-
- Art. 11 OR
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- Art. 145 OR
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- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
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- Art. 72 DSG
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- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 12 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 29 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehungsgeschichte
- II. Kontext
- III. Spezifische Mitwirkungsrechte der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden
- Weitere empfohlene Lektüre
- Literaturverzeichnis
- Materialien und weitere Dokumente
I. Entstehungsgeschichte
1 Im Zuge der Beschleunigung des europäischen Integrationsprozesses und namentlich der Verhandlungen zu einem Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) trat deutlich zu Tage, wie stark die Zuständigkeiten der Kantone durch völkerrechtliche Verträge berührt sein können.
2 Nach dem Scheitern des EWR-Beitritts an der Urne vereinbarten der Bundesrat und die Kantonsregierungen, die Zusammenarbeit gemäss der damals im Bundesbeschluss über den EWR vom 9. Oktober 1992 vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung fortzusetzen.
3 Im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung wurden die Mitwirkungsrechte der Kantone zunächst als Variante zur allgemeinen Bestimmung über die Zuständigkeit in den auswärtigen Angelegenheiten eingefügt.
II. Kontext
A. Bedeutung
4 Die umfassende Bundeskompetenz im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten ist heute aufgrund ihrer positivrechtlichen Verankerung in Art. 54 Abs. 1 BV unbestritten.
5 Infolge der erheblichen Ausdehnung der Gesetzgebungskompetenzen auf Bundesstufe im Verlaufe des 20. Jahrhunderts erfuhrt die Asymmetrie zwischen Vertragsschlusskompetenz und Gesetzgebungskompetenz eine Abschwächung. Völkerrechtliche Verträge berührten vermehrt Sachbereiche, die einen unmittelbaren Bezug zu Bundeskompetenzen aufwiesen.
6 Die verfassungshistorische Einbettung verdeutlicht, dass die Genese des Art. 55 BV auf das Engste mit der Herausbildung einer umfassenden Kompetenz des Bundes zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge verbunden ist. Sie zeigt zudem auf, dass die Bedeutung der Mitwirkungsrechte in einer partiellen Kompensation der umfassenden Zuständigkeit des Bundes in den auswärtigen Angelegenheiten liegt.
B. Zweck
7 Der Zweck der kantonalen Mitwirkungsrechte wird in Art. 2 BGMK ausdrücklich – aber nicht abschliessend – bestimmt.
8 Die Mitwirkung soll zudem dazu beitragen, dass die Zuständigkeiten der Kantone beim Abschluss, bei der Änderung und bei der Kündigung völkerrechtlicher Verträge nach Möglichkeit gewahrt werden (lit. b). Auf diese Weise sollen drohende Zuständigkeitsverluste der Kantone infolge der zunehmenden internationalen Verflechtung verhindert oder zumindest vermindert werden.
9 Neben der wirksamen Wahrung kantonaler Interessen und Zuständigkeiten sollen die Partizipationsstrukturen auch eine bessere innenpolitische Abstützung der Aussenpolitik des Bundes gewährleisten (lit. c). Eine enge Abstimmung mit den Kantonen bei der Entscheidungsvorbereitung ist nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil diese in der Regel für die Umsetzung völkerrechtlicher Verträge mit rechtsetzenden Bestimmungen zuständig sind.
C. Schranke
10 Die in Art. 55 BV gewählte Lösung für den kantonalen Einbezug in die Aussenpolitik des Bundes vermag die umfassende Zuständigkeit des Bundes in den auswärtigen Angelegenheiten nicht vollständig zu kompensieren.
11 Die Kantone haben weder ein Weisungs- noch ein Mitentscheidungsrecht bei aussenpolitischen Entscheiden, die ihre Zuständigkeiten betreffen oder wesentlichen Interessen berühren. Der Bund kann deshalb «[…] nötigenfalls auch Entscheide treffen, die den Vorstellungen der Kantone nicht entsprechen.»
