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Kommentierung zu
Art. 787 OR

Eine Kommentierung von Anne Mirjam Schneuwly

Herausgegeben von Lukas Müller

defriten

I. Zeitpunkt des Rechtsübergangs

1 Sind die Voraussetzungen zum Erwerb der Stammanteile erfüllt (Art. 785 OR), gehen die Rechte und Pflichten nicht mit dessen Übertragung auf die erwerbende Person über, sondern erst nachdem die Gesellschafterversammlung hierzu ihre Zustimmung gegeben hat – vorausgesetzt, das Erfordernis wurde nicht statutarisch aufgehoben (Art. 786 Abs. 2 Ziff. 1 OR).

Die Übertragung ist demzufolge suspensiv bedingt (Art. 151 ff. OR) und bleibt bis zur Zustimmung der Gesellschafterversammlung in der Schwebe.
Die Abtretung von Stammanteilen verhält sich dementsprechend wie die Übertragung von nicht börsenkotierten vinkulierten Namenaktien (Art. 685c OR).

2 Erst mit der Zustimmung werden der erwerbenden Person die vollen Mitgliedschaftsrechte (Stimmrecht, Vetorecht usw.) und Pflichten als Gesellschafterin bzw. Gesellschafter zugesprochen.

Bis dahin bleibt die veräussernde Person allein berechtigt, die Mitgliedschaftsrechte auszuüben; es besteht jedoch die Möglichkeit, dass die erwerbende Person durch eine Vollmacht der veräussernden Person an der Gesellschafterversammlung abstimmen kann.

3 Wird der Abtretung zugestimmt, treten die Rechtswirkungen nicht rückwirkend auf den Erwerbsmoment ein, sondern ex nunc mit der Beschlussfassung.

Auch ist nicht erst die Einschreibung in das Handelsregister konstitutiv, sondern der Beschlusszeitpunkt.
Wurde Zustimmungserfordernis durch die Gesellschafterversammlung statutarisch ausgeschlossen (Art. 786 Abs. 2 Ziff. 1 OR), gehen die Rechte und Pflichten mit der Übertragung auf die erwerbende Person über.

4 Wird die Zustimmung zur Abtretung abgelehnt, ist die Übertragung unwirksam und fällt ex tunc dahin.

Wurden die Stammanteilurkunden der erwerbenden Person bereits übergeben, so muss eine Rückabwicklung (Art. 109 OR)
des Kauf- oder Schenkungsvertrags stattfinden.

II. Frist zur Erteilung der Zustimmung

5 Der Gesellschafterversammlung steht ein Zeitraum von sechs Monaten zu, um der Abtretung der Stammanteile zuzustimmen (Art. 787 Abs. 2 OR). Auch wenn die sechsmonatige Frist explizit für die Zustimmung vorgesehen ist, so ist sie praktischerweise eine Frist, in der die Gesellschafterversammlung handeln muss, wenn sie die erwerbende Person nicht als Gesellschafterin bzw. Gesellschafter aufnehmen will.

Lehnt die Gesellschafterversammlung innerhalb dieser Frist nicht ab, so gilt die Zustimmung im Sinne einer Fiktion als erteilt.

6 In diesen sechs Monaten können die Gesellschafterinnen und Gesellschafter Abklärungen bezüglich der erwerbenden Person treffen.

Dabei kann deren Bonität überprüft werden, wenn im Rahmen einer statutarischen Regelung gemäss Art. 786 Ab. 2 Ziff. 5 OR, die Zustimmung zur Abtretung verweigert werden kann, wenn die Erfüllung statutarischer Nachschuss- oder Nebenleistungspflichten zweifelhaft ist und eine von der Gesellschaft geforderte Sicherheit nicht geleistet wird.

A. Fristenberechnung

7 Der Fristenlauf beginnt am Tag nachdem das Gesuch um Genehmigung der Stammanteilabtretung bei der Gesellschaft zugegangen bzw. in deren Machtbereich gelangt ist.

