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Kommentierung zu
Art. 60a BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

1 Die Bestimmung in Art. 60a Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR)

hat ihren Ursprung im Postulat 99.3321 Gross. Es forderte den Bundesrat auf, die Einrichtung einer «speziellen eidgenössischen Homepage für lancierte Volksinitiativen und Referenden in der Unterschriftensammelphase» zu prüfen, auf der sämtliche Unterschriftenbogen heruntergeladen werden können. Der Bundesrat war offen für das Anliegen, sprach sich aber für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage aus.

2 Mit der Botschaft vom 30. November 2001 über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte setzte der Bundesrat den Auftrag um und schlug der Bundesversammlung die Bestimmungen in den Art. 60a und 69a BPR vor. Die Rechtsänderungen waren in der Vernehmlassung begrüsst worden,

und sie gaben weder im National- noch Ständerat zu reden.
Am 1. Januar 2003 traten die Bestimmungen in Kraft.

II. Bedeutung der Vorschrift

A. Allgemeines

3 Die Einführung der Bestimmungen in Art. 60a und 69a BPR sollte ein erster Teilschritt hin zu einem umfassenden Angebot für die elektronische Ausübung der politischen Rechte sein.

Die Rechtsänderung stand im Kontext des Vorhabens «Vote électronique»,
das nach wie vor mit dem Ziel verfolgt wird, die politischen Rechte auch mit elektronischen Mittel ausüben zu können.

4 Art. 60a und Art. 69a BPR sollten nach dem Willen des Gesetzgebers das Unterschriftensammeln erleichtern und so die Folgen abmildern, welche die schweizweite Einführung der voraussetzungslosen brieflichen Stimmabgabe mit sich brachte: Die briefliche Stimmabgabe hatte sich in den 1990er-Jahren rasch zur dominierenden Form der Stimmabgabe entwickelt, womit das vormals einträgliche Sammeln von Unterschriften vor den Urnenlokalen an Bedeutung einbüsste.

5 Der Nutzen des behördlichen Angebots von Unterschriftenlisten in elektronischer Form ist in der Praxis bescheiden geblieben. Die Unterschriftenlisten auf der Webseite der Bundeskanzlei werden kaum heruntergeladen und fallen für den Erfolg von Initiativen und Referenden nicht ins Gewicht.

Hingegen hat die Bedeutung elektronisch angebotener Unterschriftenlisten auf den Webseiten der Initiativ- und Referendumskomitees und anderer zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure zugenommen.

B. Rechtsvergleich

6 Die Kantone Obwalden

und Wallis
kennen eine ähnliche Regelung wie der Bund.

7 Der Kanton Genf sieht für kantonale Initiativen und Referenden überdies vor, dass die Komitees den zuständigen Stellen im Kanton und in den Gemeinden Unterschriftenlisten übermitteln können, damit diese den Stimmberechtigten vor Ort zur Verfügung gestellt werden.

III. Kommentierung des Normtextes

A. Dienstleistung der Bundeskanzlei

8 Das Angebot von Unterschriftenlisten in elektronischer Form wird von der Bestimmung in Art. 60a BPR nicht explizit vorgegeben, sondern quasi vorausgesetzt.

Die Materialien machen aber deutlich, dass die Bestimmung im Hinblick auf ein neues Angebot der Bundeskanzlei geschaffen wurde.

9 Die Bundeskanzlei stellt die Unterschriftenlisten jeweils während der Dauer der Unterschriftensammlung auf ihrer Webseite zur Verfügung.

Damit die Unterschriftenlisten zum Herunterladen bereitgestellt werden, ist der Bundeskanzlei vorgängig mitzuteilen, dass für ein Referendum Unterschriften gesammelt werden. Die Bundeskanzlei erstellt in der Folge eine neutral gehaltene Unterschriftenliste, die sämtliche formelle Erfordernisse erfüllt und keine werbenden Zusätze enthält.

10 Auf den angebotenen Unterschriftenlisten ist zudem die jeweilige Urheberschaft und deren Anschrift verzeichnet. Das Angebot beschränkt sich folglich auf Listen derjenigen Personen und Organisationen, die sich bei der Bundeskanzlei gemeldet und mitgeteilt haben, Unterschriften sammeln zu wollen. Im Sinne einer amtlichen Dienstleistung kontrolliert die Bundeskanzlei, ob die jeweilige Unterschriftenliste den gesetzlichen Formerfordernissen entspricht.

B. Regelung der Verantwortlichkeiten

11 Art. 60a BPR regelt die Verantwortlichkeiten für die Erfüllung der gesetzlichen Erfordernisse, falls Unterschriftenlisten im Internet bezogen werden.

12 Dabei gelten für die elektronisch zur Verfügung gestellten Unterschriftenlisten die gleichen Erfordernisse wie für Listen, die von Anfang an in physischer Form in Umlauf gebracht werden.

