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BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Relevanz
- II. Geschütztes Rechtsgut
- III. Genesis und historisches Telos
- IV. Beobachten und Aufnehmen (Abs. 1)
- V. Anschlusshandlungen (Abs. 2 und 3)
- VI. Rechtfertigungsgründe
- VII. Antrag und Sanktion
- VIII. Konkurrenzen
- Literaturverzeichnis
- Materialienverzeichnis
I. Relevanz
1 Art. 179quater StGB wurde in einer Zeit erlassen, in der er noch keine praktische Relevanz hatte:
II. Geschütztes Rechtsgut
2 Art. 179quater StGB schützt den Geheim- und Privatbereich vor dem Missbrauch durch optische Aufnahmegeräte.
III. Genesis und historisches Telos
3 Die Einführung des Art. 179quater StGB erfolgte durch das «Bundesgesetz betreffend Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes des persönlichen Geheimbereichs» vom 20. Dezember 1968.
4 Die gesetzgebende Instanz hat sich in erster Linie auf Eingriffe durch die Boulevardpresse konzentriert, insbesondere auf die Gefahr der Aufnahme, Vervielfältigung und Verbreitung von Bildern durch Presseleute.
5 Besonders die Frage nach den geschützten Lebensbereichen bzw. dem Tatobjekt (N. 15 ff.) führte in den Räten zu zahlreichen Diskussionen. Der aktuelle Gesetzeswortlaut («eine Tatsache aus dem Geheimbereich eines andern oder eine nicht jedermann ohne weiteres zugängliche Tatsache aus dem Privatbereich eines andern») ist eine Kompromisslösung zwischen dem Ständerat, der nur den Geheimbereich schützen wollte,
«nicht […] zugängliche Tatsache»: Gemäss dem deutschen Gesetzestext könnte darauf geschlossen werden, «nicht zugänglich» meine, dass kein (örtlicher) Zugang zur Tatsache besteht, also insbesondere keine Betretbarkeit. Für eine präzise Auslegung des Begriffs ist jedoch ein Vergleich mit der französischen und italienischen Gesetzesfassung erforderlich. Dort ist von einer nicht wahrnehmbaren oder nicht beobachtbaren Tatsache die Rede: «un fait ne pouvant être perçu» bzw. «un fatto, non osservabile». Ein systematischer Blick auf Art. 179bis StGB, zu dem Art. 179quater StGB nach dem Willen der Gesetzgebenden das Gegenstück für optische Aufnahmegeräte bildet (N. 3), führt zum selben Resultat: Art. 179bis StGB verlangt ein nichtöffentliches
Dass die gesetzgebende Instanz dieselbe Abgrenzung für Art. 179quater StGB vorsah, zeigen auch folgende Ausführungen von Cadruvi, AB NR 1968 S. 336: «Vielleicht muss man überhaupt den Begriff des Privaten und des Geheimen negativ abgrenzen, indem man sagt: Was nicht öffentlich ist, das ist privat!». , fremdes Gespräch. Nichtöffentlich ist ein Gespräch, wenn die Gesprächsteilnehmenden es in der begründeten Erwartung führen, dass es ohne technische Hilfsmittel von der Allgemeinheit nicht mitgehört werden kann.BGE 146 IV 126 E. 3.3–3.6; Donatsch, S. 424; Niggli/Riedo/Fiolka/Muskens, N. 1024; BSK-Ramel/Vogelsang, Art. 179bis StGB N. 12; Stratenwerth/Bommer, § 12 N. 24; PK-Trechsel/Lehmkuhl, Art. 179bis StGB N. 4; vgl. auch Botschaft 1968, S. 593; BGE 118 IV 67 E. 3d/bb. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, wo das Gespräch stattfindet.Ibid. