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- Art. 60 BV
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- Art. 715a OR
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- Art. 786 OR
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- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
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- Vorb. zu Art. 1 DSG
- Art. 1 DSG
- Art. 2 DSG
- Art. 3 DSG
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- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
- Art. 7 DSG
- Art. 10 DSG
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- Art. 31 Abs. 2 lit. e DSG
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- Art. 67 DSG
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- Art. 72a DSG
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- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
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- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehung
- II. Allgemeines
- III. Abgrenzungen
- IV. Abs. 1 - Erlass
- V. Abs. 2 - Gegenstände und Werte.
- VI. Abs. 3 - Zeitpunkt der Herausgabe
- VII. Abs. 4 - Gründe für die Verweigerung der Herausgabe
- VIII. Abs. 5 - Aussetzung der Übergabe
- IX. Abs. 6 - Steuerpfandrechte
- X. Abs. 7 - Aufteilung der eingezogenen Werte
- XI. Rechtsbehelfe
- Literaturverzeichnis
I. Entstehung
1 Das IRSG wurde am 20. März 1981 verabschiedet und am 4. Oktober 1996 geändert. Die Ziele dieser Änderung waren zum einen die wirksame Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und zum anderen die Behebung der Schwächen des zuvor bestehenden Rechtssystems durch Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens zur Ausführung von Rechtshilfeersuchen. Die Fälle Pemex und Marcos haben einige Schwächen des Gesetzes aufgezeigt, wie z. B. die Dauer des Vollstreckungsverfahrens. Diese erwies sich als übermäßig lang, sowohl wegen der zahlreichen Rechtsmittel als auch wegen der großen Unterschiede im Ablauf von einem Kanton zum anderen.
2 Diese Revision führte insbesondere zur Änderung von Art. 74 IRSG und zur Hinzufügung des neuen Art. 74a IRSG, der zuvor mit Art. 74 a IRSG kombiniert war. Sie ermöglicht die Unterscheidung zwischen der Herausgabe von Beweismitteln an den ersuchenden Staat, die jetzt in Art. 74 IRSG geregelt ist, und der Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten zum Zweck ihrer Einziehung oder Rückgabe an den Berechtigten im ersuchenden Staat, die jetzt in Art. 74a IRSG geregelt ist.
3 Mit Art. 74a IRSG wurde auch das Verfahren geklärt, das bei der Herausgabe von in der Schweiz beschlagnahmten Gegenständen und Vermögenswerten zu befolgen ist, und die komplexe Rechtsprechung ersetzt, die zuvor die Unterwerfung der ausländischen Einziehungs- oder Rückgabeentscheidung unter ein Exequaturverfahren verlangte. Mit dieser neuen Bestimmung reicht lediglich eine summarische Prüfung der ausländischen Entscheidung aus, die auf der Feststellung beruht, dass die grundlegenden Verfahrensrechte eingehalten werden.
4 In der parlamentarischen Debatte nahm der Nationalrat den vorgeschlagenen Art. 74a ohne Diskussion an. Der Ständerat nahm den Vorschlag an, in Abs. Er verzichtete jedoch darauf, diese Bestimmung dahingehend zu ändern, dass die Herausgabe der Erträge aus Straftaten in allen Fällen von einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteil im ersuchenden Staat abhängig gemacht wird. Der Nationalrat schloss sich dieser Lösung an.
II. Allgemeines
A. Verfahren
5 Bei der Revision des IRSG im Jahr 1996 wurde zwischen der Beweisbeschlagnahme, die sich nur auf Beweismittel bezieht, und der Sicherungsbeschlagnahme, die sich auf Gegenstände oder Werte zum Zweck der Einziehung bezieht, unterschieden. Die Sicherungsbeschlagnahme kann nur auf die Rückgabe der Gegenstände oder Werte an den Berechtigten oder Geschädigten (der der ersuchende Staat sein kann) oder auf ihre Einziehung oder Vernichtung abzielen. Bei der Rückgabe hat die Herausgabe zur Folge, dass die frühere Situation des Berechtigten wiederhergestellt wird. Art. 74a IRSG ermöglicht somit auf Ersuchen des ersuchenden Staates die Herausgabe von in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerten zur Einziehung oder Rückgabe an den Berechtigten im ersuchenden Staat.
6 Die Herausgabe zum Zweck der Rückgabe kann nun grundsätzlich in allen Phasen des ausländischen Verfahrens erfolgen, sofern der ersuchende Staat eine endgültige und vollstreckbare Entscheidung trifft (Art. 74a Abs. 3 IRSG). Der Grundsatz des Vertrauens zwischen den Staaten führt zu der Annahme, dass in der Regel nichts gegen die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten sprechen sollte, nachdem der ersuchende Staat eine Entscheidung getroffen hat, und dass es daher nicht notwendig ist, ein Exequatur dieser Entscheidung im Sinne von Art. 94 ff IRSG vorzunehmen.
7 Der Ausdruck „in der Regel“ wurde vom Gesetzgeber verwendet, um ausnahmsweise ein schnelles und wenig formalistisches Verfahren in Fällen zu ermöglichen, in denen eine Rückgabe offensichtlich ist, z.B. wenn kein Zweifel an der unrechtmässigen Herkunft der beschlagnahmten Werte und an der Berechtigung einer Herausgabe an den Berechtigten besteht (vgl. unten N. 42 und 47).
8 Vor der rechtshilfeweisen Übergabe zur Einziehung oder Rückgabe muss die zuständige Behörde im Besitz der zurückzugebenden Gegenstände und Vermögenswerte sein. Zu diesem Zweck kann sie vorläufige Massnahmen im Sinne von Art. 18 IRSG anordnen, wie z.B. eine Sicherungsbeschlagnahme. Die Gegenstände oder Vermögenswerte können schließlich nach einer vollstreckbaren Endentscheidung im Sinne von Art. 80d an den ersuchenden Staat herausgegeben werden. Die Übergabe von Gegenständen und Wertsachen im Sinne von Art. 74a IRSG ist - im Gegensatz zur Übergabe von Beweismitteln - endgültig und der ausländische Staat kann über die übergebenen Gegenstände oder Werte verfügen. Nach der Übergabe verliert die Schweiz somit die Herrschaft über diese.
9 Art. 74a IRSG wird durch Art. 33a IRSV ergänzt, der die Dauer der Beschlagnahme regelt.
10 Die Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten zum Zweck der Einziehung oder Rückgabe stellt einen schweren Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person dar. Im Gegensatz zu Art. 74 IRSG ist der Eingriff in die Grundrechte schwerwiegender, da die Gegenstände und Vermögenswerte der betroffenen Person endgültig ausgehändigt werden. Zu den betroffenen Grundrechten gehören die Eigentumsgarantie (Art. 26 BV), die Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) sowie der Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV und Art. 8 EMRK). Ein auf Art. 74aIRSG gestützter Herausgabeentscheid muss daher die Voraussetzungen von Art. 36 BV erfüllen.
B. Ermessensspielraum der Vollstreckungsbehörden
11 Hierbei handelt es sich im Gegensatz zu den Art. 59 und 74 IRSG um eineKann-Vorschrift (Kann-Vorschrift). Die schweizerische Vollzugsbehörde muss also die gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilen, um zu bestimmen, ob und wann eine Übergabe stattfinden soll; sie verfügt dabei über einen weiten Ermessensspielraum. Wenn dieser Ermessensspielraum es ihr nicht erlaubt, den Inhalt der ausländischen Entscheidung - vorbehaltlich einer Verletzung des Ordre public - in Frage zu stellen, ist die Vollstreckungsbehörde verpflichtet zu prüfen, ob sich die erbetene Zusammenarbeit in dem nach Art. 74a IRSG zulässigen Rahmen bewegt. So kann die ersuchte Behörde sicherstellen, dass die Werte, deren Rückgabe verlangt wird, tatsächlich den in Art. 74 Abs. 2 lit. a bis c IRSG beschriebenen Gegenständen entsprechen, d.h. dass es sich tatsächlich um das Tatwerkzeug oder den Ertrag aus der Straftat bzw. um die Belohnung für den Täter handelt. Das ausländische Verfahren muss zudem die allgemeinen Garantien erfüllen, die sich aus der EMRK oder dem UNO-Pakt II ergeben. Die Ansprüche des Geschädigten, einer Behörde oder gutgläubiger Dritterwerber sowie die Erfordernisse eines Strafverfahrens in der Schweiz sind gemäss Art. 74a Abs. 4 IRSG ebenfalls zu berücksichtigen.
12 Die schweizerische Vollzugsbehörde kann den ersuchenden Staat nötigenfalls um zusätzliche Informationen ersuchen (Art. 80o IRSG ). Sie kann die Gewährung der Rechtshilfe auch von Bedingungen abhängig machen, wenn das ausländische Verfahren bestimmte Mängel aufweist, die durch Garantien des ausländischen Staates behoben werden können (Art. 80p IRSG ). Diese Bedingungen können eine Verpflichtung zur Einhaltung von Verfahrensregeln, insbesondere der durch internationale Instrumente verliehenen, die Garantie der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der urteilenden Behörde oder auch die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität umfassen. Diese Garantien können im Nachhinein erlangt werden. Solche Garantien sind jedoch mit Zurückhaltung zu betrachten. Selbst wenn möglich, ist die Anwendung von Art. 80p IRSG auf die Herausgabe von Vermögenswerten an den ersuchenden Staat zu relativieren, da eine auf Art. 74a IRSG gestützte Herausgabe grundsätzlich nur auf der Grundlage einer endgültigen und vollstreckbaren Entscheidung im ausländischen Staat möglich ist. Andernfalls müsste die Rechtshilfe verweigert werden.
