-
- Art. 11 OR
- Art. 12 OR
- Art. 50 OR
- Art. 51 OR
- Art. 143 OR
- Art. 144 OR
- Art. 145 OR
- Art. 146 OR
- Art. 147 OR
- Art. 148 OR
- Art. 149 OR
- Art. 150 OR
- Art. 701 OR
- Art. 715 OR
- Art. 715a OR
- Art. 734f OR
- Art. 785 OR
- Art. 786 OR
- Art. 787 OR
- Art. 788 OR
- Art. 808c OR
- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
-
- Art. 2 BPR
- Art. 3 BPR
- Art. 4 BPR
- Art. 6 BPR
- Art. 10 BPR
- Art. 10a BPR
- Art. 11 BPR
- Art. 12 BPR
- Art. 13 BPR
- Art. 14 BPR
- Art. 15 BPR
- Art. 16 BPR
- Art. 17 BPR
- Art. 19 BPR
- Art. 20 BPR
- Art. 21 BPR
- Art. 22 BPR
- Art. 23 BPR
- Art. 24 BPR
- Art. 25 BPR
- Art. 26 BPR
- Art. 27 BPR
- Art. 29 BPR
- Art. 30 BPR
- Art. 31 BPR
- Art. 32 BPR
- Art. 32a BPR
- Art. 33 BPR
- Art. 34 BPR
- Art. 35 BPR
- Art. 36 BPR
- Art. 37 BPR
- Art. 38 BPR
- Art. 39 BPR
- Art. 40 BPR
- Art. 41 BPR
- Art. 42 BPR
- Art. 43 BPR
- Art. 44 BPR
- Art. 45 BPR
- Art. 46 BPR
- Art. 47 BPR
- Art. 48 BPR
- Art. 49 BPR
- Art. 50 BPR
- Art. 51 BPR
- Art. 52 BPR
- Art. 53 BPR
- Art. 54 BPR
- Art. 55 BPR
- Art. 56 BPR
- Art. 57 BPR
- Art. 58 BPR
- Art. 59a BPR
- Art. 59b BPR
- Art. 59c BPR
- Art. 62 BPR
- Art. 63 BPR
- Art. 67 BPR
- Art. 67a BPR
- Art. 67b BPR
- Art. 75 BPR
- Art. 75a BPR
- Art. 76 BPR
- Art. 76a BPR
- Art. 90 BPR
-
- Vorb. zu Art. 1 DSG
- Art. 1 DSG
- Art. 2 DSG
- Art. 3 DSG
- Art. 5 lit. f und g DSG
- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
- Art. 7 DSG
- Art. 10 DSG
- Art. 11 DSG
- Art. 12 DSG
- Art. 14 DSG
- Art. 15 DSG
- Art. 19 DSG
- Art. 20 DSG
- Art. 22 DSG
- Art. 23 DSG
- Art. 25 DSG
- Art. 26 DSG
- Art. 27 DSG
- Art. 31 Abs. 2 lit. e DSG
- Art. 33 DSG
- Art. 34 DSG
- Art. 35 DSG
- Art. 38 DSG
- Art. 39 DSG
- Art. 40 DSG
- Art. 41 DSG
- Art. 42 DSG
- Art. 43 DSG
- Art. 44 DSG
- Art. 44a DSG
- Art. 45 DSG
- Art. 46 DSG
- Art. 47 DSG
- Art. 47a DSG
- Art. 48 DSG
- Art. 49 DSG
- Art. 50 DSG
- Art. 51 DSG
- Art. 54 DSG
- Art. 57 DSG
- Art. 58 DSG
- Art. 60 DSG
- Art. 61 DSG
- Art. 62 DSG
- Art. 63 DSG
- Art. 64 DSG
- Art. 65 DSG
- Art. 66 DSG
- Art. 67 DSG
- Art. 69 DSG
- Art. 72 DSG
- Art. 72a DSG
-
- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 5 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 6 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 7 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 8 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 9 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 11 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 12 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 29 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 33 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Einleitung
- II. Entstehungsgeschichte der ÜBest
- III. Allgemeine übergangsrechtliche Grundregeln der ÜBest (Art. 1 ÜBest)
- IV. Die einzelnen Übergangsbestimmungen der Aktienrechtsrevision
- V. Nicht explizit legiferierte übergangsrechtliche Fragen
- Literaturverzeichnis
- Materialienverzeichnis
I. Einleitung
1 Die meisten Bestimmungen des neuen Aktienrechts sind am 1. Januar 2023 in Kraft getreten. Einige Bestimmungen traten bereits am 1. Januar 2021 in Kraft (unten N. 88 und N. 101). Im Hinblick auf den Übergang vom alten zum neuen Aktienrecht sind die «Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 19. Juni 2020» von zentraler Bedeutung. Diese Bestimmungen sind auch für andere Gesellschaftsformen wie die GmbH und die Genossenschaft relevant. Als sog. intertemporales Recht widmen sie sich der Abgrenzung zeitlich aufeinanderfolgender Aktienrechtsordnungen.
2 Im vorliegenden Kommentar wird «Art. x ÜBest» verwendet, um auf entsprechende Normen des hier kommentierten Übergangsrechts zu verweisen. Bei Verweisen auf das Aktienrecht vor dem 1. Januar 2023 wird «Art. x aOR» verwendet. Das neue Aktienrecht wird mit «Art. x nOR» referenziert (ebenso Bestimmungen, die in anderen Gesetzen geändert wurden). Auf eine Norm des OR ohne Voranstellung eines «a» oder «n» wird verwiesen, falls sowohl altes als auch neues Recht erfasst sind.
3 Falls nicht auf Besonderheiten der GmbH oder der Genossenschaft verwiesen wird, werden jeweils die aktienrechtlichen Normen angegeben ohne zusätzlich auf deren Pendants im GmbH- sowie im Genossenschaftsrecht hinzuweisen.
II. Entstehungsgeschichte der ÜBest
4 Regelmässig stehen die Übergangsbestimmungen eines Gesetzesentwurfs weder im Fokus des Parlaments noch der öffentlichen Wahrnehmung. So war es auch bei der Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020. Das Parlament passte die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Übergangsbestimmungen lediglich in zweierlei Hinsicht minimal an: Zum einen spricht Art. 3 ÜBest von «Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital» während im Entwurf von «bedingter Kapitalerhöhung» die Rede war (vgl. Art. 3 E-ÜBest). Zum anderen weitete das Parlament Art. 6 E‑ÜBest von «Anpassung altrechtlicher Arbeitsverträge»
5 Die Gründung einer Genossenschaft sowie die Änderung von deren Statuten setzt neu – wie bei der AG
III. Allgemeine übergangsrechtliche Grundregeln der ÜBest (Art. 1 ÜBest)
6 Die Auswirkungen eines neuen bzw. revidierten Rechts auf bestehende Rechtspositionen sind ein wesentlicher Aspekt von Übergangsbestimmungen.
7 Das Übergangsrecht zum neuen Aktienrecht wird mit einer Grundregel eingeleitet. Gemäss Art. 1 Abs. 1 ÜBest gelten grundsätzlich die Art. 1 bis Art. 4 SchlT ZGB.
8 Wer sich auf altes Recht beruft, trägt für die diesbezüglichen Tatsachen bzw. Tatsachenbehauptungen die Beweislast. Es gilt die Vermutung der Ausschliesslichkeit des neuen Rechts.
9 Nach zutreffender Ansicht handelt es sich beim intertemporalen Recht – soweit nicht eine gesetzliche Ausnahme besteht
A. Bedeutung von Art. 1 bis Art. 4 SchlT ZGB (Art. 1 Abs. 1 ÜBest)
10 Art. 1 SchlT ZGB statuiert die Regel der Nichtrückwirkung in der objektiven Fassung. Hierbei handelt es sich um eine starre Formel ohne Berücksichtigung bestimmter Wertungen.
1. Grundsatz der Nichtrückwirkung (Art. 1 SchlT ZGB)
11 Der in Art. 1 SchlT ZGB enthaltene Grundsatz der Nichtrückwirkung sieht im Allgemeinen vor, dass neue Bestimmungen nicht auf Sachverhalte angewendet werden, die sich vor deren Inkrafttreten ereignet haben.
12 Der Begriff «Tatsache» ist umstritten. Die herrschende Lehre versteht unter «Tatsache» jeden Vorgang, der eine Rechtswirkung nach sich zieht.
13 Der Grundsatz der Nichtrückwirkung gilt lediglich für abgeschlossene Sachverhalte. Sachverhalte, die unter altem Recht beginnen und unter neuem Recht andauern, werden davon nicht erfasst (sog. Dauersachverhalte). Solche liegen u.a. in der Organisation einer Gesellschaft als auch in der Rechtsstellung, der an ihr beteiligten Personen vor. Hier gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens grundsätzlich das neue Recht (vgl. auch Art. 3 SchlT ZGB).
14 Unter Handlungen
15 Art. 1 Abs. 3 SchlT ZGB hält den Grundsatz fest, wonach neurechtliche Tatsachen nach neuem Recht beurteilt werden (lex posterior derogat legi priori).
2. Die Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtrückwirkung i.S.v. Art. 1 SchlT ZGB gemäss Art. 2 bis Art. 4 SchlT ZGB
16 Der soeben dargestellte Grundsatz der Nichtrückwirkung wirkt nicht, falls eine der in Art. 2 bis Art. 4 SchlT ZGB dargestellten Ausnahmen vorliegt.
a. Rückwirkung zugunsten der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit (ordre public; Art. 2 SchlT ZGB)
17 Art. 2 SchlT ZGB räumt Bestimmungen, die um der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit willen aufgestellt sind, eine besondere Stellung ein. Eine Rückwirkung ist gemäss Art. 2 SchlT ZGB in diesen Bereichen zulässig.
18 Die Aktienrechtsrevision sollte das Institut der Aktiengesellschaft (bzw. teilweise auch der GmbH und der Genossenschaft) hauptsächlich modernisieren und den wirtschaftlichen Bedürfnissen anpassen.
b. Schutz bestimmter Vertrauenspositionen (Art. 3 und Art. 4 SchlT ZGB)
19 Art. 3 und Art. 4 SchlT ZGB schützen bestimmte Vertrauenspositionen. Art. 3 SchlT ZGB gelangt zur Anwendung, falls das Rechtsverhältnis nicht vom Willen der Beteiligten abhängt. Demgegenüber ist für die Anwendung von Art. 4 SchlT ZGB der Wille der Beteiligten massgebend.
20 Falls der Inhalt eines Rechtsverhältnisses gesetzlich umschrieben wird, hängt dieses nicht vom Willen der Parteien ab. Die Beurteilung erfolgt gemäss Art. 3 SchlT ZGB anhand des neuen Rechts. Die Regel der Nichtrückwirkung gilt lediglich für den Erwerb bzw. die Entstehung von Rechtsverhältnissen. Der Inhalt dieser Rechte ist jedoch dem künftigen Recht unterworfen, soweit zwingendes Recht in Frage steht.
