Eine Kommentierung von Beat Kuoni
Herausgegeben von Andreas Glaser / Nadja Braun Binder / Corsin Bisaz / Bénédicte Tornay Schaller
Art. 60a Angebot von Unterschriftenlisten in elektronischer Form
Wer eine elektronisch zur Verfügung gestellte Unterschriftenliste zu einem Referendum herunterlädt, ist dafür verantwortlich, dass diese allen gesetzlichen Formerfordernissen genügt.
I. Entstehungsgeschichte
1 Die Bestimmung in Art. 60a Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR)
2 Mit der Botschaft vom 30. November 2001 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte setzte der Bundesrat den Auftrag um und schlug der Bundesversammlung die Bestimmungen in den Art. 60a und 69a BPR vor. Die Rechtsänderungen waren in der Vernehmlassung begrüsst worden,
II. Bedeutung der Vorschrift
A. Allgemeines
3 Die Einführung der Bestimmungen in Art. 60a und 69a BPR sollte ein erster Teilschritt hin zu einem umfassenden Angebot für die elektronische Ausübung der politischen Rechte sein.
4 Art. 60a und Art. 69a BPR sollten nach dem Willen des Gesetzgebers das Unterschriftensammeln erleichtern und so die Folgen abmildern, welche die schweizweite Einführung der voraussetzungslosen brieflichen Stimmabgabe mit sich brachte: Die briefliche Stimmabgabe hatte sich in den 1990er-Jahren rasch zur dominierenden Form der Stimmabgabe entwickelt, womit das vormals einträgliche Sammeln von Unterschriften vor den Urnenlokalen an Bedeutung einbüsste.
5 Der Nutzen des behördlichen Angebots von Unterschriftenlisten in elektronischer Form ist in der Praxis bescheiden geblieben. Die Unterschriftenlisten auf der Webseite der Bundeskanzlei werden kaum heruntergeladen und fallen für den Erfolg von Initiativen und Referenden nicht ins Gewicht.
B. Rechtsvergleich
6 Die Kantone Obwalden
7 Der Kanton Genf sieht für kantonale Initiativen und Referenden überdies vor, dass die Komitees den zuständigen Stellen im Kanton und in den Gemeinden Unterschriftenlisten übermitteln können, damit diese den Stimmberechtigten vor Ort zur Verfügung gestellt werden.
III. Kommentierung des Normtextes
A. Dienstleistung der Bundeskanzlei
8 Das Angebot von Unterschriftenlisten in elektronischer Form wird von der Bestimmung in Art. 60a BPR nicht explizit vorgegeben, sondern quasi vorausgesetzt.
9 Die Bundeskanzlei stellt die Unterschriftenlisten jeweils während der Dauer der Unterschriftensammlung auf ihrer Webseite zur Verfügung.
10 Auf den angebotenen Unterschriftenlisten ist zudem die jeweilige Urheberschaft und deren Anschrift verzeichnet. Das Angebot beschränkt sich folglich auf Listen derjenigen Personen und Organisationen, die sich bei der Bundeskanzlei gemeldet und mitgeteilt haben, Unterschriften sammeln zu wollen. Im Sinne einer amtlichen Dienstleistung kontrolliert die Bundeskanzlei, ob die jeweilige Unterschriftenliste den gesetzlichen Formerfordernissen entspricht.
B. Regelung der Verantwortlichkeiten
11 Art. 60a BPR regelt die Verantwortlichkeiten für die Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse, falls Unterschriftenlisten im Internet bezogen werden.
12 Dabei gelten für die elektronisch zur Verfügung gestellten Unterschriftenlisten die gleichen Erfordernisse wie für Listen, die von Anfang an in physischer Form in Umlauf gebracht werden.
13 Die Bestimmung ist bewusst abstrakt formuliert und soll unabhängig von der Plattform gelten, von der eine Unterschriftenliste heruntergeladen wird.
