundrechtsbetroffenen zumutbar ist.
62 In der Überprüfung der Verhältnismässigkeit und insbesondere der Zumutbarkeit von Einschränkungen der Meinungsfreiheit verweist der EGMR regelmässig auf die Bedeutung des Grundrechts für eine demokratische Gesellschaft.
63 In Bezug auf die Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit ebenfalls relevant ist die Stellung der von einer Äusserung betroffenen Person, insbesondere im Kontext von ehrverletzenden Äusserungen. Politikerinnen und Politiker sowie andere Personen des öffentlichen Lebens
64 Sodann berücksichtigen Lehre und Rechtsprechung in der Beurteilung der Verhältnismässigkeit von Einschränkungen der Meinungsfreiheit auch den Status der sich äussernden Person(en). Wie in N. 37 erwähnt, rechtfertigen sich für Personen in Sonderstatusverhältnissen u.U. weitergehende Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Der EGMR und das Bundesgericht anerkennen, dass sich aus der Stellung und Treuepflicht von öffentlich-rechtlichen Angestellten, Lehrpersonen, Beamtinnen und Richtern eine gewisse Pflicht zur Zurückhaltung respektive ein Grund zur Einschränkung der Meinungsfreiheit ergeben kann.
65 Auch Schülerinnen und Schüler sowie Studierende befinden sich im (Hoch-)Schulkontext in einem Sonderstatusverhältnis. Allerdings hebt das Bundesgericht bereits in seiner älteren Rechtsprechung hervor, dass Schülerinnen und Schüler bzw. Studierende durch die Meinungsfreiheit geschützt sind und für rechtlich zulässige und mit den Pflichten aus dem Sonderstatusverhältnis vereinbare Äusserungen nicht sanktioniert werden dürfen.
66 Spezifisch beurteilt wird in der Rechtsprechung darüber hinaus die Meinungsfreiheit von Ärztinnen und Anwälten: Während bei Ärztinnen die Berufsethik Einschränkungen der Meinungsfreiheit erlaubt,
67 Besondere Kriterien der Beurteilung der Verhältnismässigkeit hat der EGMR in der Beurteilung von Sanktionen von Arbeitnehmenden für Whistleblowing
68 Wie in N. 36 erwähnt, erstreckt sich der persönliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit in gleichem Masse auch auf Personen ohne Schweizer Staatsangehörigkeit. Art. 16 EMRK sieht zwar die Möglichkeit von (zusätzlichen) Einschränkungen von u.a. Art. 10 EMRK für die «politische Tätigkeit ausländischer Personen» vor. Eine entsprechende Haltung beeinflusste auch das Verständnis der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Schweiz lange: So unterstellte der «Bundesratsbeschluss betreffend politische Rede von Ausländern»
69 Zu den relevanten, konkreten Umständen, die im Einzelfall für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit mit zu berücksichtigen sind, zählt sodann die Intensität der Rechtsgutsverletzung. Um diese zu beurteilen, werden der Kontext, das gewählte Mittel, die Form oder die Auswirkungen der Äusserung im konkreten Fall berücksichtigt: Als Element des Kontexts mit einbezogen werden beispielsweise bei der Beurteilung einer mutmasslich persönlichkeitsverletzenden Äusserung dieser vorhergehende Ereignisse etwa im Rahmen einer hitzigen politischen Debatte.
70 Die Beurteilung ehrverletzender Äusserungen und die Verhältnismässigkeit ihrer Einschränkungen spielten in der Praxis eine wichtige Rolle. Zusätzlich zu den Überlegungen zur Schutzwürdigkeit (N. 62), der betroffenen und sich äussernden Personen (N. 63 ff.) sowie dem Kontext (N. 69), ist für die Frage der Zumutbarkeit der Einschränkung von ehrverletzenden Äusserungen regelmässig die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und wertenden Äusserungen relevant. Die Zulässigkeit von Äusserungen über Tatsachen beurteilt sich primär danach, ob sie wahr oder unwahr sind.
71 Relevant ist in der Rechtsprechung auch die Beurteilung der Verhältnismässigkeit von Einschränkungen der Meinungsfreiheit zum Schutz von Interessen der Allgemeinheit, wie der öffentlichen Gesundheit,
72 Ebenfalls als eine Frage der Verhältnismässigkeit der Einschränkung der Meinungsfreiheit thematisiert wird in der Rechtsprechung des EGMR die Frage der Verantwortlichkeit für Äusserungen Dritter, insbesondere auf Social-Media-Plattformen.
