Eine Kommentierung von Tous les auteur-es du commentaire de la LTBC
Herausgegeben von Anais Bayrou / Antoinette Maget Dominicé
Einleitung
Der Kommentar zum Bundesgesetz über den internationalen Transfer von Kulturgütern ist das Ergebnis einer Gruppenarbeit von zehn Masterstudierenden der Rechtswissenschaften der Universität Genf. Die Recherchen und die Ausarbeitung erfolgten im akademischen Jahr 2024–2025 im Rahmen der Rechtsklinik für Kulturgüterrecht der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und unter Begleitung des Universitätszentrums für Kunstrecht. Die Einleitung wurde von Laurence Amsalem, Esther Boccia, Camille Bögli, Xinyin Hu, Selly Lagun, Margaux Rod, Lisa Salama, Vincent Tschannen, Audrey Tschiffeli und Eliane Vasseur verfasst.
1 Mit der Gründung des modernen Bundesstaates im Jahr 1848 wurde die Souveränität der Schweizer Kantone in den ausdrücklich in der Bundesverfassung vorgesehenen Bereichen eingeschränkt, insbesondere im kulturellen Bereich in den Artikeln 3, 69 und 78 BV. Dieses föderalistische Modell, das im Gegensatz zu einem zentralistischen Staatsmodell steht, hatte ambivalente Auswirkungen auf die Herausbildung einer nationalen Identität im Bereich des Kulturerbes. Einerseits ermöglichte es jedem Kanton, seine eigene Kultur zu bewahren, andererseits bremste es die Entwicklung einer kohärenten Politik im Bereich des Kulturerbes auf Bundesebene. Lange Zeit war die einzige Bundesvorschrift zum Schutz von Kulturgütern Artikel 724 des Zivilgesetzbuches, der 1912 in Kraft trat und vorsah, dass zufällig gefundene archäologische Gegenstände in das Eigentum des Kantons übergehen. Abgesehen von dieser Norm gab es keinen spezifischen Rechtsrahmen für die Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern in die Schweiz.
2 Angesichts dieser fehlenden Regulierung in einem Land, das an der Schnittstelle Europas liegt und von mächtigen Kultur- und Finanzmärkten umgeben ist, entstand ein fruchtbarer Boden für die Entwicklung eines kaum kontrollierten internationalen Kunsthandels. Hinzu kam ein allgemeines Klima der Deregulierung in mehreren Bereichen sowie der Druck mächtiger Finanzlobbys: So wurde die Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer wichtigen Drehscheibe für den illegalen Handel mit Kulturgütern. Diese alarmierende Feststellung sowie zahlreiche internationale Kritikpunkte führten zu einer Infragestellung des Status quo.
3 Zwei wichtige internationale Übereinkommen prägten dieses Bewusstsein: das UNESCO-Übereinkommen vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unrechtmässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (SR 0.444.1; im Folgenden: UNESCO-Übereinkommen von 1970) und das UNIDROIT-Übereinkommen über gestohlene oder unrechtmässig ausgeführte Kulturgüter von 1995 (nachfolgend: UNIDROIT-Übereinkommen von 1995). Das erste Übereinkommen, das auf Initiative lateinamerikanischer Länder wie Mexiko und Peru verabschiedet wurde, zielte darauf ab, die massive Plünderung ihres Kulturerbes zu stoppen. Dieser Text, der das Ergebnis eines Kompromisses zwischen sogenannten „Quellstaaten“ und sogenannten „Marktstaaten“ ist, verwendet bewusst weit gefasste Begriffe, damit die Vertragsstaaten ihn entsprechend ihrem eigenen Rechtsrahmen umsetzen können. Da dieses UNESCO-Übereinkommen nicht direkt anwendbar ist, muss es in nationales Recht umgesetzt werden. Sie ist heute das wichtigste multilaterale Instrument zum Schutz von Kulturgütern in Friedenszeiten und wurde von 147 Staaten ratifiziert.
