-
- Art. 11 OR
- Art. 12 OR
- Art. 50 OR
- Art. 51 OR
- Art. 84 OR
- Art. 143 OR
- Art. 144 OR
- Art. 145 OR
- Art. 146 OR
- Art. 147 OR
- Art. 148 OR
- Art. 149 OR
- Art. 150 OR
- Art. 701 OR
- Art. 715 OR
- Art. 715a OR
- Art. 734f OR
- Art. 785 OR
- Art. 786 OR
- Art. 787 OR
- Art. 788 OR
- Art. 808c OR
- Übergangsbestimmungen zur Aktienrechtsrevision vom 19. Juni 2020
-
- Art. 2 BPR
- Art. 3 BPR
- Art. 4 BPR
- Art. 6 BPR
- Art. 10 BPR
- Art. 10a BPR
- Art. 11 BPR
- Art. 12 BPR
- Art. 13 BPR
- Art. 14 BPR
- Art. 15 BPR
- Art. 16 BPR
- Art. 17 BPR
- Art. 19 BPR
- Art. 20 BPR
- Art. 21 BPR
- Art. 22 BPR
- Art. 23 BPR
- Art. 24 BPR
- Art. 25 BPR
- Art. 26 BPR
- Art. 27 BPR
- Art. 29 BPR
- Art. 30 BPR
- Art. 31 BPR
- Art. 32 BPR
- Art. 32a BPR
- Art. 33 BPR
- Art. 34 BPR
- Art. 35 BPR
- Art. 36 BPR
- Art. 37 BPR
- Art. 38 BPR
- Art. 39 BPR
- Art. 40 BPR
- Art. 41 BPR
- Art. 42 BPR
- Art. 43 BPR
- Art. 44 BPR
- Art. 45 BPR
- Art. 46 BPR
- Art. 47 BPR
- Art. 48 BPR
- Art. 49 BPR
- Art. 50 BPR
- Art. 51 BPR
- Art. 52 BPR
- Art. 53 BPR
- Art. 54 BPR
- Art. 55 BPR
- Art. 56 BPR
- Art. 57 BPR
- Art. 58 BPR
- Art. 59a BPR
- Art. 59b BPR
- Art. 59c BPR
- Art. 62 BPR
- Art. 63 BPR
- Art. 67 BPR
- Art. 67a BPR
- Art. 67b BPR
- Art. 75 BPR
- Art. 75a BPR
- Art. 76 BPR
- Art. 76a BPR
- Art. 90 BPR
-
- Vorb. zu Art. 1 DSG
- Art. 1 DSG
- Art. 2 DSG
- Art. 3 DSG
- Art. 5 lit. f und g DSG
- Art. 6 Abs. 6 und 7 DSG
- Art. 7 DSG
- Art. 10 DSG
- Art. 11 DSG
- Art. 12 DSG
- Art. 14 DSG
- Art. 15 DSG
- Art. 19 DSG
- Art. 20 DSG
- Art. 22 DSG
- Art. 23 DSG
- Art. 25 DSG
- Art. 26 DSG
- Art. 27 DSG
- Art. 31 Abs. 2 lit. e DSG
- Art. 33 DSG
- Art. 34 DSG
- Art. 35 DSG
- Art. 38 DSG
- Art. 39 DSG
- Art. 40 DSG
- Art. 41 DSG
- Art. 42 DSG
- Art. 43 DSG
- Art. 44 DSG
- Art. 44a DSG
- Art. 45 DSG
- Art. 46 DSG
- Art. 47 DSG
- Art. 47a DSG
- Art. 48 DSG
- Art. 49 DSG
- Art. 50 DSG
- Art. 51 DSG
- Art. 54 DSG
- Art. 57 DSG
- Art. 58 DSG
- Art. 60 DSG
- Art. 61 DSG
- Art. 62 DSG
- Art. 63 DSG
- Art. 64 DSG
- Art. 65 DSG
- Art. 66 DSG
- Art. 67 DSG
- Art. 69 DSG
- Art. 72 DSG
- Art. 72a DSG
-
- Art. 2 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 3 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 4 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 5 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 6 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 7 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 8 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 9 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 11 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 12 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 25 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 29 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 32 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 33 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
- Art. 34 CCC (Übereinkommen über die Cyberkriminalität [Cybercrime Convention])
BUNDESVERFASSUNG
OBLIGATIONENRECHT
BUNDESGESETZ ÜBER DAS INTERNATIONALE PRIVATRECHT
LUGANO-ÜBEREINKOMMEN
STRAFPROZESSORDNUNG
ZIVILPROZESSORDNUNG
BUNDESGESETZ ÜBER DIE POLITISCHEN RECHTE
ZIVILGESETZBUCH
BUNDESGESETZ ÜBER KARTELLE UND ANDERE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNGEN
BUNDESGESETZ ÜBER INTERNATIONALE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN
DATENSCHUTZGESETZ
BUNDESGESETZ ÜBER SCHULDBETREIBUNG UND KONKURS
SCHWEIZERISCHES STRAFGESETZBUCH
CYBERCRIME CONVENTION
HANDELSREGISTERVERORDNUNG
- I. Entstehungsgeschichte
- II. Kontext
- III. Gewährleistung der Versammlungsfreiheit
- IV. Zukunft der Versammlungsfreiheit
- Weitere empfohlene Lektüre
- Literaturverzeichnis
I. Entstehungsgeschichte
1 Die Versammlungsfreiheit gehörte nicht zu den wenigen Grundrechtsgarantien, welche explizit in den Bundesverfassungen von 1848 und 1874 verankert waren.