13 Das BGer hat mehrmals die Notwendigkeit betont, die Rechte der durch die betreffende Straftat geschädigten Personen zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass eine Übergabe an den ersuchenden Staat nach Art. 74a IRSG nicht zu deren Nachteil erfolgt. In Anbetracht dessen hat das BGer bisher nur restriktiv einen Erlass auf der Grundlage von Art. 74a IRSG mit spezifischen Bedingungen zugelassen. Es handelte sich um die vorzeitige Übergabe von Vermögenswerten des ehemaligen philippinischen Staatschefs Ferdinand Marcos und seiner Familie an die Philippinen vor der Verkündung eines Einziehungsurteils. Das TF ließ die Möglichkeit offen, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Ferdinand Marcos und sein Regime Anspruch auf eine Entschädigung aus den an den philippinischen Staat zu übergebenden Geldern haben. Er betonte auch die Notwendigkeit, Art. 74aIRSG im Hinblick auf (i) die dem IRSG zugrunde liegenden Prinzipien, einschließlich der in Art. 2 IRSG verankerten Achtung der Menschenrechte, und (ii) die internationalen Verpflichtungen der Schweiz, einschließlich insbesondere der Gewährleistung der im UNO-Pakt II und im Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter festgelegten Rechte, einschließlich des Rechts auf ein faires Verfahren und des Rechts auf Wiedergutmachung, auszulegen. Sofern der ersuchende Staat nicht in der Lage sei, diese Rechte umzusetzen, müsse die Schweiz dies berücksichtigen, insbesondere indem sie die Rechtshilfe von spezifischen Verpflichtungen des ersuchenden Staates abhängig mache, wie es Art. 80p IRSG erlaube. Das BGer betonte jedoch, dass, auch wenn der philippinische Staat aufgrund seiner internationalen Verpflichtungen gegenüber den Opfern zur Wiedergutmachung verpflichtet sei, die erbetene Rechtshilfe es ihm ermöglichen müsse, über das Schicksal der betreffenden Vermögenswerte zu entscheiden, und erinnerte damit an die Souveränität des ersuchenden Staates über die der Herausgabe unterliegenden Vermögenswerte.
C. Wechselwirkung mit internationalen Abkommen
14 Gemäss Art. 1 Abs. 1 IRSG haben internationale Gesetze oder Abkommen Vorrang vor dem IRSG. Die Abkommensbestimmungen haben Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht, das die Materie regelt, d.h. dem IRSG und der IRSV, die bei Fragen, die nicht ausdrücklich oder implizit durch das Abkommensrecht geregelt sind, und wenn das innerstaatliche Recht für die Rechtshilfe günstiger ist, anwendbar sind. Denn nach dem Günstigkeitsprinzip, muss die für die Rechtshilfe günstigere Norm angewendet werden. Das Bestehen eines Vertrags nimmt der Schweiz somit nicht die Möglichkeit, Rechtshilfe nach möglicherweise weitergehenden Regeln ihres innerstaatlichen Rechts zu gewähren, da Rechtshilfeverträge die internationale Zusammenarbeit fördern sollen; sie stehen daher einer weitergehenden Gewährung dieser Rechtshilfe nach schweizerischem Recht nicht entgegen. Zu den relevanten völkerrechtlichen Verträgen im Zusammenhang mit Art. 74a IRSG gehören:
Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das in der Schweiz am 20. März 1967 in Kraft trat und die Übergabe von Gegenständen, die beschlagnahmt oder eingezogen werden können, erlaubt, jedoch nur unter der Bedingung der Rückgabe (Art. 20 Abs. 3 EuAlÜbk) und vorbehaltlich der Rechte des ersuchten Staates oder Dritter an diesen Gegenständen (Art. 20 Abs. 4 EuAlÜbk).
Das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, das am 20. März 1967 in der Schweiz in Kraft trat, befasst sich nicht direkt mit der Herausgabe von Gegenständen und Wertsachen. Diese ist jedoch insbesondere in Art. 12 Abs.2 lit. a EUeR vorgesehen.
Das Übereinkommen über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 8. November 1990, das in der Schweiz am1. September 1993 in Kraft trat. Es handelt sich um ein Spezialübereinkommen, das das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 gemäss Art. 26 Abs. 2 und Abs. 3 EUeR ergänzt.
Das IWC ist ein wichtiges Instrument der internationalen Zusammenarbeit, um die Ermittlung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten zu regeln (Art. 7 IWC). Es legt einen Mindeststandard für Maßnahmen fest, die auf nationaler Ebene zu ergreifen sind (Kap. II), und stellt den Grundsatz einer möglichst umfassenden Zusammenarbeit in allen Phasen des Strafverfahrens auf (Kap. III). Diese verschiedenen Maßnahmen werden im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht angeordnet, wobei das innerstaatliche Recht auch dann Anwendung findet, wenn es günstigere Bedingungen für die Rechtshilfe vorsieht. Artikel 13 verpflichtet den ersuchten Staat zur Einziehung der Erträge aus Straftaten, entweder in Vollstreckung einer ausländischen Einziehungsentscheidung oder durch Einleitung eines innerstaatlichen Verfahrens. Das Schweizer Recht entspricht somit durch Art. 74a Abs. 2 IRSG und Art. 94 ff. IRSG, die die Übergabe von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten bzw. die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen betreffen, den Anforderungen dieses Übereinkommens. Das BGer betonte, dass die IWC keine Kooperationsformen zulässt, die das nationale Recht nicht vorsieht.
Unterschiedliche Vereinbarungen zwischen den Vertragsstaaten des Übereinkommens bleiben vorbehalten, z. B. indem sie die Aufteilung konfiszierter Erlöse zwischen kooperierenden Staaten vorsehen.
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Korruption vom 31. Oktober 2003, das am 24. Oktober 2009 in der Schweiz in Kraft trat, ist ein umfassendes Instrument zur Bekämpfung der Korruption. Es widmet insbesondere ein wichtiges Kapitel der Wiedererlangung von Vermögenswerten aus unrechtmäßiger Herkunft (Kap. V). Es ist das erste internationale Instrument, das auf multilateraler Ebene den Grundsatz einführt, dass unrechtmässig erworbene Vermögenswerte unter bestimmten Bedingungen zurückgegeben werden können (Art. 57). Bei der Verabschiedung des Übereinkommens vertrat der Bundesrat die Auffassung, dass das UNCAC keine Änderungen des innerstaatlichen Rechts nach sich zieht, da die Schweiz die im UNCAC vorgesehenen Grundsätze bereits in ihre Gesetzgebung übernommen hatte, insbesondere was die Einziehung von Vermögenswerten betrifft, die bereits in den Artikeln 70 ff StGB und 74a IRSG geregelt ist. Im Falle der Entziehung von Staatseigentum sieht Art. 57 Abs. 3 lit. a UNCAC eine Verpflichtung zur Herausgabe der eingezogenen Vermögenswerte an den ersuchenden Staat vor, wenn die Einziehung gemäß Art. 55 UNCAC und auf der Grundlage eines im ersuchenden Staat ergangenen rechtskräftigen Urteils vollstreckt wurde, eine Anforderung, auf die der ersuchte Staat verzichten kann. In den anderen Fällen, insbesondere in den in Art. 57 Abs. 3 Buchst. b und c UNCAC genannten Fällen, gibt es keinen Automatismus zugunsten des ersuchenden Staates. In Fällen, in denen der ersuchende Staat keine überwiegenden Rechte an den eingezogenen Vermögenswerten geltend machen kann, müssen andere Lösungen, insbesondere zugunsten der Korruptionsopfer, gefunden werden.
Unesco-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut vom 14. November 1970, die in der Schweiz am 3. Januar 2004 in Kraft trat. Ihr Ziel ist es, den Schutz von Kulturgütern in den Vertragsstaaten zu verbessern und das kulturelle Erbe der Menschheit durch internationale Zusammenarbeit zu schützen. Sie legt die rechtlichen und administrativen Mindeststandards fest, die die Vertragsstaaten anwenden müssen, um den illegalen Handel mit Kulturgütern einzudämmen. Die Schwerpunkte des Übereinkommens sind die Bekämpfung von Diebstahl, heimlichen Ausgrabungen und der illegalen Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern. Darüber hinaus setzt sich das Übereinkommen für die Rückgabe gestohlener Kulturgüter und die Rückführung illegal ausgeführter Güter ein. Das Unesco-Übereinkommen von 1970 ist jedoch nicht direkt anwendbar und verpflichtet die Vertragsstaaten, Gesetze zu seiner Umsetzung zu erlassen. Dies tat die Schweiz mit dem KGTG, das am 1. Juni 2005 in Kraft trat. Art. 7 des Unesco-Übereinkommens sieht vor, dass die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, um gestohlene Güter zu beschlagnahmen und auf Antrag des Herkunftslandes zurückzugeben, „vorausgesetzt, dass der ersuchende Staat der Person, die gutgläubiger Erwerber ist, eine angemessene Entschädigung zahlt“. Art. 13 des Unesco-Übereinkommens ergänzt diese Regelung, indem er den Vertragsstaaten vorschreibt, Klagen auf Rückgabe verlorener oder gestohlener Kulturgüter zuzulassen.