D. Umsetzung
12 Mit dem Erlass des BGMK wurden die im Zuge der EWR-Verhandlung vorgeschlagenen verfassungsrechtlichen Mitwirkungsgrundsätze, die später Eingang in Art. 55 BV fanden, gesetzlich umgesetzt. Die Umsetzung auf Gesetzesstufe geht jedoch kaum über die verfassungsrechtlichen Mitwirkungsgarantien in Art. 55 BV hinaus. Die Gesetzesbestimmungen weisen entsprechend nur einen geringen eigenständigen normativen Gehalt auf.
13 Eine stärkere Konkretisierung in der Praxis lässt sich am Beispiel der Vereinbarung zwischen Bund und Kantonen betreffend Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen/Dublin-Besitzstands ausmachen (s. N. 17). In einer übergeordneten Bewertung bleibt aber festzuhalten, dass sich aus den offenen und unbestimmten Formulierungen der Mitwirkungsrechte in Art. 55 BV und im BGMK kaum konkrete Vorgaben für die normative Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte ableiten lassen. Sowohl Art. 55 BV als auch deren gegenwärtige Konkretisierung im BGMK etablieren nur schwach formalisierte Mitwirkungsformen. Die Offenheit ermöglicht es zwar, den Grad des kantonalen Einbezugs im Hinblick auf den konkreten aussenpolitischen Entscheid flexibel zu gestalten und bei einer veränderten aussenpolitischen Lage rasche Anpassungen vorzunehmen. Die Offenheit erfolgt allerdings auf Kosten einer differenzierten Ausgestaltung, die den Umfang und Zeitpunkt der Information, den frühzeitigen Einbezug bei der Exploration sowie eine ausreichende Frist für die Abgabe und die Bindungswirkung der Stellungnahmen substanzieller regeln könnte. Inwieweit die Mitwirkung bei der Entscheidvorbereitung zur wirksamen kantonalen Interessenwahrung ausreicht, hängt daher in erster Linie von der konkreten Ausgestaltung des Zusammenwirkens in der Praxis ab.
E. Rechtsschutz
14 Art. 55 BV ist kein Auftrag an den Gesetzgeber zum Erlass von Ausführungsbestimmungen. Die verfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte in Form von Information und Konsultation stellen trotz ihrer offenen Formulierung justiziable Rechtsansprüche dar, weshalb sie auch ohne gesetzliche Umsetzung rügefähig sind.
15 Ein wirksamer Rechtsschutz für die Durchsetzung der kantonalen Mitwirkungsrechte ist dadurch allerdings nicht gewährleistet:
Erstens erfährt das Klageverfahren durch Art. 190 BV eine erhebliche Einschränkung. Soweit der strittige aussenpolitische Entscheid völkerrechtlich verbindlich geworden ist, unterliegt er dem Anwendungsvorrang des Völkerrechts. Auch im Falle einer Verfassungswidrigkeit ist das Bundesgericht zur Anwendung des Völkerrechts verpflichtet.
Bei Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses kann das Bundesgericht lediglich feststellen, dass der aussenpolitische Entscheid wegen des mangelnden Einbezugs der Kantone in die Entscheidungsvorbereitung die verfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte verletzt hat. Art. 190 BV erfüllt hier nach wie vor seinen ursprünglichen bundesstaatlichen Zweck (s. N. 4).Zweitens wird das Klageverfahren auch dann weitgehend unterminiert, wenn ein aussenpolitischer Entscheid noch nicht völkerrechtlich verbindlich ist oder auf einer anderen aussenpolitischen Handlungsform beruht. Zwar kommt der Anwendungsvorrang von Art. 190 BV nicht zum Tragen, weshalb das Klageverfahren grundsätzlich offensteht.