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Definition hat die Formulierung in Art. 179quater StGB folgendes historisches Telos: «Nicht zugänglich» ist eine Tatsache, wenn die betroffene Person die begründete Erwartung an den Tag legen kann, dass sie für die Allgemeinheit nicht einsehbar ist. Die Gesetzesmaterialien legen nahe, dass auch die Gesetzgebenden von einem solchen Verständnis der Formulierung ausgegangen sind. Sie stellten regelmässig auf die Einsehbarkeit der Tatsachen und die Möglichkeit der betroffenen Person ab, sich vor den Blicken der Allgemeinheit zu schützen.Bodenmann, AB SR 1968 S. 301: «Wenn jemand sich abschliesst, sich versteckt und damit offenkundig macht, dass er nicht gestört werden will, dann soll diese bereits von ihm selbst geschützte Privatsphäre strafrechtlichen Schutz geniessen.»; Cadruvi, AB NR 1968 S. 630: «Wer sich in die Öffentlichkeit begibt […] hat damit zu rechnen, dass er auf ganz natürliche Art und Weise beobachtet werden kann. Er kann zum Beispiel ohne Absicht eines Dritten in ein Fernsehbild geraten. Er hat also die Möglichkeit, sich vor solchen Ereignissen zu schützen.»; Cevey, AB NR 1968 S. 339: «Ce qui doit être protégé, c'est le droit pour toute personne, dans un lieu privé où elle se croit hors de la vue de quiconque, d'avoir un comportement autre que celui qu'elle aurait en public.»; dieses Kriterium auch mitberücksichtigend, die kantonale Vorinstanz in BGE 117 IV 31 E. 2a; Corboz, Art. 179quater StGB N. 7; Schubarth, Art. 179quater StGB N. 12. «nicht jedermann […] zugängliche Tatsache»: Die Tatsache darf nicht jedermann, also nicht für die Allgemeinheit, einsehbar sein. Mit Blick auf das Pendant Art. 179bis StGB (N. 3) sind Tatsachen allgemein einsehbar, wenn sie «für einen grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis wahrnehmbar sind».
Botschaft 1968, S. 593. «nicht […] ohne weiteres zugängliche Tatsache»: Mit dieser Formulierung meint die gesetzgebende Behörde, dass die Tatperson «besondere Vorkehren treffen muss»
Bodenmann, AB SR 1968 S. 301. , um die fehlende Einsehbarkeit der Tatsachen zu überwinden, sei es durch den «Missbrauch von gewissen Geräten und Instrumenten»Cadruvi, AB NR 1968 S. 630; vgl. auch Cevey, AB NR 1968 S. 344, 669. oder «durch andere raffinierte Mittel»Cadruvi, AB NR 1968 S. 630. . Ist eine Tatsache hingegen bereits allgemein einsehbar, genügt es nicht, dass für die Aufnahme nur eine moralische Hürde überwunden werden muss.Anhand eines Beispiels, Bieri, AB NR 1968 S. 340: «Wenn sich ein Unglück ereignet, dann ist das natürlich nicht mehr die Privatsphäre, denn das Unglück spielt sich in der Öffentlichkeit ab. Wenn also hier Reporter Aufnahmen machen, ist das meines Erachtens grundsätzlich nicht strafbar. Es ist eine Frage des Geschmacks, wie weit man geht».
6 Die Frage nach den geschützten Lebensbereichen wird regelmässig mit der zivilrechtlichen Sphärentheorie in Verbindung gebracht.
IV. Beobachten und Aufnehmen (Abs. 1)
A. Objektiver Tatbestand
1. Tatpersonenkreis
7 Es ist umstritten, ob Tatperson nur der eigentliche Eindringling sein kann, also wer von aussen in den geschützten Bereich einfällt (Extraneus), oder auch, wer sich zwar mit Einwilligung der betroffenen Person im Schutzbereich aufhält, aber ohne Einwilligung eine Tathandlung vornimmt (Intraneus). Corboz erachtet ausschliesslich den Extraneus als strafwürdig.