Das Unesco-Übereinkommen von 1970 enthielt kein Instrument für die Rückgabe oder Rückführung gestohlener oder illegal ausgeführter Kulturgüter unter Wahrung der Rechte des gutgläubigen Erwerbers. Aus diesem Grund wurde 1984 das Internationale Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) von der UNESCO beauftragt, ein Übereinkommen zur Regelung dieser Bereiche auszuarbeiten, was zum UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder unrechtmäßig ausgeführte Kulturgüter vom 24. Juni 1995 führte. Die Schweiz unterzeichnete das Übereinkommen am 26. Juni 1996, ratifizierte es jedoch nicht. Das UNIDROIT-Übereinkommen sieht unter anderem vor, dass gestohlene (oder aus illegalen Ausgrabungen stammende) Kulturgüter während 50 Jahren (75 in Ausnahmefällen) einem Rückgaberecht unterliegen (Art. 3); ebenso unterliegen illegal ausgeführte Kulturgüter, deren Ausfuhr wichtige kulturelle oder wissenschaftliche Interessen beeinträchtigt, während 50 Jahren einem Rückgaberecht (Art. 5). Wenn das Kulturgut in gutem Glauben erworben wurde, hat der Erwerber Anspruch auf eine angemessene Entschädigung (Art. 4 und 6).
III. Abgrenzungen
A. Abgrenzung zu Art. 59 IRSG
15 Art. 74a IRSG ist das Gegenstück zu Art. 59 IRSG, der im Bereich der Auslieferung Anwendung findet. Art. 59 IRSG schafft kein eigenes Übergabeverfahren, das sich von dem in Art. 74 und 74a IRSG vorgesehenen Verfahren unterscheidet. Er erlaubt jedoch, dass Gegenstände oder Werte, die sich im Besitz der auszuliefernden Person befinden, zum Zeitpunkt der Auslieferung an die ersuchende Behörde übergeben werden können.
B. Abgrenzung zu Art. 70 ff. StGB
16 Während die Art. 70 ff. StGB die Voraussetzungen für die Einziehung von Vermögenswerten im Rahmen eines schweizerischen Strafverfahrens festlegen, regelt Art. 74a IRSG auf der Ebene der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen die Fälle auf, in denen die Schweiz als ersuchter Staat die betreffenden Gegenstände oder Vermögenswerte zurückhalten oder ihre Herausgabe an den ersuchenden Staat aussetzen kann, insbesondere wenn die Gegenstände oder Vermögenswerte für ein in der Schweiz anhängiges Strafverfahren erforderlich sind oder in der Schweiz eingezogen werden können (Art. 74a Abs. 4 lit. d IRSG).
C. Abgrenzung zu Art. 94 ff IRSG
17 Art. 74a IRSG und Art. 94 ff. IRSG sind zwei verschiedene Verfahren zur Vollstreckung von ausländischen Einziehungsentscheidungen. Nach Bottinelli stellt Art. 74a, der die Übergabe an die ausländische Behörde „zum Zwecke der Einziehung oder der Rückgabe an den Berechtigten“ ermöglicht, ein Verfahren zur Auslieferung von Vermögensgegenständen dar: Diese werden dem ausländischen Staat ausgeliefert, damit dieser seine inländische Einziehungsentscheidung gegen sie vollstrecken kann; im Gegensatz dazu läuft das Exequaturverfahren nach Art. 94 ff. IRSG darauf hinaus, die ausländische Einziehungsentscheidung in eine schweizerische Einziehungsentscheidung umzuwandeln. Es handelt sich also um Verfahren mit unterschiedlichem Schwerpunkt: Im Fall von Art. 74a IRSG liegt dieser im ersuchenden Staat, der nach seinem innerstaatlichen Recht verfährt, während im zweiten Fall der Schwerpunkt in der Schweiz liegt, wo die ausländische Entscheidung vollstreckt werden muss.
D. Abgrenzung zum LVP
18 Das LVP ist ein innovatives Gesetz, das die Sperrung, Einziehung und Rückgabe von Vermögenswerten von politisch exponierten Personen im Ausland oder deren Angehörigen regelt, wenn Grund zur Annahme besteht, dass diese Vermögenswerte durch Bestechung, ungetreue Geschäftsbesorgung oder andere Straftaten erworben wurden. Es ist die Fortsetzung der Praxis des Bundesrates bei der Sperrung von Potentatengeldern, die sich bis anhin auf Artikel 184 Abs. 3 BV stützte und im Bundesgesetz über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte politisch exponierter Personen vom1. Oktober 2010 (Bundesgesetz über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte, aRVG) kodifiziert wurde, das durch das LVP ersetzt und ergänzt wird. Das LVP sieht einen doppelten Mechanismus für die Sperrung von Vermögenswerten vor: eine präventive Sperrung im Hinblick auf die Rechtshilfe (Art. 3 LVP) und eine Sperrung im Hinblick auf die Einziehung, falls die Rechtshilfe scheitert (Art. 4 LVP). Mit der präventiven Sperre sollen strafrechtliche Ermittlungen und die internationale Rechtshilfe unterstützt werden, indem Vermögenswerte eingefroren werden, um ihre künftige Rückgabe an den Herkunftsstaat nicht unmöglich zu machen. Die konfiskatorische Sperre kommt erst in einem späteren Stadium des Verfahrens zum Einsatz, wenn sich die Rückgabe durch internationale Rechtshilfe als unmöglich erwiesen hat. Das LVP ist somit ein subsidiäres System zur internationalen Rechtshilfe nach dem IRSG, das nur in spezifischen und begrenzten Fällen in Anspruch genommen werden kann.
19 Auf die LVP-Einziehungssperre folgt grundsätzlich ein Einziehungsverfahren (Art. 14-16 LVP) bzw. ein Rückgabeverfahren (Art. 17-19 LVP). Art. 14 Abs. 4 LVP sieht ausdrücklich den subsidiären Charakter einer auf dem LVP beruhenden Einziehung gegenüber den im IRSG vorgesehenen Mechanismen des Erlasses und der Einziehung vor.
IV. Abs. 1 - Erlass
20 Nach Art. 74a Abs. 1 IRSG können auf Ersuchen der zuständigen ausländischen Behörde nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens (Art. 80d IRSG) vorsorglich beschlagnahmte Gegenstände oder Vermögenswerte zur Einziehung oder zur Rückgabe an den Berechtigten an diese herausgegeben werden. Im Allgemeinen dient die Beschlagnahme dazu, die Vollstreckung der erbetenen Rechtshilfehandlungen zu gewährleisten, und führt notwendigerweise zu einer Folgeentscheidung. In Abs. 1 erinnert daran, dass das Endziel der Beschlagnahme von Gegenständen oder Vermögenswerten im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens deren Übergabe an den ersuchenden Staat ist, der die Einziehung oder Rückgabe der im Rahmen eines innerstaatlichen Verfahrens beschlagnahmten Güter anordnet.
21 Der ersuchende Staat beantragt die Sicherungsbeschlagnahme in der Regel vor oder zusammen mit seinem Übergabeersuchen. Wenn der ersuchende Staat dies nicht ausdrücklich formuliert, wird jedoch angenommen, dass das Übergabeersuchen des ersuchenden Staates auch ein Ersuchen um Sicherungsmaßnahmen enthält, also ein implizites Ersuchen um Beschlagnahme. Die Rechtsprechung geht sogar so weit, dass sie der Schweiz erlaubt, potenziell veruntreute Gelder zu blockieren, sobald der ersuchende Staat wahrscheinlich die Herausgabe dieser Gelder gemäss Art. 74a IRSG verlangt. Die Vollzugsbehörde kann somit auch ohne ausdrückliches Ersuchen eine vorsorgliche Beschlagnahme vornehmen, insbesondere wenn Gefahr im Verzug ist (Art. 18 Abs. 2 IRSG). In diesem Fall muss sie die ersuchende Behörde interpellieren, um diesen Punkt zu klären.
22 Umgekehrt bedarf es eines ausdrücklichen Rückgabeersuchens des ersuchenden Staates, damit die Schweiz die Güter und Werte herausgibt, da das Beschlagnahmeersuchen an sich nicht mit einem Herausgabeersuchen gleichzusetzen ist. Die Herausgabe an den ersuchenden Staat erfolgt grundsätzlich auf der Grundlage eines endgültigen und vollstreckbaren Urteils, in dem über die Einziehung oder die Herausgabe an den Berechtigten entschieden wird (siehe unten N. 42 und 47).
23 Art. 33a IRSG präzisiert, dass die Gegenstände und Vermögenswerte beschlagnahmt bleiben, bis eine endgültige und vollstreckbare Entscheidung des ersuchenden Staates vorliegt oder bis der ersuchende Staat mitteilt, dass eine solche Entscheidung nach seinem eigenen Recht nicht mehr möglich ist, insbesondere aufgrund von Verjährung. Insbesondere hielt das Bundesgericht fest, dass die Beschlagnahme auch dann aufrechterhalten werden muss, wenn das Rechtshilfeverfahren ausgesetzt wird. Die Schweiz wird die Gegenstände und Werte ungeachtet des Eintritts der Verjährung nach schweizerischem Recht zurückgeben, sofern diese zum Zeitpunkt der Beschlagnahme noch nicht eingetreten ist.