21 Art. 4 SchlT ZGB sieht vor, dass nicht erworbene Rechte bei einer Rechtsänderung nicht zu schützen sind.
B. Anwendung auf bestehende Gesellschaften (Art. 1 Abs. 2 ÜBest)
22 Art. 1 Abs. 2 ÜBest hält fest, dass die Bestimmungen des neuen Rechts am 1. Januar 2023 auf bestehende Gesellschaften anwendbar werden. Deren Statuten und Reglemente enthalten oftmals einige Bestimmungen des alten Rechts. Diesbezüglich gelangt jedoch aufgrund von Art. 2 ÜBest eine Ausnahme zur Anwendung (näher unten N. 25 ff.).
23 Das in Art. 1 Abs. 2 ÜBest Erwähnte, wonach für bestehende Gesellschaft ab dem 1. Januar 2023 das neue Recht zur Anwendung gelangt, gilt bereits aufgrund der allgemeinen übergangsrechtlichen Regelungen. Es handelt sich bei der Organisation der Gesellschaft sowie der Rechtsstellung der daran Beteiligten um einen Dauersachverhalt, für den die Regel der Nichtrückwirkung keine Anwendung findet (vgl. oben N. 13). Weiter schreibt Art. 3 SchlT ZGB vor, dass der Inhalt der Rechtsverhältnisse, der unabhängig vom Willen der Beteiligten durch das Gesetz umschrieben wird, nach dem Inkrafttreten durch das neue Recht zu beurteilen ist (vgl. oben N. 20). Für juristische Personen ergibt sich dies weiter konkret aus Art. 6b Abs. 3 SchlT ZGB, der einen Anwendungsfall des allgemein gehaltenen Art. 3 SchlT ZGB darstellt.
IV. Die einzelnen Übergangsbestimmungen der Aktienrechtsrevision
24 Dieses Kapitel befasst sich mit den explizit geregelten Themenbereichen der ÜBest.
A. Anpassung von Statuten und Reglementen (Art. 2 ÜBest)
1. Ausgangslage und Rückblick
25 Art. 2 ÜBest ist ein Klassiker gesellschaftsrechtlicher Revisionen. Wie nachfolgend chronologisch gezeigt wird, kannten bereits diverse intertemporale Normen vorgängiger Revisionen ähnliche Bestimmungen wie Art. 2 ÜBest. Es fällt auf, dass die neueren Übergangsbestimmungen in der Systematik des OR weiter oben angesiedelt sind als die beiden erstgenannten, was nicht der chronologischen Abfolge der Übergangsbestimmungen im OR entspricht.
Schluss- und Übergangsbestimmungen zu den Titeln XXIV-XXXIII
B. Anpassung alter Gesellschaften an das neue Recht
I. Im Allgemeinen
Art. 2
1 Aktiengesellschaften, Kommanditaktiengesellschaften und Genossenschaften, die im Zeitpunkte des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen, haben binnen einer Frist von fünf Jahren ihre Statuten den neuen Bestimmungen anzupassen.
2 Während dieser Frist unterstehen sie dem bisherigen Rechte, soweit ihre Statuten den neuen Bestimmungen widersprechen.
3 Kommen die Gesellschaften dieser Vorschrift nicht nach, so sind sie nach Ablauf der Frist durch den Handelsregisterführer von Amtes wegen als aufgelöst zu erklären.
4 (…)
Schlussbestimmungen zum XXVI. Titel
B. Anpassung an das neue Recht
I. Im Allgemeinen
Art. 2
1 Aktiengesellschaften und Kommanditaktiengesellschaften, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den neuen gesetzlichen Vorschriften nicht entsprechen, müssen innert fünf Jahren ihre Statuten den neuen Bestimmungen anpassen.
2 (…)
3 Andere statutarische Bestimmungen, die mit dem neuen Recht unvereinbar sind, bleiben bis zur Anpassung, längstens aber noch fünf Jahre, in Kraft.
Übergangsbestimmungen der Änderung vom 16. Dezember 2005
B. Anpassungsfrist
Art. 2
1 Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den neuen Vorschriften nicht entsprechen, müssen innerhalb von zwei Jahren ihre Statuten und Reglemente den neuen Bestimmungen anpassen.
2 Bestimmungen der Statuten und Reglemente, die mit dem neuen Recht nicht vereinbar sind, bleiben bis zur Anpassung, längstens aber noch zwei Jahre in Kraft.
3 (…)
4 (…)
Übergangsbestimmung der Änderung vom 12. Dezember 2014
B. Anpassung von Statuten und Reglementen
Art. 2
1 Gesellschaften, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung vom 12. Dezember 2014 im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den neuen Vorschriften nicht entsprechen, müssen innerhalb von zwei Jahren ihre Statuten und Reglemente den neuen Bestimmungen anpassen.
2 Bestimmungen der Statuten und Reglemente, die mit dem neuen Recht nicht vereinbar sind, bleiben bis zur Anpassung, längstens aber noch zwei Jahre in Kraft.
26 Während die ersten beiden Revisionen Übergangsfristen von fünf Jahren vorsahen, entspricht eine zweijährige Übergangsfrist der heutigen Best Practice im Gesellschaftsrecht. Auch das neue Rechnungslegungsrecht und Art. 28 VegüV sahen eine zweijährige Übergangsfrist vor.
27 Ungeachtet dessen wurde auch in der jüngsten Aktienrechtsrevision eine Übergangsfrist von sogar zehn Jahren diskutiert. Diese sah Romano in seinem erfolglosen Vorschlag einer Anpassung des französischen und des italienischen Begriffs für Aktiengesellschaft vor. Zugunsten der Wahrung des Finanzplatzes begehrte er die Streichung des Teils, der auf die Anonymisierung hindeutet (von «société anonyme» zu «société par actions» und von «società anonima» zu «società per azioni»). Die Abkürzung wäre weiterhin «SA» geblieben.
28 Aufgrund der (funktionalen) Ähnlichkeit der vorliegenden Bestimmung mit Art. 2 ÜBest der letzten Revisionen kann die damals ergangene Literatur auch vorliegend bei Art. 2 ÜBest berücksichtigt werden. Der Mechanismus ist derselbe; teilweise unterscheidet sich der Wortlaut minim: So sprachen frühere Übergangsbestimmungen noch von «unvereinbar» während neuere Übergangsbestimmungen von «nicht vereinbar» sprechen.
2. Anwendungsbereich von Art. 2 ÜBest
a. Persönlicher Anwendungsbereich
29 Art. 2 ÜBest gelangt auf Gesellschaften zur Anwendung, die am 1. Januar 2023 im Handelsregister eingetragen waren. Hierbei handelt es sich um die bestehenden Gesellschaften i.S.v. Art. 1 Abs. 2 ÜBest (vgl. oben N. 22). Bereits in anderen Übergangsbestimmungen sprach Art. 1 Abs. 2 von bestehenden Gesellschaften und Art. 2 Abs. 1 von im Zeitpunkt des Inkrafttretens im Handelsregister eingetragenen Gesellschaften.
30 Aus Art. 2 ÜBest e contrario ergibt sich, dass für nach dem 1. Januar 2023 gegründete Gesellschaften, ausschliesslich das neue Aktienrecht zur Anwendung gelangt. Massgebend ist der Eintrag im Tagesregister des Handelsregisters,
b. Sachlicher Anwendungsbereich
31 Bereits der Marginalie kann entnommen werden, dass sich Art. 2 ÜBest auf Statuten und Reglemente bezieht. In den Statuten werden diejenigen Normen festgelegt, die die Gesellschaft neben den gesetzlichen Bestimmungen beherrschen.
3. Übergangsfrist
a. Grundmechanismus
32 Art. 2 Abs. 1 ÜBest sieht vor, dass Gesellschaften, die am 1. Januar 2023 im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den neuen Vorschriften nicht entsprechen, ihre Statuten und Reglemente innerhalb von zwei Jahren den neuen Bestimmungen anpassen müssen. Diese Bestimmung ist als klare Anweisung bzw. Befehl formuliert. Nach Art. 2 Abs. 2 ÜBest bleiben Statuten und Reglemente, die mit dem neuen Recht nicht vereinbar sind, bis zur Anpassung, längstens aber noch bis am 31. Dezember 2024 in Kraft. Am 1. Januar 2025 treten die dem neuen Recht widersprechenden Bestimmungen automatisch ausser Kraft.
33 Betreffend Änderungen der Statuten und Reglemente sieht der Gesetzgeber eine «Einbahnstrasse» vor. Es sind nur Änderungen an das neue Recht und zwar bereits vor Ablauf der zweijährigen Übergangsfrist zulässig. Die Neueinführung einer nach bisherigem Recht zulässigen Regelung ist nach dem 1. Januar 2023 unzulässig – ungeachtet der Übergangsfrist.
b. Statutarische Wiedergabe von altrechtlichen (zwingenden) Bestimmungen
34 Die Statuten zahlreicher Gesellschaften geben einzelne Gesetzesbestimmungen eins zu eins wieder.
35 Bei den unübertragbaren Befugnissen i.S.v. Art. 698 Abs. 2 und Art. 716a Abs. 1 OR handelt es sich um zwingende Kompetenzen, von denen eine Gesellschaft statutarisch nicht abweichen darf.
36 In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die statutarischen Abbildungen von zwingendem altrechtlichem Gesetzesrecht, das neuem zwingendem Gesetzesrecht widerspricht, – wie vom Grundmechanismus von Art. 2 Abs. 2 ÜBest vorgesehen – noch während zwei Jahren, d.h. bis am 31. Dezember 2024, in Kraft bleiben
37 Einige Stimmen gehen davon aus, dass die Statutenbestimmungen, die das alte Regime wiedergeben, spätestens bis am 31. Dezember 2024 in Kraft bleiben. Die neuen Schwellenwerte und Quoren würden demnach erst gelten, wenn mittels (vorgezogener) Statutenänderung reagiert wird.
38 Ein solches allfällig erwecktes Vertrauen kann jedoch auch erschüttert werden, wie das folgende Beispiel zeigt: Das Bundesgericht hielt im Einklang mit der herrschenden Lehre
39 In der Aktienrechtsrevision vom 4. Oktober 1991, die am 1. Juli 1992 in Kraft trat, sah Art. 6 der dazugehörigen Übergangsbestimmungen vor, dass eine Gesellschaft, die durch blosse Wiedergabe von Bestimmungen des bisherigen Rechts für bestimmte Beschlüsse Vorschriften über qualifizierte Mehrheiten in die Statuten übernommen hat, binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten mit absoluter Mehrheit aller an einer Generalversammlung vertretenen Aktienstimmen die Anpassung an das neue Recht beschliessen kann.
40 Jäggi und Rapp vertraten bei früheren Revisionen den Standpunkt, dass Statutenbestimmungen, die lediglich den bisherigen Gesetzestext wiedergeben, automatisch dahinfallen, wenn nachgewiesen werden kann, dass bei deren Erlass die Meinung bestand, den jeweiligen Gesetzestext wiederzugeben.