BSK-Waldmann, Art. 55 BV N. 16; CR-Maroonian/Kolb, Art. 55 Cst. N. 14. Nach herrschender Lehre findet Art. 189 Abs. 4 BV keine Anwendung auf das Klageverfahren. Siehe dazu Luks, N. 237 f. Es ist jedoch fraglich, ob die Dauer des Klageverfahrens angesichts der Eigengesetzlichkeit der Aussenpolitik einen wirksamen Rechtsschutz bietet.Vgl. Epiney/Kern, N. 52. Entscheide in der Aussenpolitik erfordern – zumindest ausserhalb des ordentlichen Vertragsschlussverfahrens –So gehen Ambühl/Scherer, LeGes (2014) 3, S. 377, etwa davon aus, «[…] dass es bei einem schnellen Vorgehen mit Ergreifen des Referendums mindestens zweieinhalb Jahre dauert, bis ein Vertrag genehmigt werden kann.». häufig eine rasche interne Meinungsbildung. Der Erlass von vorsorglichen Massnahmen wird auch oftmals daran scheitern, dass aussenpolitische Entscheidungen in der Regel weder rechtlich noch faktisch einen zeitlichen Aufschub erlauben.Siehe ausführlich zum Ganzen Waldmann, Schranken, S. 206 f.; ferner auch Luks, N. 247. Drittens wird es aufgrund der in Art. 55 BV verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe regelmässig schwierig sein, abschliessend zu beurteilen, ob der Umfang, der Inhalt oder die Modalitäten der kantonalen Mitwirkungsrechte in der Praxis verletzt wurden. Dies zeigte sich in der sogenannten Libyen-Affäre: Auslöser der diplomatischen Krise war die Verhaftung von Hannibal Gaddafi, Sohn des damaligen libyschen Revolutionsführers, und seiner Ehefrau durch die Genfer Polizei. In der Folge wurden zwei Schweizer Bürger über Monate in Libyen zurückgehalten. Im Rahmen der Bemühungen um die Freilassung des letzten in Libyen festgehaltenen Schweizers unterzeichnete der damalige Bundespräsident am 20. August 2009 im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Abkommen mit Libyen, das u.a. vorsah, dass die Umstände der Verhaftung in Genf durch ein internationales Schiedsgericht untersucht werden.
Libyen-Bericht GPK-S 2011, S. 4237 ff. und S. 4257 ff.; Staatsrat des Kantons Genf, Medienmitteilung vom 21.8.2009, Accord entre la Suisse et la Libye : réaction du Conseil d’Etat, https://www.ge.ch/document/accord-entre-suisse-libye-reaction-du-conseil-etat [https://perma.cc/P5DH-LZMA], besucht am 7.3.2024. Während die KdK der Ansicht war, dass die verfassungsmässigen Mitwirkungsrechte des betroffenen Kantons Genf durch den Alleingang des damaligen Bundespräsidenten verletzt worden seien,KdK, Medienmitteilung vom 25.06.2010, Vereinbarung Libyen – Schweiz, https://kdk.ch/aktuell/medienmitteilungen/details/vereinbarung-libyen-schweiz?tx_news_pi1%5ByearFilter%5D%5BdisableLowerRestriction%5D=true&tx_news_pi1%5ByearFilter%5D%5Byear%5D=2016&cHash=9f5baa90650df492443fc3d83c3a5f2a [https://perma.cc/H2SU-B5EG], besucht am 7.3.2024. liess die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats die Frage unter Hinweis auf zwei Rechtsgutachten, die zu gegenteiligen Ergebnissen kamen, offen.Libyen-Bericht GPK-S 2011, S. 4287; siehe zum Ganzen auch Biaggini, Art. 55 BV N. 11; CR-Maroonian/Kolb, Art. 55 Cst. N. 12.
16 Eine Stärkung des Rechtsschutzes wäre de lege ferenda wohl am ehesten über die Einführung eines Vorlage- und Vorprüfungsverfahrens vor Bundesgericht erreichbar.
F. Europäische Integration
17 Im Hinblick auf das Schengen-Assoziierungsabkommen sowie das Dublin-Assoziierungsabkommen haben Bund und Kantone die Mitwirkungsrechte in einer Rahmenvereinbarung festgelegt.