4 Das UNIDROIT-Übereinkommen von 1995 wird zwar als Erweiterung des UNESCO-Übereinkommens von 1970 angesehen, unterscheidet sich jedoch davon durch die Festlegung unmittelbar anwendbarer zivilrechtlicher Verpflichtungen, insbesondere im Bereich der Rückgabe. Sie sieht eine strengere und verbindlichere Regelung vor, wurde jedoch nur von 56 Staaten ratifiziert, darunter nicht die Schweiz. Dennoch haben die Grundsätze der UNESCO-Konvention den Gesetzgeber bei der Ausarbeitung des Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer (SR 444.1; nachfolgend: KGTG) beeinflusst, insbesondere hinsichtlich der Einführung der Sorgfaltspflicht im Kunsthandel. 5 Vor der Verabschiedung des KGTG gab es in der Schweiz keine LTBC), insbesondere auf die Einführung der Sorgfaltspflicht im Kunsthandel.
5 Vor der Verabschiedung des LTBC gab es in der Schweiz keine Bundesnormen für den internationalen Handel mit Kulturgütern. Rückgabeklagen waren selten, da es keine geeigneten Rechtsmechanismen zur Anerkennung ausländischer Ausfuhrvorschriften gab. Ausserdem erleichterte die kurze Frist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf zurückgeforderte gestohlene Gegenstände (Art. 934 Abs. 1 ZGB) die Geldwäscherei im Zusammenhang mit dem illegalen Handel mit Kulturgütern. Als Reaktion auf diese Mängel unterbreitete der Bundesrat der Bundesversammlung 2001 eine Botschaft zur Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens von 1970 und zur Verabschiedung eines innerstaatlichen Ausführungsgesetzes, das sich insbesondere auf die Artikel 69 Absatz 2 und 95 Absatz 1 BV stützt.
6 Das KHG, das am 1. Juni 2005 in Kraft getreten ist, ruht somit auf einer soliden verfassungsrechtlichen Grundlage und spiegelt den klaren Willen wider, die Schweiz im internationalen Rahmen der Bekämpfung des illegalen Handels mit Kulturgütern zu verankern. Dieses Gesetz wird durch Ausführungsverordnungen ergänzt: die Verordnung über den internationalen Transfer von Kulturgütern (SR 444.11; nachstehend: VKTG) von 2005 und die Verordnung über das Bundesinventar der Kulturgüter (SR 444.12; nachstehend: VIBG) von 2014. Im Jahr 2024 wurde eine Verordnung zur Schaffung einer Unabhängigen Kommission für Kulturgut mit problematischer Vergangenheit (SR 444.21; nachfolgend: KPGV) verabschiedet. Alle enthalten lediglich sekundäre Normen und dienen der Konkretisierung der Anwendung des Gesetzes, wobei sich die zweite Verordnung speziell auf die Verwaltung des in Art. 3 KGT vorgesehenen Inventars konzentriert.
7 Das KGTG hat auch eine Reihe von konkreten Massnahmen zum Schutz des Kulturguts eingeführt. Es sieht insbesondere die Erstellung eines Bundesinventars der bedeutenden Kulturgüter vor, verbunden mit Rückgabemöglichkeiten im Falle einer unrechtmässigen Ausfuhr. Bei aussergewöhnlicher Gefährdung können vorübergehende Massnahmen getroffen werden, und die Sorgfaltspflicht im Kunsthandel wird in Art. 16. Es werden Mechanismen der internationalen Zusammenarbeit geschaffen, wie bilaterale Abkommen (Art. 7), finanzielle Unterstützung (Art. 14), Rechtshilfe (Art. 22–23) sowie Kontroll- und Verwaltungs- und Strafmassnahmen. Das gesamte Instrumentarium zielt darauf ab, Verstösse zu verhindern, davon abzuschrecken und zu ahnden und gleichzeitig freiwillige Rückgaben zu fördern.
8 Im Laufe der Zeit musste das LTBC weiterentwickelt werden, insbesondere aufgrund der Reform des Zollrechts im Jahr 2005, die eine Anpassung von Abschnitt 8 der OTBC in Bezug auf Freihäfen erforderlich machte. Die Anwendung des KHSG wurde auch durch eine wegweisende Rechtsprechung geprägt: Das sogenannte «Isabelle d'Este»-Urteil des Bundesgerichts hat eine überzogene Auslegung des Gesetzes aufgezeigt, die über den Willen des Gesetzgebers hinausging. Infolge dieser Rechtsprechung hat der Bundesrat eine umfassende Revision des ZGG in Angriff genommen, um die Norm an eine ursprüngliche und fehlerhafte Auslegung anzupassen.