41 Böckli,
42 Zentral ist somit die Frage, ob bei der Auslegung von Art. 2 Abs. 2 ÜBest das grammatikalische Element dominiert und man zum Schluss gelangt, die Zweijahresfrist gelte auch für die statutarische Wiedergabe von zwingendem Gesetzesrecht
43 Nachfolgende Argumente sprechen dafür, dass sich die zweite Auffassung wohl fundierter begründen lässt. Bereits bei der ersten Ansicht wurde gezeigt, dass AktionärInnen u.a. wegen der Rechtsprechung, nicht vollends auf die entsprechenden Statutenbestimmungen bzw. deren Wortlaut vertrauen können (vgl. oben N. 38). Zudem kann nicht mit den Statuten eine Ordnung geschaffen werden, die der Gesetzgeber sich selbst vorbehält. Weiter stimmt diese Ansicht mit dem Grundgedanken des zur Auslegung heranzuziehenden Art. 3 SchlT ZGB überein (siehe den allerdings deklaratorischen Verweis in Art. 1 Abs. 1 ÜBest [vgl. oben N. 7]). Art. 3 SchlT ZGB sieht vor, dass die zwingenden Regelungen des neuen Rechts betreffend den Inhalt eines Rechtsverhältnisses unmittelbar mit Inkraftsetzung anwendbar sind. Dies gilt u.a. auch bei Gesellschaften (vgl. auch Art. 6b Abs. 3 SchlT ZGB und oben N. 20 und N. 23).
44 Das Bundesgericht entschied betreffend der Sonderprüfung
45 Die fünfjährige Übergangsbestimmung der Revision vom 4. Oktober 1991, die am 1. Juli 1992 in Kraft trat,
46 Falls die Statuten auf das Gesetz verweisen, kann davon ausgegangen werden, dass die blosse Verweisung einer Statutenbestimmung auf das Gesetz als Verweis auf die jeweils geltende Rechtsordnung gilt (sog. dynamische Verweisung).
47 Weiter kann argumentiert werden, dass die statutarische Verankerung der Art. 698, Art. 704 und Art. 716a aOR nicht abschliessend ist und jederzeit zusätzlich durch neues Recht ergänzt werden kann.
4. Statuten
a. Anpassungsbedarf
48 Wie bereits oben erwähnt soll die Aktienrechtsrevision keinen Zwang zur Statutenänderung auslösen (vgl. oben N. 32). Dies ist v.a. für KMU oder Gruppengesellschaften eine Entlastung, weil eine Statutenänderung neben einem Beschluss der Generalversammlung auch eine öffentliche Beurkundung erfordert (vgl. Art. 647 und Art. 698 Abs. 2 Ziff. 1 OR). Aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit empfiehlt sich jedoch i.d.R. eine Anpassung. Dabei kann man sich an den verschiedenen Vorlagen der kantonalen Handelsregisterämter orientieren.
49 Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1 nOR schreibt vor, dass die Statuten kotierter Gesellschaften Bestimmungen über die Anzahl der Tätigkeiten, welche die Mitglieder des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats in vergleichbaren Funktionen bei anderen Unternehmen mit wirtschaftlichem Zweck ausüben dürfen, vorsehen (sog. «Drittmandate»
50 Nach Art. 10 und Art. 26 KR SIX
51 Weiter drängt sich sowohl bei nichtkotierten als auch kotierten Gesellschaften eine Statutenänderung auf, falls von einer Möglichkeit des neuen Rechts Gebrauch gemacht werden soll und hierfür eine statutarische Grundlage erforderlich ist.
52 Zu den Möglichkeiten des neuen Rechts zählen u.a.:
Reduktion des Mindestnennwerts unter einen Rappen (Art. 622 Abs. 4 nOR);
Aktienkapital in einer Fremdwährung (Art. 621 Abs. 2 und Art. 626 Abs. 1 Ziff. 3 nOR);
Einführung eines Kapitalbands (Art. 653s Abs. 1 nOR);
Einführung einer statutarischen Schiedsklausel (Art. 697n nOR);
Ausländischer Tagungsort für eine Generalversammlung (Art. 701b Abs. 1 nOR);
Virtuelle Generalversammlung (allenfalls ohne unabhängige Stimmrechtsvertretung; Art. 701d nOR).
Im Zuge der Covid-Pandemie wurde es ermöglicht, Generalversammlungen in besonderer Form unter Ausschluss der physischen Präsenz der Aktionäre durchzuführen («Covid-Generalversammlungen» i.S.v. Art. 27 aCovid-19-Verordnung 3 [SR 818.101.24]). Da bei Covid-Generalversammlungen das Prinzip der Unmittelbarkeit nicht zwingend eingehalten werden musste, dürfen diese Ausnahmeformen nicht mit dem Modus der virtuellen Generalversammlung verwechselt werden. Seit dem 1.1.2023 sind Covid-Generalversammlungen nicht mehr zulässig, da die entsprechende Bestimmung durch das Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision aufgehoben wurde (Art. 29 Abs. 5 aCovid-19-Verordnung 3).
53 U.U. erfordert das neue Recht auch ein sofortiges Eingreifen. Gemäss Art. 716b Abs. 1 nOR kann der Verwaltungsrat – sofern die Statuten nichts anderes vorsehen – die Geschäftsführung nach Massgabe eines Organisationsreglements ganz oder zum Teil einzelnen Mitgliedern oder Dritten übertragen (Art. 716b Abs. 1 nOR). Demgegenüber war vorher für die Übertragung der Geschäftsführung eine statutarische Grundlage erforderlich (Art. 716b Abs. 1 aOR). Das dispositive Recht wurde somit umgekehrt.
54 Das alte Aktienrecht liess die Vertretung an der Generalversammlung ausschliesslich durch andere AktionärInnen nur bei entsprechender statutarischer Vorschrift zu (vgl. Art. 627 Ziff. 10 und Art. 689 Abs. 2 aOR). Neu wird bei einer solchen Regelung in den Statuten einer nichtkotierten Gesellschaft verlangt, dass der Verwaltungsrat auf Verlangen eines Aktionärs oder einer Aktionärin eine unabhängige Stimmrechtsvertretung oder eine Organstimmrechtsvertretung bezeichnet (Art. 689d Abs. 2 nOR). Die Einzelheiten werden in den Statuten geregelt (Art. 689d Abs. 3 nOR in fine). Demnach erfordert das neue Recht eine entsprechende Statutenanpassung. Da es sich nicht um den Ersatz von altem durch neues zwingendes Recht handelt, sondern um eine neue Regelung, die das alte Recht nicht vorsah, gelangt diesbezüglich die zweijährige Übergangsfrist i.S.v. Art. 2 Abs. 2 ÜBest zur Anwendung (dazu oben N. 32 ff.).
55 Ab dem 1. Januar 2023 werden bestimmte Vergütungen ohne statutarische Grundlage unzulässig sein, weil der Katalog unzulässiger Vergütungen von Art. 735c nOR neu auch bestimmte Vergütungen an frühere Mitglieder des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung sowie ihnen nahestehende Personen erfasst (vgl. zum Vergütungsrecht auch N. 127 ff.).
56 Eine genehmigte Kapitalerhöhung i.S.v. Art. 651 ff. aOR ist nach dem 1. Januar 2023 nur möglich, falls der entsprechende Statutenänderungsbeschluss vor dem 1. Januar 2023 gefällt wurde (vgl. Art. 3 ÜBest; siehe unten N. 81).
57 Zu Schiedsklauseln, die vor dem 1. Januar 2023 in den Statuten enthalten sind, vgl. unten N. 194.
b. Ablauf der Statutenanpassungen
58 Falls die Gesellschaft bzw. deren Verwaltungsrat einen Anpassungsbedarf identifiziert, erfolgt eine Statutenanpassung durch Beschluss der Generalversammlung (vgl. Art. 698 Abs. 2 lit. a OR).
59 Das EHRA publizierte betreffend Statutenänderungen im Hinblick auf das Inkrafttreten der Aktienrechtsrevision eine Praxismitteilung.
Herabsetzung des Nennwerts unter einen Rappen, wobei der Nennwert grösser als null zu sein hat (Art. 622 Abs. 4 nOR und Art. 45 Abs. 1 lit. h nHRegV);
Kapital in Fremdwährung (Art. 621 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 629 Abs. 3 und Art. 632 Abs. 2 nOR sowie Art. 45 Abs. 1 lit. h nHRegV);
Einführung eines börsenkotierten Partizipationskapitals gemäss den revidierten Bestimmungen (Art. 656b Abs. 1 nOR und Art. 45 Abs. 1 lit. j nHRegV);
Kapitalband (Art. 653s ff. nOR und Art. 59a Abs. 2 nHRegV);
Schiedsklausel (Art. 697n nOR und Art. 45 Abs. 1 lit. u nHRegV).
60 Für die Anpassung des Nennwerts kann auf die Gesetzesanpassung vom 1. Mai 2001 verwiesen werden, wonach der Nennwert einer Aktie grösser als einen Rappen sein muss (Art. 622 Abs. 4 aOR). Diesbezüglich bestand ebenfalls die Möglichkeit bereits vor dem 1. Mai 2001 einen bedingten Statutenänderungsbeschluss betreffend die Herabsetzung des Nennwerts zu fassen.
61 Im Zusammenhang mit der Einberufung der Generalversammlung muss der Verwaltungsrat sicherstellen, dass die Verhandlungsgegenstände die Einheit der Materie wahren (Art. 700 Abs. 3 nOR). Dieses auch im Verfassungsrecht bekannte Prinzip
62 Es wird zwischen Teil- und Totalrevision der Statuten differenziert. Bei einer Totalrevision verlangen die Handelsregisterämter, dass sämtliche Bestimmungen dem neuen Recht entsprechen.
63 Denkbar sind folgende Themenblöcke:
Vergütungsrechtliche Bestimmungen (vgl. Art. 626 Abs. 2 nOR);
Enger sachlicher Zusammenhang bejahend bei allen Bestimmungen, die der Umsetzung der VegüV dienen: Kummer Angela, Statutarische Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich von «Say on Pay», Zürich et al. 2019 (= SSHW 348), N. 70 m.w.H. Bestimmungen über ein Kapitalband (vgl. Art. 653s ff. nOR);
Schenker/Schenker fordern eine separate Abstimmung über den Entzug des Bezugsrechts im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung, weil es sich dabei um einen starken Eingriff in die Rechte der AktionärInnen handelt (Schenker/Schenker, S. 218). Bestimmungen über die Generalversammlung;
Bestimmungen über den Verwaltungsrat;
Bestimmungen über die Revisionsstelle.
Allgemein: Müller, N. 537.