18 Bemühungen, das allgemeine Zusammenwirken in der Europapolitik transparent und koordiniert zu gestalten,
19 Für den Fall eines Abschlusses des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU hätte der Bundesrat die Annahme zweier gleichlautender Motionen beantragt. Diese forderten die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage zur Gewährleistung der kantonalen Mitwirkung bei der dynamischen Übernahme von Unionsrecht.
20 Die verschiedenen Vereinbarungen und politischen Vorstösse zeigen, dass die Beziehungen zur EU eine ständige Herausforderung für die Wahrung der kantonalen Mitwirkungsrechte darstellen. Die kantonalen Zuständigkeiten und Interessen werden permanent und stark tangiert; das Zusammenwirken und die Koordination haben unter einem hohen sachlichen und zeitlichen Anpassungsdruck zu erfolgen, was bei der dynamischen Übernahme besonders deutlich wird.
III. Spezifische Mitwirkungsrechte der Kantone an aussenpolitischen Entscheiden
A. Grundsatz der Mitwirkung (Abs. 1)
21 Art. 55 Abs. 1 BV verankert den verfassungsrechtlichen Grundsatz, wonach die Kantone bei der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mitwirken können, sofern diese ihre Zuständigkeiten betreffen oder ihre wesentlichen Interessen berühren. In Abs. 1 wird neben dem Adressatenkreis und der Trägerschaft auch der sachliche Anwendungsbereich der Mitwirkung festgelegt, indem der Gegenstand (aussenpolitische Entscheide) sowie die Voraussetzungen der Mitwirkung (Betroffenheit von Zuständigkeiten oder wesentlichen Interessen) bestimmt werden. Schliesslich wird mit der Präzisierung, dass die Kantone bei der Entscheidvorbereitung mitwirken, der zeitliche Anwendungsbereich der Verfassungsbestimmung festgelegt.
1. Adressatenkreis und Träger der Mitwirkungsrechte
22 Normadressat von Art. 55 BV sind die Bundesorgane, die aussenpolitische Entscheide treffen. Aufgrund seiner allgemeinen aussenpolitischen Führungsfunktion nach Art. 184 BV ist in erster Linie der Bundesrat angesprochen.
23 Die Träger der Mitwirkungsrechte sind die einzelnen Kantone.
2. Aussenpolitische Entscheide
24 Der Begriff der aussenpolitischen Entscheide bezieht sich auf die Mitwirkung in der Aussenpolitik des Bundes.
25 Der Begriff des Entscheids findet weder in der Bundesverfassung noch im BGMK eine nähere Umschreibung. Es bestehen somit keine spezifischen Anforderungen an seine materielle oder formelle Natur.
3. Betroffenheit von Zuständigkeiten oder wesentlichen Interessen
26 Die Mitwirkungsrechte nach Art. 55 BV kommen zum Tragen, wenn aussenpolitische Entscheide entweder kantonale Zuständigkeiten betreffen oder wesentliche kantonale Interessen berühren. Ist dies nicht der Fall, so besteht kein Anspruch der Kantone auf Mitwirkung nach Art. 55 BV. Dennoch steht es dem Bund frei, auch in solchen Fällen die Mitwirkungsrechte gemäss Art. 55 BV anzuwenden, sofern er dies als zweckmässig erachtet. Art. 55 BV stellt eine verfassungsrechtliche Minimalgarantie dar, weshalb der Bund die Mitwirkungsrechte über Art. 55 BV hinaus erweitern kann.
27 Mit Blick auf die kantonalen Zuständigkeiten hält Art. 2 lit. b BGMK fest, dass die Mitwirkung der Kantone dazu beitragen soll, die Zuständigkeiten der Kantone beim Abschluss, bei der Änderung und bei der Kündigung völkerrechtlicher Verträge nach Möglichkeit zu wahren. Diese Formulierung im BGMK ist zu vertragszentriert, auch wenn völkerrechtliche Verträge den Hauptanwendungsfall darstellen mögen.
