Eine Kommentierung von Goran Seferovic
Herausgegeben von Andreas Glaser / Nadja Braun Binder / Corsin Bisaz / Bénédicte Tornay Schaller
5a. Titel: Parteienregister
Art. 76a
1 Eine politische Partei kann sich bei der Bundeskanzlei amtlich registrieren lassen, wenn sie:
a. die Rechtsform eines Vereins im Sinne der Artikel 60–79 des Zivilgesetzbuches aufweist; und
b. unter dem gleichen Namen mit mindestens einem Mitglied im Nationalrat oder mit mindestens je drei Mitgliedern in drei Kantonsparlamenten vertreten ist.
2 Zur Eintragung ins Parteienregister reicht der Verein der Bundeskanzlei folgende Unterlagen und Angaben ein:
a. ein Exemplar der rechtsgültigen Statuten;
b. den statutarischen Namen und den Sitz der Partei;
c. Namen und Adressen der präsidierenden und der geschäftsführenden Personen der Bundespartei.
3 Die Bundeskanzlei erstellt ein Register über die Angaben der Parteien. Dieses Register ist öffentlich. Einzelheiten regelt die Bundesversammlung in einer Verordnung.
I. Entstehungsgeschichte
1 Parteien traten in der Schweiz erst spät in Erscheinung, in der Bundesversammlung von 1848 gab es sie nicht. Gerade die kantonalen liberalen Bewegungen der 1830er Jahre wehrten sich dagegen als «Partei» bezeichnet zu werden, da der Begriff diskreditiert war.
2 Entsprechend waren die politischen Parteien auch für die Staatsrechtslehre lange Zeit kein Thema, da Gesetzgebung und Verfassungsrecht sie ignorierten.
3 Die Bundesverfassung erwähnt die Parteien denn auch erst seit der Totalrevision im Jahre 1999.
4 Trotz der unklaren Tragweite von Art. 137 BV zog der Bundesrat diese Bestimmung heran, um – zusammen mit Art. 39 Abs. 1 BV – das in Art. 76a BPR vorgesehene Parteienregister zu begründen,
II. Bedeutung der Vorschrift
A. Allgemeines
5 Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist bisher beschränkt, da die einzige Erleichterung, welche eine Registrierung mit sich bringt, darin besteht, dass die Partei unter gewissen Umständen von den Quoren nach Art. 24 Abs. 1 BPR entbunden ist.
6 Die Bedeutung liegt wohl eher darin, dass ein Parteienregister, wenn man der Argumentation des Bundesrates folgen will, der logische nächste Schritt ist, welcher auf die Erwähnung der Parteien in Art. 137 BV zu folgen hat (vgl. schon oben N. 4). Auch das Bundesgericht folgte dieser Einschätzung und hielt mit Verweis auf Art. 137 und 147 BV fest, der Bundesgesetzgeber könne an die Registrierung von Parteien nach Art. 76a BPR auch Folgen knüpfen, welche sich nicht - wie die Erleichterung nach Art. 24 Abs. 3 und 4 BPR - auf Wahlen zu beschränken hätten. Das Register bilde die Grundlage für eine Parteienregelung «ganz allgemein».
7 Damit kann Art. 76a BPR in rechtspolitischer Hinsicht administrativer Anknüpfungspunkt für die ganze Thematik einer verstärkten Parteienstaatlichkeit bilden. Art. 137 BV bietet dafür aber keine Grundlage.
8 Eine weitere Bevorzugung kommt den registrierten Parteien im Steuerrecht zu, denn nach Art. 33 Abs. 1 lit. i Ziff. 1 DBG und Art. 9 Abs. 2 lit. l Ziff. 1 StHG dürfen Mitgliederbeiträge und Zuwendungen an Parteien, welche im Parteienregister des Bundes eingetragen sind, von den Einkünften abgezogen werden. Das gleiche gilt jedoch auch für Parteien, welche in einem kantonalen Parlament vertreten sind oder in kantonalen Parlamentswahlen mindestens drei Prozent der Stimmen erreicht haben.
B. Rechtsvergleich
9 In den Kantonen gab es lange keine Pendants zum Parteienregister nach Art. 76a BPR.
10 Seit dem Jahre 2009 kennt der Kanton Freiburg ein kantonales Parteienregister, wobei die Modalitäten weitgehend dem BPR nachempfunden sind.
III. Kommentierung des Normtextes
A. Voraussetzungen der amtlichen Registrierung (Abs. 1)
1. Definition der politischen Partei
11 Die amtliche Registrierung steht politischen Parteien offen.
12 Für die Frage, ob ein Verein vornehmlich politische Zwecke verfolgt, ist auf den Vereinszweck abzustellen, wie ihn die Statuten des Vereins definieren.
2. Rechtsform des Vereins
13 Die Konstituierung als Verein ist einerseits Begriffsmerkmal der politischen Parteien, wie sie Art. 2 VO Parteienregister
3. Mindestzahl politischer Mandate
14 Voraussetzung der Registrierung ist zudem eine Mindestzahl an politischen Mandaten, was sowohl für die Dauerhaftigkeit als auch die Ernsthaftigkeit eines Vereins bzw. einer politischen Partei bürgen soll. Die Botschaft spricht etwas paternalistisch von «Versuchsballonen» und «Eintagsfliegen», welchen der Vorteil der Registrierung vorenthalten werden soll.