64 Grundsatzbeschlüsse wie die Einschränkung des Stimmrechts
65 Der Grundsatz der Einheit der Materie verlangt indes nicht, dass bei einer Totalrevision der Statuten über jede Bestimmung einzeln abgestimmt werden muss.
66 Der Grundsatz der Einheit der Materie darf nicht dadurch umgangen werden, dass eine Teilrevision unter dem Titel der Totalrevision durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang kann von der formellen und der materiellen Totalrevision gesprochen werden. Eine formelle Totalrevision liegt vor, falls die alte Version der Statuten voll und ganz durch eine neue Version ersetzt wird. Bei einer erheblichen Anzahl an Statutenbestimmungen, die materiell geändert wurden, liegt zugleich auch eine materielle Totalrevision vor. Gemäss Müller befindet sich die Grenze der Erheblichkeit zwischen fünf und zehn Einzelabstimmungen, wobei die Grenze sich je nach Umfang der Statuten erhöht.
67 Ob über ein Thema in einer einzigen Abstimmung Beschluss zu fassen ist oder ob mehrere Themen zu einem Block zusammengefasst werden sollen, hängt von verschiedenen Überlegungen ab. Einerseits sollen die Themen so zusammengefasst werden, dass der Wille der Generalversammlung möglichst unverfälscht zum Ausdruck gebracht werden kann. Das bedeutet, dass über ein möglicherweise umstrittenes Thema nicht zusammen mit unbestrittenen Themen abgestimmt werden sollte. Andernfalls besteht das Risiko, dass der gesamte Themenblock abgelehnt wird. Andererseits ist das erforderliche Beschlussquorum zu beachten. Eine einzelne Abstimmung empfiehlt sich, falls für einen Beschluss ein qualifiziertes Quorum
68 Falls die Einheit der Materie verletzt ist, kann der entsprechende Beschluss der Generalversammlung angefochten werden (Art. 706 f. OR).
69 Das Handelsregisteramt hat lediglich anfechtbare Beschlüsse ebenfalls vorbehältlich anderer Mängel einzutragen.
5. Reglemente
a. Anpassungsbedarf
70 Für Reglemente gilt derselbe Mechanismus wie für die Statuten. Am 1. Januar 2025 dem neuen Recht widersprechende Bestimmungen treten gemäss Art. 2 Abs. 2 ÜBest automatisch ausser Kraft (vgl. N. 32). Obwohl sich das Parlament dazu im Gegensatz zu den Statuten nicht explizit äusserte, ist anzunehmen, dass auch Reglementsänderungen nicht obligatorisch sind.
71 In N. 50 wurde dargelegt, dass börsenkotierte Gesellschaften aufgrund der Kotierungsreglemente ihre Statuten anpassen müssen. Analoge Bestimmungen, wonach Reglemente dem schweizerischen Recht entsprechen müssen, finden sich zwar nicht (vgl. Art. 10 und Art. 26 KR SIX sowie Ziff. 4.1 und Ziff. 19.1 KR BX). Jedoch publizieren viele kotierte Gesellschaften im Minimum das Organisationsreglement freiwillig online,
72 In erster Linie ist das häufig bestehende Organisationsreglement auf Anpassungsbedarf zu prüfen. In diesem regelt der Verwaltungsrat im Wesentlichen die Delegation der Geschäftsführung vom Verwaltungsrat an eine Geschäftsleitung (Art. 716b Abs. 1 nOR). Ferner werden regelmässig auch die Sitzungen und Beschlussfassungen des Verwaltungsrates dort geregelt. Auch die Arbeitsweise und Kompetenzen allfällig bestehender Ausschüsse des Verwaltungsrates (Committees) werden vielfach dort festgelegt, wobei auch häufig separate Reglemente (Committee Charters) anzutreffen sind.
73 Gegebenenfalls kann sich eine Reglementsänderung aufdrängen.
74 Gemäss Art. 701e Abs. 1 nOR regelt der Verwaltungsrat die Verwendung elektronischer Mittel in der Generalversammlung. Dies ist insbesondere bei der Durchführung einer virtuellen,
75 Denkbar ist auch, dass sich der Verwaltungsrat durch eine für ihn unpassende dispositive Gesetzesnorm zu einer abweichenden Regelung im Organisationsreglement veranlasst sieht. Gemäss Art. 713 Abs. 2 Ziff. 3 nOR ist bei elektronischen Zirkularbeschlüssen
76 Betreffend Interessenkonflikte tritt mit der Aktienrechtsrevision Art. 717a nOR als rudimentäre Regelung in Kraft. Gemäss Art. 717a Abs. 2 nOR hat der Verwaltungsrat bei Vorliegen von Interessenkonflikten Massnahmen zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft zu ergreifen. Entsprechende Regelungen können im Organisationsreglement vorgesehen werden, falls nicht bereits vorhanden.
77 Soweit vorhanden können auch Änderungen des Eintragungsreglements
78 Nach Art. 686 Abs. 2bis nOR haben börsenkotierte Gesellschaften sicherzustellen, dass die EigentümerInnen oder NutzniesserInnen das Gesuch um Eintragung in das Aktienbuch auf elektronischem Weg stellen können. Das Eintragungsreglement ist somit in dieser Hinsicht zu prüfen.
b. Ablauf der Reglementsanpassung
79 Falls ein Anpassungsbedarf ausgemacht wird, ist das entsprechende Reglement zu ändern. Zuständig dafür ist der Verwaltungsrat, da ihm die Festlegung der Organisation der Gesellschaft unübertragbar und unentziehbar obliegt (vgl. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 2 OR).
B. Genehmigte Kapitalerhöhung und Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital (Art. 3 ÜBest)
80 Art. 3 ÜBest regelt den übergangsrechtlichen Umgang mit der genehmigten Kapitalerhöhung (unten N. 81 ff.) und der Kapitalerhöhung aus bedingtem Kapital (unten N. 86 f.).
1. Genehmigte Kapitalerhöhung
81 Das Kapitalband nach Art. 653s ff. nOR ersetzt die altrechtliche genehmigte Kapitalerhöhung nach Art. 651 ff. aOR.
82 Verlängerungen und Änderungen der genehmigten Kapitalerhöhung nach dem 1. Januar 2023 sind nicht mehr möglich (vgl. Art. 3 ÜBest in fine; siehe auch Ziff. 2.1 Anhang RLCG
83 Aus Praktikabilitätsgründen sollte es u.E. bei einer Totalrevision der Statuten nach dem 1. Januar 2023 zulässig sein, die Regelung betreffend das genehmigte Kapital zu verschieben bzw. erneut in den Statuten aufzunehmen. Dabei kann sich die Artikelnummer ändern oder die Regelung kann erneut im selben Artikel aufgenommen werden. Die Regelung darf jedoch weder formell noch materiell verändert werden (vgl. oben N. 82). Das entsprechende Vorgehen sollte zur Sicherheit zuerst mit dem zuständigen Handelsregisteramt abgesprochen werden.
84 Wird ein Kapitalband beschlossen, dann erfolgt die Weiterführung eines bereits beschlossenen genehmigten Kapitals gemäss Forstmoser/Küchler unter dem Regime des Kapitalbands.
85 Bei der Börse SIX Swiss Exchange gilt der neue Art. 14 RLAE
2. Bedingte Kapitalerhöhung
86 Die bedingte Kapitalerhöhung bleibt inhaltlich weitgehend unverändert.
87 Für die Regularien der Börse SIX Swiss Exchange siehe die entsprechenden Normen oben in N. 85.
C. Vertretung der Geschlechter (Art. 4 ÜBest)
88 734f nOR betreffend die Geschlechtervertretung in Verwaltungsrat und Geschäftsleitung ist bereits am 1. Januar 2021 zusammen mit Art. 4 ÜBest in Kraft getreten. Art. 734f nOR schreibt börsenkotierten Gesellschaften,
89 Art. 4 ÜBest enthält lange Übergangsfristen:
Betreffend die Geschlechtervertretung im Verwaltungsrat ist eine fünfjährige Übergangsfrist vorgesehen. Demnach gilt die Berichterstattungspflicht erstmals für das Geschäftsjahr, das am oder nach dem 1. Januar 2026 beginnt. Die entsprechenden Publikationen werden somit ab dem ersten Semester 2027 erfolgen.
Betreffend die Geschlechtervertretung in der Geschäftsleitung ist sogar eine zehnjährige Übergangsfrist vorgesehen. Demnach gilt die Berichterstattungspflicht erstmals für das Geschäftsjahr, das am oder nach dem 1. Januar 2031 beginnt. Die entsprechenden Publikationen werden somit ab dem ersten Semester 2032 erfolgen.
Dazu: Forstmoser/Küchler, Art. 734f N. 12 und Art. 4 ÜBest N. 5.
Es lässt sich jedoch beobachten, dass einzelne Unternehmen freiwillig oder auf Druck des Kapitalmarkts (insbesondere der Proxy Advisors) diese Berichterstattungspflicht bereits früher befolgen.
90 Die Übergangsfristen ermöglichen die Erreichung der Geschlechterrichtwerte über die natürliche Fluktuation und vermeiden überstürzte Neubesetzungen.
91 Art. 734f nOR geht von zwei, d.h. dem männlichen und dem weiblichen, Geschlechtern aus.
92 Die Börse SIX Swiss Exchange erklärt in der aufgrund der Aktienrechtsrevision angepassten RLCG
D. Konkursaufschub (Art. 5 ÜBest)
93 Gemäss Art. 725a Abs. 1 aOR konnte das Gericht auf Antrag des Verwaltungsrats oder eines Gläubigers die Konkurseröffnung aufschieben, falls Aussicht auf Sanierung besteht. In diesem Fall traf das Gericht die Massnahmen zur Erhaltung des Vermögens. Weiter konnte das Gericht einen Sachwalter bzw. eine Sachwalterin bestellen und dem Verwaltungsrat die Verfügungsbefugnis entziehen oder dessen Beschlüsse von der Zustimmung des Sachwalters abhängig machen (Art. 725a Abs. 2 aOR). Der Konkursaufschub musste nur veröffentlicht werden, wenn dies zum Schutze Dritter erforderlich war (Art. 725a Abs. 3 aOR).
94 Die Aktienrechtsrevision liess den Konkursaufschub im Nachlassverfahren aufgehen. Die Vorteile des Konkursaufschubs wurden in das Nachlassverfahren nach Art. 293 ff. SchKG integriert.
95 Ebenfalls mit der Aktienrechtsrevision verabschiedet wurde eine Ergänzung von Art. 293a Abs. 2 SchKG betreffend die provisorischen Nachlassstundung. In begründeten Fällen kann auf Antrag des Sachwalters bzw. der Sachwalterin oder, wenn keiner bzw. keine eingesetzt wurde, der Schuldnerin die provisorische Nachlassstundung um höchstens vier Monate verlängert werden. Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde die Bestimmung bereits am 20. Oktober 2020 in Kraft gesetzt.
