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BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
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DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehungsgeschichte
- II. Proporz und Mandatsverteilung
- III. Erstverteilung der Nationalratsmandate auf die Listen
- Materialien
- Literaturverzeichnis
I. Entstehungsgeschichte
1 Bis 1919 wurden die Mitglieder des Nationalrats – verfassungsrechtlich ‘unausgesprochen’ – nach dem Mehrheitswahlverfahren (Majorz) gewählt.
2 Unter dem Eindruck der deutlichen Volksabstimmung und des Landesgeneralstreiks schuf der (noch nach altem Wahlrecht gewählte) Nationalrat die Umsetzungsgesetzgebung zur neuen Verfassungsnorm sehr schnell.
3 Die Verfassungsbestimmung regelte damals, wie auch heute noch, nur die Wahl des Nationalrats nach dem Grundsatz des Proporzes. Die weitere Ausgestaltung des Wahlsystems blieb damit dem Gesetzgeber überlassen.
II. Proporz und Mandatsverteilung
A. Spielarten der Proporzwahl
1. Grundlegende Unterschiede der Berechnungsmethoden
4 Zur Berechnung der Mandatsverteilung gibt es verschiedene mathematische Methoden, die aus den zwei gleichen Schritten bestehen. Zuerst muss der Anteil der erreichten Stimmen jeder Listengruppe an der Gesamtstimmenzahl berechnet werden, was einen proportionalen Idealanspruch ergibt. Daraus resultieren in aller Regel Dezimalbrüche. Da aber nur ganze Mandate vergeben werden können, muss im zweiten Schritt gerundet werden, um die definitive Zuteilung der Mandate zu erhalten.
5 Die Rundung kann einen erheblichen Einfluss auf die Wahlergebnisse haben.
6 Es gibt zwei Rundungsregeln, die bei der Mandatsverteilung zur Anwendung kommen: Abrundung und Standardrundung. Bei der Standardrundung wird aufgerundet, wenn die Bruchzahl grösser als ein halb ist und abgerundet, wenn die Bruchzahl kleiner als ein halb ist.
2. Konkrete Berechnungsmethoden der Mandatsverteilung
7 In Bund und Kantonen finden sich vier verschiedene Berechnungsmethoden für die Mandatsverteilung im Verhältniswahlsystem. Die Berechnungsmethoden werden häufig mit dem Namen einer Person bezeichnet, die für ihre Entwicklung oder Verbreitung wichtig war. Diese Namen werden aufgrund ihrer Verbreitung auch hier verwendet, wenngleich andere Bezeichnungen mathematisch sprechender sein könnten.
a. Hare/Niemeyer
8 Die Mandatsverteilungsmethode nach Hare/Niemeyer ist eine Quotenmethode.
b. Hagenbach-Bischoff
9 Die Mandatsverteilung nach Hagenbach-Bischoff
10 Der Divisor wird so berechnet, dass bereits im ersten Verteilungsschritt möglichst viele Mandate verteilt werden können. Die Zahl aller abgegebenen Stimmen wird durch die Zahl der zu vergebenden Sitze plus eins geteilt; das so ermittelte Ergebnis wird auf die nächste ganze Zahl erhöht (= Divisor). Die erreichten Stimmen jeder Liste werden durch diesen Divisor geteilt und jede Liste erhält so viele Mandate, «als die Verteilungszahl in ihrer Stimmenzahl enthalten ist» (Art. 40 Abs. 2 BPR). Dies bedeutet, dass der Mandatsanspruch für die Erstverteilung abgerundet wird.
c. Sainte-Laguë
11 Es handelt sich bei der Berechnungsmethode nach Sainte-Laguë um eine Divisormethode mit Standardrundung.
d. Pukelsheim
12 Die Mandatsverteilungsmethode nach Pukelsheim ist eine doppeltproportionale Divisormethode mit Standardrundung (vereinfacht auch «Doppelproporz» oder «doppelter Pukelsheim» genannt).
13 Die Proportionalität im Sinne der möglichst grossen Erfolgswertgleichheit wird also bei der Oberzuteilung auf dem gesamten Wahlgebiet verwirklicht. Innerhalb der Wahlkreise kann es vorkommen, dass eine Liste einen Sitz erhält, der von der wahlkreisinternen Proportionalität her einer anderen Liste zustehen würde (sogenannt gegenläufige Sitzverteilung).
3. Verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher Rahmen
a. Vorgaben von Art. 149 BV
14 Das Verfassungsrecht sieht in Art. 149 Abs. 2 BV vor, dass der Nationalrat vom Volk nach dem Grundsatz des Proporzes bestimmt wird. Für die genaue Ausgestaltung des Wahlsystems im Rahmen der Umsetzungsgesetzgebung belässt diese Regelung einen bedeutenden Spielraum.
15 Die Mandatsverteilung, wie sie in Art. 40 bis 44 BPR normiert ist, ist eine der Grundlagen jedes Proporzwahlsystems.
16 Der Grundsatz des Proporzes kann auf unterschiedliche Arten konkretisiert werden, und der Begriff des Proporzes an sich kann zwei verschiedene Bedeutungen haben. Einerseits kann der Proporz ein Repräsentationsprinzip darstellen, das auf dem gesamten Wahlgebiet zusammengenommen verwirklicht werden muss (wahlkreisübergreifender Proporz). Andererseits kann der Proporz als blosse Entscheidungsregel verstanden werden, die nur wahlkreisintern angewendet wird (wahlkreisbezogener Proporz).
17 Art. 40 und 41 BPR bestimmen, dass die Mandate nach der Berechnungsmethode Hagenbach-Bischoff auf die Listen verteilt werden, ohne diese jedoch explizit zu benennen. Andere Mandatsverteilungsverfahren wären im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts ebenfalls möglich, beispielsweise ein Wechsel auf die Divisormethode mit Standardrundung nach Sainte-Laguë.
18 Art. 149 Abs. 3 BV schreibt vor, dass die Kantone die Wahlkreise bilden. Heute wird der Proporzgrundsatz gemäss dem Mandatsverteilungssystem Hagenbach-Bischoff nur innerhalb dieser Wahlkreise, d.h. auf Ebene der Kantone, verwirklicht.
b. Völkerrechtliche Vorgaben
19 Der UNO-Pakt II schützt in Art. 25 gewisse Grundgehalte der politischen Rechte.
c. Änderung der Mandatsverteilungsmethode?
20 Im Rahmen von Gesetzesrevisionen wurde eine grundlegende Änderung der Mandatsverteilungsmethode im Nationalratswahlrecht wiederholt diskutiert. Bei der Schaffung des BPR stellte ein Nationalrat der Evangelischen Volkspartei einen Antrag auf die Einführung der Bruchzahl- statt der Divisormethode, da das bisherige Mandatsverteilungssystem in erheblichem Masse die grossen Parteien begünstige.
21 Auch ausserhalb von grösseren Revisionsvorhaben im Bereich der politischen Rechte ergehen im Bundesparlament regelmässig Vorstösse zu Anpassungen des Nationalratswahlrechts. Seit Beginn der kantonalen Entwicklung hin zum wahlkreisübergreifenden Proporz durch die Mandatsverteilungsmethode nach Pukelsheim fokussieren sich die Vorstösse auch auf der Bundesebene auf die Mandatszuteilung. Bereits 2003 wurde das erste Postulat betreffend die Einführung der doppeltproportionalen Divisormethode nach Pukelsheim eingereicht.
B. Ablauf der Mandatsverteilung
1. Ablauf der gesamten Mandatsverteilung gemäss BPR
22 Die Verteilung der Mandate für den Nationalrat erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren, das in Art. 40 bis 44 BPR genauer festgelegt ist. In jedem Wahlkreis werden die dortigen Sitze separat verteilt; es handelt sich um ein Proporzsystem auf Ebene der einzelnen Wahlkreise.
23 Die Verteilung der Mandate auf die Listen resp. Listengruppen (erster Schritt) ist wiederum in zwei Unterschritte gegliedert. Zuerst wird die sogenannte «Erstverteilung» vorgenommen: Ein Divisor wird festgelegt und die Mandate werden entsprechend dieser Zahl auf die Listen verteilt (Art. 40 BPR). Dabei verbleiben in der Regel aber unverteilte Mandate.
2. Beispiel Erstverteilung
24 Die Erstverteilung wird am Beispiel der Nationalratswahlergebnisse im Wahlkreis (Kanton) Luzern im Jahr 2019 dargestellt. Der Kanton (= Wahlkreis) hatte neun Sitze im Nationalrat auf die Listen zu verteilen, es traten insgesamt 35 Listen an. Von diesen 35 Listen traten zwei einzeln an, die übrigen waren in insgesamt drei verschiedenen Listengruppen zusammengeschlossen, wobei «Mutterparteien» und ihre kleineren Ableger zusätzlich in Unterlistengruppen verbunden waren.
