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Kommentierung zu
Art. 44a DSG
defriten

In Kürze

Das Disziplinarrecht ist in Art. 44a DSG spezialgesetzlich geregelt. Die Bestimmung schränkt den Kreis der gemäss Bundespersonalrecht möglichen Disziplinarmassnahmen ein und stellt gegenüber der oder dem Beauftragten nur die Massnahme der Verwarnung zur Verfügung. Damit wird die Unabhängigkeit der oder des Beauftragten berücksichtigt. Gleichzeitig erhält die Gerichtskommission mit der Disziplinarmassnahme der Verwarnung ein Instrument, um ein pflichtwidriges Verhalten der oder des Beauftragten zu beanstanden und das Ansehen und die Vertrauenswürdigkeit der Behörde des EDÖB zu schützen.

I. Allgemeines

A. Entstehungsgeschichte

1 Art. 44a DSG wurde im Rahmen der parlamentarischen Initiative SPK-N 21.443

in das totalrevidierte DSG eingefügt. Bei diesen Arbeiten zum Ausführungsrecht über das Arbeitsverhältnis der oder des Beauftragten hat sich gezeigt, dass einzelne Ergänzungen des totalrevidierten DSG erforderlich sind. Dabei erachtete der Gesetzgeber – nebst anderem – das Disziplinarrecht als wichtige Bestimmung, das auf formell-gesetzlicher Stufe zu klären ist.

B. Normzweck

2 Art. 44a DSG sieht für das Arbeitsverhältnis der oder des Beauftragten im Bereich des Disziplinarrechts eine Abweichung vom Bundespersonalrecht vor (vgl. Art. 43 Abs. 3 erster Satz DSG). Die meisten der in Art. 99 Abs. 2 und 3 BPV (i.V.m. Art. 25 Abs. 2 lit. b und c BPG) aufgeführten Disziplinarmassnahmen, welche bei einer Verletzung der arbeitsrechtlichen Pflichten ergriffen werden können, sind mit dem Amt der oder des Beauftragten nämlich nicht vereinbar oder könnten die Unabhängigkeit der oder des Beauftragten gefährden. Dies betrifft insbesondere Lohnkürzungen und Bussen sowie die Änderung des Aufgabenkreises, der Arbeitszeit oder des Arbeitsortes. Allerdings wollte der Gesetzgeber auch nicht gänzlich auf Disziplinarmassnahmen gegenüber der oder dem Beauftragten verzichten, da solche Massnahmen zur Sicherstellung der gesetzeskonformen Amtsausübung beitragen können.

3 Art. 44a DSG ist vor diesem Spannungsverhältnis zwischen der Wahrung der Unabhängigkeit und dem Interesse an der gesetzeskonformen Amtsausführung zu verstehen. Die Bestimmung schränkt den Kreis der gemäss Bundespersonalrecht möglichen Disziplinarmassnahmen ein und stellt gegenüber der oder dem Beauftragten einzig die Massnahme der Verwarnung zur Verfügung.

II. Disziplinarmassnahme der Verwarnung

4 Die Gerichtskommission kann gemäss Art. 44a DSG eine Verwarnung aussprechen, wenn sie feststellt, dass die oder der Beauftragte Amtspflichten verletzt hat. Sie erhält damit ein Instrument, welches sie zur Sicherstellung des Ansehens und der Vertrauenswürdigkeit des EDÖB einsetzen soll.

Mit einer Verwarnung «gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu verstehen, dass er das gerügte Verhalten nicht weiterhin hinzunehmen gewillt ist und dass er bei Wiederholung oder Weiterführung des gerügten Verhaltens härtere Massnahmen zu treffen gedenkt»
.

5 Anders als bei der Amtsenthebung nach Art. 44 Abs. 3 lit. a DSG muss einer Verwarnung keine schwere Amtspflichtverletzung zu Grunde liegen. Der Gesetzeswortlaut scheint eine Verwarnung bei jeder Art von Amtspflichtverletzung zuzulassen.

Mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip muss eine Verwarnung aber geeignet und erforderlich sein, um die ordnungsgemässe Amtsausübung durch die Beauftragte oder den Beauftragten wiederherzustellen. Nach den Erläuterungen der SPK-N zur parlamentarischen Initiative 21.443 könnte eine Verwarnung beispielsweise in Frage kommen, wenn die oder der Beauftragte gegen die Vorschriften über die Nebenbeschäftigung (Art. 47 DSG) oder die Annahme von Geschenken oder sonstigen Vorteilen (Art. 1 Abs. 2 der der Verordnung der Bundesversammlung vom 17.6.2022 über das Arbeitsverhältnis der Leiterin oder des Leiters des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten
[nachfolgend «Verordnung über das Arbeitsverhältnis der oder des Beauftragten»] i.V.m. Art. 93 f. BPV) verstösst.
Keine Verwarnung darf die Gerichtskommission dagegen aussprechen, wenn sie der Ansicht ist, dass die oder der Beauftragte bei der Aufgabenerfüllung falsche Prioritäten setzt. Dies wäre eine mit der Unabhängigkeit der oder des Beauftragten nicht vereinbare Einmischung in die Amtsausübung.