73 Auch eine Frage der Verantwortlichkeit – allerdings für eigene Äusserungen und nicht für Äusserungen Dritter – stellt sich bei der Einschränkung von Meinungsäusserungen für ausgewählte Amtsträger: So gewährleistet Art. 162 Abs. 1 BV ausgewählten Amtsträgern auf Bundesebene Immunität für Äusserungen in den Räten und in deren Organen und schafft in Abs. 2 die Möglichkeit weiterer Formen von Immunität.
74 In die Beurteilung der Verhältnismässigkeit eines Eingriffs fliessen zudem die Art und Höhe allfälliger Sanktionen mit ein.
D. Objektiv-rechtliche Dimension der Meinungsfreiheit
1. Verwirklichung der Meinungsfreiheit
75 Gemäss Art. 35 Abs. 1 BV sollen die Grundrechte als objektive Grundsatznormen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen. Die Meinungsfreiheit wirkt damit nicht nur als subjektiv-rechtlicher Gehalt, der dem Individuum Ansprüche auf Abwehr, Schutz oder Leistung vermittelt, sondern sie verpflichtet in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension die Behörden auch, die erforderlichen Massnahmen für ihre Verwirklichung zu treffen.
76 So konkretisiert sich die Meinungsfreiheit zum einen als Richtschnur der Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Bestimmungen. Dies betrifft in der Rechtsprechung häufig die grundrechtskonforme Auslegung
77 In ihrer programmatischen Dimension verpflichtet die Meinungsfreiheit den Gesetzgeber in Anwendung von Art. 35 Abs. 1 BV zu einer grundrechtskonformen und die Grundrechte verwirklichenden Gesetzgebung, welche einen Kommunikationsrahmen sichert, in welchem das Grundrecht die ihm zugedachten individuellen und gesellschaftlichen Funktionen wahrnehmen kann.
2. Objektiv-rechtliche Dimension bei der Internet-Kommunikation im Besonderen
78 Aktuell werfen insbesondere die Internet-Kommunikation und in diesem Zusammenhang auftretende Gefährdungen für die öffentliche Kommunikation und relevante Kommunikationsstrukturen Fragestellungen der Verwirklichung der Kommunikationsgrundrechte auf.
79 Erste Regelungen in dieser Hinsicht – so etwa das deutsche NetzDG
80 Für Meinungsäusserungen im Vorfeld von Wahlen verpflichten die entsprechenden französischen Bestimmungen
81 In einem rechtlich diffusen Bereich sind sodann die bereits seit 2016 (überarbeitet im Jahr 2022) respektive 2018 bestehenden informellen Absprachen
82 Rechtlich bislang ungeklärt ist die Frage, inwiefern zum Schutz kommunikationsgrundrechtlicher Strukturen rechtliche Rahmenbedingungen für grosse Plattformen bezüglich der Löschung oder Sperrung von Inhalten und Konten für «legale» Äusserungen gestützt auf eigene «Hausregeln» notwendig sind. In der Literatur wird in der Regel davon ausgegangen, dass entsprechende Löschungen oder Sperren gestützt auf die Wirtschaftsfreiheit der Betreiber grundsätzlich zulässig seien,
83 Vom U.S. Supreme Court nicht abschliessend beantwortet wurden im Sommer 2023 Fragen im Zusammenhang mit der algorithmischen Sortierung und Empfehlung von Beiträgen gestützt auf Such- und Ansichtsverlauf auf Social-Media-Plattformen.
84 Noch weitgehend unklar ist auch die Frage, ob – und falls ja, wie – aus kommunikationsgrundrechtlicher Perspektive mit der engen Verknüpfung zwischen der wirtschaftlichen Macht der wenigen grossen Plattformbetreiber und ihrer ebenso bedeutsamen Macht bzw. Hoheit über Kommunikationsräume und damit Kommunikationsinhalte rechtlich umzugehen ist.
85 Wichtig scheint im Umgang mit diesen ungeklärten Fragen allgemein, dass der Zweck allfälliger (künftiger) Regulierungsmodelle nicht vergessen geht. Entsprechende Ansätze sollen relevante Kommunikationsprozesse und -strukturen sichern und so die individuellen und gesellschaftlichen Funktionen der Meinungsfreiheit garantieren. Aus diesem Regulierungszweck lassen sich so auch Anforderungen formulieren, wie diese Regulierungsansätze auszugestalten oder eben nicht auszugestalten sind.
