PDF:
Kommentierung zu
Art. 40 DSG

Eine Kommentierung von Anna Kuhn

Herausgegeben von Thomas Steiner / Anne-Sophie Morand / Daniel Hürlimann

defriten

In Kürze

Art. 40 DSG kommt zur Anwendung, wenn Bundesorgane im Sinne von Art. 5 lit. i DSG privatrechtlich handeln. Dies ist dann möglich, wenn ein Bereich nicht abschliessend durch öffentliches Recht geregelt ist und somit Raum für privatrechtliche Handlungen lässt. Um dies im Einzelfall zu eruieren, muss zunächst das Vorhandensein einer spezialgesetzlichen Regelung geprüft und dann eine Abgrenzung von hoheitlichem bzw. privatrechtlichem Handeln vorgenommen werden. Mit der administrativen Hilfstätigkeit, der Verwaltung des Finanzvermögens, der privatwirtschaftlichen Staatstätigkeit und bei Teilen der Leistungsverwaltung haben sich Bereiche herauskristallisiert, in denen privatrechtliches Handeln durch die öffentliche Hand im Normalfall zulässig und einschlägig ist. Liegt privatrechtliches Handeln vor, unterliegen Bundesorgane bei entsprechenden Datenbearbeitungen den Bestimmungen für Private.

Doch auch bei Anwendung von Art. 40 DSG dürfen sich Gemeinwesen, die privatrechtlich handeln, den verfassungsrechtlichen Prinzipien nie vollständig entledigen. So haben bspw. die Grundrechtsbindung oder das Legalitätsprinzip weiterhin Gültigkeit.

I. Allgemeines

A. Vorbemerkungen

1Art. 40 DSG bleibt im Vergleich zur Vorgängerversion (Art. 23 Abs. 1 aDSG) unverändert und erfuhr lediglich geringfügige redaktionelle Änderungen.

2Ersatzlos gestrichen wurde der bisherige zweite Absatz, wonach sich die Aufsicht nach den Bestimmungen für Bundesorgane richtet (Art. 23 Abs. 2 aDSG). Grund dafür ist, dass in der vorliegend kommentierten Fassung des DSG ohnehin dasselbe Aufsichtssystem für private Personen und Bundesorgane vorgesehen ist.

B. Normzweck und Hintergrund

3Das DSG ist als Einheitsgesetz ausgestaltet und regelt Datenbearbeitungen durch Private und durch Bunddesorgane in nur einem Erlass.

Die Bundesorgane unterliegen als Teil des Gemeinwesens generell strengeren rechtlichen Vorgaben, was auch bei der Bearbeitung von Personendaten und den datenschutzrechtlichen Pflichten gilt (s. dazu Art. 5 lit. i DSG).

4Art. 40 DSG durchbricht diese Zweiteilung. Die Bestimmung sieht vor, dass privatrechtlich handelnde Bundesorgane den weniger strikten datenschutzrechtlichen Bestimmungen für Private (insbesondere 5. Kapitel DSG) unterliegen. Die Regelung soll sicherstellen, dass Bundesorgane bei der Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb keine Nachteile gegenüber den privaten Konkurrierenden erfahren. Der Gesetzgeber adressiert damit, dass Bundesorgane als Privatrechtssubjekte keine Hoheitsgewalt ausüben und mitunter kein Subordinationsverhältnis gegenüber Privaten besteht, welches es durch ein strengeres Rechtskleid auszugleichen gäbe.

5Art. 40 DSG ist gewissermassen das Gegenstück zu Art. 5 lit. i DSG, wonach Private, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, den strengeren Bestimmungen für Bundesorgane unterliegen (vgl. dazu die Kommentierung zu Art. 5 lit. i DSG).

C. Entstehungsgeschichte

6Bereits der Entwurf des Bundesrats für das erste eidgenössische Datenschutzgesetz von 1988 sah für privatrechtliches Tätigwerden von Bundesorganen eine Unterstellung unter die Bestimmungen für Private vor.