24 Die Dauer einer Beschlagnahme muss jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und kann nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden. Da es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, das auf Ersuchen eines ausländischen Staates eingeleitet wurde, ist die Praxis in Bezug auf die Dauer der Beschlagnahme im Allgemeinen toleranter als bei Strafverfahren. Dennoch hat die Rechtsprechung mehrfach anerkannt, dass dieses System zu unzulässigen Situationen führen kann. So können die Schweizer Behörden nach einer gewissen Zeit gezwungen sein, die Beschlagnahme aufzuheben oder die Rechtshilfe zu verweigern. Das private Interesse der Inhaber beschlagnahmter Vermögenswerte ist nicht nur gegen das öffentliche Interesse des ersuchenden Staates und das private Interesse der Opfer an der Herausgabe von Vermögenswerten zum Zwecke der Einziehung oder Rückgabe abzuwägen, sondern auch gegen die Pflicht der Schweiz, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und nicht als Zufluchtsort für Gelder kriminellen Ursprungs zu dienen.
25 Die Verhältnismässigkeit der Massnahme wird insbesondere nach der Durchführung und dem Fortschritt des Verfahrens im ersuchenden Staat beurteilt. Je nach den Umständen kann es erforderlich sein, dass sich die Vollstreckungsbehörde regelmäßig über den Fortgang des ausländischen Verfahrens informieren muss. Die Analyse der Verhältnismäßigkeit der strittigen Beschlagnahmen muss auch in Abhängigkeit vom Grad der Komplexität des Falles erfolgen. Wenn weder dem ersuchenden Staat noch der Vollstreckungsbehörde eine besondere Verzögerung vorgeworfen werden kann, reicht die Dauer der Beschlagnahme allein nicht aus, um die Aufhebung der Maßnahme oder die Verweigerung der Rechtshilfe zu rechtfertigen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit können je nach den Besonderheiten des Einzelfalls noch verschiedene Kriterien berücksichtigt werden, wie etwa die Annahme eines neuen Einziehungsgesetzes, das die erneute Einreichung eines Ersuchens im ersuchenden Staat auf der Grundlage dieser neuen Bestimmungen erforderlich machen würde, die Flucht des Beschuldigten, die die Ermittlungen im Ausland erschwert, oder auch das Bedürfnis der von der Rechtshilfemaßnahme betroffenen Person, über die gesperrten Gelder zu verfügen.
26 Auf der Grundlage dieser Kriterien befand das BGer im Rahmen der Rechtshilfe an die Philippinen im Zusammenhang mit dem Fall Marcos, dass der Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzt wurde, obwohl seit der Beschlagnahme 15 Jahre vergangen waren und den ersuchenden Behörden fünf Jahre später eine letzte Frist eingeräumt wurde, um einen erstinstanzlichen Entscheid über die Einziehung der seit über 20 Jahren beschlagnahmten Vermögenswerte zu fällen. Umgekehrt lehnte er im Fall Duvalier ein haitianisches Rechtshilfeersuchen 13 Jahre nach der Anordnung einer Beschlagnahme ab, da der ersuchende Staat nicht auf Auskunftsersuchen geantwortet hatte, die geeignet waren, nachzuweisen, dass er noch ein Interesse an der Erledigung des Ersuchens hatte.
27 Verfahren nach Art. 74a IRSG führen unweigerlich dazu, dass zwischen der Beschlagnahme und der Herausgabe der Vermögenswerte mehrere Jahre vergehen, insbesondere aufgrund der verfahrensrechtlichen Anforderungen des ersuchenden Staates. Zudem haben bestimmte Straftaten oder Einziehungsmassnahmen in einigen Staaten sehr lange Verjährungsfristen oder sind sogar unverjährbar. Die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme von Gegenständen und Vermögenswerten während dieser Zeit schafft somit das Risiko einer unverhältnismässigen Einschränkung der Grundrechte der betroffenen Personen, insbesondere der in Art. 26 Abs. 1 BV vorgesehenen Eigentumsgarantie oder des in Art. 29 Abs. 1 BV verankerten Beschleunigungsgebots. Ein Teil der Lehre vertritt aus diesen Gründen die Auffassung, dass Art. 33a IRSV (vgl. oben Abs. 23) keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rechtfertigung des erheblichen Eingriffs darstellt, der sich aus einer Beschlagnahme zum Zwecke der Herausgabe nach Art. 74a IRSG ergibt. Diese schwerwiegende Einschränkung der Grundrechte erfordert vielmehr eine formell-gesetzliche Grundlage.
28 Die Beschlagnahme bzw. Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten muss auch die Grundsätze von Art. 2 lit. a IRSG beachten, wonach das Rechtshilfeersuchen abzulehnen ist, wenn das Verfahren im Ausland bestimmte grundlegende Verfahrensgarantien nicht einhält. Art. 2 lit. a IRSG gilt vorrangig für die Auslieferung und für Fälle, in denen sich der Beschuldigte im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates befindet und eine konkrete Gefahr der Verletzung seiner Verfahrensrechte geltend machen kann. Gemäss BGer ist die Übergabe von Gegenständen und Vermögenswerten der Auslieferung gleichzustellen, da sie dem ersuchenden Staat die Kontrolle über den Beschuldigten bzw. sein Vermögen verleiht, was die Anwendung von Art. 2 lit. a IRSG in diesen Fällen rechtfertigt.
29 Die in Rechtshilfeverfahren verhängten Zwangsmassnahmen müssen weiterhin den Grundsatz der beidseitigen Strafbarkeit beachten. So können die Schweizer Behörden Gegenstände oder Vermögenswerte nur dann an die ersuchende Behörde zur Einziehung oder Rückgabe an den Berechtigten herausgeben, wenn die Einziehung oder Herausgabe an den Berechtigten mit Art. 70 bzw. Art. 73 StGB vereinbar ist.
30 Die Übergabe an den ersuchenden Staat kann schliesslich erst erfolgen, wenn ein rechtskräftiger Entscheid über den Abschluss des schweizerischen Rechtshilfeverfahrens vorliegt (Art. 80d IRSG), der nach Abschluss eines ordentlichen oder vereinfachten Verfahrens (Art. 80cIRSG ) bei Zustimmung der betroffenen Person erfolgt.
V. Abs. 2 - Gegenstände und Werte.
31 Art. 74a Abs. 2 IRSG führt die Art der auszuhändigenden Gegenstände und Werte im Einzelnen auf. Die Aufzählung in Art. 74aAbs . 2 IRSG ist identisch mit derjenigen in Art. 59 Abs. 3 IRSG und spiegelt die Definitionen in Art. 70 ff StGB wider. Die Liste in Art. 74aIRSG ist als abschliessend zu betrachten.
32 In erster Linie gehören dazu die Tatwerkzeuge, die zur Begehung der Straftat gedient haben (instrumenta sceleris, lit. a). Es handelt sich dabei um Gegenstände, welche die Sicherheit von Personen, die Moral oder die öffentliche Ordnung gefährden, wie z.B. Waffen, Maschinen zur Prägung von Falschgeld oder gefälschte Schecks.
33 Sie umfassen ferner den Ertrag aus der Straftat (producta sceleris, lit. b ab initio) und das Ergebnis der Straftat (quaesita sceleris oder fructa sceleris, lit. b ab initio). Ersteres bezieht sich auf Gegenstände und Werte, die durch die Straftat erlangt wurden, z. B. das gestohlene Gemälde oder die Summe, auf die sich der Betrug bezog, und letzteres auf Gegenstände und Werte, die durch die Straftat hergestellt wurden, z. B. das gefälschte Gemälde, Falschgeld oder Bestechungsgelder. Auch Geld, das einer Vollstreckungsmaßnahme entzogen wurde, stellt das Ergebnis der Straftat dar.
34 Ebenfalls erfasst ist der unrechtmäßige Vorteil (lit. b in fine), der jede Vermögensmehrung umfasst, die der Täter aufgrund seines rechtswidrigen Verhaltens erhalten hat. Es ist nicht erforderlich, dass der Vorteil finanzieller Natur ist oder auf Kosten anderer erfolgt ist. Typischerweise handelt es sich dabei um Zinsen für gestohlenes Geld, das auf einer Bank eingezahlt wurde. Gewinne aus Geschäften, die unter Verwendung von Geldern krimineller Herkunft getätigt wurden, werden mit unrechtmäßigen Vorteilen gleichgesetzt.
35 Es kann sich weiterhin um Geschenke und andere Vorteile handeln, die dazu dienten oder dienen sollten, den Täter zu entscheiden oder zu belohnen (praetium sceleris, lit. c).
36 Schliesslich kann sich der Erlass auf die Ersatzwerte (lit. b und c in fine) beziehen, die im Austausch für die durch die Straftat erlangten Produkte, Ergebnisse oder unrechtmässigen Vorteile (lit. b) oder für die Geschenke und anderen Vorteile, die der Entscheidung oder Belohnung des Täters dienten oder dienen sollten (lit. c), erworben wurden, wenn diese nicht mehr verfügbar sind. Diese Werte bleiben so lange einziehbar, wie ihre Bewegung so rekonstruiert werden kann, dass sie mit der Straftat in Verbindung gebracht werden kann.