28 Der Einbezug in die Entscheidvorbereitung setzt nicht voraus, dass die kantonalen Zuständigkeiten betroffen sind. Es reicht aus, dass ein aussenpolitischer Entscheid wesentliche Interessen der Kantone berührt.
29 Der Begriff der wesentlichen Interessen ist äusserst konkretisierungsbedürftig. Im Gegensatz zur Anknüpfung an die kantonalen Zuständigkeiten lässt er einen Spielraum für Opportunitätsüberlegungen offen. In der Botschaft zum BGMK wird diesbezüglich festgehalten, dass die Umschreibung Raum für eine Mitwirkung der Kantone in anderen für sie essenziellen Bereichen lasse, wobei diese Bereiche im Dialog und in der praktischen Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen identifiziert werden müssten.
4. Entscheidvorbereitung
30 Art. 55 Abs. 1 BV bezieht sich nach seinem Wortlaut auf die Phase der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide. Dazu gehören sowohl die Vorbereitung und Festlegung von Verhandlungsmandaten als auch die Vorbereitung der Verhandlungen und die Verhandlungen selbst. Die Entscheidvorbereitung umfasst aber auch alle anderen Prozesse, die einem aussenpolitischen Entscheid vorgelagert sind. Daher fallen auch strategische Grundsatzentscheidungen, informelle Kontakte und Sondierungsgespräche mit ausländischen Partnern über die Aufnahme von Verhandlungen unter die Mitwirkungsrechte.
31 Die Phase der Entscheidvorbereitung lässt sich in zweierlei Hinsicht abgrenzen. Ihr geht die interne Meinungsbildung des Bundes zu allgemeinen aussenpolitischen Fragen, die nicht bereits auf einen aussenpolitischen Entscheid gerichtet ist, voraus.
32 Bei Entscheiden mit aussenpolitischen Bezügen können unterschiedliche verfassungsrechtliche Mitwirkungsformen der Kantone zur Anwendung kommen. Diese Mitwirkungsformen ergänzen sich. Bei innerstaatlichen Rechtsakten kommen die üblichen Mitwirkungsrechte nach Art. 45 BV zur Anwendung. Diese garantieren den Kantonen eine Mitwirkung an der Rechtsetzung und übrigen Vorhaben des Bundes. So richtet sich beispielsweise die Mitwirkung der Kantone bei der innerstaatlichen Genehmigung oder beim Erlass eines Bundesgesetzes, das einen völkerrechtlichen Vertrag umsetzt, nach Art. 45 BV.
B. Formen der Mitwirkungsrechte (Abs. 2)
33 Sofern ein aussenpolitischer Entscheid die Zuständigkeiten oder wesentliche Interessen der Kantone betrifft, können diese daran mitwirken. Die Mitwirkungsrechte stehen den Kantonen unmittelbar durch die Verfassung zu. Die wirksame Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte wird namentlich über die in Art. 55 Abs. 2 BV genannten Formen gewährleistet. So ist der Bund verpflichtet, die Kantone einerseits rechtzeitig und umfassend zu informieren und andererseits ihre Stellungnahmen einzuholen. Der Inhalt kann in einem Bundesgesetz (s. BGMK) oder in gemeinsamen Vereinbarungen konkretisiert werden.
1. Informationsrecht
34 Art. 3 Abs. 1 BGMK konkretisiert die in Art. 55 Abs. 2 BV statuierte Informationspflicht des Bundes. Die Gesetzesbestimmung besagt, dass die Grundlage der Mitwirkung die gegenseitige Information ist.
35 Richtschnur ist stets die wirksame Interessenwahrung.
36 Auch die Festlegung des Umfangs der Informationen orientiert sich an einer wirksamen Interessenwahrung. Art. 55 Abs. 2 BV hält diesbezüglich fest, dass der Bund die Kantone umfassend informiert. Dazu gehört u.a. der Austausch relevanter Daten, politischer Analysen und aktueller Informationen über laufende Verhandlungen und internationale Abkommen. In der französischsprachigen Fassung wird in diesem Zusammenhang der Ausdruck «[…] de manière détaillée […]» verwendet, der zum Ausdruck bringt, dass eine umfassende Information auch Einzelheiten einschliesst. Der Umfang muss im Ergebnis sämtliche sachdienlichen Informationen, Dokumente und Daten umfassen, die für die wirksame Mitwirkung und Interessenwahrung von Bedeutung sind.
