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Kommentierung zu
Art. 322quater StGB

Eine Kommentierung von Loris Baumgartner / Marco Hurni

Herausgegeben von Marianne Johanna Lehmkuhl / Jan Wenk

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I. Vorbemerkungen

1 Die passive Amtsträgerbestechung ist der spiegelbildliche Tatbestand zur aktiven Amtsträgerbestechung und stellt den Amtsträger unter Strafe, welcher im Gegenzug für eine pflichtwidrige oder im Ermessen stehende Amtshandlung einen ungebührlichen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt.

II. Geschütztes Rechtsgut

2 Das geschützte Rechtsgut ist identisch mit demjenigen der aktiven Amtsträgerbestechung (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 1 ff.).

III. Täterschaft

3 Täter der passiven Amtsträgerbestechung ist der Amtsträger (vgl. die Auflistung bei OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 10 ff.). Der passiven Amtsträgerbestechung kann sich nur strafbar machen, wer ein Amt innehat. Bei Art. 322quater StGB handelt es sich folglich um ein Sonderdelikt.

4 Im Rahmen der subsidiären Unternehmensstrafbarkeit ist es theoretisch denkbar, dass sich auch ein Unternehmen der passiven Amtsträgerbestechung im Sinne von Art. 102 Abs. 1 StGB strafbar machen kann, namentlich dann, wenn es sich dabei um staatliche oder gemischtwirtschaftliche Unternehmen handelt.

Entscheidend für die Qualifikation als staatliches oder gemischtwirtschaftliches Unternehmen ist es, dass das Gemeinwesen die Kontrolle über das Unternehmen ausübt und das Unternehmen eine öffentliche Funktion wahrnimmt.
Als Beispiele ist unter anderem an öffentlich-rechtliche Anstalten wie die SUVA
oder spezialgesetzliche Gesellschaften wie die Schweizerische Bundesbahnen SBB,
Die Schweizerische Post AG
, Swisscom AG
oder obligationenrechtliche Aktiengesellschaften, in welchen das Gemeinwesen die Gesellschaft kontrolliert, wie bspw. die Flughafen Zürich AG, zu denken.
Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichts dürften hingegen die Kantonalbanken, trotz spezialgesetzlicher Grundlage, nicht als Staatsunternehmen gelten.

5 Selbstverständlich sind in einem solchen Fall die (strengen) Voraussetzungen der subsidiären Unternehmensstrafbarkeit gemäss Art. 102 Abs. 1 StGB zu prüfen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn eine natürliche Person bei der Verrichtung geschäftlicher Tätigkeiten im Rahmen des Unternehmenszwecks für das Staatsunternehmen ein Delikt begeht und aufgrund eines Organisationsmangels die Zurechnung dieses Deliktes bzw. der Tathandlung oder -unterlassung zu einer konkreten natürlichen Person nicht möglich ist.

Die Anwendung der subsidiären Unternehmensstrafbarkeit ist theoretisch also auch für die passive Amtsträgerbestechung gemäss Art. 322quater StGB denkbar. Praktisch hingegen dürfte die subsidiäre Unternehmensstrafbarkeit kaum je zur Anwendung gelangen, da die Anforderungen an den Nachweis der Deliktsbegehung durch eine (unbekannte) natürliche Person als objektive Strafbarkeitsbedingung für die Strafverfolgungsbehörden faktisch unmöglich zu beweisen sind.

IV. Ungebührlicher Vorteil

6 Der Begriff des ungebührlichen Vorteils entspricht demjenigen der aktiven Amtsträgerbestechung (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 21 ff.).

V. Tathandlung

7 Die Tathandlung besteht im Fordern, Sich versprechen Lassen oder im Annehmen des nicht gebührlichen Vorteils durch den Amtsträger.

8 Das Fordern ist eine einseitige Willenserklärung des Amtsträgers, wonach dieser den Bestechenden zur Leistung eines ungebührlichen Vorteils auffordert.

Die Mitteilung einer solchen Aufforderung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen.
Das Delikt ist vollendet, sobald die Forderung den Empfänger erreicht hat.
Ein Versuch kann folglich nur dann vorliegen, wenn der Amtsträger die Aufforderung an den Empfänger versandt hat, diese den Empfänger jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht erreicht bzw. nicht in dessen Zugangsbereich gelangt (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 39 ff.).