8 Die Frage, ob Art. 179quater StGB nur Eindringlinge (Extranei) oder auch Personen, die sich bereits im Schutzbereich befinden (Intranei), als Tatpersonen erfasst, lässt sich durch eine Auslegung der Norm ermitteln. Eine historisch-systematische Auslegung von Art. 179quater StGB könnte zunächst darauf hindeuten, dass die Strafbestimmung nur Eindringlinge erfasst: Der Artikel ist als Analogon zu Art. 179bis StGB ausgestaltet (N. 3), der ausschliesslich Extranei für das Abhören und Aufnehmen von Gesprächen bestraft. Intranei werden hingegen durch Art. 179ter StGB erfasst, der eine geringere Strafandrohung aufweist. Diese Unterscheidung basiert darauf, dass die gesetzgebende Instanz das Unrecht von Intranei als weniger schwerwiegend einstufte als das von Extranei.
2. Tathandlung
9 Nach Art. 179quater Abs. 1 StGB legt ein tatbestandsmässiges Verhalten an den Tag, wer ein Tatobjekt (N. 15 ff.) mit einem Aufnahmegerät (a.) beobachtet (b.) oder auf einen Bildträger aufnimmt (c.).
a. Aufnahmegeräte
10 Als Tatmittel dient ein Bildaufnahmegerät,
11 Reine Beobachtungsgeräte (z.B. Feldstecher, Fernrohr, Periskop, Nachtsichtgerät, Taschenlampe
b. Beobachten
12 Als Tathandlung gilt bereits die Verwendung eines Aufnahmegeräts zur Beobachtung von Tatobjekten (ohne die Anfertigung von Aufnahmen).
13 Der Intraneus, der sich mit Einwilligung der betroffenen Person in deren geschützten Bereich befindet (hierzu N. 7 f.), hat die Tatsachen bereits zu Gesicht bekommen hat und kann das Rechtsgut der betroffenen Person höchstens noch gefährden, wenn er die Tatsachen ohne Einwilligung auf einen Bildträger aufnimmt. Die Tathandlung des Beobachtens ist daher teleologisch zu reduzieren auf eigentliche Eindringlinge bzw. Extranei.
c. Aufnehmen
14 Bei der zweiten Tatbestandsvariante wird das Aufnahmegerät verwendet, um Tatobjekte auf einem analogen oder digitalen Bildträger abzuspeichern.
3. Tatobjekt
15 Das Tatobjekt der Bestimmung sind Tatsachen (a.) aus dem Geheimbereich eines anderen (b.) oder aus dem nicht jedermann ohne weiteres zugänglichen Privatbereich eines anderen (c.). Welcher Bereich betroffen ist, unterscheidet sich aufgrund der einschränkenden Zusatzformulierung beim Privatbereich meistens rein durch die dogmatische Begründung (vgl. hierzu N. 6).
16 Zu weit geht die Rechtsprechung des Bundesgerichtes, wonach auch Verstorbene den Schutz ihrer Geheim- oder Privatsphäre bis mindestens zu ihrem Begräbnis geniessen.
a. Tatsachen
17 Der Begriff der Tatsachen ist weit zu verstehen: Er umfasst alle gegenwärtigen oder vergangenen, mit dem geschützten Bereich der bespitzelten Person zusammenhängenden Ereignisse oder Zustände, die irgendeine optisch wahrnehmbare Form annehmen und dem Beweis zugänglich sind.
b. Geheimbereich
18 Damit eine Tatsache dem Geheimbereich zugehörig ist, muss sie nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung ein Geheimnis im strafrechtlichen Sinne sein,
19 Eine relative Unbekanntheit der Tatsache liegt vor, wenn ihr Inhalt nur wenigen genau bestimmten Personen bekannt ist.
