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Kommentierung zu
Art. 63 DSG

Eine Kommentierung von Jonas D. Gassmann

Herausgegeben von Thomas Steiner / Anne-Sophie Morand / Daniel Hürlimann

defriten

In Kürze

Die Bestimmung von Art. 63 stellt das vorsätzliche Nichtfolgeleisten einer Verfügung des EDÖB bzw. eines Entscheids einer Rechtsmittelinstanz unter Strafe. Die Strafbarkeit setzt voraus, dass die Verfügung bzw. der Entscheid mit einer entsprechenden Strafandrohung versehen ist und dass aus der Verfügung bzw. dem Entscheid für den Adressaten hinreichend konkret hervorgeht, was er zu tun oder zu unterlassen hat. Bei Erfüllung dieses Tatbestands droht eine Busse bis zu 250 000 Franken.

I. Allgemeines

1 Bei Art. 63 handelt es sich um einen als Blankettnorm

ausgestalteten Ungehorsamstatbestand. Vergleichbare Strafbestimmungen sind im Nebenstrafrecht häufig anzutreffen, wenngleich mit jeweils massiv geringerer Strafandrohung.
Als lex specialis geht die Bestimmung von Art. 63 der im Kernstrafrecht enthaltenen Bestimmung von Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen) vor.

2 Die Bestimmung von Art. 63 kam erst nach der Vernehmlassung neu ins Gesetz. Nach Ansicht des Gesetzgebers wäre ein Rückgriff auf Art. 292 StGB wegen der zu geringen Strafdrohung nicht ausreichend gewesen.

In der Vernehmlassung wurde verschiedentlich kritisiert, die neuen Strafbestimmungen seien zu offen formuliert.
Art. 63 ermöglicht dem EDÖB nun, die Einhaltung von Pflichten nach dem DSG zu verfügen und mit einer Strafandrohung zu verbinden. Die Pflicht kann dadurch in der Verfügung soweit konkretisiert werden, dass für den Adressaten hinreichend klar ist, was er zu tun oder zu unterlassen hat.

3 Bei der Strafnorm von Art. 63 handelt es sich um ein Offizialdelikt.

4 Zweck der Bestimmung von Art. 63 ist es einerseits, die im Vergleich zum VE-DSG weggefallenen Strafbestimmungen (betreffend Meldungen an den EDÖB)

zu kompensieren, andererseits sollen mit ihr «die Fragen in Bezug auf den Grundsatz nulla poena sine lege, wie sie in der Vernehmlassung häufig vorgebracht wurden» berücksichtigt werden.

5 Gemäss Bundesrat erlaubt es die mit Art. 63 geschaffene Lösung, «die entsprechenden Bestimmungen des E-DSG weiterhin in einer hinreichend allgemeinen Form auszugestalten, ohne zugleich in Konflikt mit den strafrechtlichen Anforderungen an die Präzision einer gesetzlichen Regelung zu geraten.»

Ausserdem erleichtert sie gemäss Bundesrat die Arbeit der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, womit den in der Vernehmlassung teilweise geäusserten Bedenken Rechnung getragen würde.

6 Diese Bestimmung zielt auf die Durchsetzung von Verfügungen des EDÖB i.S.v. Art. 51 ab, die dieser nach erfolgter Untersuchung erlässt und der Vollstreckung von Entscheiden von Rechtsmittelinstanzen. Demgegenüber betrifft die Bussenandrohung von Art. 60 Abs. 2 die vorsätzliche Erteilung von falschen Auskünften und die vorsätzliche Verweigerung der Mitwirkung im Rahmen einer Untersuchung des EDÖB.

7 Es handelt sich beim Straftatbestand von Art. 63 um ein Sonderdelikt

: Als Täter in Frage kommt nur, wer Adressat einer Verfügung des EDÖB bzw. eines Entscheids einer Rechtsmittelinstanz ist. Andere Personen kommen höchstens als Anstifter in Betracht. Richtet sich die Verfügung des EDÖB bzw. der Entscheid einer Rechtsmittelinstanz an ein Unternehmen, tritt die Strafbarkeit gestützt auf Art. 29 StGB bei einer Leitungsperson ein: Die dem Unternehmen obliegende, strafbegründende Pflicht wird der natürlichen Person zugerechnet.
Wer Zuwiderhandlungen von untergebenen Mitarbeitenden nicht verhindert bzw. nicht in ihren Auswirkungen aufhebt, kommt ebenfalls als Täter in Frage (Art. 6 Abs. 2 und 3 VStrR i.V.m. Art. 64 Abs. 1 DSG).