14 Trotz der Zuweisung der Verantwortlichkeiten in Art. 60a BPR sind die Behörden aber dazu verpflichtet, ihr Webangebot nach besten Praktiken abzusichern und in diesem Rahmen dafür zu sorgen, dass die verfügbaren Dokumente authentisch sind.
Dank an Julien Fiechter und Valentina Beti fürs Gegenlesen des Beitrags.
Literaturverzeichnis
Braun Binder Nadja, Quoren und Fristen bei der elektronischen Unterschriftensammlung, ZSR 2014, S. 539–557, https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/141602/1/Braun_Binder_ECollecting.pdf, besucht am 21.3.2025.
Bühlmann Marc/Schaub Hans-Peter, Staatspolitische Auswirkungen von E-Collecting, Studie im Auftrag der Bundeskanzlei, Bern 2023, https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/90666.pdf, besucht am 21.3.2025.
Gfeller Katja/Glaser Andreas/Lehner Irina, E-Collecting: Umsetzungsvarianten und Rechtssetzungsbedarf, LeGes 32 (2021) 1, https://leges.weblaw.ch/legesissues/2021/1/e-collecting--umsetz_4ac1c3bc14. html, besucht am 21.3.2025.
Glaser Andreas, Der elektronisch handelnde Staat: E-Legislation, E-Government, E-Justice, ZSR 2015, S. 259–333, https://www.ius.uzh.ch/dam/jcr:ffffffff-930f-77c9-ffff-ffffbea822ca/ZSR_134_2015 Glaser_Der_elektronisch_handelnde_Staat.pdf, besucht am 21.3.2025.
Materialienverzeichnis
Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401 ff., https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2001/1111/de, besucht am 21.3.2025 (zit. Botschaft 2001).
Elektronische Unterschriftensammlungen für eidgenössische Volksbegehren (E-Collecting). Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 21.3607 Staatspolitische Kommission NR vom 27.6.2021, https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2021/20213607/Bericht%20BR%20D.pdf, besucht am 21.3.2025 (zit. Postulatsbericht E-Collecting).
Parlamentarische Initiative 96.091. Beseitigung von Mängeln der Volksrechte. Bericht vom 2.4.2001 der Staatspolitischen Kommission des Ständerates, BBl 2001 4803, https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2001/781/de, besucht am 21.3.2025 (zit. Bericht SPK-SR 2001).
Fussnoten
- SR 161.1, erlassen am 17.12.1976.
- AB 1999 NR S. 2214 f.
- Botschaft 2001, S. 6407.
- AB 2002 NR S. 337; AB 2002 SR S. 337.
- Botschaft 2001, S. 6417.
- Botschaft 2001, S. 6402.
- Weitere Informationen zum Vorhaben «Vote électronique» unter https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/politische-rechte/e-voting.html.
- Botschaft 2001, S. 6417; Po. 99.3321 Gross; siehe zur Problematik auch Bericht SPK-SR 2001, S. 4817.
- Siehe die Stellungnahme des Bundesrates zur Motion 08.3908 Fehr sowie Braun Binder, S. 547 m. w. H.
- Schaub/Bühlmann, S. 37; siehe dazu auch Postulatsbericht E-Collecting, S. 16 f.
- Art. 53d Abs. 3 i. V. m. 53m Abs. 4 des Gesetzes des Kantons Obwalden vom 17.2.1974 über die Ausübung der politischen Rechte (AG/OW; GDB 122.1).
- Art. 102 des Gesetzes des Kantons Wallis vom 13.5.2004 über die politischen Rechte (kGPR/VS; SGS 160.1).
- Art. 88 de la Loi du canton Genève du 15.10.1982 sur l’excercice des droits politiques (LEDP/GE; rsGE A 5 05).
- Glaser, S. 291.
- Botschaft 2001, S. 6417.
- https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/rf/ref_1_3_2_1.html.
- Zur Kontrolle der Unterschriftenliste und zur Abgabe von Mustern siehe OK-Kuoni zu Art. 60 BPR N 13 f.
- Gfeller/Glaser/Lehner, Rz. 1.
- Botschaft 2001, S. 6417.
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