9 Unter der Tathandlung des Sich versprechen Lassens versteht man die ausdrückliche oder konkludente Annahme eines Bestechungsangebots.

Der ungebührliche Vorteil wird zu einem späteren Zeitpunkt geleistet.

10 Die Tathandlung der Annahme eines ungebührlichen Vorteils liegt dann vor, wenn der Amtsträger den ungebührlichen Vorteil entgegen genommen hat.

Denkbar ist die Situation, dass der Amtsträger erst nach der Annahme realisiert, dass es sich um einen ungebührlichen Vorteil handelt. In einer solchen Situation wird in der Lehre die Ansicht vertreten, dass das Tatbestandsmerkmal der Annahme eines ungebührlichen Vorteils erfüllt ist, sofern der Beamte daraus einen Nutzen zieht.
Der hier vertretenen Meinung nach, handelt es sich bei sämtlichen Bestechungsdelikten um Kommunikationsdelikte (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter StGB N. 39). Mit der Annahme eines ungebührlichen Vorteils ist die Tat vollendet. Entsprechend muss es der hier vertretenen Ansicht nach bereits ausreichen, dass die bestochene Person subjektiv einen Nutzen aus dem ungebührlichen Vorteil ziehen will oder die bestochene Person subjektiv davon ausgeht, dass er einen Nutzen aus dem ungebührlichen Vorteil ziehen kann, auch wenn dies objektiv gar nicht möglich ist. Dies ist folglich der Fall, wenn der Amtsträger den Charakter der Leistung als ungebührlichen Vorteil erkennt und diesen daraufhin weder zurück- noch an die Amtsleitung abgibt, sondern gestützt darauf beabsichtigt, in der Folge eine pflichtwidrige Amtshandlung zu vollziehen. Sollte der Amtsträger jedoch weiterhin von der Zulässigkeit der Annahme des Vorteils überzeugt sein, so ist ein solcher Sachverhalt nach den Regeln des Sachverhaltsirrtums gemäss Art. 13 StGB zu prüfen.

VI. Gegenleistung

11 Die Tatbestandsmerkmale der pflichtwidrigen Handlung im Zusammenhang mit der Amtstätigkeit, bzw. das Äquivalenzverhältnis, entsprechen denjenigen der aktiven Amtsträgerbestechung (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 42 ff.).

VII. Subjektiver Tatbestand

12 In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz ausreicht.

Denkbar ist Eventualvorsatz bspw. in denjenigen Fällen, in welchen der Amtsträger die Bestechungsofferte bzw. die Bestechungsbereitschaft an die bestechende Person in einem Gespräch nur beiläufig äussert, der Amtsträger es aber in Kauf nimmt, dass die bestechende Person diese Äusserungen wahrnimmt. Ob der Amtsträger eine Absicht aufweist, sich tatsächlich vom ungebührlichen Vorteil beeinflussen zu lassen, spielt keine Rolle,
da eine tatsächliche Ausführung der pflichtwidrigen Handlung für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale nicht notwendig ist (vgl. N. 6 ff.).

VIII. Konkurrenzen

13 Vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 56 zum Verhältnis zu Art. 322quater.

14 Art. 322sexies wird als Auffangtatbestand durch Art. 322quater verdrängt.

15 Bezüglich der strafbaren Handlungen gegen die Amts- und Berufspflicht besteht aufgrund der unterschiedlichen geschützten Rechtsgüter eine echte Konkurrenz (vgl. OK-Baumgartner/Hurni, Art. 322ter N. 56).

16 Das Verhältnis zwischen Art. 168 Abs. 3 und Art. 322quater ist umstritten

, wobei grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass Art. 322quater aufgrund der höheren Strafdrohung vorgeht.

Literaturverzeichnis

Balmelli Marco, Die Bestechungstatbestände des schweizerischen Strafgesetzbuches, Bern 1996.

Hilti Martin, Kommentierung zu Art. 322quater StGB, in: Graf Damian K. (Hrsg.), Annotierter Kommentar StGB, Bern 2020.