II. Missachten einer Verfügung des EDÖB oder eines Entscheids einer Rechtsmittelinstanz

A. Objektiver Tatbestand

1. Verfügung des EDÖB oder Entscheid einer Rechtsmittelinstanz

8 Eine Bestrafung nach Art. 63 setzt voraus, dass einer bestimmten Person in einer rechtsgültig erlassenen und zugestellten Verfügung bzw. einem Entscheid unter Androhung einer Sanktionierung nach dieser Bestimmung für den Fall der Nichtbefolgung eine hinreichend konkret umschriebene Verhaltensweise vorgeschrieben wird. Es besteht keine Pflicht des EDÖB bzw. der Rechtsmittelinstanzen, seine/ihre Verfügungen bzw. Entscheide mit der Strafandrohung nach Art. 63 zu versehen. Um die Befolgung der Verfügungen bzw. Entscheide wahrscheinlicher zu machen, dürften der EDÖB bzw. die Rechtsmittelinstanzen von dieser Möglichkeit aber regelmässig Gebrauch machen.

9 Eine Verfügung des EDÖB meint einen vom EDÖB gestützt auf Art. 51 an eine bestimmte Person gerichteten Hoheitsakt, durch den eine konkrete verwaltungsrechtliche Rechtsbeziehung rechtsgestaltend oder feststellend in verbindlicher und erzwingbarer Weise geregelt wird.

Verlangt ist – wie bei Art. 292 StGB
– dass die Verfügung eine konkrete Verhaltensanweisung (auf Tun, Dulden oder Unterlassen) enthält; eine blosse Feststellungsverfügung genügt diesem Erfordernis nicht.
Auch eine Allgemeinverfügung ist kein taugliches Tatobjekt.
Unter eine konkrete Verhaltensanweisung fallen beispielsweise die Anordnung, eine bestimmte Bearbeitung von Personendaten anzupassen oder einzustellen oder die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland zu unterlassen (vgl. zum Ganzen OK-Fanger/Oehri zu Art. 51 DSG). Die Verfügung muss «rechtlich existent» sein (darf also keinen schweren Mangel enthalten, der sie nichtig erscheinen lässt), dem Adressaten wirksam zugegangen und formell rechtskräftig sein.

10 Ein Entscheid einer Rechtsmittelinstanz meint ein Urteil eines Gerichts, das über eine Beschwerde gegen eine Verfügung des EDÖB entscheidet, also ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 33 lit. d VGG) oder des Bundesgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG).

11 Gemäss Art. 1 StGB kommt eine Bestrafung nur in Betracht, wenn die anwendbare Strafnorm dem Bestimmtheitsgebot genügt. Weil Art. 63 selbst die Tathandlung nicht umschreibt, sondern hinsichtlich dieser auf die Verfügung des EDÖB bzw. den Entscheid einer Rechtsmittelinstanz verweist

, hat auch die strafbewehrte Verfügung bzw. der strafbewehrte Entscheid den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot zu genügen.
Das Legalitätsprinzip verlangt, dass die in der Verfügung bzw. im Entscheid auferlegte Verpflichtung «hinreichend klar umschrieben» ist (vgl. bereits oben, N. 9); es muss dem Adressaten der Verfügung bzw. des Entscheids mit anderen Worten klar sein, welches konkrete Verhalten von ihm verlangt ist.

2. Nichtfolgeleisten

12 Als Tathandlung verlangt der Straftatbestand von Art. 63, dass der Verfügungs- bzw. Entscheidadressat der Verfügung bzw. dem Entscheid keine Folge leistet. Was ein Nichtfolgeleisten meint, ergibt sich aus dem Inhalt der Verfügung bzw. des Entscheids.

Verfügt der EDÖB beispielsweise ein Verbot der Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, liegt in der entsprechenden Bekanntgabe ein «Nichtfolgeleisten»; gibt der Täter trotz Verbots gleich mehrfach Personendaten ins Ausland bekannt, erfüllt er den Straftatbestand von Art. 63 mehrfach.

B. Subjektiver Tatbestand

13 In subjektiver Hinsicht verlangt der Straftatbestand von Art. 63 Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt. Eventualvorsätzlich handelt der Täter, wenn er zwar nicht mit Sicherheit weiss, dass er mit seinem Verhalten gegen die Verfügung bzw. gegen den Entscheid verstösst, er aber sich damit abfindet bzw. in Kauf nimmt, dass er möglicherweise einen Verstoss begeht.

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

Vgl. OK-Gassmann, Art. 60 DSG, N. 26 f.

Literaturverzeichnis

Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Zürich 2020.

Riedo Christof/Boner Barbara, Kommentierung zu Art. 292 StGB, in: Niggli Marcel Alexander/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht (StGB/JStGB), 4. Aufl., Basel 2018.