6 Die Verwarnung setzt als Disziplinarmassnahme immer ein Verschulden voraus. Die oder der Beauftragte muss also vorsätzlich oder zumindest fahrlässig gehandelt haben.

III. Disziplinarverfahren

7 Für die Verhängung der Verwarnung gegenüber der oder dem Beauftragten ist die Gerichtskommission zuständig. Dies entspricht Art. 2 Abs. 3 der Verordnung über das Arbeitsverhältnis der oder des Beauftragten, wonach die Gerichtskommission diejenigen Arbeitgeberentscheide trifft, welche nicht der Vereinigten Bundesversammlung zugeordnet werden.

Kommt die Gerichtskommission zum Schluss, dass es sich beim beanstandeten Verhalten um eine schwerwiegende Amtspflichtverletzung gemäss Art. 44 Abs. 3 lit. a DSG handelt, kann sie der Vereinigten Bundesversammlung die Amtsenthebung der oder des Beauftragten beantragen.

8 Das Disziplinarverfahren gegen die Beauftragte oder den Beauftragten richtet sich nach den (subsidiär anwendbaren) Bestimmungen des Bundespersonalrechts (Art. 1 Abs. 2 der Verordnung über das Arbeitsverhältnis der oder des Beauftragten).

9 Die Verwarnung kann nur nach einer Disziplinaruntersuchung ausgesprochen werden (Art. 99 Abs. 1 BPV). Für die Disziplinaruntersuchung gilt Art. 98 BPV: Danach eröffnet die Gerichtskommission die Disziplinaruntersuchung und bezeichnet die Person, die mit der Untersuchung betraut wird. Dabei kann es sich auch um eine externe Person handeln (Art. 98 Abs. 1 BPV).

10 Auf das Disziplinarverfahren ist das Verwaltungsverfahrensgesetz anwendbar (Art. 98 Abs. 2 BPV). Das heisst insbesondere, dass sich auch die Sachverhaltsfeststellung durch die Gerichtskommission nach den Vorschriften des VwVG richtet, namentlich betreffend den Ausstand (Art. 10 VwVG), den Untersuchungsgrundsatz und die Beweismittel (Art. 12 und Art. 14 ff. VwVG), die Mitwirkungspflichten der oder des Beauftragten (Art. 13 VwVG) sowie die Verfahrensrechte der oder des Beauftragten (insbesondere das Recht auf Akteneinsicht und rechtliches Gehör; Art. 26 ff. VwVG).

11 Die Verwarnung hat als Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG zu ergehen (Art. 34 BPG). Die oder der Beauftragten kann die Verwarnung der Gerichtskommission vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten (Art. 36 Abs. 1 BPG).

Die vertretene Auffassung widerspiegelt die persönliche Meinung der Autorenschaft und bindet nicht das Bundesamt für Justiz.

Literaturverzeichnis

Baeriswyl Bruno, Kommentierung zu Art. 44a DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski Dominika (Hrsg.), Datenschutzgesetz, Stämpflis Handkommentar, 2. Aufl., Bern 2023.

Petermann Büttler Judith, Kommentierung zu Art. 44a DSG, in: Bieri Adrian/Powell Julian (Hrsg.), Datenschutzgesetz, Orell Füssli Kommentar, Zürich 2023.

Materialienverzeichnis

Botschaft des Bundesrates vom 15.9.2017 zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz (BBl 2017 S. 6941).

Bericht der SPK-N vom 27.1.2022 zur parlamentarischen Initiative 21.443 «Verordnung über das Arbeitsverhältnis der Leiterin oder des Leiters des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten» (BBl 2022 S. 345).

Fussnoten

  • Parlamentarische Initiative SPK-N 21.443 vom 15.4.2021 «Verordnung über das Arbeitsverhältnis der Leiterin oder des Leiters des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten».
  • Bericht der SPK-N, S. 4.
  • Bericht der SPK-N, S. 6 f.
  • Bericht der SPK-N, S. 6 f.
  • Bericht der SPK-N, S. 7.
  • BVGer A-6699/2015 vom 21.3.2016 E. 3.1.
  • OFK-Petermann Büttler, Art. 44a DSG N. 3.
  • SR 235.171.1.
  • Bericht der SPK-N, S. 7.
  • OFK-Petermann Büttler, Art. 44a DSG N. 3.
  • Bericht der SPK-N, S. 7.
  • Bericht der SPK-N, S. 7.
  • SHK-Baeriswyl, Art. 44a DSG N. 6.

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DOI (Digital Object Identifier)

10.17176/20230819-085133-0

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