37 Diese Gegenstände und Werte müssen notwendigerweise in einem Zusammenhang mit der Straftat stehen. Dieser Zusammenhang ist gegeben, wenn zwischen der Straftat und der Erlangung der Gegenstände und Vermögenswerte ein solcher Kausalzusammenhang besteht, dass die zweite als direkte und unmittelbare Folge der ersten erscheint. Mit anderen Worten: Die Straftat muss die wesentliche und adäquate Ursache für die Erlangung der Gegenstände und Vermögenswerte sein, die eingezogen werden sollen. Dies ist der Fall, wenn das ursprüngliche Produkt der Straftat sicher identifiziert und dokumentiert werden kann, d. h. solange seine „Papierspur“ (Papierspur, paper trail) so rekonstruiert werden kann, dass ein Zusammenhang mit der Straftat hergestellt werden kann. Diese Regel beruht auch auf dem Grundsatz der Spezialität. Vermögenswerte, deren Erlangung lediglich durch eine Straftat erleichtert wurde, ohne dass ein Zusammenhang mit der Straftat besteht, unterliegen somit nicht der Einziehung.
38 Die Frage der Zulässigkeit einer Beschlagnahme zur Befriedigung einer Ersatzforderung ist in Art. 74aAbs. 2 IRSG nicht ausdrücklich geregelt. Nach dem Motto „Verbrechen lohnt sich nicht“ sind einige Autoren der Ansicht, dass es sich hierbei um eine Lücke handelt, die durch die Rechtsprechung geschlossen werden sollte. Sie berufen sich insbesondere auf Art. 71 Abs. 3 StGB, der durch den allgemeinen Verweis in Art. 12 IRSG anwendbar sei. Ein anderer Teil der Lehre plädiert jedoch, unserer Meinung nach zu Recht, für ein qualifiziertes Schweigen. Sie begründet ihre Position damit, dass Art. 74a Abs. 2 IRSG einen Zusammenhang zwischen der begangenen Straftat einerseits und den beschlagnahmten Gegenständen oder Vermögenswerten andererseits voraussetzt, der bei der Ersatzforderung fehlt. Zudem war das Institut der Ausgleichsforderung zum Zeitpunkt der Revision des IRSG bekannt, so dass der Gesetzgeber in Kenntnis der Sachlage darauf verzichtete, es in den Mechanismus von Art. 74a IRSG aufzunehmen. Im Übrigen gibt es keine andere Bestimmung im Bereich der kleinen Rechtshilfe, die Pfändungen zum Zweck der Begleichung einer Ausgleichsforderung zulassen würde. Die Herausgabe von Geldern an den ausländischen Staat für die Zwecke einer Ausgleichsforderung würde zudem ein betreibungsrechtlich ungerechtfertigtes Vorrecht verleihen, da ein solches Vorrecht im innerstaatlichen Recht nicht besteht (Art. 71 Abs. 3 StGB). Ein Erlass zur Befriedigung einer Ausgleichsforderung würde schliesslich keinen ausreichenden Gläubigerschutz und keine ausreichende Gläubigergleichstellung gewährleisten, wie dies beim Verfahren nach Art. 71 StGB der Fall ist. Immerhin können ausländische Urteile, die Ausgleichsforderungen aussprechen, in der Schweiz auf der Grundlage von Art. 94 ff. IRSG (Vollstreckung von Entscheidungen) vollstreckt werden. Die Position der Gerichte war lange Zeit unklar. Die Rechtsprechung des TPF schwankte stark, wobei die Herausgabe von Wertsachen für die Zwecke einer Ausgleichsforderung manchmal zugelassen und manchmal vom Anwendungsbereich von Art. 74a IRSG ausgeschlossen wurde. Nach einer ausführlichen Argumentation folgte das BGer endgültig dem letzteren Weg und stellte fest, dass die Auslassung der Ausgleichsforderung in Art. 74a IRSG ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers darstelle. Daraus folgt, dass eine allfällige Herausgabe von Vermögenswerten in Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung, die eine Sanktion verhängt, die in der Schweiz einer Ausgleichsforderung entspricht, nur in Anwendung von Art. 94 ff IRSG in Betracht gezogen werden kann. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, welche Terminologie der ausländische Staat verwendet. Entscheidend ist, ob die Schweizer Behörden im konkreten Fall eine Einziehung oder eine Ausgleichsforderung angeordnet hätten.
39 Diese Entwicklungen finden jedoch ihre Grenze in Art. 7 Ziff. 2 lit. b CBI, in dem sich die Schweiz verpflichtet hat, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die die Herausgabe von Geldern zum Zweck der Begleichung einer Ausgleichsforderung ermöglicht. Diese Bestimmung ist derzeit nicht direkt anwendbar und wurde noch nicht in das Schweizer Recht umgesetzt. De lege ferenda sollte Art. 74a Abs. 2 IRSG jedoch ausdrücklich die Ausgleichsforderung erwähnen.
40 Betrifft das ausländische Ersuchen die Herausgabe von Geldern, die aus der Tätigkeit einer kriminellen Organisation stammen, so ist die Regel von Art. 72 StGB auf die Herausgabe im Sinne von Art. 74a Abs. 3 IRSG anwendbar. Art. 72 StGB sieht die Einziehung von Vermögenswerten vor, über die eine kriminelle Organisation die Verfügungsgewalt ausübt, kombiniert mit einer Umkehr der Beweislast zu Lasten der Person, die an einer solchen Organisation beteiligt war oder diese unterstützt hat. Das BGer stützte sich auf diese Bestimmung, um Vermögenswerte einzuziehen, die als Eigentum von Potentaten galten. Es stufte insbesondere das Umfeld des ehemaligen nigerianischen Präsidenten Sani Abacha als kriminelle Organisation im Sinne von Art. 260ter StGB ein und stellte fest, dass die von ihm aufgebaute Struktur zum Ziel hatte, Gelder der nigerianischen Zentralbank für private Zwecke abzuzweigen und von Korruptionsgeschäften zu profitieren. Daher wird bei Geldern, die von einer kriminellen Organisation abhängen, davon ausgegangen, dass sie kriminellen Ursprungs sind, es sei denn, die Inhaber beweisen das Gegenteil. Wenn sie die Vermutung von Art. 72 StGB, zweiter Satz, nicht widerlegen können, wird die Herausgabe in Anwendung von Art. 74a Abs. 3 IRSG angeordnet, ohne weitere Prüfung der Herkunft der geforderten Gelder.
41 Schließlich bezieht sich Art. 74a Abs. 2 IRSG nur auf Gegenstände und Werte, die in der Verfügungsgewalt des Täters stehen. Unmittelbarer Besitz ist jedoch nicht erforderlich, so dass es zulässig ist, Gegenstände zu beschlagnahmen, die sich in den Händen Dritter befinden, wie z. B. Bankguthaben.
VI. Abs. 3 - Zeitpunkt der Herausgabe
42 Gemäss Art. 74a Abs. 3 IRSG muss die Übergabe nicht mehr bis zum Abschluss des ausländischen Strafverfahrens warten. Sie kann in jedem Stadium des ausländischen Strafverfahrens erfolgen, in der Regel, wenn der ersuchende Staat eine endgültige und vollstreckbare Einziehungs- oder Rückgabeentscheidung erlassen hat. Es ist also nicht erforderlich, dass der Angeklagte bereits durch ein rechtskräftiges Urteil verurteilt wurde; somit steht die Unschuldsvermutung der Übergabe nicht entgegen. In der Praxis ist die Einziehung oder Rückgabe von beschlagnahmten Werten oder Gegenständen häufig erst nach Abschluss des Straf- und Beschlagnahmeverfahrens im Ausland möglich, wobei in der Regel eine vollstreckbare Einziehungsentscheidung vorliegt.
43 Die ausländische Entscheidung kann sowohl von einer Strafbehörde als auch von einer Zivil- oder Verwaltungsbehörde stammen. Art. 74a IRSG verlangt lediglich, dass sich die Einziehung (oder Rückgabe) auf Gegenstände oder Vermögenswerte bezieht, die auf deliktische Weise erlangt wurden (Art. 74a Abs. 2 IRSG), und dass sie von einem Gericht angeordnet wird. Eine eigenständige Einziehungsentscheidung reicht bereits aus (analog zu Art. 376 StPO).
44 Die Einziehungs- oder Rückgabeentscheidung des ersuchenden Staates stellt die unrechtmässige Herkunft der beschlagnahmten Gegenstände und Vermögenswerte sowie deren Berechtigten fest, und ordnet deren Einziehung oder Rückgabe an den Berechtigten an. Sie klärt den Sachverhalt und stellt eine nach dem Recht des ersuchenden Staates verbindliche Entscheidung dar, auf deren Grundlage die Behörden des ersuchten Staates in der Regel ohne weiteres die Herausgabe der eingezogenen Gegenstände oder Vermögenswerte anordnen können. Gleichzeitig ermöglicht das Erfordernis einer vollstreckbaren Entscheidung dem ersuchten Staat, im Nachhinein zu überprüfen, ob diese Entscheidung rechtsstaatlich korrekt ist.
45 Während des Vernehmlassungsverfahrens hatten sich mehrere Stimmen dafür ausgesprochen, die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten durch die Schweiz von einem Exequaturverfahren für die ausländische Entscheidung abhängig zu machen, um die Kontrolle der Rechtmässigkeit der Entscheidung zu ermöglichen. Der Bundesrat war jedoch der Ansicht, dass der Grundsatz des Vertrauens zwischen Staaten, der im Bereich der Rechtshilfe besonders wichtig ist, die Schweiz nicht dazu berechtigt, die Begründetheit von Entscheidungen einer souveränen ausländischen Justizbehörde zu überprüfen, sofern diese Entscheidungen nicht offensichtlich gegen den Ordre public der Schweiz und die Grundprinzipien der EMRK verstoßen. Eine ausländische Einziehungs- oder Rückgabeentscheidung sollte im Übrigen nicht Gegenstand einer Exequaturentscheidung im Sinne des fünften Teils des IRSG sein, da es sich dabei nicht um eine Sanktion im Sinne von Art. 11 IRSG handelt.