15 Die politische Partei kann sich registrieren lassen, wenn sie entweder mit einem Mitglied im Nationalrat oder mit je drei Mitgliedern in drei verschiedenen Kantonsparlamenten vertreten ist. Diese Regelung bevorzugt Parteien, denen eine gewisse Bedeutung auf Bundesebene zukommt.
B. Unterlagen und Angaben (Abs. 2)
16 Für die Registrierung ist die Bundeskanzlei zuständig (Sektion Politische Rechte); diese führt das Parteienregister.
C. Register und Parlamentsverordnung (Abs. 3)
17 Die Bundeskanzlei führt das Parteienregister, welches öffentlich ist und sowohl im Internet als auch vor Ort einsehbar ist;
18 Die Verfügung der Bundeskanzlei über die Verweigerung des Eintrags ins Parteienregister ist direkt vor Bundesgericht anfechtbar.
19 Mit Art. 76a Abs. 3 BPR erteilt der Gesetzgeber der Bundesversammlung einen Auftrag, die Details des Registers in einer Parlamentsverordnung zu regeln. Der Bundesrat begründete dies mit einem Verweis auf Art. 163 Abs. 1 und Art. 164 Abs. 2 BV.
Der Autor dankt Beat Kuoni für die Durchsicht des Textes und wertvolle Hinweise.
Materialien
Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30. November 2001, BBl 2001 6401 (Botschaft BPR 2001).
Literaturverzeichnis
Biaggini Giovanni, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Kommentar, 2. Aufl., Zürich 2017.
Bluntschli Johann Caspar, Charakter und Geist der politischen Parteien, Nördlingen 1869.
Feller Richard, Die Entstehung der politischen Parteien in der Schweiz, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 8 (1958), S. 433–449.
Glaser Andreas, §2 Der moderne Verfassungsstaat, IV. Verhältnis Staat-Gesellschaft, in: Giovanni Biaggini/Thomas Gächter/Regina Kiener (Hrsg.), Staatsrecht, 3. Aufl., Zürich et al. 2021.
Gruner Erich, Die Parteien in der Schweiz, 2. Aufl., Bern 1977 (zit. Gruner, Parteien).
Gruner Erich, 100 Jahre Wirtschaftspolitik. Etappen des Interventionismus in der Schweiz, Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik 100 (1964), S. 35–70 (zit. Gruner, Wirtschaftspolitik).
Hangartner Yvo, Bemerkungen zu Bundesgericht, I. öffentlichrechtliche Abteilung, 6.6.2003, Verein "Freies Forum Schweiz" c. Schweizerische Bundeskanzlei (1.A.91/2003), Verwaltungsgerichtsbeschwerde, BGE 129 II 305, AJP 2003, S. 1225–1227.
Lachenal François, Le parti politique, sa fonction de droit public (en particulier dans le droit public suisse), Basel 1944.
Rhinow René A., Parteienstaatlichkeit – Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats?, VVDStRL 44, S. 84–109.
Riemer Hans Michael, Berner Kommentar, Die Vereine, Systematischer Teil und Kommentar zu Art. 60–79 ZGB, 3. Aufl., Bern 1990.
Schiess Rütimann Patricia M., Art. 137 BV, die politische Gleichheit und das Parteienregister, ZBl 107 (2006), S. 505–528 (zit. Schiess Rütimann, Gleichheit).
Schiess Rütimann Patricia M., Politische Parteien: Privatrechtliche Vereinigungen zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht, Bern 2011 (zit. Schiess Rütimann, Parteien).
Schiess Rütimann Patricia M., Kommentierung zu Art. 137 BV, in: Ehrenzeller Bernhard/Mastronardi Philippe/Schweizer Rainer J./Vallender Klaus A. (Hrsg.), St. Galler Kommentar, Die schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl., Zürich 2014 (zit. SGK-Schiess Rütimann).
Tschannen Pierre, Kommentierung zu Art. 137 BV, in: Waldmann Bernhard/Belser Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.) Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015 (zit. BSK-Tschannen).
Wyttenbach Judith/Wyss Karl-Marc, Kommentierung zu Art. 164 BV, in: Waldmann Bernhard/Belser Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.) Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015 (zit. BSK-Wyttenbach/Wyss).
Fussnoten
- Vgl. Feller, S. 439; Gruner, Parteien, S. 59 ff.
- Gruner, Parteien, S. 85 f.; Lachenal, S. 182.
- Vgl. dazu Gruner, Wirtschaftspolitik, S. S. 45.
- Vgl. zur mangelnden Bildung des Volkes: Feller, S. 438.
- Vgl. Gruner, S. 25 ff.; vgl. auch Feller, S. 434: «Parteien aber springen dort auf, wo Altes verabschiedet und Neues geschaffen wird».