86 So wäre es m.E. unzulässig, Anbieter von Plattformen zur Löschung oder sonstigen Moderation von «Falschinformationen» zu verpflichten. Eine derartige Pflicht des Vorgehens gegen «falsche» Äusserungen stünde im Widerspruch zu einem der zentralen Gedanken der Meinungsfreiheit, wonach das Mittel gegen falsche und schädliche Äusserungen grundsätzlich nicht Verbote, sondern die Gegenrede sind
87 Aus ähnlichen Überlegungen mag beispielsweise auch eine Klarnamenpflicht für Interaktionen auf sozialen Netzwerken als Massnahme gegen (oft anonym abgegebene) hetzerische, ehrverletzende oder ähnliche «schädliche» Äusserungen zunächst sinnvoll erscheinen.
III. Informationsfreiheit (Art. 16 Abs. 1 und 3 BV)
A. Aktive und passive Informationsfreiheit
88 Art. 16 Abs. 1 BV schützt neben der Meinungsfreiheit die Informationsfreiheit und garantiert – konkretisiert in Abs. 3 derselben Bestimmung – jeder Person das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten.
89 Die so formulierte Informationsfreiheit garantiert einerseits die passive Informationsfreiheit (auch Empfangsfreiheit genannt
90 Andererseits schützt Art. 16 Abs. 1 und 3 BV auch die aktive Informationsfreiheit und damit ein Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen. Allerdings ist diese aktive Seite des Grundrechts gemäss Abs. 3 der Bestimmung auf Informationen «aus allgemein zugänglichen Quellen» beschränkt. Damit bestätigt der Wortlaut der Verfassung die alte Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die Informationsfreiheit keine staatliche Pflicht begründe, «dass die Behörden über ihre Tätigkeit zu informieren hätten» und sich deshalb ein Recht auf Zugang auf «allgemein zugängliche Quellen» beschränke.
91 Welche Quellen als allgemein zugänglich gelten, ergibt sich primär aus dem einfachen Gesetzesrecht.
B. Grundsatz der Öffentlichkeit der Verwaltung
92 Faktisch wird die Beschränkung auf allgemein zugängliche Quellen auf Bundesebene seit 2006 durch das Öffentlichkeitsgesetz des Bundes (BGÖ) stark relativiert: Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2006 wurde auf Gesetzesebene im Bund der Wechsel vom Prinzip der Geheimhaltung hin zum Grundsatz der Öffentlichkeit der Verwaltung vollzogen.
93 Während für den Zugang zu amtlichen Dokumenten gemäss Art. 17 Abs. 1 BGÖ bisher «in der Regel eine Gebühr erhoben» wurde, sieht die revidierte Bestimmung seit November 2023 vor, dass «in Verfahren für den Zugang zu amtlichen Dokumenten […] keine Gebühren erhoben» werden. Diese Änderung vom Grundsatz der Gebührenpflicht zum Grundsatz der Gebührenfreiheit ist zu begrüssen.
94 Auch auf kantonaler Ebene fand in den letzten Jahren eine stetige Entwicklung statt hin zur Verankerung eines Grundsatzes der Öffentlichkeit der Verwaltung. So garantiert heute eine überwiegende Mehrzahl der Kantone das Öffentlichkeitsprinzip und damit ein grundsätzlich voraussetzungsloses Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen der Verwaltung in der Kantonsverfassung oder verankert ein solches auf Gesetzesebene.
95 Eine Entwicklung hin zur grundsätzlichen Öffentlichkeit von amtlichen Informationen als Teilgehalt der Informationsfreiheit lässt sich auch im Völkerrecht feststellen
C. Weiterentwicklung der aktiven Informationsfreiheit?
96 Mit Blick auf die in N. 92 bis 95 geschilderten Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte
Zur Autorin
Prof. Dr. Raphaela Cueni, LL.M. ist Assistenzprofessorin für Verwaltungsrecht an der Universität St. Gallen. Sie forscht seit mehreren Jahren u.a. zu rechtlichen Fragestellungen im Bereich der Kommunikationsgrundrechte. Kontakt: raphaela.cueni@unisg.ch
Weitere empfohlene Lektüre
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Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20.11.1996, BBl 1997 I 1 ff. (zit. Botschaft BV).
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