Dieser Grundsatz gilt nach wie vor und unverändert.

7In den parlamentarischen Beratungen des Entwurfs von 1988 plädierte der Ständerat dafür, dass Bundesorgane auch bei privatrechtlicher Tätigkeit den Bestimmungen für Bundeorgane unterstellt bleiben. Dies unter dem Vorbehalt, dass dem Bundesrat die Kompetenz zur Regelung von Ausnahmesituationen eingeräumt werde. Das Anliegen des Ständerates war es, privatrechtliches Handeln des Gemeinwesens durch weniger restriktive Datenschutzbestimmungen nicht unnötig attraktiv zu gestalten. Und es sollte sichergestellt sein, dass sich privatrechtliches Handeln von Bundesorganen - sollte es ausnahmsweise doch vorkommen - auf eine gesetzliche Grundlage stützt.

Nach Durchlaufen eines Differenzbereinigungsverfahrens mit dem Nationalrat, welcher den Entwurf des Bundesrates stützte,
erklärte sich schliesslich auch der Ständerat einverstanden. Er stellte aber die Bedingung, dass die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage privatrechtlich handelnder Bundesorgane verschärft werden.

8In der Ursprungsfassung des DSG 1988 wurde geregelt, dass die Aufsicht über Bundesorgane auch im Bereich privatrechtlichen Handelns nicht gelockert würde. Es sollten somit die gleichen Aufsichtsmöglichkeiten Bestand halten.

In der hier kommentierten Version wurde diese Bestimmung (Art. 23 Abs. 2 aDSG) jedoch ersatzlos gestrichen. Grund ist die Vereinheitlichung des Aufsichtsregimes für Private und Bundesorgane.

II. Geltungsbereich

9Art. 40 DSG knüpft am Begriff des Bundesorgans an. Als Bundesorgan gelten nach Art. 5 lit. i DSG die Behörden und Dienststellen des Bundes sowie Private, die mit öffentlichen Aufgaben betraut sind (vgl. für Details die Kommentierung zu Art. 5 lit. i DSG).

10 Im Grundsatz sind auf Bundesorgane die für sie spezifischen Bestimmungen anwendbar (insb. Kapitel 6 DSG). Für den Fall, dass ein Bundesorgan privatwirtschaftlich handelt, wird es jedoch nach Art. 40 DSG den Bestimmungen für Private unterstellt (insb. Kapitel 5 DSG).

III. Hoheitliches und privatrechtliches Handeln des Staates

A. Kategorisierung staatlichen Handelns

11 So vielfältig wie die Ausprägungen des staatlichen Handels selber sind, sind es auch die Auffassungen darüber, wie staatliches Handeln unterteilt und kategorisiert werden soll.

Im Kontext von Art. 40 DSG ist die Unterteilung in «hoheitliches Handeln» und «privatrechtliches Handeln» relevant, denn die Bestimmung bedingt privatrechtliches Handeln.
Das Begriffspaar fungiert als Gegenstück zueinander und beschreibt die Form staatlichen Handelns, nicht dessen Gegenstand und Inhalt.

B. Hoheitliches Handeln als Grundsatz

12 Im Grundsatz tritt der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben hoheitlich auf.

Hoheitliches Handeln umfasst die Befugnis, einseitig Rechte und Pflichten von Privaten festzulegen und geht mit einer Überordnung des Staates gegenüber den Privaten (Subordinationsverhältnis) einher.
Ein Beispiel für hoheitliches Handeln ist der Erlass von Verfügungen im Gegenzug zum Abschluss privatrechtlicher Verträge.

13 Hoheitlich handelt der Staat bspw. im Bereich der Eingriffsverwaltung. Dabei wird in die Rechte und Freiheiten Privater eingegriffen, welche dies dulden müssen. Sie dient unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.