37 Um die Interessen der Kantone wirksam in die Entscheidvorbereitung einzubringen, bedarf es nicht nur der erforderlichen Menge an Informationen, sondern auch der Kapazitäten, um die Informationen zu bewerten und zu verarbeiten. Der Bund sollte die Kantone nicht mit zu vielen Informationen überfrachten.
2. Konsultation der Kantone
38 Gemäss Art. 55 Abs. 2 BV ist der Bund verpflichtet, bei den Kantonen Stellungnahmen einzuholen, wenn aussenpolitische Entscheide deren Zuständigkeiten oder wesentlichen Interessen betreffen. Liegt eine Betroffenheit im Sinne von Abs. 1 vor, muss der Bund aus eigener Veranlassung Stellungnahmen der Kantone im Rahmen von Konsultationen einholen.
39 Wie auch beim Zeitpunkt und Umfang der Informationspflicht bestimmt sich die konkrete Ausgestaltung der Konsultationspflicht anhand der wirksamen Interessenwahrung. Den Kantonen muss eine ausreichende Frist zur Einreichung der Stellungnahme gewährt werden. Eine knapp angesetzte Frist aufgrund einer hohen aussenpolitischen Dringlichkeit muss die Ausnahme darstellen. Eine kurze Frist darf nicht dazu führen, dass die Kantone faktisch nicht mehr in der Lage sind, überhaupt Stellung zu nehmen. Für die Bestimmung der Frist muss die Komplexität des aussenpolitischen Vorhabens berücksichtigt werden und auch die Tatsache, dass die Konsolidierung über die gemeinsamen institutionellen Organe Zeit braucht.
40 Eine wirksame Interessenwahrung erfordert eine inhaltlich offene Konsultation zu einem Zeitpunkt, in dem die Kantone ihren Einfluss und ihre Kritikpunkte mit Blick auf die aussenpolitische Entscheidfindung tatsächlich noch geltend machen können. Sehen die aussenpolitischen Vorhaben Verhandlungen vor, soll die Anhörung gemäss Art. 4 Abs. 2 BGMK in der Regel vor deren Aufnahme erfolgen.
41 Aus Art. 55 BV lässt sich mit Blick auf die Bindungswirkung eine Pflicht zur Kenntnisnahme ableiten.
C. Besondere Mitwirkungsrechte (Abs. 3)
42 Art. 55 Abs. 3 BV sieht besondere Mitwirkungsrechte vor, wenn durch einen aussenpolitischen Entscheid die Zuständigkeiten der Kantone betroffen sind. In diesen Fällen verlangt die Verfassung erstens, dass der Stellungnahme der Kantone besonderes Gewicht zukommt, und zweitens, dass die Kantone in geeigneter Weise an den Verhandlungen mitwirken. Diese besonderen Mitwirkungsrechte kommen demgegenüber nicht zum Tragen, wenn ein aussenpolitischer Entscheid lediglich wesentliche Interessen der Kantone berührt.
1. Qualifiziertes Berücksichtigungsrecht
43 Den Stellungnahmen kommt ein besonderes Gewicht zu, wenn ein aussenpolitischer Entscheid die verfassungsmässigen Zuständigkeiten der Kantone betrifft. Die besondere Gewichtung kann sich aus unterschiedlichen Gründen ergeben: Einerseits kann eine besondere Gewichtung durch den Grad der Betroffenheit indiziert sein: Je stärker die kantonalen Zuständigkeiten von einem Entscheid betroffen sind, desto mehr Gewicht muss den Stellungnahmen der Kantone beigemessen werden.