96 Zu weiteren sanierungsrechtlichen Fragen unten N. 155 ff.
E. Anpassung altrechtlicher Verträge (Art. 6 ÜBest)
97 Art. 6 ÜBest ähnelt Art. 28 VegüV, erfasst jedoch sämtliche Verträge (vgl. oben N. 4). Demgegenüber erfasst Art. 28 VegüV lediglich die Arbeitsverträge und somit u.a. nicht Mandats- und Beraterverträge.
98 Art. 6 ÜBest dürfte insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Verträge (bzw. Kündigungsfristen) mit Mitgliedern des Verwaltungsrates oder der Geschäftsleitung über deren Vergütungen nach Art. 735b nOR relevant sein, weil der ins Gesetz überführte Art. 12 Abs. 1 Ziff. 2 VegüV etwas detaillierter gehalten und leicht angepasst wurde.
99 Obwohl Art. 6 ÜBest für das Vergütungsrecht geschaffen wurde, kann er bei anderen Verträgen zur Anwendung gelangen. Ein Beispiel dafür ist die Rangrücktrittsvereinbarung (vgl. Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 nOR). Während einer Übergangsfrist von zwei Jahren ist es zulässig, dass der Rangrücktritt keine Subordination hinsichtlich der Zinsen vorsieht. Ab dem 1. Januar 2025 muss der Vertrag jedoch auch die ab diesem Tag auflaufenden Zinsen während der Überschuldung subordinieren.
100 Bei der Überschuldung handelt es sich um einen Dauersachverhalt, der sich ab dem 1. Januar 2023 grundsätzlich nach neuem Recht beurteilt (vgl. oben N. 13 und unten N. 162). Falls keine Anpassung erfolgt, genügt der Rangrücktritt nicht mehr, um gemäss Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 nOR die Benachrichtigung des Gerichts zu vermeiden.
F. Transparenz bei Rohstoffunternehmen (Art. 7 ÜBest)
101 Die Regelungen zur Transparenz bei Rohstoffunternehmen befanden sich ursprünglich in den Art. 964a bis Art. 964f nOR und traten bereits am 1. Januar 2021 in Kraft. Mit dem Inkrafttreten des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative am 1. Januar 2022 verschoben sich die entsprechenden Regelungen in Art. 964d bis Art. 964i nOR (vgl. unten N. 102 ff.).
G. Übergangsbestimmung betreffend Transparenz über nichtfinanzielle Belange und Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit (indirekter Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative)
102 Der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative führt die Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange sowie Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit ein (Art. 964a ff. nOR).
103 Übergangsrechtlich ist vorgesehen, dass diese neuen Transparenzregelungen auf das Geschäftsjahr, das ein Jahr nach Inkrafttreten beginnt, d.h. Geschäftsjahr 2023, zur Anwendung gelangen (Berichtsperiode). Mit den ersten Berichten ist demnach im ersten Semester 2024 zu rechnen.
104 Bereits im Geschäftsjahr 2023 ist jedoch sicherzustellen, dass die für die Berichterstattung notwendigen Informationen vorhanden sind.
105 Für ausländische Emittenten, sofern sie nicht einen gleichwertigen Bericht nach ausländischem Recht erstellen, verlangt die Börse SIX Swiss Exchange ebenfalls für die Berichtsperiode, die am oder nach dem 1. Januar 2023 beginnt, einen Bericht über nichtfinanzielle Belange analog zu Art. 964b OR (Art. 11 Abs. 7 und Ziff. 7a Anhang RLCG
106 In diesem Bereich könnte es bereits mittelfristig zu Änderungen kommen. Die Europäische Union plant möglicherweise die Einführung einer zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen. Am 10. März 2021 wurde vom Europäischen Parlament eine Entschliessung betreffend einen Entwurf einer Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen.
V. Nicht explizit legiferierte übergangsrechtliche Fragen
107 Die einzelnen oben dargestellten Übergangsbestimmungen regeln nicht sämtliche übergangsrechtlichen Aspekte. Aus diesem Grund werden nachfolgend weitere Bereiche aus intertemporaler Perspektive beleuchtet. Dabei ist auf den allgemeinen Teil des Übergangsrechts, d.h. Art. 1 bis Art. 4 SchlT ZGB, abzustellen (Art. 1 Abs. 1 ÜBest; oben N. 6 ff.). Die entsprechenden Fragestellungen müssen mittels dieser Formeln bzw. Mechanismen entschlüsselt werden.
A. Gründung und Statutenänderung einer Genossenschaft
108 Gemäss Art. 830 nOR ist für die Errichtung einer Genossenschaft im neuen Recht eine öffentliche Beurkundung erforderlich. Bis anhin reichte die Schriftform aus (vgl. Art. 834 Abs. 1 OR).
109 Für die Gründung und die Statutenänderungen sind keine Übergangsfristen vorgesehen (vgl. auch oben N. 5).
110 Gemäss EHRA ist korrekterweise das Datum der Beschlussfassung massgebend. Falls die Beschlussfassung vor dem 1. Januar 2023 erfolgte, führt eine Anmeldung bzw. Eintragung nach dem 1. Januar 2023 nicht zu einer nachträglichen Beurkundungspflicht.
111 Denkbar wäre auch folgende gegenteilige Ansicht: Die Genossenschaft entsteht mit der Eintragung in das Handelsregister (Art. 838 Abs. 1 OR). Dabei wird auf das Datum der Eintragung im Tagesregister abgestellt (vgl. Art. 8 Abs. 3 lit. b HRegV).
B. Sachübernahmen
112 Im neuen Aktienrecht werden die Vorschriften zur Sachübernahme abgeschafft (vgl. u.a. Art. 628, Art. 629 Abs. 2 Ziff. 4, Art. 631 Abs. 2 Ziff. 6, Art. 635 Ziff. 1, Art. 642, Art. 650 Abs. 2 Ziff. 5 aOR).
113 Für aktienrechtlich relevante Tatsachen, die sich vor dem 1. Januar 2023 ereignet haben, gilt auch nach diesem Datum das alte Recht (Grundsatz der Nichtrückwirkung
114 Aus dem alten Recht stammende Sachübernahmebestimmungen in den Statuten kann die Generalversammlung u.E. demnach erst nach zehn Jahren oder bei endgültigem Verzicht auf die Sachübernahme aufheben (Art. 628 Abs. 4 aOR).
C. Aktienkapital in Fremdwährung
115 Ab dem 1. Januar 2023 ist auch ein Aktienkapital in der für die Geschäftstätigkeit wesentlichen ausländischen Währung zulässig (Art. 621 Abs. 2 nOR). Die zulässigen Währungen sind GBP, EUR, USD und JPY (Art. 45a und Anhang 3 HRegV). Nach der Gründung kann die Generalversammlung einen Währungswechsel mit qualifiziertem Quorum beschliessen (Art. 621 Abs. 3 und Art. 704 Abs. 1 Ziff. 9 nOR). Der Wechsel erfolgt gemäss Botschaft entweder rückwirkend auf den Beginn des laufenden Geschäftsjahres oder prospektiv auf den Beginn des zukünftigen Geschäftsjahres.
D. Nachträgliche Statutenpublizität
116 Das revidierte Recht sieht neu vor, dass Verrechnungsliberierungen (debt-equity-swaps) in den Statuten abzubilden sind (Art. 634a Abs. 3 nOR). Es ist zu fragen, ob diese neue Statutenpublizität auch für Sachverhalte gilt, die sich vor dem 1. Januar 2023 zugetragen haben. Unter Berufung auf den Grundsatz der Nichtrückwirkung
117 Ebenfalls müssen vor dem 1. Januar 2023 vorgenommene Kapitalerhöhungen durch Umwandlung von frei verwendbarem Eigenkapital (sog. Erhöhung aus Eigenkapital; Art. 652d nOR) nicht nachträglich in den Statuten abgebildet werden.
E. Kapitaltransaktionen
118 Das Aktienkapital kann in verschiedenen Verfahren erhöht oder herabgesetzt werden. Diese Transaktionen lassen sich in einzelne Schritte bzw. Beschlüsse unterteilen. Zu diesen Schritten zählen u.a.: Beschlüsse der Generalversammlung und/oder des Verwaltungsrats, Aktienzeichnung, Liberierung, Kapitalerhöhungsbericht, Prüfungsbestätigung, Erstellung eines Zwischenabschlusses, Schuldenruf und die Handelsregisteranmeldung. Diese Schritte können sowohl vor als auch nach dem 1. Januar 2023 erfolgen. Fraglich ist nun, ob an das alte oder das neue Recht angeknüpft werden soll. Ebenfalls in Betracht fällt eine übergangsrechtliche Anknüpfung an den jeweiligen Einzelschritt. Die Gesamtheit der Tatsachen bei deren Vorliegen die Rechtsfolge eintreten soll, wird traditionellerweise als Tatbestand bezeichnet.
119 Da Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB von «Tatsachen» spricht, bedeutetet, dass der intertemporale Gesetzgeber die Zerlegung in die einzelnen Tatsachen, d.h. eine Spaltung, zulässt.
120 U.E. gilt demnach grundsätzlich, dass die jeweiligen Schritte nach dem 1. Januar 2023 dem neuen Aktienrecht unterstehen. Es kommt mithin zu einer Spaltung der Kapitaltransaktionen in deren einzelne Schritte (atomistische Auffassung).
1. Kapitalerhöhung
121 Das neue Aktienrecht sieht eine sechsmonatige Frist zur Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Handelsregisteramt vor (Art. 650 Abs. 3 nOR). Das alte Recht sah lediglich eine dreimonatige Frist zur Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Handelsregisteramt vor (Art. 650 Abs. 3 aOR). Obwohl der Wortlaut von «eintragen» spricht, herrschte Einigkeit, dass die Anmeldung beim Handelsregisteramt genügt.
122 In seiner aktuellen Form wurde Art. 49 SchlT ZGB am 1. Januar 2020 anlässlich der Revision des Verjährungsrechts in Kraft gesetzt. Obwohl der Randtitel von Art. 49 SchlT ZGB lediglich von «Verjährung» spricht, gelangt diese Norm auch bei intertemporalrechtlichen Problemen von Verwirkungsfristen zur Anwendung.
123 Gemäss Art. 49 Abs. 1 SchlT ZGB gilt das neue Recht, wenn dessen Frist länger ist als die Frist des bisherigen Rechts und die Verjährung bzw. Verwirkung nach bisherigem Recht noch nicht eingetreten ist. Was verjährt bzw. verwirkt ist, bleibt weiterhin verjährt bzw. verwirkt. Der Beginn einer laufenden Verjährungs- bzw. Verwirkungsfrist lässt das Inkrafttreten des neuen Rechts jedoch unberührt (Art. 49 Abs. 3 SchlT ZGB). Vorliegend wird die Frist zur Anmeldung der Kapitalerhöhung länger. Falls eine ordentliche Kapitalerhöhung vor dem 1. Januar 2023 beschlossen wurde und die dreimonatige Anmeldefrist am 1. Januar 2023 noch nicht abgelaufen ist, gilt u.E. die neue sechsmonatige Frist. Die sechsmonatige Frist beginnt jedoch zum Zeitpunkt des Generalversammlungsbeschlusses, der vor dem 1. Januar 2023 gefällt wurde (Art. 49 Abs. 3 SchlT ZGB). Gemäss EHRA gilt bei einer Kapitalerhöhung, welche die Generalversammlung im Jahr 2022 beschlossen hat, lediglich die dreimonatige Frist.