Beispiele sind die Enteignung oder polizeiliche Einschränkung des Grundeigentums.
Ebenfalls hoheitlich handelt der Staat in Teilen der Leistungsverwaltung, das heisst, wenn Privaten staatliche Leistungen wirtschaftlicher und sozialer Natur vermittelt werden (bspw. die Leistung staatlicher Sozialversicherung).
Sie dient ebenfalls unmittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben.

C. Privatrechtliches Handeln

1. Grundsätzliches

14 Es ist unbestritten, dass die öffentliche Hand in gewissen Konstellationen auch privatrechtlich handeln kann.

Ob für privatrechtliches Handeln des Staates Raum besteht, muss aber im Einzelfall eruiert werden. Ausgangslage dazu ist, dass der Staat bei seinem Handeln stets an das Legalitätsprinzip gebunden ist (vgl. Art. 5 Abs. 1 BV). Er hat daher grundsätzlich keine Autonomie bei der Gestaltung seiner Rechtsbeziehungen. Ist ein Rechtsgebiet abschliessend durch öffentliches Recht geregelt, besteht somit kein Spielraum für privatrechtliches Handeln. Dieses ist einzig unter folgenden Bedingungen möglich:

  • Eine abschliessende öffentlich-rechtliche Regelung fehlt.

  • Für den jeweiligen Aufgabenbereich ist privatrechtliches Handeln die geeignete Handlungsform.

15 Im Kontext von Art. 40 DSG ist privatrechtliches Handeln eines Bundesorgans denn auch massgebend. Privatrechtliches Handeln kennzeichnet sich wie beschrieben dadurch, dass auf eine Tätigkeit keine öffentlich-rechtliche Norm Anwendung findet, im Ergebnis kein Subordinationsverhältnis besteht und Staat und Dritte auf gleicher Ebene verkehren (z.B. privatrechtlicher Vertragsabschluss).

Das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses zu Privaten ist nach Art. 40 DSG hingegen nicht notwendig.

16 Im Bereich des Datenschutzrechts wird für die Abgrenzung zwischen privat- und öffentlich-rechtlichem Handeln auf die Rechtsnatur des Grundverhältnisses mit der betroffenen Person abgestellt.

Diese Abgrenzung ist häufig nicht trivial. Als Hilfestellung kann der Methodenpluralismus dienen (s. dazu infra N. 18). Zudem haben sich gewisse Fallkonstellationen gebildet, in denen der Staat im Normalfall privatrechtlich handelt (s. dazu infra N. 21 ff.).

2. Abgrenzung gemäss Methodenpluralismus

17 Im Sinne des Legalitätsprinzips ist für die Zuordnung des Grundverhältnisses zwischen betroffener Person und öffentlichem Organ zum öffentlichen oder privaten Recht zunächst zu prüfen, ob eine spezialgesetzliche Lösung zur Regelung dieser Frage besteht (siehe supra N. 14).

18 Ist dies nicht der Fall oder lässt die Auslegung der Regelung Zweifel bestehen, können die in Lehre und Praxis entwickelten Abgrenzungskriterien beigezogen werden.

Nach diesem Methodenpluralismus werden folgende Punkte geprüft:

  • Interessentheorie: Dient das Rechtsverhältnis vorwiegend der Verfolgung privater oder öffentlicher Interessen?

  • Subordinationstheorie: Tritt die handelnde staatliche Institution gegenüber den Privaten hoheitlich und somit übergeordnet auf?

  • Funktionstheorie: Hat das Rechtsverhältnis die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe zum Gegenstand?

  • Modale Theorie: Wird eine Verletzung zivil- oder öffentlich-rechtlich sanktioniert.

19 Laut Praxis ist für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen, welche Theorie sich am besten zur Abgrenzung eignet.

Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung wird bspw. die Funktionstheorie zur Beurteilung der Rechtsnatur von Verträgen als am Geeignetsten erachtet.