46 Die Schweiz ist somit nicht berechtigt, die Begründetheit von Entscheidungen einer unabhängigen ausländischen Justizbehörde zu prüfen, es sei denn, diese Entscheidungen verletzen offensichtlich die öffentliche Ordnung der Schweiz oder elementare Grundsätze der EMRK. Es genügt, wenn die Vollstreckungsbehörde die ausländische Entscheidung summarisch prüft, nachdem sie sich vergewissert hat, dass der ausländische Staat ein Rechtsstaat ist und die erwähnten allgemeinen Grundsätze beachtet. Die Vollzugsbehörde kann den ersuchenden Staat nötigenfalls interpellieren, um zusätzliche Informationen zu erhalten (Art. 80o IRSG) oder die Gewährung der Rechtshilfe von Bedingungen abhängig machen (Art. 80p IRSG).
47 Ausnahmsweise kann die Vollstreckungsbehörde einem Übergabeersuchen auch vor Abschluss des ausländischen Verfahrens und damit ohne endgültige und vollstreckbare Entscheidung stattgeben, wie der Zusatz „in der Regel“ besagt. Art. 74a Abs. 3 legt nicht fest, aus welchen Gründen von der allgemeinen Regel abgewichen werden kann, und räumt der Vollstreckungsbehörde somit einen großen Ermessensspielraum ein. Dieser Ermessensspielraum darf jedoch nicht dazu führen, dass das Erfordernis einer endgültigen und vollstreckbaren Entscheidung ausgehöhlt wird. Um eine vorzeitige Herausgabe vornehmen zu können, muss die Situation sowohl hinsichtlich der Identifizierung der Gegenstände oder Werte als auch hinsichtlich ihrer deliktischen Herkunft eindeutig sein. Die Umstände müssen so eindeutig sein, dass es überhaupt nicht notwendig ist, die Herkunft aus Straftaten zu klären, und dass es unverhältnismäßig wäre, die Übergabe von einer Einziehungsentscheidung abhängig zu machen. In diesem Zusammenhang muss die Vollstreckungsbehörde alle konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und prüfen, welche Besonderheiten es rechtfertigen, auf eine endgültige und vollstreckbare Entscheidung zu verzichten. In diesem Fall beschränkt sich das Interesse des ersuchten Staates laut BGer auf die Einhaltung der elementaren Garantien für ein Verfahren, das den Anforderungen der EMRK oder des UNO-Pakts entspricht; zu berücksichtigen ist auch das wesentliche Interesse der Schweiz im Sinne von Art. 1a IRSG, nicht als Zufluchtsort für beträchtliche Beträge zu dienen, die von Vertretern diktatorischer Regimes illegal veruntreut wurden.
48 Typischerweise ist an die Übergabe eines gestohlenen, klar identifizierbaren Gemäldes zu denken, wie zum Beispiel im Fall eines Gemäldes von Piero della Francesca, das aus der Uffizien-Galerie in Florenz gestohlen wurde. So hat das BG insbesondere die Herausgabe eines gestohlenen Gemäldes an Frankreich in Ermangelung einer endgültigen Einziehungsentscheidung zugelassen, wobei es sich insbesondere auf das internationale öffentliche Interesse im Zusammenhang mit dem Schutz von Kulturgütern stützte. Er hat auch eine Herausgabe in Ermangelung einer vollstreckbaren Entscheidung der in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte des verstorbenen Ferdinand Marcos unter Berücksichtigung des Interesses der Schweiz an einer sofortigen Rückgabe der Werte und der offensichtlich deliktischen Herkunft der Werte unter der Bedingung zugelassen, dass die Philippinen ein Rückgabe- oder Einziehungsverfahren im Einklang mit dem UNO-Pakt II gewährleisten. ''
49 Die Vollstreckungsbehörde kann auch bei Vermögenswerten, die von einer kriminellen Organisation im Sinne von Art. 260 StGB und Art. 72 StGB gehalten werden, auf das Erfordernis einer endgültigen Entscheidung verzichten, wenn die Inhaber der Vermögenswerte nicht in der Lage sind, deren rechtmässige Herkunft zu beweisen.
VII. Abs. 4 - Gründe für die Verweigerung der Herausgabe
50 Art. 74a sieht die endgültige Übergabe der Gegenstände und Vermögenswerte an den ersuchenden Staatvor (Querverweis auf Abs. 1). Um diese strenge Regelung abzumildern, führt Art. 74a Abs. 4 IRSG Garantien ein, die diese Herausgabe verhindern können. Dieser Absatz zählt die Gründe auf, die es rechtfertigen, die Gegenstände oder Werte trotz des Ersuchens des ersuchenden Staates in der Schweiz zurückzuhalten. Dazu gehören die Rechte des Geschädigten (lit. a), die Rechte einer Behörde (lit. b) und die Rechte Dritter (lit. c) sowie die Erfordernisse eines Verfahrens oder einer Einziehung in der Schweiz (lit. c). Ansprüche Dritter führen dazu, dass das Übergabeverfahren bis zur Klärung der Rechtslage ausgesetzt wird (vgl. hinten N. 67 ff.).
51 Wie Abs.. 1 dieser Bestimmung ist Art. 74a Abs . 4 IRSG als Kann-Vorschrift formuliert, im Gegensatz zu seinem Pendant im innerstaatlichen Recht, Art. 70 Abs. 2 StGB, der eine zwingende Norm darstellt. Der Spielraum, den die Behörde auf dieser Grundlage hat, darf jedoch nur darauf abzielen, Missbräuche zu verhindern, und darf keinesfalls dazu führen, dass Dritte im Rahmen einer von einem ausländischen Staat verhängten Einziehung im Vergleich zu einer rein innerstaatlichen Situation schlechter behandelt werden. So sollen Ansprüche eines Dritten oder Geschädigten, wenn sie glaubhaft erscheinen, grundsätzlich zur Aussetzung des Übergabeverfahrens führen.
52 Das BGer hat den Kreis der Personen, die legitimiert sind, sich der Herausgabe zu widersetzen, über den Wortlaut von Art. 74a Abs. 4 IRSG hinaus erweitert. Dazu gehören nun auch (i) Geschädigte, die nicht in der Schweiz wohnhaft sind und weder vom Beschuldigten noch vom ersuchenden Staat noch von einem Dritten entschädigt werden; (ii) Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung des ersuchenden Staates oder (iii) Finanzintermediäre, die gleichzeitig von einem anderen Drittstaat als dem ersuchenden Staat verpflichtet werden, die Vermögenswerte, um deren Herausgabe ersucht wird, zu verwahren. Jeder Dritte, der die Kriterien von Art. 74a Abs. 4 IRSG nicht erfüllt, muss vor den Gerichten des ersuchenden Staates klagen, um seine Rechte an den betreffenden Vermögenswerten geltend zu machen.
A. Ansprüche des Geschädigten (lit. a)
53 Die Rückerstattungsansprüche des Geschädigten können die Herausgabe von Gegenständen und Vermögenswerten im Ausland verhindern, sofern der Geschädigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat. Diese Bestimmung bezieht sich nur auf die Rückgabe und nicht auf allgemeine Entschädigungsansprüche.
B. Ansprüche einer Behörde (lit. b)
54 Die Schweiz kann auch auf die Herausgabe von Gegenständen oder Vermögenswerten an die ausländische Behörde verzichten, wenn eine schweizerische Behörde Ansprüche auf diese geltend macht . Hierunter fallen unseres Erachtens analog zu den Rechten gutgläubiger Dritter nach Buchstabe c (vgl. unten N. 55) dingliche Rechte oder beschränkte dingliche Rechte, die einer schweizerischen öffentlich-rechtlichen Körperschaft gehören, d.h. insbesondere eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Behörden, dem Bund, den Kantonen oder den Gemeinden, die mit öffentlicher Gewalt ausgestattet sind. Die Pfandrechte zugunsten des Fiskus und die Frage der für ein schweizerisches Verfahren erforderlichen Gegenstände oder Werte werden gesondert geregelt (Art. 60 IRSG bzw. Art. 74a Abs. 4 lit. d IRSG).
C. Rechte gutgläubiger Dritter (lit. c)
55 Art. 74a Abs. 4 IRSG schützt auch den Erwerb durch gutgläubige „ an der Straftat unbeteiligte Personen “.
56 Das Gesetz bezieht sich nicht auf einen Dritten, sondern auf eine Person, die an der Straftat nicht beteiligt ist, d. h. die sich vom Beschuldigten unterscheidet. Dieser Begriff schließt insbesondere eine juristische Person aus, die vollständig vom Beschuldigten kontrolliert wird, wenn dieser weiterhin eine tatsächliche Macht über die aus der Straftat stammenden Vermögenswerte ausübt. Andererseits verbietet die Rechtsprechung nicht jede Verbindung mit der Straftat und erkennt an, dass Personen, die in gutem Glauben Vermögenswerte im Zusammenhang mit der Straftat erhalten haben, sich der Übergabe an den ersuchenden Staat widersetzen können.