Die sechsmonatige Frist kann statutarisch verkürzt, zum Schutz der Interessen der erwerbenden Personen jedoch nicht verlängert werden.

B. Wirkung bei Ablauf der Frist

8 Verpasst es die Gesellschaft, fristgerecht das Gesuch um Zustimmung der Abtretung abzulehnen oder allgemein einen Entscheid zu fällen, wird die Genehmigung unwiderlegbar vermutet.

Eine verspätete Ablehnung der Gesellschafterversammlung bleibt wirkungslos.

9 Wurde das Gesuch unberechtigterweise abgelehnt – bspw. wenn die erwerbende Person die Voraussetzungen der statutarischen Vinkulierung nach Art. 786 Abs. 2 Ziff. 2 OR oder der Bonitätsvinkulierung nach Art. 786 Abs. 2 Ziff. 5 OR erfüllt und ihr trotzdem die Zustimmung verwehrt bleibt – und wird der Entscheid gerichtlich angefochten, so erfolgt die Genehmigung auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Feststellungsurteils.

C. Kenntnisnahme über den Beschluss

10 Der Ablehnungsentscheid muss nicht begründet werden (vgl. Art. 786 Abs. 1 OR) – ausgenommen eine Begründungspflicht wurde in den Statuten aufgenommen.

Die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller muss aber über den Beschluss der Gesellschafterversammlung informiert werden. Ist sie oder er nicht an der Gesellschafterversammlung präsent, bspw. als Vertretung der veräussernden Person, und lehnt die Gesellschaft die Abtretung der Stammanteile ab, so muss der Beschluss die Gesuchstellerin bzw. den Gesuchsteller noch vor Ablauf der sechsmonatigen Frist erreichen.

11 In welcher Form die Mitteilung zu erfolgen hat, wird im Gesetz nicht geregelt. Die Statuten der Gesellschaft müssen diese Form regeln (Art. 776 Ziff. 4 OR). Wird die Mitteilung schriftlich per Post oder per E-Mail versandt, so gilt das Zugangsdatum und es ist nicht erforderlich, dass die Gesuchstellerin bzw. der Gesuchsteller tatsächlich von der Ablehnung der Gesellschaft Kenntnis genommen hat.

Somit ist Vorsicht geboten, wenn die Gesellschafterversammlung auf den letzten Tag der sechsmonatigen Frist terminiert ist und der Ablehnungsentscheid noch mitgeteilt werden soll.

Musterdokumente

Materialien

Botschaft zur Revision des Obligationenrechts (GmbH-Recht sowie Anpassungen im Aktien-, Genossenschafts-, Handelsregister- und Firmenrecht) vom 19. Dezember 2001, BBl 2002 S. 3148 ff., abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2002/443/de besucht am 24. Juni 2022 (zit. Botschaft GmbH 2002).

Literaturverzeichnis

Chappuis Fernand / Jaccard Michel, in: Tercier Pierre / Amstutz Marc / Trigo Trindade Rita (Hrsg.), Commentaire Romand, Code des Obligations II, 2. Aufl., Basel 2017 (zit. CR).

du Pasquier Shelby / Wolf Matthias / Oertle Matthias, in: Honsell Heinrich / Vogt Nedim Peter / Watter Rolf (Hrsg), Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 5. Aufl., Basel 2016 (zit. BSK).

Handschin Lukas / Truniger Christof, Die GmbH, Zürich 2019.

Keller Alwin / Jegher Gion / Vasella David, in: Honsell Heinrich (Hrsg.), Kurzkommentar Obligationenrecht, Art. 1-1186 OR, Basel 214 (zit. KuKo).

Küng Manfred / Camp Raphael, Orell Füssli Kommentar, GmbH-Recht – Das revidierte Recht zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Zürich 2006 (zit. OFK).

Scheidegger Markus, in: Nussbaum Martin F. / Sanwald Reto / Scheidegger Markus (Hrsg.), Kurzkommentar zum neuen GmbH-Recht, Bern 2007 (zit. Kurzkommentar GmbH).