44 Die besondere Gewichtung übersetzt sich nicht in eine inhaltliche Befolgungspflicht. Sie stellt keine obligation de résultat dar, die den Bund dazu verpflichtet, den Stellungnahmen der Kantone inhaltlich nachzukommen. Der Bund hat aber die verfassungsrechtliche Pflicht, die Stellungnahmen zur Kenntnis zu nehmen und ihnen bei der Entscheidfindung ein hohes Gewicht beizumessen. Er kann indes von den Stellungnahmen abweichen, da diese nicht verbindlich sind.
45 In Bezug auf die kantonale Mitwirkung in europäischen Angelegenheiten fordert die KdK in ihrem Positionsbezug aus dem Jahr 2013 weiterhin eine erhöhte Bindungswirkung. Gemäss dem Vorschlag soll der Bund nur aus überwiegenden aussenpolitischen Gründen von einer einheitlichen oder mehrheitlichen Stellungnahme abweichen können.
2. Recht auf Teilnahme an Verhandlungen
46 Betrifft ein aussenpolitischer Entscheid die verfassungsmässigen Zuständigkeiten der Kantone, können diese gemäss Art. 55 Abs. 3 Satz 2 BV in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mitwirken.
47 Art. 55 Abs. 3 BV spricht von einer Verhandlungsteilnahme in geeigneter Weise. Dies bezieht sich sowohl auf die Modalitäten bzw. die Form als auch die Intensität der Teilnahme.
48 Demgegenüber ist der Anspruch auf Teilnahme an und für sich keine Frage der Geeignetheit.
49 Gemäss Art. 5 Abs. 3 BGMK bestimmt der Bund auf Vorschlag der Kantone die Vertreter:innen. Das Auswahlverfahren stellt sicher, dass die Interessen des Bundes und der Kantone bei der Auswahl beachtet werden.
Zum Autor
Doktorand und Lektor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg.
Weitere empfohlene Lektüre
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Materialien und weitere Dokumente
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Bericht über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik vom 7.3.1994, BBl 1994 II 620 ff. (zit. Bericht Mitwirkung der Kantone 1994).
Bericht des Bundesrates zu den Auswirkungen verschiedener europapolitischer Instrumente auf den Föderalismus in der Schweiz (in Erfüllung des Postulates Pfisterer [01.3160] «Föderalismusbericht. Erhaltung des Föderalismus bei den verschiedenen europapolitischen Optionen»), BBl 2007 5907 ff. (zit. Föderalismusbericht 2007).
Bericht des Bundesrates über die Evaluation der schweizerischen Europapolitik (in Beantwortung des Postulats Markwalder [09.3560] «Europapolitik. Evaluation, Prioritäten, Sofortmassnahmen und nächste Integrationsschritte»), BBl 2010 7239 ff. (zit. Evaluationsbericht 2010).
Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats, Verhalten der Bundesbehörden in der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen, BBl 2011 4215 ff. (zit. Libyen-Bericht GPK-S 2011).
Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Hans Fehr 10.3857 vom 1.10.2010. Konsequenzen des Schengen-Anpassungszwangs, BBl 2013 6319 ff. (zit. Schengen-Bericht 2013).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Verträge mit Frankreich, BBl 1864 II 253 ff. (zit. Botschaft Verträge mit Frankreich 1864).
Botschaft des Bundesrates an die vereinigte Bundesversammlung, betreffend die von der Regierung von Basel-Landschaft an französische Israeliten verweigerte Niederlassung, BBl 1865 III 801 ff. (zit. Botschaft Basel-Landschaft 1865).
Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 18.5.1992, BBl 1992 IV 1 ff. (zit. Botschaft EWR).
Botschaft über das Folgeprogramm nach der Ablehnung des EWR-Abkommens vom 24.2.1993, BBl 1993 I 805 ff. (zit. Botschaft Folgeprogramm 1993).
Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20.11.1996, BBl 1997 I 1 ff. (zit. Botschaft BV).
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