20 Der Geheimhaltungswille meint «die Kundgabe jener Bestrebungen […], die darauf abzielen, eine Tatsache der Wahrnehmung und dem Wissen anderer zu entziehen».
c. Nicht jedermann ohne weiteres zugänglicher Privatbereich
21 Weil der Privatbereich nach zivilrechtlichem Verständnis für eine strafrechtliche Norm zu weit ist, wurde er im Gesetzgebungsprozess durch die Zusatzformulierung «nicht jedermann ohne weiteres zugänglicher» begrifflich eingeschränkt, was zu einer eigentlichen Aushöhlung des Begriffes geführt hat (N. 6). Die Auslegung der Zusatzformulierung ist umstritten:
22 Das Bundesgericht legt die Zusatzformulierung «nicht jedermann ohne weiteres zugänglicher» sehr weit aus: In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre beschränkt es den geschützten Bereich grundsätzlich auf den sogenannten Privatbereich im engen Sinne
23 An der Auslegung durch das Bundesgericht ist Kritik zu üben: Das Bundesgericht erweitert den Anwendungsbereich von Art. 179quater StGB durch Kriterien, die sich weder aus dem Gesetzestext ergeben noch dem Willen der Gesetzgebenden entsprechen (N. 5).
Die Verknüpfung mit dem Hausfriedensbruch: Dass sich der von Art. 179quater Abs. 1 StGB geschützte Bereich grundsätzlich mit demjenigen von Art. 186 StGB deckt, hat das Bundesgericht von Noll übernommen, der damals als Einziger diese Auffassung vertrat.
BGE 118 IV 41 E. 4b mit Verweis auf Noll, S. 95. Bei alleiniger Betrachtung des deutschen Wortlauts von Art. 179quater Abs. 1 StGB erscheint eine Verbindung zum Hausfriedensbruch naheliegend: Der Begriff «zugänglich» impliziert eine Betretbarkeit des Bereichs (N. 5). Bei zusätzlicher Betrachtung der französischen und italienischen Sprachfassungen, des geschützten Rechtsguts und des historischen Telos (N. 2, N. 5) fällt indes auf, dass die Verknüpfung mit Art. 186 StGB jeglicher Begründung entbehrt. Der Hausfriedensbruch schützt das Hausrecht einer Person, also die Befugnis darüber zu entscheiden, wer sich in den eigenen Räumlichkeiten aufhalten darf.BGE 112 IV 31 E. 3; BGE 83 IV 154 E. 1; statt vieler Donatsch, S. 499. Orte, an denen das Hausrecht gilt, sind in Art. 186 StGB abschliessend aufgezählt.Donatsch, S. 499 ff. Art. 179quater StGB schützt dagegen ein ganz anderes Rechtsgut, nämlich den Geheim- und Privatbereich vor dem Missbrauch durch optische Aufnahmegeräte (N. 2). Art. 179quater Abs. 1 StGB enthält anders als Art. 186 StGB keine Aufzählung von Schutzbereichen. Der Schutzbereich von Art. 179quater StGB beschränkt sich nämlich nicht auf Personen, die ein Hausrecht innehaben.Nichtsdestotrotz nimmt das Bundesgericht auch in Fällen des Art. 179quater StGB teilweise auf das Hausrecht Bezug (siehe die Fälle in N. 7). Vielmehr steht grundsätzlich allen Personen, die sich an einem sichtgeschützten Ort aufhalten, Schutz durch die Bestimmung zu (N. 5, N. 24 f.). Schliesslich haben auch die Gesetzgebenden den Hausfriedensbruch an keiner Stelle erwähnt, obwohl der Tatbestand schon damals Bestandteil des StGB war. Eine direkte Beziehung zwischen den beiden Delikten kann daher nicht hergestellt werden.Der Terminus «rechtlich-moralisches Hindernis»: Dieses Abgrenzungskriterium hat das Bundesgericht von Riklin übernommen,