124 Betreffend die übergangsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Sachübernahme, der Verrechnungsliberierung, Aktienkapital in Fremdwährung und der Erhöhung aus Eigenkapital siehe oben N. 112 ff.
2. Kapitalherabsetzung
125 Der Schuldenruf wurde im neuen Aktienrecht modifiziert. Neu genügt ein einmaliger Schuldenruf im SHAB
126 Der Schuldenruf einer Kapitalherabsetzung, die vor dem 1. Januar 2023 beschlossen wurde, richtet sich u.E. nach dem Recht zum Zeitpunkt der Publikation im SHAB. In diesem Zeitpunkt verwirklicht sich die entsprechende «Tatsache» in übergangsrechtlicher Wirkung. Die rechtlichen Wirkungen des Schuldenrufs bestimmen sich gemäss Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB demnach noch nach altem Aktienrecht. Bei einer Publikation im SHAB nach dem 1. Januar 2023 gilt demgegenüber für dessen Modalitäten das neue Aktienrecht. Demgegenüber gilt gemäss EHRA das alte Recht, wenn die Generalversammlung die Kapitalherabsetzung im Jahr 2022 beschlossen hat, auch für den Schuldenruf.
F. Vergütungsrecht
127 Abgesehen von Art. 6 ÜBest
128 Zum Anpassungsbedarf in den Statuten oben N. 48 ff., insbesondere N. 49 und N. 55.
129 Betreffend die Anpassung altrechtlicher Verträge oben N. 97 ff. zu Art. 6 ÜBest.
1. Vergütungsbericht
130 Die Statuten börsenkotierter Gesellschaften müssen Bestimmungen enthalten über die Anzahl der Tätigkeiten, welche die Mitglieder des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats in vergleichbaren Funktionen bei anderen Unternehmen mit wirtschaftlichem Zweck ausüben dürfen (Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1 nOR; vgl. oben N. 49). Zwar war eine ähnlich lautende Bestimmung bereits in Art. 12 Abs. 1 Ziff. 1 VegüV vorgesehen,
131 Über die konkrete Situation dieser Tätigkeiten bei anderen Unternehmen (Drittmandate) ist im Vergütungsbericht zu berichten. Der Vergütungsbericht hat die Funktionen der Mitglieder des Verwaltungsrats, der Geschäftsleitung und des Beirats in anderen Unternehmen gemäss Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1 nOR zu nennen (Art. 734e Abs. 1 nOR). Die Angaben müssen den Namen des Mitglieds, die Bezeichnung des Unternehmens und die ausgeübte Funktion umfassen (Art. 734e Abs. 2 nOR).
132 Diese Transparenzvorschrift ist neu beziehungsweise war in der VegüV nicht enthalten.
133 Die Regel in Art. 734e Abs. 1 nOR nimmt direkt Bezug auf den in Art. 626 Abs. 2 Ziff. 1 nOR geforderten Statuteninhalt. Zwei Argumentationen sind somit denkbar. Entweder man argumentiert, dass der Vergütungsbericht erst dann den entsprechenden Inhalt vorweisen muss, wenn die Statuten – freilich innerhalb der zweijährigen Übergangsfrist (Art. 2 ÜBest; oben N. 25 ff.) – angepasst worden sind. Oder aber man erfasst die Transparenzvorschrift als unabhängig vom effektiven Statuteninhalt kraft direkten Gesetzesverweis. Der ersten Argumentation ist der Vorzug zu geben, um Kohäränz zwischen den Statuten und dem Vergütungsbericht herzustellen sowie aus Praktikabilitätsüberlegungen zugunsten der Gesellschaft.
2. Prospektive Abstimmung über variable Vergütungen
134 Art. 735 nOR normiert die Abstimmungen der Generalversammlung börsenkotierter Gesellschaften über die Vergütungen. Inhaltlich wurde weitestgehend Art. 18 VegüV ins Gesetzesrecht überführt. Neu ist Art. 735 Abs. 3 Ziff. 4 nOR wonach, falls prospektiv
135 Während Art. 31 VegüV intertemporale Bestimmungen zum Vergütungsbericht und zu Abstimmungen über die Vergütungen vorsah, fehlt Derartiges zu Art. 735 nOR. Die Konsultativabstimmung über den Vergütungsbericht im Falle der vorherigen prospektiven Abstimmungen über variable Vergütungen ist obligatorisch und gilt als zwingendes Recht auch ohne Aufnahme in die Statuten. Dies bedeutet, dass ab dem 1. Januar 2023 der Vergütungsbericht zwingend einer Konsultativabstimmung durch die Generalversammlung zu unterwerfen ist, wenn die über variable Vergütungen prospektiv abgestimmt wurde (vgl. Art. 1 Abs. 3 SchlT ZGB und Art. 1 Abs. 2 ÜBest). Weil dies der bisherigen Best Practice unter der VegüV entspricht,
136 Als leicht veränderter
3. Zusatzbetrag
137 Für den Fall, dass die Generalversammlung prospektiv über die Vergütungen der Geschäftsleitung abstimmt, können die Statuten einen Zusatzbetrag für die Vergütungen für Personen, die nach der Abstimmung neu als Mitglieder der Geschäftsleitung ernannt werden, vorsehen. Der Zusatzbetrag darf neu nur noch für Vergütungen der neuen Mitglieder der Geschäftsleitung eingesetzt werden und nicht wie bis anhin auch für interne Beförderungen (vgl. Art. 19 Abs. 1 VegüV und Art. 735a Abs. 1 nOR).
4. Dauer der Verträge über Vergütungen
138 Gemäss Art. 735b Abs. 1 nOR darf die Dauer der Verträge, die den Vergütungen für die Mitglieder des Verwaltungsrats zugrunde liegen, die Amtsdauer – in concreto jeweils ein Jahr – nicht überschreiten. Die Dauer befristeter Verträge und die Kündigungsfrist unbefristeter Verträge, die den Vergütungen für die Mitglieder der Geschäftsleitung und des Beirats zugrunde liegen, dürfen höchstens ein Jahr betragen (Art. 735b Abs. 2 nOR).
G. Auskunfts- und Einsichtsrecht sowie Sonderuntersuchung
139 Beim Auskunfts- und Einsichtsrecht sowie der Sonderuntersuchung
H. Tagungsort im Ausland
140 Vor dem 1. Januar 2023 konnte eine Generalversammlung ohne Statutenbestimmung – innerhalb der Schranken des Rechtsmissbrauchsverbots – im Ausland durchgeführt werden.
141 Hierbei stellt sich die Frage, ob Gesellschaften (aufgrund von Art. 2 Abs. 2 ÜBest) während zweier Jahre weiterhin Generalversammlungen ohne statutarische Grundlage und ohne unabhängige Stimmrechtsvertretung im Ausland abhalten dürfen. Das neue Recht gilt grundsätzlich ab dem 1. Januar 2023 für bestehende Gesellschaften (Art. 1 Abs. 2 ÜBest; oben N. 22 f.). Die entsprechende Ausnahme in Art. 2 ÜBest gilt nur für Statuten und Reglemente (vgl. oben N. 31). Eine im alten Recht begründete Praxis der Gesellschaft zur Durchführung der Generalversammlung an einem ausländischen Tagungsort ohne unabhängige Stimmrechtsvertretung kann somit ab dem 1. Januar 2023 – ohne statutarische Grundlage – nicht mehr aufrechterhalten werden. Ein Beschluss, welcher die Anforderungen des neuen Rechts verletzt, ist anfechtbar (Art. 706 Abs. 1 OR).
142 Weiter stellt sich die Frage, ob altrechtliche Statutenbestimmungen betreffend einen ausländischen Tagungsort, die vor dem 1. Januar 2023 mit einfachem Quorum eingeführt wurden, genügen. Aufgrund des Grundsatzes der Nichtrückwirkung genügt eine solche Statutenbestimmung ab dem 1. Januar 2023.
I. Stichentscheid in der Generalversammlung
143 Gemäss Art. 703 Abs. 2 nOR können die Statuten für den Fall von Stimmengleichheit vorsehen, dass der bzw. die Vorsitzende den Stichentscheid hat. Eine entsprechende Statutenbestimmung muss mit dem qualifizierten Quorum eingeführt werden (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 10 nOR). Bereits unter altem Recht konnte dem bzw. der Vorsitzenden grundsätzlich der Stichentscheid für den Fall der Stimmengleichheit verliehen werden.
144 In Zusammenhang mit dem Stichentscheid stellt sich die Frage, ob vor dem 1. Januar 2023 aufgenommene Statutenbestimmungen hinsichtlich des Stichentscheids nach dem 1. Januar 2023 gültig sind, falls diese lediglich mit dem einfachen Quorum eingeführt worden sind. Aufgrund des Grundsatzes der Nichtrückwirkung
145 Auch im neuen Recht ist der Stichentscheid wie bisher nicht möglich, falls die kapitalmässige Bemessung des Stimmrechts zwingend massgebend ist (vgl. Art. 693 Abs. 3 und Art. 704 OR).
146 Bei der GmbH stellen sich in diesem Zusammenhang keine übergangsrechtlichen Probleme. Bereits im alten Recht war der Stichentscheid in der Gesellschafterversammlung zulässig (Art. 808a OR). Wie bei der Aktiengesellschaft gelangt der Stichentscheid jedoch bei der zwingenden kapitalmässigen Bemessung des Stimmrechts nicht zur Anwendung (vgl. Art. 806 Abs. 3 und Art. 808b OR).
J. Zwischenabschluss
147 Mit Art. 960f nOR soll für Zwischenabschlüsse im Gesellschaftsrecht eine gewisse Einheitlichkeit erreicht werden.
148 Zwischenabschlüsse können beispielsweise in folgenden Konstellationen notwendig werden:
Kapitalherabsetzung (Art. 653l nOR
Diese Bestimmung kodifiziert die Praxis des bisherigen Rechts (Botschaft Aktienrecht 2016, S. 508; Böckli, § 6 N. 463; Forstmoser/Küchler, Art. 653l N. 4). Revisionsberichte i.S.v. Art. 732 Abs. 2 aOR, die älter als sechs Monate waren, wiesen die Handelsregisterämter i.d.R. zurück (vgl.: Böckli, 4. Aufl., § 2 N. 356; BSK OR II-Küng/Schoch, Art. 732 N. 15). );Ausrichtung einer Zwischendividende (Art. 675a nOR);
Fusion (Art. 11 Abs. 1, Art. 80 und Art. 89 FusG);
Spaltung (Art. 35 Abs. 1 FusG);
Umwandlung (Art. 58 Abs. 1 FusG);
Überschuldung (Art. 725b nOR).