- Glaser, Rz. 115.
- Vgl. Gruner, S. 60 f.; Rhinow, S. 94 f.
- Bluntschli, S. 5; etwas verkürzt daher die Argumentation bei Gruner, S. 61.
- Art. 137 und 147 BV.
- SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 5; Schiess Rütimann, Gleichheit, S. 505 f.
- Biaggini, Art. 137 BV N. 2; Rhinow, S. 99.
- Vgl. auch die Kritik bei SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 14.
- Biaggini, Art. 137 BV N. 3; etwas weiter hingegen BSK-Tschannen, Art. 137 BV N. 2 ff.
- So BSK-Tschannen, Art. 137 BV N. 11; weniger weitgehend hingegen SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 14.
- Biaggini, Art. 137 BV N. 6; SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 13; BSK-Tschannen, Art. 137 BV N. 12
- Hangartner, S. 1226 (Ziff. 2).
- Botschaft BPR 2001, S. 6424.
- Botschaft BPR 2001, S. 6420. Zur Bedeutung des Vereinswesens Biaggini, Art. 137 BV N. 5 und ausführlich Schiess Rütimann, Parteien, insb. Rz. 298 ff.
- Kritisch zu dieser Umsetzung SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 14.
- So erachtet Tschannen etwa Regelungen zur Offenlegung der Parteienfinanzierung als von Art. 137 BV gestützt, BSK-Tschannen, Art. 137 BV N. 11.
- Parlamentarische Initiative Mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (19.400), Bericht der Staatspolitischen der Kommission des Ständerates vom 24. Oktober 2019, BBl 2019 7875 ff., 7900.
- Art. 24 Abs. 3 und 4 BPR; vgl. auch Botschaft BPR 2001, S. 6413 sowie Biaggini, Art. 137 BV N. 5.
- BGE 129 II 307 E 1.1.
- Vgl. Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 181 sowie bereits oben N. 3 f.
- Schiess Rütimann, Gleichheit, S. 506 f.
- Art. 39 Abs. 1 BV, vgl. auch Botschaft BPR 2001, S. 6424.
- Art. 52b Gesetz über die Ausübung der politischen Rechte vom 06. April 2001 (PRG/FR; SGF 115.1).
- Motion Denis Boivin vom 10.10.2006 (Nr. 159.06); vgl. auch Botschaft Nr. 110 vom 18.11.2008 des Staatsrats an den Grossen Rat zum Gesetzesentwurf über eine Teilrevision des Gesetzes über die Ausübung der politischen Rechte und des Gesetzes über die Gemeinden, ASF 2009_018, S. 22.
- Art. 29 Loi sur l'exercice des droits politiques du 5 octobre 2021 (LEDP/VD; BLV 160.01); vgl. Expose des motifs et projets de lois sur l’exercice des droits politiques, janvier 2021, 20_LEG_79, S. 6, 22 ff.
- Der Begriff «amtlich» stellt in diesem Zusammenhang ein Füllwort dar, vgl. auch Hangartner, S. 1227.
- Art. 2 VO Parteienregister; vgl. zur Kritik an dieser Definition Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 99.
- Biaggini, Art. 137 BV N. 2; vgl. für andere Kritikpunkte auch SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 17 ff.
- BGE 129 II 305 E. 2.2; vgl. für eine Übersicht des Zwecks in den Statuten der Schweizer Parteien Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 100.
- Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 58.
- Vgl. zur zivilrechtlichen Unterscheidung BK-Riemer, Art. 60 ZGB N. 73 ff.
- Verordnung der Bundesversammlung über das Parteienregister vom 13.12.2002, SR 161.15.
- Schiess Rütimann, Gleichheit, S. 509; vgl. auch BK-Riemer, Art. 60 ZGB N. 72.
- Schiess Rütimann, Gleichheit, S. 509. Schiess Rütimann erachtet die Beschränkung der Vereinigungsfreiheit durch Art. 2 VO Parteienregister für unverhältnismässig, vgl. SGK-Schiess Rütimann, Art. 137 BV N. 18. A.M. wohl Biaggini, Art. 23 BV N. 8.
- So auch Biaggini, Art. 23 BV N. 8.
- Botschaft BPR 2001, S. 6413 und 6420.
- Botschaft BPR 2001, S. 6420.
- So auch Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 58; wohl a.M. Biaggini, Art. 137 BV N. 2.
- Art. 33 Abs. 1 lit. i DBG.
- Schiess Rütimann, Parteien, Rz. 179.
- BGE 129 II 305 E. 2.
- Art. 1 Abs. 2 VO Parteienregister.
- Art. 76a Abs. 2 lit. a–c BPR.
- Die Anmeldung ist im Anhang der VO Parteienregister aufgeführt.
- Art. 1 Abs. 2 VO Parteienregister.
- https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/pa/par_2_2_2_3.html.
- Art. 4 Abs. 3 VO Parteienregister.
- Botschaft BPR 2001, S. 6420.
- Vgl. Biaggini, Art. 164 BV N. 10 f.; BSK-Wyttenbach/Wyss, Art. 164 BV N. 39.
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