BGE 118 IV 41 E. 4e mit Verweis auf Riklin, FS Schürmann, S. 542. dabei jedoch den Umstand verkannt, dass der Autor diesen Begriff im Kontext allgemeiner Ausführungen zur Sphärentheorie (N. 6) und unter Bezugnahme auf die privatrechtliche Literatur verwendet hat.Riklin, FS Schürmann, S. 538 i.V.m. S. 542 Fn. 40 (u.a. Verweis auf Riklin, Diss., S. 197). Beim engeren strafrechtlichen Privatbereich vertrat er selbst die Auffassung, dass ein körperlicher Blickschutz vorliegen muss.Riklin, FS Schürmann, S. 550 f. Dies entspricht dem historischen Telos, wonach es insbesondere nicht ausreicht, wenn für die Aufnahme lediglich eine moralische Hürde überwunden wird, wenn eine Tatsache bereits allgemein einsehbar ist (N. 5). Folgerichtig hat auch Riklin die ausufernde Auslegung des Bundesgerichts kritisiert.Riklin, medialex, N. 4. Es hängt nun praktisch allein von den moralischen Vorstellungen der Richterin oder des Richters ab, dem Straftatbestand hinreichend deutliche Konturen zu geben.Hurtado Pozo, N. 2256; Stratenwerth/Bommer, § 12 N. 55; kritisch auch Hug, S. 699; Legler, S. 146. Dies zeigt sich bereits in der Praxis des Bundesgerichts: So wurde das Fotografieren eines Mannes vor seiner Haustür durch einen Journalisten als Aufnahme des geschützten Privatbereichs geahndet,BGE 118 IV 41. Entsprechendes gelte auch für das Begrüssen bzw. Empfangen von jemandem vor der Haustüre oder das Holen von Post aus dem Briefkasten (E. 4e); bestätigt in BGer 1B_28/2013 vom 28.5.2013 E. 2.2.2. Selbst das Innere eines mehrfach umfriedeten Schafstalls sei geschützt, auch wenn dieser allgemein einsehbar und lichtdurchflutet ist, siehe BGer 6B_56/2021 vom 24.2.2022 E. 2.2.2. während die Observation einer staubsaugenden Frau auf ihrem Balkon durch einen Versicherungsdetektiv straffrei blieb.BGE 137 I 327. Bei letzterem habe es sich um Tatsachen gehandelt, «die ohne Überwindung einer physischen oder psychologischen Schranke zugänglich waren».BGE 137 I 327 E. 6.2. Die offensichtliche Ungleichbehandlung der beiden EntscheidungenAK-Abo Youssef, Art. 179quater StGB N. 8; Hug, S. 699; PK-Trechsel/Lehmkuhl, Art. 179quater StGB N. 4. Die Diskrepanz lässt sich auch dadurch erklären, dass der Balkon-Entscheid von der I. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts stammt, der Haustür-Fall dagegen von der IV. strafrechtlichen Abteilung. Nichtsdestotrotz hat die sozialrechtliche Abteilung über ihren Aufgabenbereich hinaus das Tatobjekt von Art. 179quater Abs. 1 StGB neu definiert (vgl. Hug, S. 699). wird noch durch die Begründung ad absurdum geführt, dass «keine besonders persönlichkeitsträchtige[n] Szenen, sondern freiwillig ausgeübte Alltagsverrichtungen»BGE 137 I 327 E. 6.2. vorliegen würden. Dem geschützten Rechtsgut entsprechend (N. 2) erklärt das Bundesgericht sonst zu Recht: «Es ist nicht erforderlich, dass es sich beim beobachteten oder abgebildeten Verhalten um ein solches mit einem besonderen persönlichen Gehalt […] handelt».BGE 118 IV 41 E. 4f; kritisch auch AK-Abo Youssef, Art. 179quater StGB N. 8.
24 Der wahre Sinngehalt der Zusatzformulierung lässt sich durch eine historisch-systematische und zugleich teleologische Auslegung ergründen (hierzu N. 5). Demnach liegt eine «nicht jedermann ohne weiteres zugängliche Tatsache» vor, wenn die betroffene Person die begründete Erwartung an den Tag legen kann, dass die fragliche Tatsache für die Allgemeinheit nicht einsehbar ist (N. 25 f.), ohne dass besondere Anstrengungen erforderlich sind (N. 27).