9 Die Einführung der Artikel 4a und 24 Absatz 1 Buchstabe cbis BGB sowie die Änderung der Artikel 2 Absatz 5 und 24 Absatz 1 Buchstaben c und d sowie Absatz 3 BGB führten zu einer Ausweitung des Sanktionsregimes und schufen neue Verpflichtungen, die über den ursprünglichen vertraglichen Rahmen hinausgingen.
10 Auch heute noch ist die Rechtsprechung zu mehreren zentralen Begriffen des KGTG begrenzt, sodass eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht. Gleichzeitig ist eine neue politische Dynamik entstanden. Im Jahr 2022 kündigte der Bundesrat die Schaffung einer unabhängigen Kommission für Kulturgüter mit problematischer Vergangenheit an, die vom Parlament im März 2025 genehmigt wurde. Die Kulturbotschaft 2025–2028 bestätigt diese Ausrichtung und betont zudem die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Ländern der Subsahara-Region. Um diese Politik zu flankieren, wurden mehrere Gesetzesänderungen von den Kammern verabschiedet, die in der zweiten Hälfte des Jahres 2025 in Kraft treten sollen: Die Bestimmungen eines neuen Artikels 2bis sollen eine Definition des Begriffs «Erbe mit problematischer Vergangenheit» liefern, während der Anwendungsbereich von Artikel 14 erweitert wird, um eine Forschungsplattform zu schaffen. Ein Artikel 18a wird die Rechtsgrundlage für die unabhängige Kommission bilden.
11 Trotz dieser Fortschritte gibt es weiterhin Kritik an der Kohärenz und der praktischen Umsetzung des KHG. Das Schweizer Gesetz hat vor allem eine abschreckende und anreizende Wirkung und weniger eine repressive, wie insbesondere aus dem periodischen Bericht der Schweiz an die UNESCO für den Zeitraum 2019–2022 hervorgeht. Es hat freiwillige Rückgaben erleichtert, bleibt aber teilweise vom guten Willen aller Akteure des Sektors abhängig. Um seine volle Wirksamkeit zu entfalten, sollte das Instrumentarium gestärkt und präzisiert werden, insbesondere durch eine bessere Verzahnung von innerstaatlichem Recht und internationalen Verpflichtungen.
Der Kommentar zum Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer wird unterstützt durch:
Literaturverzeichnis
Boillat Marie, Trafic illicite de biens culturels et coopération judiciaire internationale en matière pénale, Genève 2012.
O’Keefe Patrick J., Commentary on the UNESCO 1970 Convention on the means of prohibiting and preventing the illicit import, export and transfer of ownership of cultural property, 2e éd., Leicester 2007.
Renold Marc-André/Contel Raphael, Rapport national - Suisse, in: Cornu, Marie (éd.), Protection de la propriété culturelle et circulation des biens culturels - Étude de droit comparé Europe/Asie, Paris 2008, p. 323–428.
Torggler Barbara/Abakova Margarita/Rubin Anna/Vrdoljak Ana Filipa, Evaluation of UNESCO’s Standard-setting Work of the Culture Sector Part II – 1970 Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property, Final Report, Paris 2014, IOS/EVS/PI/133 REV.
Materialienverzeichnis
Message du Conseil fédéral relatif à la Convention de l’UNESCO de 1970 et à la loi fédérale sur le transfert international des biens culturels (LTBC), 21.11.2001, FF 2002 505 (cité : Message 2001)
Message du Conseil fédéral concernant l’encouragement de la culture pour la période 2021 à 2024, du 26.02.2020, FF 2020 3037 (cité : Message culture 2021-2024)
Message du Conseil fédéral concernant l’encouragement de la culture pour la période 2025-2028, du 1.03.2024, FF 2020 3037 (cité : Message culture 2025-2028)
Office fédéral de la culture, Rapport périodique national 2023 sur la mise en œuvre de la Convention concernant les mesures à prendre pour interdire et empêcher l’importation, l’exportation et le transfert de propriété illicite des biens culturels, Suisse, période de référence 2019-2022 (cité : Rapport périodique de la Suisse à l’UNESCO 2019-2022)
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