Rosenthal David/Gubler, Seraina, Die Strafbestimmungen des neuen DSG, SZW 1/2021, S. 52 ff.; Wohlers Wolfgang, Kommentierung zu Art. 63 DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski, Dominika (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar, Datenschutzgesetz, 2. Aufl., Bern 2023.

Materialienverzeichnis

Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15.9.2017, BBl 2017 S. 6941 ff. (zit. Botschaft 2017), abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2017/6941.pdf, besucht am 8.8.2023.

Erläuternder Bericht des Bundesamts für Justiz BJ zum Vorentwurf für das Bundesgesetz über die Totalrevision des Datenschutzgesetzes und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 21.12.2016, abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/staat/gesetzgebung/datenschutzstaerkung/vn-ber-d.pdf.download.pdf/vn-ber-d.pdf (zit. Erläuternder Bericht VE-DSG), besucht am 8.8.2023.

Vernehmlassung der Kantone betreffend Vorentwurf für das Bundesgesetz über die Totalrevision des Datenschutzgesetzes und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 21.12.2016 (zit. Vernehmlassung VE-DSG Kantone), abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/staat/gesetzgebung/datenschutzstaerkung/kantone.pdf.download.pdf/kantone.pdf, besucht am 8.8.2023.

Fussnoten

  • Welches Verhalten im Einzelfall strafbewehrt ist, ergibt sich nicht aus Art. 63, sondern aus dem Inhalt der betroffenen Verfügung/Entscheid (SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 3).
  • Vgl. z.B. Art. 53 FMG (Verstoss gegen eine Verfügung im Bereich des Fernmeldegesetzes: Busse bis zu 5 000 Franken), Art. 127 Abs. 1 lit. b ZG (Verstoss gegen eine Verfügung im Bereich des Zollgesetzes: Busse bis zu 5 000 Franken), Art. 71 Abs. 1 lit. b GSchG (Verstoss gegen eine Verfügung im Bereich des Gewässerschutzgesetzes: Busse bis zu 20 000 Franken), Art. 61 Abs. 1 lit. a USG (Verstoss gegen eine verfügte Emissionsbegrenzung: Busse bis zu 20 000 Franken).
  • Art. 292 StGB kommt im Sinne eines Auffangtatbestands bloss subsidiär zur Anwendung; besteht eine andere, den Ungehorsam bestrafende Bestimmung (des Kernstrafrechts, des Nebenstrafrechts oder des kantonalen Strafrechts), so wäre eine Strafandrohung nach Art. 292 rechtswidrig und damit unwirksam (BSK-Riedo/Boner, N. 20 ff. und 59 zu Art. 292 StGB).
  • Erläuternder Bericht VE-DSG, Ziff. 8.1.8.1 (S. 85).
  • Insbesondere die Kantone Basel-Stadt, Graubünden, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, Zug sowie Zürich kritisierten, dass viele Pflichten und Straftatbestände zu wenig konkret formuliert seien, um dem Grundsatz «nulla poena sine lege» hinreichend Rechnung zu tragen (vgl. Vernehmlassung VE-DSG Kantone).
  • Botschaft 2017, S. 7103.
  • Vgl. betreffend Art. 292 StGB BSK-Riedo/Boner, Art. 292 StGB N. 274.
  • Art. 50 Abs. 2 lit. a, b und e VE-DSG.
  • Botschaft 2017, S. 7103; siehe dazu unten, N. 5.
  • Botschaft 2017, S. 7103.
  • Botschaft 2017, S. 7103.
  • Rosenthal/Gubler, S. 55.
  • SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 3.
  • Botschaft 2017, S. 7103.
  • SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 5.
  • Zum Begriff der Verfügung vgl. statt vieler BGE 121 II 473 E. 2a; BGE 104 Ia 26 E. 4d; BGE 101 Ia 73 E. 3a; Häfelin/Müller/Uhlmann, N. 849; Art. 52 Abs. 1 DSG verweist auf die Bestimmungen des VwVG, dort insb. Art. 5 VwVG.
  • Vgl. dort BSK-Riedo/Boner, Art. 292 StGB N. 62.
  • Vgl. ebenso bei Art. 292 StGB BSK-Riedo/Boner, a.a.O.
  • SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 7 m.w.H.
  • SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 8 m.w.H. Zur umstrittenen Frage, ob die betreffende Verfügung auch rechtmässig sein muss vgl. SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 9 f.
  • Vgl. oben, Fn. 1.
  • Ebenso hinsichtlich Art. 292 StGB BSK-Riedo/Boner, Art. 292 StGB N. 80.
  • BSK-Riedo/Boner, a.a.O. m.w.H.
  • Vgl. oben, Fn. 1.
  • Vgl. zum Ganzen auch SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 11.
  • SHK-Wohlers, Art. 63 DSG N. 13.

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