25 Die Stimmen verteilten sich folgendermassen:
Liste / Listengruppe | Anzahl Parteistimmen |
CVP+/FDP+ | 487’102 |
Grüne+/SP+/GLP+/IP | 395’687 |
SVP+ | 293’650 |
EVP | 8’451 |
SD | 1’766 |
Total | 1’186’656 |
Der Divisor wird berechnet: Anzahl abgegebene Parteistimmen geteilt durch (die Anzahl zu vergebender Mandate plus eins), aufgerundet auf die nächst höhere ganze Zahl.
1'186'656 / (9+1) = 118’665.6 à Divisor: 118'666 (= «Mandatspreis»)
Der Quotient jeder Listengruppe wird errechnet, indem die Anzahl Parteistimmen der Listenverbindung durch den Divisor geteilt wird. Die Zahl vor dem Komma gibt an, wie viele Mandate die Listenverbindung nach der Erstverteilung erhält.
Bspw. für die SVP+: 293'650 / 118’66 = 2.47459255389075 à Anspruch der SVP+ gem. Erstverteilung: 2 Mandate
Anzahl Parteistimmen | Quotient (gerundet) | Mandate |
487’102 | 4.10 | 4 |
395’687 | 3.33 | 3 |
293’650 | 2.47 | 2 |
8’451 | 0.07 | 0 |
1’766 | 0.01 | 0 |
|
| 9 |
26 Bei den Nationalratswahlen 2019 erhielt die Listengruppe mit CVP+ und FDP+ vier Mandate, die Listengruppe Grüne+/SP+/GLP+/IP drei Sitze, die SVP+ zwei. Die ohne Listenverbindung angetretenen EVP und SD gingen leer aus. Alle neun Sitze des Wahlkreises im Nationalrat konnten somit bei der Erstverteilung bereits vergeben werden. Weiter wäre gemäss Art. 42 BPR zu berechnen, wie die Mandate der Listengruppe an die darin zusammengeschlossenen einzelnen Listen (resp. Unterlistengruppen) zu verteilen sind.
C. Rechtsvergleich
27 Die überwiegende Mehrheit der Kantone bestimmt ihr Parlament nach einem Proporzwahlverfahren: Elf Kantone nach Hagenbach-Bischoff,
28 In den Kantonen mit Hagenbach-Bischoff erfolgt die Mandatsverteilung fast oder ganz gleich wie auf der Bundesebene. Unterschiede ergeben sich im Kanton Basel-Landschaft, der im Gegensatz zur Bundesebene für alle Wahlkreise Wahlkreisverbände bildet und daher die Mandatsverteilung nicht pro Wahlkreis, sondern separat in jeder der vier Regionen vornimmt.
29 Die Kantone geniessen seit jeher eine grosse Freiheit bei der Ausgestaltung ihres Wahlsystems,
30 In Bezug auf kantonale Proporzwahlsysteme hat das Bundesgericht in jüngerer Zeit zunehmend strengere Anforderungen an die Verwirklichung der Erfolgswertgleichheit gestellt: Wenn das kantonale Verfassungsrecht ein Proporzwahlsystem vorsieht, muss die Erfolgswertgleichheit wahlkreisübergreifend, nicht bloss wahlkreisintern, möglichst gut verwirklicht werden.
31 Vor der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum kantonalen Parlamentswahlrecht hielte das Nationalratswahlrecht möglicherweise nicht stand.
III. Erstverteilung der Nationalratsmandate auf die Listen
A. Verteilungszahl (Abs. 1)
1. Berechnung der Verteilungszahl
32 Bei der Verteilungsmethode nach Hagenbach-Bischoff wird als erster Schritt ein Divisor berechnet,
33 Die Berechnungsmethode nach Hagenbach-Bischoff stammt aus einer Zeit, in der Rechenoperationen ohne Zuhilfenahme von Computerprogrammen durchgeführt wurden. Ein Ziel war es deshalb, möglichst wenige Rechenschritte vornehmen zu müssen.
34 Gleichzeitig dürfen nie mehr Mandate verteilt werden, als im betreffenden Wahlkreis Sitze vorhanden sind. Das stellt diese Berechnungsweise der Verteilungszahl sicher, indem auf die nächst höhere ganze Zahl aufgerundet wird.