57 Der Gesetzestext verlangt darüber hinaus eine gewisse Verbindung zur Schweiz. Um in den Genuss des Schutzes von Art. 74aAbs . 4 IRSG zu kommen und die Herausgabe zu verhindern, muss die Person weiterhin nachweisen, dass sie die Rechte, auf die sie sich beruft, in der Schweiz erworben hat, oder, falls dies nicht der Fall ist, dass sie in der Schweiz ansässig ist, wenn sie ihre Rechte im Ausland erworben hat.
58 Die Rechte, die in Bezug auf diese Gegenstände oder Werte geltend gemacht werden, müssen dingliche Rechte oder beschränkte dingliche Rechte sein , wie z. B. Verpfändung, und nicht bloß persönliche Rechte, wie z. B. ein Vertrag. Ein Zurückbehaltungsrecht an der Ware kann somit eine Verweigerung der Herausgabe begründen.
59 In Anwendung des Grundsatzes des schweizerischen Rechts, wonach der strafrechtliche Arrest im Konfliktfall dem zivilrechtlichen Arrest vorgeht, begründet ein zivilrechtlicher Arrest kein materiellrechtliches Privileg. Er stellt lediglich eine provisorische Massnahme zur Sicherung einer Forderung dar, steht aber der Rückgabe von Gegenständen oder Werten an die ausländische Behörde nicht im Wege, ebenso wenig wie ein nach dem Arrest erteilter Überweisungsauftrag.
60 Es sei noch erwähnt, dass Gegenstände oder Vermögenswerte in der Schweiz auf der Grundlage von Art. 74a Abs. 4 IRSG nur dann zurückgehalten werden können, wenn die Ansprüche der an der Straftat unbeteiligten Person im ersuchenden Staat keinen angemessenen Schutz geniessen, sei es im Rahmen des laufenden Strafverfahrens oder eines anderen Zivil- oder Strafverfahrens. Der Schutz dieser Ansprüche wird in den Staaten, die durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gebunden sind und der subsidiären Kontrolle der Straßburger Organe unterliegen, als angemessen angesehen. Ähnlich wie bei der Auslieferung sollte diese Vermutung unserer Ansicht nach widerlegt werden, wenn es klare Beweise dafür gibt, dass diese Rechte nicht respektiert werden.
61 Der Begriff des guten Glaubens nach Art. 74a Abs . 4 IRSG ist im strafrechtlichen (Art. 70 StGB) und nicht im zivilrechtlichen Sinne (Art. 933 ff. ZGB) zu verstehen. Gutgläubig ist somit ein Dritter, der Werte in Unkenntnis der Tatsachen erworben hat, die eine Einziehung gerechtfertigt hätten. Sobald der Dritte jedoch Kenntnis von diesen Tatsachen hat oder nicht ignorieren kann, ist er nicht mehr geschützt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Dritte wusste, dass es sich bei der Straftat um eine Belohnung oder einen Ertrag handelte, oder wenn er dies aufgrund des konkreten Falles hätte annehmen müssen. Es müssen alle Umstände berücksichtigt werden, wie z. B. die Möglichkeit des Dritten, sich zu informieren. Die Kenntnis der - tatsächlichen und rechtlichen - Organe einer Gesellschaft wird dieser zugerechnet. In jedem Fall muss der Erwerber die elementaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben und rechtzeitig alle notwendigen Schritte unternehmen, um sich über die Herkunft der Werte oder des Gegenstands zu vergewissern.
62 Der Erwerber trägt die Beweislast für sein Recht. Das Gesetz verlangt diesbezüglich keinen Strengbeweis, sondern dass der Dritte seinen guten Glauben glaubhaft macht. Die Vollstreckungsbehörde muss sich also darauf beschränken, zu prüfen, ob die Behauptungen des Erwerbers hinreichend genau und belegt sind, um die Glaubwürdigkeit seiner Ansprüche zu bejahen. Dies sollte den Dritten nicht davon entbinden, die Umstände nachzuweisen, unter denen er den Gegenstand oder die Vermögenswerte erworben hat, wie Ort und Datum des Erwerbs und die Identität des Verkäufers, sowie den urkundlichen Nachweis der Zahlung oder Einzahlung zu erbringen.
D. Erfordernis eines Verfahrens oder Einziehung in der Schweiz (lit. d)
63 Es kommt vor, dass Gegenstände oder Vermögenswerte in der Schweiz sowohl Gegenstand eines Rechtshilfeverfahrens als auch eines inländischen Strafverfahrens sind , z. B. bei Geldwäschedelikten. Art. 74a Abs. 4 lit. d IRSG sieht vor, dass die Schweiz die Herausgabe von Gegenständen an eine ausländische Behörde verweigern kann, wenn sie diese im Rahmen eines inländischen Strafverfahrens einziehen will.
64 Wenn die Gegenstände und Werte in der Schweiz eingezogen werden sollen, wird die Einziehung in der Schweiz in der Regel Vorrang vor der Herausgabe an den ausländischen Staat haben. Ansonsten wird die Entscheidung, ob das schweizerische oder das ausländische Strafverfahren bevorzugt wird, von vorwiegend pragmatischen Gründen gesteuert, wie z.B. Erfolgsaussichten, Effizienz, Verfahrensökonomie, Einhaltung der Grundsätze des schweizerischen Rechts, Möglichkeiten, die eingezogenen Vermögenswerte mit dem ausländischen Staat zu teilen, oder auch das Risiko, dass diese Vermögenswerte im ersuchenden Staat erneut Gegenstand einer unrechtmäßigen Aneignung werden. Grundsätzlich gilt: Wenn die ersuchende Behörde beabsichtigt, die Gegenstände oder Vermögenswerte an den Geschädigten zurückzugeben, werden die Schweizer Behörden die Herausgabe auch dann anordnen, wenn diese Gegenstände oder Vermögenswerte auch Gegenstand eines schweizerischen Strafverfahrens sind. Gibt es keine direkt durch die Straftat Geschädigten, wie z.B. im Fall von Drogenhandel, ist dem schweizerischen Verfahren der Vorzug zu geben.
65 Bei konkurrierenden ausländischen Erlassgesuchen enthält das IRSG keine Regel, wonach die Ansprüche eines Staates gegenüber denjenigen eines anderen Staates bevorzugt werden können. Grundsätzlich werden die im vorherigen Absatz dargelegten Regeln Anwendung finden, wobei die Schweiz wiederum über einen sehr grossen Ermessensspielraum verfügt.
66 Die Interessen des ersuchenden Staates können im Rahmen einer Teilungsvereinbarung berücksichtigt werden (vgl. Art. 11 ff. LVPC, vgl. unten N. 73). Die Schweiz verfügt in diesem Bereich über einen großen Ermessensspielraum, denn abgesehen von der besonderen Konstellation nach Art. 57 Abs. 3 lit. a UNCAC hat die Schweiz keine internationale Verpflichtung, eingezogene Vermögenswerte an die ausländische Behörde herauszugeben. Ihre einzige Verpflichtung besteht in der Einziehung der Erträge aus der Straftat (siehe not. Art. 7 Abs. 2 lit. a CBI). Der ersuchende Staat hat kein Recht, von der Schweiz zu verlangen, dass sie durch eine Herausgabe im Sinne von Art. 74a IRSG statt durch eine inländische Einziehung zugunsten des Schweizer Fiskus vorgeht, die für den ersuchenden Staat hypothetisch weniger günstig ist. Dieses Ermessen darf jedoch nicht dazu benutzt werden, die Regeln des internationalen Rechtshilferechts und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen der Schweiz zu umgehen. In Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben müssen sich die Schweizer Behörden jedes unlauteren Vorgehens enthalten, das einseitig die schweizerischen Interessen auf Kosten der ausländischen Interessen begünstigen würde.
VIII. Abs. 5 - Aussetzung der Übergabe
67 Art. 74 Abs. 5 IRSG besagt, dass die Übergabe an den ersuchenden Staat ausgesetzt wird, wenn Ansprüche von Berechtigten an den Gegenständen und Vermögenswerten bis zum bekannten Recht geltend gemacht werden. Der Gesetzestext präzisiert den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht, doch handelt es sich unserer Ansicht nach um den Geschädigten (Art. 74a Abs. 4 lit. a), einschliesslich seiner allfälligen Erben, und den gutgläubigen Dritten (Art. 74a Abs. 4 lit. b).
68 Diese Bestimmung regelt auch die Bedingungen, unter denen die Beschlagnahme aufgehoben und die Gegenstände oder Vermögenswerte an diese Berechtigten herausgegeben werden können, entweder wenn der ersuchende Staat zustimmt (Abs. a), im Fall von Abs. 4 lit. b, wenn die Behörde zustimmt (lit. b) oder wenn die Begründetheit des Anspruchs von einer schweizerischen Justizbehörde anerkannt wird (lit. c). Diese Voraussetzungen sind unserer Ansicht nach, entsprechend dem Gesetzestext, alternativ.