3. Fälle zulässigen privatrechtlichen Handelns

20 Es haben sich in der Praxis sodann gewisse Tätigkeitsbereiche herausgebildet, in denen das Gemeinwesen im Normalfall (zulässigerweise) privatrechtlich handelt.

21 Bei der administrativen Hilfstätigkeit (auch Bedarfsverwaltung genannt) beschafft sich das Gemeinwesen die notwendigen Sach- und Personalmittel, die es zur unmittelbaren Erfüllung von öffentlichen Aufgaben braucht. Die administrative Hilfstätigkeit dient nur mittelbar der Erledigung von öffentlichen Aufgaben. Zur Umsetzung schliesst das Gemeinwesen privatrechtliche Verträge ab.

22 Zum Finanzvermögen des Gemeinwesens gehören alle realisierbaren Aktiven. Sie dienen dem Gemeinwesen nur mittelbar zur Verwirklichung der öffentlichen Aufgabe und bei dessen Bewirtschaftung handelt es privatrechtlich. Als Beispiele gelten die Vermietung von Liegenschaften auf dem freien Markt oder der Handel mit Wertpapieren zu Anlagezwecken.

23 Handelt das Gemeinwesen privatwirtschaftlich, so nimmt es am Wirtschaftsleben teil und steht mit der Privatwirtschaft in einem Konkurrenzverhältnis.Im Aussenverhältnis, das heisst in Wechselwirkung mit der Konkurrenz, handelt das Gemeinwesen privatrechtlich. Als Beispiele gelten der Betrieb einer kommunalen Gastwirtschaft oder gewisse Geschäftsbereiche der Kantonalbanken.

24 Bei der Leistungsverwaltung stellt das Gemeinwesen wirtschaftliche Leistungen für Private bereit. Es handelt privatrechtlich, wenn die Leistungserbringung nur mittelbar der Verfolgung öffentlicher Interessen dient, wie bei Transportverträgen des öffentlichen Verkehrs oder Verträgen zur Energielieferung. Hoheitlich handelt es hingegen bei der Leistung von IV-Renten.

IV. Rechtliche Folgen

A. Anwendbare Datenschutzbestimmungen

25Handelt es sich um einen Bereich zulässigen privatrechtlichen Handelns des Staates, gelten für Bundesorgane die datenschutzrechtlichen Bestimmungen für Private (Art. 40 DSG). Konkret bedeutet dies, dass neben den allgemeinen Bestimmungen (2. Kapitel), die besonderen Bestimmungen für Private (5. Kapitel) zur Anwendung gelangen.

26Privatrechtlich handelnde Bundesorgane sind somit an weniger strikte Bestimmungen gebunden. Dies zeichnet sich bspw. durch die fehlende Geltung des Art. 34 DSG aus, der das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage für Datenbearbeitung durch Bundesorgane vorschreibt. Weitere Konsequenz ist die Anwendbarkeit des Mechanismus nach Art. 31 f. DSG, wonach gewisse Persönlichkeitsverletzungen durch geeignete Rechtfertigungsgründe (gesetzliche Grundlage, überwiegendes privates oder öffentliches Interesse, Einwilligung) geheilt werden können.

27Es findet aber auch im Rahmen des Art. 40 DSG keine gänzliche Entkoppelung vom Rechtsregime für Bundesorgane statt. Gewisse verfassungsrechtliche Grundsätze sind auch durch privatrechtlich handelnde Bundesorgane zu beachten (vgl. dazu infra N. 31 ff.).

B. Prozessuales

28Auch für die Rechtsdurchsetzung gelten bei Anwendbarkeit des Art. 40 DSG die privatrechtlichen Bestimmungen. Will eine betroffene Person gegenüber einem privatrechtlich handelnden Bundesorgan Betroffenenrechte oder andere Ansprüche klageweise durchsetzen, so gelangen die Vorgaben des 5. Kapitels des DSG zur Anwendung.

29Bei gerichtlichen Verfahren sind die Zivilgerichte im Klageverfahren zuständig. Das Verfahren richtet sich nach der Zivilprozessordnung.