149 Art. 960f Abs. 1 nOR schreibt vor, dass der Zwischenabschluss nach den Vorschriften zur Jahresrechnung zu erstellen ist. Einfach gehaltene Zwischenabschlüsse sind demnach – trotz den Vereinfachungen und Verkürzungen i.S.v. Art. 960f Abs. 2 nOR – nicht mehr möglich.
150 In zeitlicher Hinsicht stellt sich die Frage, ab wann ein Zwischenabschluss nach Art. 960f nOR erstellt werden muss. Für Situationen, die nach dem 1. Januar 2023 eintreten und einen Zwischenabschluss erfordern, gilt klarerweise Art. 960f nOR (vgl. Art. 1 Abs. 2 ÜBest). Für Sachverhalte, die bereits vor dem 1. Januar 2023 begannen, gilt u.E. ebenfalls das bereits bei den Kapitaltransaktionen Gesagte, wonach eine Zerlegung in einzelne Schritte vorgenommen werden kann (atomistische Auffassung; ausführlich oben N. 118 ff.). Massgebend ist dabei die Unterzeichnung des Zwischenabschlusses durch den Vorsitzenden des obersten Leitungs- und Verwaltungsorgans sowie die für den Zwischenabschluss innerhalb des Unternehmens zuständige Person (vgl. Art. 960f Abs. 3 nOR). Bei der Prüfung des Zwischenabschlusses handelt es sich wiederum um einen neuen Schritt, der für die Bestimmung des anwendbaren Rechts des Zwischenabschlusses in übergangsrechtlicher Hinsicht nicht relevant ist.
151 Ein altrechtlicher Zwischenabschluss bzw. Zwischenabschluss, der vor dem 1. Januar 2023 erstellt bzw. unterzeichnet wurde (oben N. 150), behält weiterhin seine Gültigkeit. Das Handelsregisteramt sollte u.E. solche Zwischenabschlüsse bei Kapitalherabsetzungen und Umstrukturierungen demnach auch bei Anmeldungen bzw. Eintragungen nach dem 1. Januar 2023 akzeptieren.
152 Bei der Überschuldung handelt es sich um einen Dauersachverhalt (oben N. 99 und unten N. 162). Somit gilt grundsätzlich das neue Recht (oben N. 13). Allerdings ist bei der Überschuldung mit der gebotenen Eile zu handeln (Art. 725b Abs. 6 nOR). Deshalb wäre es unpraktikabel, einen neuen Zwischenabschluss nach Art. 960f nOR zu verlangen, der noch geprüft werden müsste (vgl. Art. 725b Abs. 2 nOR). U.E. genügt demnach eine altrechtliche Zwischenbilanz.
K. Reservenbildung und Dividende
153 Neue Bestimmungen über die Reservenbildung und die Festsetzung von Dividenden gelten ab dem 1. Januar 2023 uneingeschränkt, d.h. insbesondere auch für das Jahresergebnis 2022 (Art. 1 Abs. 2 ÜBest; siehe dazu: Art. 671 ff., Art. 674, Art. 675 Abs. 3 nOR).
154 Somit ist für den im Geschäftsjahr 2022 erwirtschafteten Gewinn eine zweite Zuweisung in die gesetzliche Reserve nicht mehr notwendig, selbst wenn eine Dividende von 5 % als Gewinnanteil ausgeschüttet wurde (vgl. Art. 671 Abs. 2 Ziff. 3 aOR).
L. Sanierungsrecht
155 Ab dem 1. Januar 2023 gilt grundsätzlich das neue Sanierungsrecht gemäss Art. 725 ff. nOR (vgl. Art. 1 Abs. 2 ÜBest). Einzig für den Konkursaufschub i.S.v. Art. 725a aOR besteht mit Art. 5 ÜBest eine Norm, die dem alten Recht auch nach dem 1. Januar 2023 zum Durchbruch verhilft (oben N. 93 ff.).
1. Drohende Zahlungsunfähigkeit
156 Sowohl nach bisherigem als auch nach neuem Recht hat der Verwaltungsrat die Pflicht, die Liquidität und die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft zu planen, zu steuern und zu überwachen (vgl. Art. 716a Abs. 1 Ziff. 3 OR/nOR).
2. Kapitalverlust
157 Der Kapitalverlust ist neu in Art. 725a nOR geregelt. Im Vergleich zum alten Recht wurde die Berechnungsgrundlage explizit auf den nicht ausschüttbaren Teil der gesetzlichen Reserven herabgesetzt (vgl. Art. 725a nOR).
158 Das neue Recht sieht keine zwingende Einberufung einer Generalversammlung mehr vor (vgl. Art. 725a Abs. 1 nOR).
159 Falls ein Kapitalverlust kurz vor dem 1. Januar 2023 eintrat, ist u.E. nach dem 1. Januar 2023 nicht mehr zwingend eine Einberufung einer Generalversammlung nötig. Beim Vorliegen eines Kapitalverlusts handelt es sich u.E. um einen Dauersachverhalt, der sich ab dem 1. Januar 2023 nach neuem Recht beurteilt (vgl. oben N. 13).
160 Bei Vorliegen eines Kapitalverlusts verlangt das neue Recht, dass auch im Falle eines Opting-out
3. Überschuldung
161 Das neue Recht regelt die Überschuldung neu in Art. 725b nOR. Begriff und Tatbestand der Überschuldung bleiben unverändert.
162 Bei der Überschuldung handelt es sich um einen Dauersachverhalt.
163 Unter altem Recht war die Gerichtspraxis bei der Gewährung einer Toleranzfrist flexibler und teilweise grosszügiger als die heutige Regelung in Art. 725 Abs. 4 Ziff. 2 nOR mit einer neunzigtägigen Maximalfrist.
M. Aktienrechtliche Klagen
164 Das Aktienrecht sieht diverse Klagen vor. Diese dienen entweder der Beseitigung rechtswidriger Zustände oder der Rückerstattung von Leistungen bzw. dem Ersatz von Schaden. Aus übergangsrechtlicher Perspektive interessieren primär Sachverhalte, die sich vor dem 1. Januar 2023 und somit unter dem alten Recht verwirklicht haben, die jedoch erst nach diesem Datum, mithin unter dem neuen Recht, rechtshängig gemacht werden und demnach von den Gerichten beurteilt werden.
165 Nachfolgend werden materielle Aspekte dieser Klagen dargestellt. Mangels Spezialregeln sind zur Lösung der übergangsrechtlichen Fragen die allgemeinen Regelungen gemäss Art. 1 bis Art. 4 SchlT ZGB beizuziehen (vgl. Art. 1 Abs. 1 ÜBest; oben N. 7 ff.). Diese Normen gelten jedoch nicht für das Verfahrensrecht.
1. Rückerstattungsklage
166 Die Aktienrechtsrevision führt zu Änderungen bei der Rückerstattungsklage, was nachfolgende übergangsrechtliche Fragen aufwirft:
167 Der persönliche Geltungsbereich bzw. die Passivlegitimation der Rückerstattungsklage wird erheblich erweitert. Gemäss Art. 678 Abs. 1 nOR erfasst die Rückerstattungsklage neu auch die Mitglieder der Geschäftsleitung, des Beirats sowie materielle und faktische Organe («mit der Geschäftsleitung befasste Personen»).
168 In materieller Hinsicht verzichtet das neue Recht auf das Erfordernis der Bösgläubigkeit (vgl. Art. 678 Abs. 1 aOR).
169 Weiter stellt das offensichtliche Missverhältnis zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft neu kein Tatbestandsmerkmal mehr dar (vgl. Art. 678 Abs. 2 aOR und Art. 678 Abs. 2 nOR).
170 Für Leistungen, die vor dem 1. Januar 2023 empfangen wurden, gilt betreffend das Erfordernis der Bösgläubigkeit (oben N. 168) und die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft (oben N. 169), das alte Recht. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Nichtrückwirkung (Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB; im allgemeinen oben N. 11 ff.). Art. 678 OR spricht vom Bezug. In übergangsrechtlicher Hinsicht ist somit der Bezug der Leistung die massgebende Tatsache und nicht ein allfälliges Verpflichtungsgeschäft. Das Verpflichtungsgeschäft kommt mangels Vertretungsberechtigung i.d.R. sowieso nicht zustande oder wäre andernfalls nichtig.
171 Zu einer anderen Auffassung könnte man gelangen, wenn man die Bereicherung, die zur Rückerstattung führt als Dauersachverhalt qualifiziert. Bei Dauersachverhalten gelangt das neue Recht ab dessen Inkrafttreten zur Anwendung (vgl. oben N. 13). Die Bereicherung ist jedoch im Zeitpunkt des Bezugs eingetreten, die entsprechende Tatsache hat sich mithin in diesem Zeitpunkt verwirklicht bzw. ist abgeschlossen. Demnach liegt u.E. kein Dauersachverhalt vor.
172 Die Generalversammlung kann beschliessen, dass die Gesellschaft eine Klage auf Rückerstattung erhebt (Art. 678 Abs. 5 Satz 1 nOR). Dabei kann sie den Verwaltungsrat oder einen Vertreter bzw. eine Vertreterin mit der Prozessführung betrauen (Art. 678 Abs. 5 Satz 2 nOR). Ein vergleichbarer prozessualer Mechanismus kann in der Sonderprüfung erblickt werden. Das Bundesgericht hat nach der Einführung der damaligen Sonderprüfung entschieden, dass diese auch für Sachverhalte vor deren Inkrafttreten zur Anwendung gelangt (oben N. 44).
173 Das neue Recht regelt die Verjährung nun umfassender und im Einklang mit dem neuen Verjährungsrecht in Art. 678a nOR.
174 Für intertemporalrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Verjährung gilt Art. 49 SchlT ZGB als lex specialis (dazu oben N. 121 ff.). Das neue Recht führte mit der relativen dreijährigen Frist eine kürzere Frist als das bisherige Recht ein. Demgegenüber handelt es sich bei der absoluten zehnjährigen Frist um eine längere Frist als diejenige des bisherigen Rechts. Betreffend die kürzere dreijährige Frist gilt das bisherige Recht (Art. 49 Abs. 2 SchlT ZGB). Somit gilt die relative dreijährige Frist erst für ab dem 1. Januar 2023 bezogene ungerechtfertigte Leistungen, weil die fünfjährige Frist gemäss Art. 678 Abs. 4 aOR länger ist. Für die längere zehnjährige Frist sowie gegebenenfalls eine längere Frist aufgrund einer strafbaren Handlung ist Art. 49 Abs. 1 SchlT ZGB massgebend. Sofern die fünfjährige Verjährungsfrist i.S.v. Art. 678 Abs. 4 aOR noch nicht eingetreten ist, gelten diesbezüglich die erwähnten Fristen des neuen Rechts. Im Übrigen beeinflusst das Inkrafttreten der neuen Verjährungsfristen den Beginn der laufenden Verjährung nicht (vgl. Art. 49 Abs. 3 SchlT ZGB; vgl. auch oben N. 123).
