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Kommentierung zu
Art. 39 BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

1 Art. 39 BPR geht auf Art. 15 NWG 1919 zurück, der die Kantonsregierungen verpflichtete, die Zahl der Kandidatenstimmen, die Zahl der Zusatzstimmen, die daraus gebildete Summe der Parteistimmenzahl und die Gesamtzahl der auf eine Listengruppe vereinigten Stimmen festzustellen. Dies entspricht Art. 39 lit. c, d, e und f BPR. Weder im Nationalrat

noch im Ständerat
fanden beim Erlass des NWG 1919 Diskussionen hierzu statt.

2 Beim Erlass des BPR 1976 wurde die bis dahin bereits übliche Praxis, die leeren Stimmen aufzuführen, gesetzlich verankert.

Die Bestimmung ist heute in Art. 39 lit. g BPR enthalten. Art. 39 lit. a und lit. b BPR wurden auf Antrag der Kommission des Nationalrates eingefügt und im Nationalrat ohne Debatte angenommen (zunächst als Art. 37).
Der Ständerat schloss sich dem Nationalrat ohne Diskussion an.

3 Art. 39 BPR ist seitdem unverändert geblieben.

II. Bedeutung der Vorschrift

A. Allgemeines

4 Art. 39 BPR ist zunächst technischer Natur, indem die Vorschrift Anordnungen trifft, welche Feststellungen die Kantone nach Schluss der Wahl zu treffen haben. Es geht darum, wie die Wahlergebnisse im kantonalen Amtsblatt aufbereitet werden. Die Angaben fliessen in den vom Bundesrat jeweils verfassten Bericht an den Nationalrat über die Nationalratswahlen

ein. Die Zusammenstellung der Ergebnisse dient der Nachvollziehbarkeit seitens der Wahlberechtigten wie auch der Kandidierenden und schützt auf diese Weise mittelbar die Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BPR). Die Zusammenstellung der Ergebnisse kann dabei Anlass für die Erhebung einer Beschwerde wegen Unregelmässigkeiten bei der Durchführung der Nationalratswahlen (Wahlbeschwerde) gemäss Art. 77 Abs. 1 lit. c BPR bieten bzw. die faktischen Grundlagen für die Begründung und die gerichtliche Beurteilung der Beschwerde liefern.

5 Darüber hinaus enthält Art. 39 BPR inhaltliche Aussagen, die sich in vergleichbarer Deutlichkeit ansonsten nicht im BPR finden. Von herausgehobener Bedeutung ist die Definition in lit. e. Danach setzen sich die Parteistimmen aus der Summe der Kandidaten- und Zusatzstimmen der einzelnen Listen zusammen. Die Parteistimmen sind der massgebende Faktor für die Verteilung der Nationalratsmandate auf die Listen (Art. 40, Art. 41 BPR).

Auch die Definition der Kandidatenstimmen als Zahl der Stimmen, welche die einzelnen Kandidaten jeder Liste erhalten haben (lit. c), liesse sich ansonsten nur durch eine Zusammenschau weiterer Bestimmungen (vgl. Art. 36, Art. 37 Abs. 1 Satz 1, Art. 38 Abs. 2 und Abs. 3 BPR) erschliessen. Die sonstigen Angaben erschöpfen sich in der Veranschaulichung gesetzlich an anderer Stelle vorausgesetzter Tatbestände, beispielsweise der gemäss Art. 37 BPR zugeordneten Zusatzstimmen (lit. d).

B. Rechtsvergleich

6 Die Kantone haben für die Zusammenstellung der Wahlergebnisse vergleichbare Vorgaben erlassen wie der Bund. In Kantonen mit isolierten Proporzwahlverfahren in den einzelnen Wahlkreisen handelt es sich um weitgehend identische Angaben, einschliesslich der Kandidatenstimmen, der Zusatzstimmen, der Parteistimmen und der Gesamtzahl von Stimmen für verbundene Listen.

In Kantonen mit Doppelproporz entfallen die Angaben zu verbundenen Listen mangels Zulässigkeit von Listenverbindungen.

III. Kommentierung des Normtextes

7 Gemäss Art. 39 BPR stellen die Kantone nach Schluss der Wahl aufgrund der Protokolle der Wahlbüros einige Angaben fest. Laut der Artikelüberschrift handelt es sich dabei um die Zusammenstellung der Ergebnisse. Art. 9 VPR enthält eine Präzisierung zur Umsetzung der Vorgabe, also der Art und Weise, wie die Kantone auf der Grundlage der Ergebnisse der Wahlbüros die Feststellungen zu treffen haben. Die Gemeindewahlbüros übermitteln die Wahlprotokolle mit den übrigen Hilfsformularen und den Wahlzetteln sofort nach der Zusammenstellung dem kantonalen Wahlbüro (Art. 9 Abs. 1 VPR).

8 Art. 39 lit. a BPR ordnet die Feststellung der Zahl der Stimmberechtigten und der Stimmenden an. Die Zahl der Stimmberechtigten ergibt sich aus dem Stimmregister (vgl. Art. 4 BPR).

Die Zahl der Stimmenden umfasst alle Personen, die einen Wahlzettel abgeben, unabhängig davon, ob dieser letztlich gültig, ungültig oder leer ist.