25 Die begründete Erwartung, dass eine bestimmte Tatsache der Allgemeinheit nicht ohne weiteres zugänglich ist, entsteht, wenn die betroffene Person Vorkehrungen getroffen hat, um sich vor den Blicken eines grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreises zu schützen. Ein solcher Rückzugsraum wird in der Regel durch einen physischen Sichtschutz zwischen der fraglichen Tatsache und der Allgemeinheit geschaffen, etwa durch eine Hecke, eine Mauer, Fensterläden, Türen,
26 Sichterschwerende Faktoren wie grosse Entfernung, Dunkelheit oder Wasser stellen per se keinen wirksamen Sichtschutz dar, der für die betroffene Person die begründete Erwartung schafft, von der Allgemeinheit nicht ohne weiteres gesehen zu werden. Die Überwindung dieser Hindernisse ist zwar mittels sichtverbessernder Funktionen von Aufnahmegeräten möglich,
27 Die Formulierung «nicht ohne weiteres» bezieht sich im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Strafbestimmung auf die Überwindung der fehlenden Einsehbarkeit (N. 5). Ist die Tatperson ein Extraneus (N. 7 f.), so überwindet sie den physischen Sichtschutz zwischen der fraglichen Tatsache und der Allgemeinheit (N. 25) durch technische und/oder physische Anstrengungen.
B. Subjektiver Tatbestand
28 Im subjektiven Tatbestand wird (Eventual-)Vorsatz verlangt. Die Tatperson muss es mindestens für möglich halten und in Kauf nehmen, dass die Tatsache, die sie mit einem Aufnahmegerät beobachtet oder aufnimmt, geheim bzw. nicht für die Allgemeinheit ohne weiteres einsehbar ist.
V. Anschlusshandlungen (Abs. 2 und 3)
29 Die Absätze 2 und 3 stellen Anschlusshandlungen unter Strafe, die dazu führen, dass die Tatsachen (Abs. 2) oder Aufnahmen (Abs. 3) aus den geschützten Bereichen verwendet werden oder an weitere Personen gelangen. Dadurch wird eine grössere Gefahr für das geschützte Rechtsgut (N. 2) geschaffen als bei Abs. 1.
A. Objektiver Tatbestand
1. Tatpersonenkreis
30 Die in den Absätzen 2 und 3 genannten Anschlusshandlungen sind Allgemeindelikte. Sie können daher sowohl von den Personen begangen werden, die die Tatsachen oder Bildaufnahmen durch eine Tat nach Absatz 1 erlangt haben, als auch von jeder anderen Person.
2. Tathandlung
31 Die Anschlusshandlungen umfassen verschiedene Tathandlungen, die unterschiedliche Tatobjekte betreffen (vgl. hierzu N. 36 f.). Das Auswerten und die Bekanntgabe an einen Dritten (Abs. 2) beziehen sich auf Tatsachen, während sich das Aufbewahren und das Zugänglichmachen an einen Dritten (Abs. 3) auf Aufnahmen beziehen.
a. Auswerten von Tatsachen (Abs. 2)
32 Wie der französische Gesetzestext («tire profit») besser zu erkennen gibt, bedeutet «auswerten», dass die Tatperson die Tatsachen zu ihrem Vorteil benutzt.
b. Bekanntgabe von Tatsachen an eine Drittperson (Abs. 2)
33 Die zweite Tatvariante des Abs. 2 liegt vor, wenn die Tatsache an eine Person weitergegeben wird, die weder Tatperson noch betroffene Person ist,
c. Aufbewahren von Aufnahmen (Abs. 3)
34 Das Aufbewahren bezieht sich auf die Bild- oder Videoaufnahmen, welche die geschützten Bereiche abbilden. Die Aufnahmen befinden sich hierbei auf irgendeinem körperlichen Gegenstand.
d. Zugänglichmachen von Aufnahmen an eine Drittperson (Abs. 3)
35 Die Aufnahme wird einer Drittperson zugänglich gemacht, wenn sie dieser gezeigt, vorgespielt oder im Original oder als Kopie übergeben bzw. gesendet wird.