69 In den meisten Fällen wird der Berechtigte, der sich auf seine Rechte an den betreffenden Gegenständen oder Werten beruft, ein Urteil eines schweizerischen Gerichts vorlegen müssen (Art. 74a Abs. 5 lit. c), wobei die Annahme der Zustimmung des ersuchenden Staates (Art. 74a Abs. 5 lit. a) oder der schweizerischen Behörde (Art. 74a Abs. 5 lit. b) selten sein dürfte. Wenn er nicht bereits über ein solches Urteil verfügt, muss der Berechtigte daher grundsätzlich eine Feststellungsklage vor einem Schweizer Gericht einreichen. Im Zweifelsfall muss die Vollstreckungsbehörde der berechtigten Person eine Frist setzen, um eine Zivilklage einzureichen. Der Gesetzestext äußert sich nicht zur Art der gerichtlichen Entscheidung, und so ist davon auszugehen, dass sie sowohl ein rechtskräftiges, am Ende des Verfahrens ergangenes zivilrechtliches Urteil in der Sache als auch einen Ersatz, wie einen gerichtlichen Vergleich, umfasst. Erst wenn die Schweizer Gerichte über diese Rechte entschieden haben, muss entschieden werden, ob die Gegenstände und Werte an den ersuchenden Staat herausgegeben werden müssen. Unserer Ansicht nach sollte auch ein ausländisches Urteil zulässig sein, wenn es die Voraussetzungen für eine Anerkennung in der Schweiz erfüllt.
70 Abgesehen davon ist ein Autor zu Recht der Ansicht, dass Art. 74aAbs . 5 lit. c zu absolut formuliert ist und dass die zuständige Behörde über die Freigabe von Gegenständen oder Wertsachen an den Berechtigten entscheiden können sollte, wenn die Rechtslage klar ist, ohne dass ein Zivilurteil erforderlich ist. Dies wäre typischerweise der Fall, wenn das geltend gemachte Recht dokumentiert ist und der Beweis somit leicht erbracht und bewertet werden kann. Der Zivilrichter würde somit nur dann tätig werden, wenn Zweifel an den Rechten des Betroffenen bestehen. Diese Lösung würde Verfahrenskosten und mögliche Zinsen einsparen, die von den verschiedenen intervenierenden Parteien zu tragen wären.
IX. Abs. 6 - Steuerpfandrechte
71 Nach Art. 60 Abs. 1 IRSG, der durch Verweis in Art. 74a Abs. 6 IRSG anwendbar ist, kann, wenn die Gegenstände oder Vermögenswerte ohne Vorbehalt der Rückgabe übergeben werden, das Zollpfandrecht oder jede andere durch das schweizerische Zoll- oder Steuerrecht geschaffene dingliche Sicherheit nicht geltend gemacht werden, es sei denn, der durch die Zuwiderhandlung geschädigte Eigentümer schuldet sie selbst. Der Verzicht auf dieses Pfandrecht kann von Gegenseitigkeit abhängig gemacht werden (Art. 60 Abs. 2 IRSG).
72 Art. 23 IRSG ist, obwohl er sich auf die Auslieferung bezieht, analog anwendbar. Diese Bestimmung legt die Situationen fest, in denen Pfandrechte zugunsten des Fiskus geltend gemacht oder aufgegeben werden müssen , d.h. wenn die herauszugebenden Gegenstände (a) im ersuchenden Staat eingezogen werden können oder (b) einem ersuchenden Staat gehören, der im umgekehrten Fall nicht auf seine Pfandrechte verzichtet.
X. Abs. 7 - Aufteilung der eingezogenen Werte
73 Gemäss Art. 11 ff. JStG kann der Bund mit einem ausländischen Staat Vereinbarungen über die Teilung eingezogener Vermögenswerte abschliessen. Grundsätzlich sieht ein solches Abkommen eine hälftige Aufteilung der Werte zwischen den Staaten vor (Art. 12 Abs. 3 JStG). Abweichungen sind insbesondere aufgrund der Art der Straftat, des Ortes, an dem sich die Vermögenswerte befinden, der Bedeutung der Teilnahme des ausländischen Staates an den Ermittlungen sowie der Gepflogenheiten zwischen der Schweiz und dem ausländischen Staat, der Gewährleistung der Gegenseitigkeit, des internationalen Kontextes oder der Bedeutung der Schädigung der Interessen des ausländischen Staates möglich (Art. 12 Abs. 3 JStG). Es ist auch möglich, von diesem Schlüssel abzuweichen, wenn einem Staat höhere Kosten oder Schäden entstanden sind als dem anderen Staat. Der der Schweiz zugewiesene Betrag wird dann zwischen den verschiedenen Behörden nach den im Gesetz festgelegten Modalitäten aufgeteilt (Art. 3 ff. LVPC). Die Aufteilung („ sharing “) der eingezogenen Vermögenswerte zwischen dem Bund und den ausländischen Staaten wird als externe Teilung bezeichnet. Die externe Teilung setzt grundsätzlich voraus, dass der ausländische Staat Gegenrecht gewährt (Art. 11 Abs. 2 JStG).
74 Gemäss Art. 74a Abs. 7 werden Gegenstände, die der Schweiz in Ausführung einer Teilungsvereinbarung auf der Grundlage des LVPC zufallen, nicht herausgegeben. Wenn also ein Teil der Gegenstände oder Vermögenswerte, die sie der ausländischen Behörde übergibt, aufgrund einer möglichen späteren Teilungsvereinbarung der Schweiz zufallen könnte, muss die Vollstreckungsbehörde im Dispositiv der Schlussverfügung entsprechende Vorbehalte anbringen. Ebenso kann die Vollstreckungsbehörde die Herausgabe aussetzen, wenn die Schweiz eine Aufteilung der beschlagnahmten Werte nach dem JVEG in Erwägung zieht, sofern die Gelder, um deren Herausgabe ersucht wird, im ersuchenden Staat noch nicht Gegenstand einer endgültigen Entscheidung waren.
XI. Rechtsbehelfe
75 Der Entscheid der schweizerischen Vollzugsbehörde über die Herausgabe der Gegenstände oder Vermögenswerte an die ausländische Behörde ist eine Schlussverfügung, die bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts angefochten werden kann (Art. 80e Abs. 1 IRSG). Zur Beschwerde berechtigt ist, wer persönlich und direkt von der Rechtshilfemassnahme betroffen ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (Art. 80h lit. b IRSG). Es handelt sich in dieser Hinsicht um die in Abs. 4 lit. a-d genannten Personen, d.h. Dritte, die einen Anspruch auf die herauszugebenden Gegenstände und Werte geltend machen (vgl. oben Abs. 50). Die Beschwerde kann wegen Verletzung von Bundesrecht (das grundsätzlich auch internationales Recht umfasst), einschließlich Ermessensüberschreitung oder -missbrauch (Art. 80iAbs . 1 lit. a IRSG) oder wegen unrechtmäßiger oder offensichtlich unrichtiger Anwendung ausländischen Rechts in den in Art. 65 IRSG genannten Fällen (Art. 80i Abs . 1 lit. b IRSG) eingelegt werden . Die Beschwerdefrist beträgt 30 Tage ab der schriftlichen Mitteilung des Entscheids, vorbehaltlich der Beschwerde wegen Rechtsverweigerung, die jederzeit eingelegt werden kann. Die Beschwerde gegen die Schlussverfügung hat aufschiebende Wirkung (Art. 80l Abs. 1 IRSG).
76 Das im IRSG vorgesehene System kann manchmal zu unbefriedigenden Situationen führen, da zwischen der Beschlagnahme der Vermögenswerte und ihrer Herausgabe mehrere Jahre vergehen können. Unter diesen Umständen ist die Zulässigkeit der Beschwerde ausnahmsweise nicht vom Vorliegen eines unmittelbaren und nicht wiedergutzumachenden Schadens abhängig, um beispielsweise dem Inhaber eines Bankkontos die Möglichkeit zu geben, die Rechtmäßigkeit oder Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahme von einer Justizbehörde überprüfen zu lassen, bevor die Entscheidung über die Freigabe der Vermögenswerte oder deren Übergabe an den ersuchenden Staat getroffen wird. Die Beschlagnahme von Gegenständen oder Wertsachen ohne Entscheidung über die Herausgabe innerhalb einer angemessenen Frist eröffnet ebenfalls den Weg für eine Beschwerde wegen formeller Rechtsverweigerung.
77 Der Entscheid des TPF kann nur ausnahmsweise beim BGer angefochten werden, nämlich wenn die Voraussetzungen von Art. 84 BGG erfüllt sind. Der Fall muss von besonderer Bedeutung sein (Abs. 1). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Grund zur Annahme besteht, dass das Verfahren im Ausland gegen grundlegende Prinzipien verstösst oder andere schwerwiegende Mängel aufweist (Abs. 2). Ein solcher Fall kann auch angenommen werden, wenn sich eine grundsätzliche Rechtsfrage stellt, wenn die Vorinstanz von der Rechtsprechung des BGer abgewichen ist oder wenn der Fall sonst von ausserordentlicher Tragweite ist. Das Bundesgericht hielt insbesondere fest, dass dies bei der Anwendung von Art. 74a auf die Herausgabe von Vermögenswerten zum Zweck der Durchsetzung einer Ersatzforderung der Fall sei, da es sich diesbezüglich noch nicht festgelegt hatte. In jedem Fall sind die Anforderungen für die Annahme eines solchen Falles hoch. Die Beschwerdefrist beträgt zehn Tage ab Zustellung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids (Art. 100 Abs. 2 lit. b BGG). Grundsätzlich hat die Beschwerde aufschiebende Wirkung (Art. 103 Abs. 2 BGG). Eine Verletzung der in der EMRK verankerten Grundrechte kann letztlich unter den in der Konvention festgelegten Bedingungen vor dem EGMR geltend gemacht
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