C. Weitere Geltung des öffentlichen Rechts

1. Verfassungsrechtliche Grundsätze

30Trotz Anwendung des Art. 40 DSG darf von der Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze (s. Art. 5 BV) nicht leichthin Abstand genommen werden. Bei privatrechtlichem Handeln der Bundesorgane ist stets zu prüfen, ob es diesen übergeordneten Grundsätzen standhält.

31Allen voran ist dem Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV) Beachtung zu schenken. Dieses erfüllt sowohl eine demokratische wie auch eine rechtsstaatliche Funktion.

Unter dem privatrechtlichen Regime des DSG vermag die gesetzestreue Umsetzung des Transparenzgrundsatzes, der Informationspflichten oder das Einholen von Einwilligungen die rechtsstaatliche Funktion in gewissen Fällen zu kompensieren. Die demokratische Funktion hingegen kann durch die erwähnten Pflichten nicht ersetzt werden (vgl. dazu auch Art. 34 des vorliegenden Kommentars, insb. den Exkurs zu Einwilligungen).

2. Grundrechtsbindung

32Auch im Bereich der Grundrechte ist von einer gänzlichen Gleichschaltung mit Privaten abzusehen, wenn der Staat nach Art. 40 DSG privatrechtlich handelt.

Das Gemeinwesen sowie Private, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sind bei ihrem Handeln stets an die Grundrechte gebunden und müssen zu deren Verwirklichung beitragen. Nachdem dieser Grundsatz zunächst Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung war, wurde er in der Bundesverfassung von 1999 ausdrücklich in Art. 35 Abs. 2 BV festgehalten.
Für die Grundrechtsbindung ist auch nicht privatrechtliches oder hoheitliches Handeln entscheidend, sondern - breiter - ob eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird (Art. 35 Abs. 2 BV spricht von «staatliche Aufgabe»).

3. Zweistufentheorie im Submissionsverfahren

33Zur Abgrenzung von privatrechtlichem und hoheitlichem Handeln wird im Submissionsverfahren teilweise auf die Zweistufentheorie zurückgegriffen. Sie besagt, dass der Zuschlag (Willensbildung) mittels Verfügung ergeht und somit öffentlich-rechtlicher Natur, der Vertrag mit der Zuschlagsempfängerin hingegen privatrechtlicher Natur ist.

34Die Zweistufentheorie wurde durch die höchstrichterliche Rechtsprechung jedoch nicht anerkannt.

Ohnehin geben sich im Kontext des Datenschutzrechts auch Abgrenzungsschwierigkeiten: Die Anwendung der Zweistufentheorie würde im Lichte von Art. 40 DSG bedeuten, dass die Datenbearbeitungen bis zum und nach dem Zuschlag unterschiedlichen Rechtsregimen unterstehen würden. Eine solch strikte Trennung der Datenbearbeitungen birgt in der Praxis aber erhebliche (technische) Schwierigkeiten.

35 Im Sinne einer nicht nur pragmatischen, aber auch verfassungsrechtlich vertretbaren Lösung ist daher von einer globalen Anwendung der restriktiveren datenschutzrechtlichen Bestimmungen für Bundesorgane auf Submissionsverfahren auszugehen.

Auch in diesem Bereich darf der privatrechtlich handelnde Staat Privaten nicht leichtfertig und gänzlich gleichgestellt werden.

V. Kasuistik

36 Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts «SwissPass»

veranschaulicht exemplarisch das hiervor beschriebene Vorgehen, um das Vorliegen privatwirtschaftlichen Handelns unter Art. 40 DSG zu prüfen. Das Gericht hatte darin zu beurteilen, ob die Ausstellung eines SwissPass und die damit zusammenhängenden Datenbearbeitungen der SBB dem öffentlichen oder dem privaten Recht unterliegen.