9 Art. 39 lit. b BPR verlangt vom Wahlbüro eine erste Differenzierung zwischen den Wahlzetteln für die Darstellung des Ergebnisses. Auszusondern sind zunächst die vollständig leeren Wahlzettel. Aus den nicht leeren Wahlzetteln sind die gemäss Art. 38 Abs. 1 BPR ungültigen Wahlzettel auszusondern. Der Rest der Wahlzettel bildet die Gesamtheit der gültigen Wahlzettel. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Wahlzettel vollständig ausgefüllt ist (vgl. Art. 37 BPR) oder ob das Wahlbüro Streichungen vorgenommen hat (vgl. Art. 37 Abs. 3, Art. 38 Abs. 2 und Abs. 3 BPR).

10 Art. 39 lit. c BPR verpflichtet das Wahlbüro zur Zusammenstellung der Kandidatenstimmen, wie sie sich anhand der Auswertung der einzelnen Listen ergeben. Die Kandidatenstimmen entscheiden über die Ermittlung der Gewählten. Von jeder Liste sind nach Massgabe der erreichten Mandate die Kandidaten gewählt, die am meisten Stimmen erhalten haben (Art. 43 Abs. 1 BPR). Der grösste Anteil dieser Stimmen resultiert in der Praxis aus den Listen mit Vordruck, die nicht verändert worden sind. Relevant sind hierfür aber in erheblichem Umfang auch die in Art. 35 BPR vorgesehenen Möglichkeiten der Wählerinnen und Wähler. So werden die Kandidatenstimmen massgeblich durch das Streichen, das Panaschieren und das Kumulieren beeinflusst.

11 Art. 39 lit. d BPR nimmt auf die in Art. 37 BPR geregelten Zusatzstimmen Bezug. Die Aufstellung ist auch deshalb von Interesse, weil sie darüber informiert, wie viele Stimmen den Parteien ungeachtet leerer Linien auf den Wahlzetteln infolge gesetzlicher Fiktionen zugeflossen sind.

12 Art. 39 lit. e BPR verpflichtet die Kantone dazu, mit den Parteistimmen das politisch mit Abstand wichtigste Ergebnis der Nationalratswahlen aufzuzeigen. Hieran bemisst sich die Sitzverteilung auf die Parteilisten (Art. 40 f. BPR).

13 Von vergleichbarer Bedeutung ist die gemäss Art. 39 lit. f BPR für die verbundenen Listen ermittelte Gesamtzahl der auf die Listengruppe entfallenden Stimmen. Diese gibt im Fall von Listenverbindungen vorgelagert den Ausschlag für die Sitzverteilung. Jede Gruppe miteinander verbundener Listen wird nämlich bei der Verteilung der Mandate zunächst wie eine einzige Liste behandelt (Art. 42 Abs. 1 BPR).

14 Art. 39 lit. g BPR verpflichtet schliesslich zur Aufstellung der Zahl der leeren Stimmen. Diese Information nimmt Bezug auf die leeren Stimmen gemäss Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BPR. Es handelt sich dabei um nicht zählende leere Linien, wenn also Bezeichnung und Ordnungsnummer einer Liste auf dem Wahlzettel fehlen oder der Wahlzettel mehr als eine der eingereichten Listenbezeichnungen oder Ordnungsnummern enthält. Der Anteil der leeren Stimmen vermittelt einen Eindruck über das Wahlverhalten und die Wirkung der gesetzlichen Fiktionen in Art. 37 BPR.

Literaturverzeichnis

Lehner Irina, Kommentierung zu Art. 40 BPR, in: Glaser Andreas/Braun Binder Nadja/Bisaz Corsin/Tornay Schaller Bénédicte (Hrsg.), Onlinekommentar zum Bundesgesetz über die politischen Rechte, abrufbar unter https://onlinekommentar.ch/de/kommentare/bpr40, besucht am 20.10.2023.

Töndury Andrea/Altmann Rahel, Kommentierung zu Art. 4 BPR, in: Glaser Andreas/Braun Binder Nadja/Bisaz Corsin/Tornay Schaller Bénédicte (Hrsg.), Onlinekommentar zum Bundesgesetz über die politischen Rechte, abrufbar unter https://onlinekommentar.ch/de/kommentare/bpr4, besucht am 20.10.2023.

Materialienverzeichnis

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über die politischen Rechte vom 9.4.1975, BBl 1975 I 1317 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1975/1_1317_1337_1313/de, besucht am 20.10.2023 (zit. Botschaft 1975).

Bundesrat, Bericht an den Nationalrat über die Nationalratswahlen für die 52. Legislaturperiode vom 15.11.2023, BBl 2023 2613, abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2023/2613/de, besucht am 4.12.2023 (zit. Bericht 2023).

Fussnoten

  • AB 1918 NR S. 541.
  • AB 1919 SR S. 60.
  • Botschaft 1975, S. 1340.
  • AB 1976 NR S. 43.
  • AB 1976 SR S. 530.
  • Siehe zuletzt Bericht 2023.
  • Zur Bedeutung der Angaben im Protokoll bei der Beurteilung einer Beschwerde durch das Bundesgericht BGE 141 I 221 E. 3.4.1, E. 3.6.2.
  • Näher dazu OK-Lehner, Art. 40 BPR N. 25, 32.
  • Vgl. Art. 98 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons St. Gallen vom 5.12.2018 über Wahlen und Abstimmungen (WAG/SG; sGS 125.3).
  • Siehe nur § 45 des Gesetzes des Kantons Zug vom 28.9.2006 über die Wahlen und Abstimmungen (WAG/ZG; BGS 131.1).
  • Näher dazu OK-Töndury/Altmann, Art. 4 BPR N. 11 ff.

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