Sie müssen alle nach Art. 60 Abs. 1 lit. a–c BPR notwendigen Angaben enthalten. Soll mit einer einzigen Unterschriftenliste für mehrere Referenden gesammelt werden, so müssen sich die Listen bei der Einreichung voneinander trennen lassen (Art. 60 Abs. 2 BPR). Sind die Formerfordernisse nicht erfüllt, führt dies gemäss Art. 66 Abs. 2 lit. a BPR zur Ungültigkeit der Unterstützungsbekundung. Das Risiko liegt nach Art. 60a BPR bei derjenigen Person, die eine Unterschriftenliste herunterlädt, d. h. in der Regel also bei den Unterzeichnenden selbst.

13 Die Bestimmung ist bewusst abstrakt formuliert und soll unabhängig von der Plattform gelten, von der eine Unterschriftenliste heruntergeladen wird.

Die Bestimmung soll jedoch in erster Linie die Behörden davon entlasten, die Unveränderbarkeit von Unterschriftenlisten zu garantieren, die elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Kommt es beim Drucken von Unterschriftenlisten beispielsweise zu Mängeln, indem gewisse Elemente verloren gehen, kann dies den Behörden nicht angelastet werden.

14 Trotz der Zuweisung der Verantwortlichkeiten in Art. 60a BPR sind die Behörden aber dazu verpflichtet, ihr Webangebot nach besten Praktiken abzusichern und in diesem Rahmen dafür zu sorgen, dass die verfügbaren Dokumente authentisch sind.

Dank an Julien Fiechter und Valentina Beti fürs Gegenlesen des Beitrags.

Literaturverzeichnis

Braun Binder Nadja, Quoren und Fristen bei der elektronischen Unterschriftensammlung, ZSR 2014, S. 539–557, https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/141602/1/Braun_Binder_ECollecting.pdf, besucht am 21.3.2025.

Bühlmann Marc/Schaub Hans-Peter, Staatspolitische Auswirkungen von E-Collecting, Studie im Auftrag der Bundeskanzlei, Bern 2023, https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/90666.pdf, besucht am 21.3.2025.

Gfeller Katja/Glaser Andreas/Lehner Irina, E-Collecting: Umsetzungsvarianten und Rechtssetzungsbedarf, LeGes 32 (2021) 1, https://leges.weblaw.ch/legesissues/2021/1/e-collecting--umsetz_4ac1c3bc14. html, besucht am 21.3.2025.

Glaser Andreas, Der elektronisch handelnde Staat: E-Legislation, E-Government, E-Justice, ZSR 2015, S. 259–333, https://www.ius.uzh.ch/dam/jcr:ffffffff-930f-77c9-ffff-ffffbea822ca/ZSR_134_2015 Glaser_Der_elektronisch_handelnde_Staat.pdf, besucht am 21.3.2025.

Materialienverzeichnis

Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401 ff., https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2001/1111/de, besucht am 21.3.2025 (zit. Botschaft 2001).

Elektronische Unterschriftensammlungen für eidgenössische Volksbegehren (E-Collecting). Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 21.3607 Staatspolitische Kommission NR vom 27.6.2021, https://www.parlament.ch/centers/eparl/curia/2021/20213607/Bericht%20BR%20D.pdf, besucht am 21.3.2025 (zit. Postulatsbericht E-Collecting).

Parlamentarische Initiative 96.091. Beseitigung von Mängeln der Volksrechte. Bericht vom 2.4.2001 der Staatspolitischen Kommission des Ständerates, BBl 2001 4803, https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2001/781/de, besucht am 21.3.2025 (zit. Bericht SPK-SR 2001).

Fussnoten

  • SR 161.1, erlassen am 17.12.1976.
  • AB 1999 NR S. 2214 f.
  • Botschaft 2001, S. 6407.
  • AB 2002 NR S. 337; AB 2002 SR S. 337.
  • Botschaft 2001, S. 6417.
  • Botschaft 2001, S. 6402.
  • Weitere Informationen zum Vorhaben «Vote électronique» unter https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/politische-rechte/e-voting.html.
  • Botschaft 2001, S. 6417; Po. 99.3321 Gross; siehe zur Problematik auch Bericht SPK-SR 2001, S. 4817.
  • Siehe die Stellungnahme des Bundesrates zur Motion 08.3908 Fehr sowie Braun Binder, S. 547 m. w. H.
  • Schaub/Bühlmann, S. 37; siehe dazu auch Postulatsbericht E-Collecting, S. 16 f.
  • Art. 53d Abs. 3 i. V. m. 53m Abs. 4 des Gesetzes des Kantons Obwalden vom 17.2.1974 über die Ausübung der politischen Rechte (AG/OW; GDB 122.1).
  • Art. 102 des Gesetzes des Kantons Wallis vom 13.5.2004 über die politischen Rechte (kGPR/VS; SGS 160.1).
  • Art. 88 de la Loi du canton Genève du 15.10.1982 sur l’excercice des droits politiques (LEDP/GE; rsGE A 5 05).
  • Glaser, S. 291.
  • Botschaft 2001, S. 6417.
  • https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/rf/ref_1_3_2_1.html.
  • Zur Kontrolle der Unterschriftenliste und zur Abgabe von Mustern siehe OK-Kuoni zu Art. 60 BPR N 13 f.
  • Gfeller/Glaser/Lehner, Rz. 1.
  • Botschaft 2001, S. 6417.

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DOI (Digital Object Identifier)

10.17176/20250528-161830-0

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