3. Tatobjekt
36 Das Tatobjekt sind Tatsachen (Abs. 2, zur Definition siehe N. 17) oder Aufnahmen (Abs. 3, zur Definition vgl. N. 10, N. 14), die auf eine strafbare Handlung gemäss Abs. 1 zurückzuführen sind. Der Tatbestand muss hierbei vorsätzlich und ohne Rechtfertigung erfüllt worden sein,
37 Das Tatobjekt weist zwei Gesetzeslücken auf, die mit Blick auf das geschützte Rechtsgut (N. 2) nur schwer nachvollziehbar sind:
B. Subjektiver Tatbestand
38 Im subjektiven Tatbestand ist (Eventual-)Vorsatz erforderlich.
VI. Rechtfertigungsgründe
39 Die Strafbestimmung kann mit den üblichen Rechtfertigungsgründen gerechtfertigt werden. Im Tatbestand ausdrücklich erwähnt ist die Einwilligung. Es kann offengelassen werden, ob es sich hierbei um ein tatbestandsausschliessendes Einverständnis
40 Die Differenzierung zwischen Extranei und Intranei (hierzu N. 7 f.) ist von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung der Frage, ob eine Einwilligung vorliegt oder nicht. Bei Extranei liegt in aller Regel von vornherein keine Einwilligung der betroffenen Person vor. Allerdings bemerkt letztere die Tathandlung in der Regel auch gar nicht, da das Verhalten versteckt bzw. heimlich vorgenommen wird. Eine Tathandlung gemäss Abs. 1 wird häufig erst bemerkt, nachdem bereits eine Anschlusshandlung gemäss Abs. 2 stattgefunden hat. Dies trifft ebenfalls auf versteckte Aufnahmen von Intranei zu. Bei offenen Aufnahmen von Intranei wird in sehr vielen Fällen eine Rechtfertigung durch (konkludente) Einwilligung vorliegen.
41 Der Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen kann in Fällen von Art. 179quater StGB als Rechtfertigung dienen, da sich Aufnahmen aus geschützten Bereichen regelmässig dazu eignen, berechtigte Interessen durchzusetzen, insbesondere wenn durch sie offengelegt wird, dass jemand rechtswidriges Verhalten an den Tag legt.
VII. Antrag und Sanktion
42 Art. 179quater StGB ist ein Antragsdelikt, weil «der Verletzte nicht immer ein Interesse daran hat, dass über seine persönlichen Dinge Akten oder Dossiers angelegt werden, dass sie noch bekannter werden durch [das] Verfahren»
43 Als Sanktion sieht das Gesetz die Vergehensstrafe (Art. 10 Abs. 2 StGB) von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Die Richterin oder der Richter kann ferner die Einziehung oder Löschung der illegalen Aufnahmen anordnen (Art. 69 StGB).
VIII. Konkurrenzen
44 Wer Tatsachen aus dem geschützten Bereich beobachtet und dabei aufnimmt, erfüllt Art. 179quater Abs. 1 StGB nur einmal.
45 Wenn bei einer Bildaufnahme nach Art. 179quater Abs. 1 StGB zugleich ein nichtöffentliches Gespräch nach Art. 179bis Abs. 1 StGB (Abhören und Aufnehmen fremder Gespräche) bzw. Art. 179ter Abs. 1 StGB (Unbefugtes Aufnehmen von Gesprächen) in Ton mitaufgezeichnet wird, stehen die beiden Delikte in echter Konkurrenz zueinander, da die Art. 179bis f. StGB mit der Unbefangenheit von mündlichen Äusserungen und der Vertraulichkeit des Gesprächs einen anderen Teilbereich des Geheim- und Privatbereichs schützen als Art. 179quater StGB.
46 Wer Tatsachen aus dem geschützten Bereich ohne Einwilligung der betroffenen Person aufnimmt und diese Aufnahmen an Dritte weitergibt, erfüllt gegebenenfalls auch den Tatbestand des Art. 197a StGB (Weiterleiten sexueller Inhalte), sofern die Aufnahmen sexueller Natur sind. Es liegen in diesem Fall drei Tatbestände vor, die alle in echter Konkurrenz
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