37 Dabei ist zunächst die für den Bereich des Personentransports spezialgesetzliche Regelung relevant, wonach die Transportunternehmen - unabhängig von ihrer Rechtsform

- für die konzessionierte und bewilligte Tätigkeit den Bestimmungen für Bundesorgane und im Falle von privatrechtlichem Handeln denjenigen für Private (Art. 54 PBG) unterstehen.
Daraus folgt, dass Transportunternehmen auch im konzessionierten Bereich privatrechtlich handeln können und dabei die Datenschutzvorschriften für Private beachten müssen.

38Gemäss Bundesverwaltungsgericht dient die Ausstellung des SwissPass nicht direkt der konzessionierten Personenbeförderung, da dieser auch ohne Leistung des öffentlichen Verkehrs ausgegeben werden kann. Da der SwissPass aber Hilfsmittel für den Abschluss eines Personentransportvertrags ist, berücksichtigte das Gericht gleichwohl dessen Rechtsnatur.

Unter Anwendung des Methodenpluralismus und insbesondere der Funktionstheorie qualifizierte das Gericht den Personentransportvertrag als zivilrechtlich und leitete daraus ab, dass die SBB bei der Ausstellung des SwissPass den Datenschutzvorschriften für Private unterstehe.

39 Im Ergebnis ist das Urteil richtig und privatrechtliches Handeln der SBB scheint im konkreten Fall erlaubt und einschlägig. Es ist sodann auf zwei Punkte hinzuweisen:

  • Einerseits zog das Gericht in seinen Erwägungen auch die «Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe» als Kriterium bei, die bei strenger Auslegung von Art. 40 DSG keinen Platz findet. Die Norm stellt nach dem Wortlaut einzig auf die Rechtsform des Handelns ab. Die beiden Konzepte «öffentliche Aufgabe» und «privatrechtliches bzw. hoheitliches Handeln» müssen grundsätzlich getrennt werden.

  • Trotz dieses Grundsatzes wird vorliegend die Auffassung vertreten, dass ein reines Abstellen auf die Rechtsnatur des Grundverhältnisses zwischen betroffener Person und öffentlichem Organ zu einer Umgehung übergeordneter öffentlich-rechtlicher Normen führen kann. Das Handeln und im vorliegenden Kontext die Bearbeitung von Personendaten durch Bundesorgane darf nicht einzig an dessen Wahl der Handlungsform gemessen werden. Das Handeln ist in einen grösseren, verfassungsrechtlichen Kontext zu setzen. So ist Art. 40 DSG auch gar nicht anwendbar, wenn es nicht ein Bundesorgan betrifft, u.a. Private, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Die Beurteilung des Transportvertrags anhand des Methodenpluralismus und mitunter der Funktionstheorie durch das Bundesverwaltungsgericht ist nach vorliegender Meinung daher folgerichtig und beugt einer Umgehung öffentlich-rechtlicher Grundsätze vor.

Literaturverzeichnis

Bühlmann Lukas/Schüepp Michael, Information, Einwilligung und weitere Brennpunkte im (neuen) Schweizer Datenschutzrecht, Jusletter 15.3.2021.

Fey Marco, Kommentierung zu Art. 40 DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski Dominika (Hrsg.), Datenschutzgesetz, Stämpflis Handkommentar, 2. Aufl., Bern 2022 (zit. SHK DSG-Bearbeiterin).

Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Zürich et al. 2020.

Kunz Simon, Kommentierung zu Art. 23 DSG, in: Maurer-Lambrou Urs/Blechta Gabor-Paul (Hrsg.), Datenschutzgesetz/Öffentlichkeitsgesetz, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2014 (zit. BSK-Bearbeiterin).

Rosenthal David/Jöhri Yvonne, Handkommentar zum Datenschutzgesetz sowie weiteren, ausgewählten Bestimmungen, Zürich 2008 (zit. Rosenthal/Jöhri).

Rudin Beat, Kommentierung zu Art. 2 DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski Dominika (Hrsg.), Datenschutzgesetz, Stämpflis Handkommentar, 2. Aufl., Bern 2022 (zit. SHK DSG-Bearbeiterin).