175 Die Verjährungsfrist steht während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und deren Durchführung still (Art. 678a Abs. 1 nOR in fine). Dieser Stillstand wird weder besonders übergangsrechtlich geregelt noch von Art. 49 SchlT ZGB erfasst. Gemäss Art. 49 Abs. 4 SchlT ZGB gilt – sofern nicht besonders geregelt – das neue Recht ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 ÜBest; vgl. oben N. 22 f.). U.E. gilt der Fristenstillstand demnach ab dem 1. Januar 2023 auch, falls die Sonderuntersuchung
176 Im Konkurs der Gesellschaft kommt Art. 757 OR sinngemäss zur Anwendung (Art. 678 Abs. 6 nOR). Diese Bestimmung erleichtert den Erwerb des Klagerechts durch GesellschaftsgläubigerInnen. Ein Abtretungsbegehren, ein Beschluss der zweiten Gläubigerversammlung und eine Abtretungsverfügung der Konkursverwaltung werden nicht vorausgesetzt. Inhaltlich handelt es sich um dasselbe wie bei einer Klage gestützt auf die Abtretung i.S.v. Art. 260 SchKG.
2. Verantwortlichkeitsklage
177 Aus Sicht des Übergangsrecht sind die Verantwortlichkeitsklagen im Wesentlichen mit Blick auf die Verjährung zu untersuchen. Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit, namentlich die Gründungshaftung (Art. 753 OR), die Haftung für Verwaltung, Geschäftsführung und Liquidation (Art. 754 OR) und die Revisionshaftung (Art. 755 OR) unterstehen der gemeinsamen Bestimmung von Art. 760 nOR zur Verjährung. Dieser Artikel erfuhr zwei Anpassungen.
178 Die relative Verjährungsfrist wurde von fünf auf drei Jahre reduziert. Demnach verjährt der Anspruch auf Schadenersatz gegen die verantwortlichen Personen in drei Jahren von dem Tage an, an dem der Geschädigte bzw. die Geschädigte Kenntnis vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat (Art. 760 Abs. 1 nOR). Die Botschaft erklärt diese Anpassung mit Gründen der Vereinheitlichung und Vereinfachung sowie der Anpassung an das Konzept der laufenden Revision des Verjährungsrechts, weshalb dieselbe relative Verjährungsfrist wie bei der Rückerstattungsklage (vgl. oben N. 173) sowie der Verantwortlichkeitsklagen im Genossenschaftsrecht (Art. 919 Abs. 1 nOR) drei Jahre daure.
179 Bei Verjährungsfristen gelangt – mangels übergangsrechtlicher Sonderbestimmung – Art. 49 SchlT ZGB zur Anwendung (vgl. bereits oben N. 121 f.). Falls das neue Recht eine kürzere Frist bestimmt, gilt gemäss Art. 49 Abs. 2 SchlT ZGB das bisherige Recht. Die Aktienrechtsrevision verkürzte die relative Verjährungsfrist. Somit gilt für altrechtliche Fälle weiterhin die fünfjährige Frist. U.E. liegen altrechtliche Fälle bei Tatsachen vor, die sich vor dem 1. Januar 2023 verwirklicht haben. Dies gilt unabhängig davon, ob der bzw. die Geschädigte davon vor oder nach dem 1. Januar 2023 Kenntnis erlangt. Der aus dem Strafrecht bekannte Grundsatz der «lex mitior» i.S.v. Art. 2 Abs. 2 und Art. 389 StGB gilt im Verantwortlichkeitsrecht nicht.
180 Die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren, vom Tage an gerechnet, an welchem das schädigende Verhalten erfolgte oder aufhörte, bleibt unverändert (Art. 760 Abs. 1 OR). Ebenfalls unverändert bleibt die Sonderbestimmung zur Verjährung, wenn das schädigende Verhalten eine strafbare Handlung darstellt (Art. 760 Abs. 2 OR). In diesem Zusammenhang stellen sich demnach keine übergangsrechtlichen Fragen.
181 Weiter ist neu ein Fristenstillstand während des Verfahrens auf Anordnung einer Sonderuntersuchung und während deren Durchführung vorgesehen (Art. 758 Abs. 2 in fine und Art. 760 Abs. 1 nOR in fine). Dies gilt sowohl hinsichtlich der Verwirkung des Klagerechts nach dem Entlastungsbeschluss (Décharge) als auch hinsichtlich der Verjährung. Dieser Fristenstillstand wird übergangsrechtlich nicht besonders geregelt. Gemäss Art. 49 Abs. 4 SchlT ZGB gilt – sofern nicht besonders geregelt – das neue Recht ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 ÜBest; vgl. oben N. 22 f.). U.E. gilt der Fristenstillstand demnach ab dem 1. Januar 2023 auch, falls die Sonderuntersuchung
182 Gemäss bisheriger bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Rangrücktritte bei der Berechnung des mittelbaren Schadens nicht zu berücksichtigen. Somit wurden auch Forderungen, die einem Rangrücktritt unterliegen, zum Gesellschaftsschaden gezählt.
183 Aufgrund des Grundsatzes der Nichtrückwirkung
3. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
184 Das Regime der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage bei Beschlüssen der Generalversammlung sowie der Nichtigkeit bei Beschlüssen des Verwaltungsrats wurde bei der Aktienrechtsrevision nicht geändert (vgl. Art. 706 ff. OR).
185 Die Anfechtbarkeit bzw. Nichtigkeit von Beschlüssen, die vor dem 1. Januar 2023 gefällt wurden, kann aufgrund des Grundsatzes der Nichtrückwirkung
186 Fragen betreffend die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit dürften sich auch bei den neuen Instrumenten des revidierten Aktienrechts wie dem Kapitalband sowie den digitalen Formen der Generalversammlung stellen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um intertemporale Fragen, sondern um die Rechtsfolgen von neuen aktienrechtlichen Bestimmungen.
4. Auflösungsklage
187 Die Aktivlegitimation zur Auflösungsklage steht ab dem 1. Januar 2023 auch AktionärInnen mit 10% der Stimmen zu (Art. 736 Abs. 1 Ziff. 4 nOR). Es müssen nicht mehr wie vorher in jedem Fall 10% des Aktienkapitals der KlägerInnen vertreten sein (vgl. Art. 736 Ziff. 4 aOR). Die Aktivlegitimation muss bereits bei Einreichung der Auflösungsklage vorliegen.
188 Neu sieht Art. 659 Abs. 3 nOR vor, dass beim Erwerb eigener Aktien die Höchstgrenze auch im Zusammenhang mit einer Auflösungsklage bei 20% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals liegt. Die über 10% hinaus erworbenen Aktien sind innert zweier Jahre zu veräussern oder durch Kapitalherabsetzung zu vernichten (Art. 659 Abs. 3 nOR). Dadurch erhöht sich der Handlungsspielraum für das Gerich und den Verwaltungsrat.
N. Schiedsgerichtsbarkeit
189 Nach Art. 697n Abs. 1 nOR können die Statuten vorsehen, dass gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz beurteilt werden (sog. statutarische Schiedsklausel). Die Schiedsklausel entfaltet die gleichen rechtlichen Wirkungen wie die übrigen Statutenbestimmungen. Das bedeutet, dass sämtliche AktionärInnen und Organe, die an die Statuten gebunden sind, auch von der statutarischen Schiedsklausel erfasst werden.
190 Art. 697n nOR gilt entsprechend auch für die GmbH (Art. 797a nOR). Bei anderen Körperschaften wie Vereinen und Genossenschaften fehlt eine entsprechende Regelung, da die Schiedsgerichtsbarkeit bereits im bisherigen Recht als zulässig erachtet wurde.
191 Eine statutarische Schiedsklausel wird mit der Eintragung in das Handelsregister wirksam (vgl. Art. 45 Abs. 1 lit. h und Art. 73 Abs. 1 lit. v nHRegV).
192 Fraglich ist, ob eine statutarische Schiedsklausel auch für die Beurteilung von Streitigkeiten, die vor der Wirksamkeit der Schiedsklausel entstanden sind (somit teilweise auch vor dem 1. Januar 2023), gilt. Gemäss Vogt/Hirsiger-Meier/Hofer gilt die statutarische Schiedsklausel für alle gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, die nach der Wirksamkeit der statutarischen Schiedsklausel (vgl. oben N. 191), rechtshängig gemacht werden.
193 Fraglich ist, ob die Schiedsklausel sich auch auf ein bereits vor dem 1. Januar 2023 hängiges staatliches Gerichtsverfahren auswirkt. Gemäss Allemann bewirkt eine nach dem 1. Januar 2023 eingeführte Schiedsklausel keine Zuständigkeit eines Schiedsgerichts. Das legitime Vertrauen in die staatliche Gerichtsbarkeit als Streitbeilegungsmechanismus sei zu schützen. Im Übrigen wäre ein solcher Entzug des staatlichen Gerichts und der damit erwirkte Neustart der Rechtsdurchsetzung rechtsmissbräuchlich.
194 Aus übergangsrechtlicher Perspektive ist fraglich, ob Art. 697n nOR auf bereits bestehende (statutarische) Schiedsklauseln zur Anwendung gelangt. Auch nach dem 1. Januar 2023 können Schiedsklauseln in den Statuten als Schiedsklauseln mit vertraglichem Charakter qualifiziert werden.
195 Im Recht der GmbH soll die Schiedsklausel bereits vor dem 1. Januar 2023 zulässig gewesen sein, weil den GesellschafterInnen statutarisch Pflichten auferlegt werden können (vgl. Art. 796 OR).
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Materialienverzeichnis
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Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23.11.2016, BBl 2017 S. 399 ff. (zit. Botschaft Aktienrecht 2016).
Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Faktenblätter zum neuen Aktienrecht, REPRAX 4 (2022), S. 151–176 (zit. EHRA, Faktenblätter).
Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Praxismitteilung 1/23 vom 21.3.2023, Fragen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des neuen Aktienrechts (zit. EHRA, Praxismitteilung 1/23).
Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Praxismitteilung 3/22 vom 19.12.2022, Fragen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des neuen Aktienrechts (zit. EHRA, Praxismitteilung 3/22).
Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Praxismitteilung 1/22 vom 17.1.2022, Statutenänderungen im Hinblick auf die Revision des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 19.6.2020 (zit. EHRA, Praxismitteilung 1/22).
Eidgenössisches Amt für das Handelsregister, Mitteilung an die kantonalen Handelsregisterbehörden betreffend die Senkung des Nennwerts von Aktien auf einen Rappen vom 22.1.2001 (zit. EHRA, Mitteilung 2001).
Entwurf zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23.11.2016, BBl 2017 683 ff. (zit. Entwurf Aktienrecht 2016).