2. Änderungen des Wortlauts
35 Der Wortlaut des heutigen Art. 40 Abs. 1 BPR erfuhr verschiedene Änderungen.
36 Bei der Anpassung des Wortlauts wäre auch denkbar gewesen, dass eine neue Berechnungsweise eingeführt würde. Die sogenannte «Methode Prokop» hätte genau dieselbe Mandatsverteilung gebracht wie die Berechnung mittels der Methode von Hagenbach-Bischoff, jedoch unter Zuhilfenahme eines Computers. Das computerisierte Verfahren stiess in der Vernehmlassung aber auf derart viele «psychologische Vorbehalte», dass der Bundesrat darauf verzichtete, im Entwurf einen Wechsel vorzuschlagen.
B. Erstverteilung der Mandate auf die Listen (Abs. 2)
1. Berechnung der ersten Mandatsverteilung i.e.S.
37 Nachdem in Art. 40 Abs. 1 BPR die Berechnung der Verteilungszahl festgelegt wurde, beschreibt Abs. 2 in kurzer Form den Mechanismus der Erstverteilung der Nationalratsmandate i.e.S. Die Stimmenzahl jeder Liste wird durch die Verteilungszahl geteilt. Daraus resultiert eine Zahl, meist mit einigen Nachkommastellen. Dieses Resultat wird, sofern nötig, auf eine ganze Zahl gekürzt und die betreffende Liste erhält diese Anzahl Mandate bei der Erstverteilung zugesprochen.
38 Die Mandatsverteilungsmethode nach Hagenbach-Bischoff wird auch als Divisormethode mit Abrundung bezeichnet.
39 Mit der Erstverteilung nach Art. 40 Abs. 2 BPR ist die Mandatsverteilung noch nicht abgeschlossen. I.d.R. können bei der Erstverteilung noch nicht alle zu vergebenden Mandate an die Listen verteilt werden. Daher ist das Verfahren der Restverteilung nach Art. 41 BPR von grosser Bedeutung. Hinzu kommt, dass im Fall von Listengruppen, die gemäss Erstverteilung einen Mandatsanspruch haben, die Mandate noch auf die einzelnen Listen verteilt werden müssen (Art. 42 BPR). In jedem Fall muss ermittelt werden, welche Kandidierenden der Listen die ihr zustehenden Mandate erhalten (Art. 43 BPR).
2. Bevorzugung grosser Parteien
40 Gewisse Verzerrungen des Proporzes sind bei Wahlen rundungsbedingt immer in Kauf zu nehmen, denn es können nur ganze Sitze vergeben werden.
41 Die Berechnungsmethode nach Hagenbach-Bischoff führt aus verschiedenen Gründen zu einer gewissen systematischen Bevorzugung der grösseren Parteien. Sowohl die Erstverteilung nach Art. 40 BPR als auch die (i.d.R. notwendige) Restverteilung nach Art. 41 tragen etwas dazu bei. Bei der Erstverteilung stellt sich die Frage nach der Rundung des Mandatsanspruchs der Parteien, d.h. des Ergebnisses der Division der erreichten Stimmenzahl der betreffenden Liste durch den Divisor. Nach Hagenbach-Bischoff werden die Sitzansprüche der Parteien abgerundet, wie sich im Text von Art. 40 Abs. 2 BPR nur implizit zeigt.
Ich danke Elias Studer (MLaw), Joey Jüstrich und Matthias Zinniker, Hilfsassistierende am Zentrum für Demokratie Aarau, für die anregenden Anmerkungen, Mithilfe bei der Materialrecherche und Durchsicht des Texts.
Materialien
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität vom 26.11.1918, BBl 1918 V S. 121 ff. (zit. Botschaft NWG).
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zu einem Bundesgesetz über die politischen Rechte vom 9.4.1975, BBl 1975 I S. 1317 ff. (zit. Botschaft BPR 1975).
Botschaft über eine Teiländerung der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte vom 1.9.1993, BBl 1993 III S. 445 ff. (zit. Botschaft BPR-Revision 1993).
Bericht über Proporzwahlsysteme im Vergleich vom 21. August 2013, abrufbar unter https://www.bk.admin.ch/dam/bk/de/dokumente/pore/proporzwahlsystemeimvergleichberichtderbkandenbrvom21082013.pdf.download.pdf/proporzwahlsystemeimvergleichberichtderbkandenbrvom21082013.pdf, besucht am 26.4.2023 (zit. Bericht Proporzwahlsysteme).
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