Rütsche Bernhard, Was sind öffentliche Aufgaben?, recht 2013, S. 153-162.

Materialienverzeichnis

Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15.9.2017, BBl 2017 S. 6941 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2017/2057/de, besucht am 6.5.2023 (zit. Botschaft 2017).

Botschaft zum Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) vom 23.3.1988, BBl 1988 II S. 413 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1988/2_413_421_353/de, besucht am 6.5.2023 (zit. Botschaft 1988).

Sitzung des Ständerats zum Datenschutzgesetz vom 14.3.1990, Amtl. Bull. NR 1990 S. 149 ff. (zit. Amtl. Bull. SR 1990).

Sitzung des Nationalrats zum Datenschutzgesetz vom 10.3.1992, Amtl. Bull. NR 1992 S. 381 ff. (zit. Amtl. Bull. NR 1922).

Sitzung des Ständerats zum Datenschutzgesetz vom 18.3.1992, Amtl. Bull. SR S. 228 ff. (zit. Amtl. Bull. SR 1922).

Fussnoten

  • Botschaft 2017, S. 7083.
  • Botschaft 1988, S. 431.
  • Zum Ganzen Botschaft 1988, S. 474; BSK-Kunz, Art. 23 N. 3, Rosenthal/Jöhri, Art. 23 N. 2.
  • Botschaft 1988, S. 474
  • Botschaft 2017, S. 7083.
  • Zum Ganzen AmtlBull StR 1990, S. 150; AmtlBull StR 1992, S. 228; BSK-Kunz, Art. 23 N. 4.
  • AmtlBull NR 1990, S. 381.
  • AmtlBull StR 1992, S. 228
  • Botschaft 1988, S. 475.
  • Botschaft 2017, S. 7083.
  • Vgl. anstatt vieler Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 10 ff.
  • Botschaft 1988, S. 474.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 27 ff.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 28; BSK-Kunz, Art. 23 N 10.
  • Botschaft 1988, S. 474; Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 30, § 19 N. 1378.
  • Botschaft 1988, S. 474.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 33 f.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 35.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 36.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, §19 N. 1378; BSK-Kunz, Art. 23 N. 10.
  • Zum Ganzen Häfelin/Müller/Uhlmann, § 19 N. 1380; BSK-Kunz, Art. 23 N. 10.
  • Botschaft 1988, S. 474; Häfelin/Müller/Uhlmann, §19 N. 1378; Rosenthal/Jöhri, Art. 23, N. 2.
  • BSK-Kunz, Art. 40 N. 16; Rosenthal/Jöri, Art. 23 N. 3.
  • Botschaft 1988, S. 440; BGE 122 I 153 E. 2c (zur Abgrenzung von privatrechtlicher und kantonaler öffentlicher Tätigkeit); BVGer A-5921 vom 7.9.2020 E. 4.5; Rosenthal/Jöri, Art. 2 N. 17.
  • Urteil des BGer 2C_386/2014 vom 18.1.2016 E. 2; BVGer A-5921 vom 7.9.2020 E. 4.3; Rütsche, S. 154.
  • Urteil des BGer 2C_386/2014 vom 18.1.2016 E. 2; BVGer A-5921 vom 7.9.2020 E. 4.5; SHK-Rudin, Art. 2 N. 16 f.
  • Zum Ganzen: BGE 138 II 134 E. 4.2 ff.; BVGer A-5921 vom 7.9.2020 E.4.3; Häfelin/Müller/Uhlmann 2010, N. 223 ff. mit illustrativen Beispielen; SHK-Rudin, Art. 2 N. 16 f.
  • BGE 138 I 274 E. 1.2; BGE 138 II 134 E. 4.1.
  • BGE 138 I 274 E. 1.2; BVGer A-5921 vom 7.9.2020 E.4.4.
  • Zum Ganzen Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 40; § 19 N. 1384; BSK-Kunz, Art. 40 N. 14.