Siffert Rino, in: Baker & McKenzie (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar, Handelsregisterverordnung, Zürich 2013 (zit. SHK).

Siffert Rino / Fischer Marc Pascal / Petrin Martin, in: Baker & McKenzie (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar, GmbH-Recht, Zürich 2008 (zit. SHK).

Trüeb Hans Rudolf, in: Roberto Vito / Trüeb Hans Rudolf (Hrsg.), Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, 3. Aufl., Zürich 2016 (zit. CHK).

Zellweger-Gutknecht Corinne, in: Widmer Lüchinger Corinne / Oser David (Hrsg.), Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl., 2020 Basel (zit. BSK).

Fussnoten

  • CR-Chappuis/Jaccard, N. 3 zu Art. 787 CO; BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 zu Art. 787 OR; KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 1 zu Art. 787 OR.
  • CR-Chappuis/Jaccard, N. 3 zu art. 787 CO; KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 1 zu Art. 787 OR; CHK-Trüeb, N. 1 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 zu Art. 787 OR; KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 2 zu Art. 787 OR; Kurzkommentar GmbH-Scheidegger, N. 2 f. zu Art. 787 OR; SHK-Siffert/Fischer/Petrin, N. 1 zu Art. 787 OR; arrêt de la Cour de Justice de Genève du 28 mai 2015 E. 7.
  • Botschaft GmbH 2002, S. 3188; SHK-Siffert/Fischer/Petrin, N.1 zu Art. 787 OR; BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 f. zu Art. 685c OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 zu Art. 787 OR; KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 1 zu Art. 787 OR.
  • CR-Chappuis/Jaccard, N. 1 zu art. 787 CO.
  • Kurzkommentar GmbH-Scheidegger, N. 9 zu Art. 787 OR; SHK-Siffert/Fischer/Petrin, N. 6 zu Art. 787 OR.
  • KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 1 zu Art. 787 OR.
  • Handschin/Truniger, § 15 Rz. 45; CHK-Trüeb, N. 5 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 2 zu Art. 787 OR; CHK-Trüeb, N. 5 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR: «Abs. 2 sieht eine Frist von sechs Monaten vor für die Erteilung der Zustimmung – und nicht etwa Ablehnung – zur Abtretung von Stammanteilen durch die Gesellschafterversammlung (vgl. Art. 685c: dreimonatige Frist für die Erteilung der Zustimmung bei der Übertragung von nicht börsenkotierten vinkulierten Namenaktien).»
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR; siehe auch Art. 685g OR.
  • Botschaft GmbH 2002, S. 3188; BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR.
  • CR-Chappuis/Jaccard, N. 8 zu art. 787 CO; BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR; OFK-Küng/Camp, N. 2 zu Art. 787; Siffert, REPRAX, S. 85; CHK-Trüeb, N. 3 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 7 zu Art. 787 OR; Kurzkommentar GmbH-Scheidegger, N. 8 zu Art. 787 OR; SHK-Siffert/Fischer/Petrin, N. 4 zu Art. 787 OR; SHK-Siffert, N. 19 zu Art. 82 HRegV.
  • KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 3 zu Art. 787 OR; CHK-Trüeb, N. 4 zu Art. 787 OR.
  • KuKo-Keller/Jegher/Vasella, N. 3 zu Art. 787 OR; OFK-Küng/Camp, N. 2 zu Art. 787 OR.
  • SHK-Siffert/Fischer/Petrin, N. 5 zu Art. 787 OR.
  • Botschaft GmbH 2002, S. 3188; BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR.
  • BSK-du Pasquier/Wolf/Oertle, N. 5 zu Art. 787 OR sowie N. 7 zu Art. 685c OR; siehe zur Empfangstheorie auch BSK-Zellweger-Gutknecht, N. 4 zu Art. 10 OR.

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10.17176/20230411-194108-0

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