Isenring Bernhard, Kommentierung zu Art. 322quater StGB, in: Donatsch Andreas (Hrsg.), Orell Füssli Kommentar, StGB, 21. Aufl., Zürich 2022.

Jositsch Daniel, Das Schweizerische Korruptionsstrafrecht, Zürich 2004.

Kaiser Rolf, Die Bestechung von Beamten unter Berücksichtigung des Vorentwurfs zur Revision des schweizerischen Korruptionsstrafrechts, Zürich 1999.

Niggli Marcel Alexander/Mäder Stefan, Unternehmensstrafrecht, in: Ackermann Jürg (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl., Bern 2021, S. 195-238.

Pieth Mark, Kommentierung zu Art. 322quater StGB, in: Niggli Marcel Alexander/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar, StGB II, 4. Aufl., Basel 2019.

Pieth Mark, Korruptionsstrafrecht, in: Ackermann Jürg (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht der Schweiz, 2. Aufl., Bern 2021, S. 803-846 (zit. Pieth, Wirtschaftsstrafrecht).

Weber Daniel S./Baumgartner Loris, Zur Schutznormqualität von Art. 102 Abs. 2 StGB, AJP 2023, S. 437-445.

Fussnoten

  • BGer 6B_986/2017 vom 26.2.2018 E. 4.2; BGer 6B_391/2017 vom 11.1.2018 E. 5.2; BSK-Pieth, Art. 322quater StGB N. 1.
  • BSK-Pieth, Art. 322quater StGB N. 1.
  • Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, § 22 N 30 m.w.H.
  • Pieth, Wirtschaftsstrafrecht, § 22 N 30.
  • BGE 135 IV 198 E. 3.4.1.
  • Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Schweizerischen Bundesbahnen vom 20.3.1998 (SR 742.31).
  • Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Schweizerischen Post vom 17.12.2010 (SR 783.1).
  • Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Organisation der Telekommunikationsunternehmung des Bundes vom 30.4.1997 (SR 784.11).
  • Vgl. bspw. Art. 21 Abs. 4 der aktuell gültigen Statuten der Flughafen Zürich AG vom 24.4.2023, wonach dem Kanton Zürich das Recht zusteht, drei von sieben oder acht bzw. vier von neun Sitzen des Verwaltungsrates mit seinen Vertretern zu besetzen.
  • BGer 6B_539/2014 vom 14.7.2015 E. 2.2; BStGer SK.2013.32 vom 4.2.2014 E. 9; BStGer SK.2015.24 vom 30.1.2017 E. 4; dazu krit. BSK-Pieth, Art. 322ter StGB N 13a.
  • Anstatt vieler: Weber/Baumgartner, S. 441.
  • BGE 142 IV 333 E. 4.1 (Postfinance-Entscheid); in der Sache zustimmend: Niggli/Mäder, § 8 N 26 ff. Im Ergebnis muss festgestellt werden, dass eine natürliche Person das Delikt innerhalb des Unternehmens begangen hat, ohne jedoch zu identifizieren, welche Person konkret das Delikt begangen hat.
  • BSK-Pieth, Art. 322quater StGB N. 4; AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 9.
  • AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 9.
  • Balmelli, S. 153; Jositsch, S. 344.
  • Jositsch, S. 344; BSK-Pieth, Art. 322quater StGB N. 5.
  • BGE 135 IV 198 E. 3.2; BGer 6B_988/2017 vom 26.2.2018 E. 1.3.2.
  • Jositsch, S. 344; AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 9; BGE 135 IV 198 E. 3.2.
  • Balmelli, S. 155; Kaiser, S. 170; siehe auch BSK-Pieth, Art. 322quater StGB N. 6.
  • BGer 6B_988/2017 vom 26.2.2018 E. 1.3.2.
  • BGE 118 IV 309 E. 2a; BStGer SK.2009.15 vom 12.5.2010 E. 4.2.
  • BStGer SK.2009.15 vom 12.5.2010 und 24.9.2010 E. 4.11; AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 15.
  • Vgl. auch die Rechtsprechung in AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 15.
  • AK-Hilti, Art. 322quater StGB N. 16 mit Verweis auf weitere Autorenmeinungen; OFK-Isenring, Art. 322quater StGB N. 8.

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