  • Zum Ganzen Häfelin/Müller/Uhlmann, § 19 N. 1386 f.; BSK-Kunz, Art. 40 N. 15.
  • Zum Ganzen BGE 120 II 321, E. 2 S. 329; Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 138 f.; BSK-Kunz, Art. 40 N. 16.
  • Zum Ganzen Häfelin/Müller/Uhlmann, § 1 N. 1390 f.
  • SHK-Fey, Art. 40 N. 5.
  • BVGer A-420 vom 3.9.2007 E. 1.2; SHK-Fey, Art. 40, N. 8.
  • Zum Ganzen BVGer A-420/2007 vom 3.9.2007 E. 1.2. 1.5; SHK-Fey, Art. 40 N. 8.
  • BGE 146 II 56 E. 6.2.1; BGE 141 II 169 E. 3.1; Häfelin/Müller/Uhlmann, N. 325 ff.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 19 N. 1404; vgl. BGE 109 Ib 146 E. 4 für die Bindung an das Rechtsgleichheitsgebot und Willkürverbot von Banken bei der Entgegennahme von Vermögen.
  • Häfelin/Müller/Uhlmann, § 19 N. 1405; vgl. auch BGE 129 III 35, 37 ff., wonach die Post als spezialgesetzliche Aktiengesellschaft laut höchstrichterlicher Rechtsprechung bei Tätigkeiten im Wettbewerb keiner Grundrechtsbindung unterliegt. Der Entscheid wird in der Lehre aber stark kritisiert und das Obergericht Thurgau sprach sich hinsichtlich privatrechtlichen Handelns der Post auch für eine Grundrechtsbindung aus (vgl. ZBl 103 (2002) S. 264-268).
  • Zum Ganzen Häfelin/Müller/Uhlmann, § 19 N. 1394; BSK-Kunz, Art. 40 N. 18.
  • BGE 103 Ib 154 E. 3; Häfelin/Müller/Uhlmann, §19 N. 1401.
  • BSK-Kunz, Art. 40 N. 19.
  • So auch BSK-Kunz, Art. 40 N. 19.
  • Beim SwissPass handelt es sich um eine physische Karte bzw. ein digitales Konto, womit man Zugang zum öffentlichen Verkehr sowie weiteren Partnerdiensten der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) erhält.
  • Bei der SBB handelt es sich um eine spezialgesetzliche öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft (vgl. Art. 2 Abs. 1 SBBG)
  • BVGer AS-5921 vom 20.7.2021 E. 4.2; BGE 132 III 470 E. 3.3.
  • BVGer AS-5921 vom 20.7.2021 E. 5.1.2 f.
  • Das Urteil wurde an das Bundesgericht weitergezogen und von diesem bestätigt, vgl. Urteil 1C_531/2021 vom 4.2.2022. Das Bundesgericht prüfte jedoch einzig, ob der Beschwerdeführer (betroffene Person) überhaupt ein schutzwürdiges Interesse für die Geltendmachung der Ansprüche nach Art. (Art. 25 Abs. 1 aDSG) habe – was es verneinte – und verzichtete daher auf die Prüfung, ob die Streitigkeit dem Privat- oder öffentlichen Recht zuzuordnen sei.
  • Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben ist für die Qualifikation von privaten Personen als Bundesorgane relevant (Art. 5 lit. i DSG). Hoheitliches bzw. privatrechtliches Handeln ist hingegen dafür entscheidend, ob ein Bundesorgan in Ausnahmefällen den Bestimmungen für Private untersteht. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist breiter zu verstehen als hoheitliches Handeln. Bei letzterem geht es zudem um die Form und nicht den Inhalt des Handelns.

Kommentar drucken

DOI (Digital Object Identifier)

10.17176/20230825-101012-0

Creative Commons Lizenz

Onlinekommentar.ch, Kommentierung zu Art. 40 DSG ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Creative Commons