2 Versammlungen mit dem Zweck, ein ideelles Anliegen gegenüber der Öffentlichkeit zu äussern,
II. Kontext
A. Begriff der Versammlung
3 Eine Versammlung umfasst begriffsnotwendig mehr als eine Person.
4 Zeitlich ist die Versammlung begrenzt, wobei die exakte Dauer allerdings unerheblich ist.
5 Ebenso flexibel ist die räumliche Ausdehnung – Versammlungen können auf privatem oder öffentlichem Grund erfolgen und statisch oder in Bewegung sein.
6 In der Sache dient eine Versammlung «einem weit verstandenen gegenseitig meinungsbildenden oder meinungsäussernden Zweck».
B. Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht
7 Versammlungen können nach dem Gesagten ganz unterschiedlichen Zwecken dienen, wobei die Versammlungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht primär auf die kollektive Meinungsbildung und -kundgabe gerichtet ist.
8 Gerade für Minderheiten kann eine Versammlung eines der wenigen Mittel darstellen, um die Mehrheitsgesellschaft direkt oder über die mediale Berichterstattung auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
III. Gewährleistung der Versammlungsfreiheit
A. Verankerung
9 Art. 22 BV garantiert nach dem Gesagten die Versammlungsfreiheit in einer allgemeinen Weise (Abs. 1), wobei einzelne Aspekte dieser Freiheit explizit genannt werden (Abs. 2).
10 Da der zweite Absatz das Recht, «Versammlungen fernzubleiben», ebenso nennt, wie das Recht, an Versammlungen teilzunehmen, wird schon aus dem Wortlaut klar, dass das Grundrecht aus Art. 22 BV eine positive Freiheit und eine negative Freiheit umfasst.
11 Darin zeigt sich eine Parallele zur völkerrechtlichen Verankerung der Versammlungsfreiheit. Diese wird auch durch Art. 11 EMRK und Art. 21 UNO-Pakt II garantiert. Grundsätzlich gehen diese Garantien als speziellere Grundrechte der Meinungsfreiheit vor, wie sie in Art. 10 EMRK und Art. 19 UNO-Pakt II verankert ist.
12 In der Praxis weniger beachtet wurden bis jetzt die speziellen Garantien der Versammlungsfreiheit in Art. 5 lit. d Ziff. ix des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (RDÜ) und Art. 15 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (KRK). Dies, obwohl die Schweiz sowohl für das RDÜ als auch für die KRK den jeweiligen Individualbeschwerdemechanismus anerkennt.
B. Grundrechtliche Ansprüche
1. Grundrechtsberechtigte
13 Sämtliche natürlichen Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und einem allenfalls bestehenden Sonderstatusverhältnis, können sich auf die Versammlungsfreiheit berufen.
14 Dasselbe gilt für spontane Organisationskomitees und juristische Personen, wenn sie Veranstalter einer Versammlung sind.
15 Nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen können sich die Behörden, insbesondere nicht ausländische Staatsorgane, die eine Veranstaltung in der Schweiz vor ihren Auslandsbürgerinnen und -bürgern abhalten möchten.
2. Sachlicher Schutzbereich im Allgemeinen
16 Versammlungen dienen einem weit verstandenen meinungsbildenden oder -äussernden Ziel.
17 Hingegen darf die Gewaltausübung nicht der Zweck einer grundrechtlich geschützten Versammlung sein, wie Art. 11 EMRK und Art. 21 UNO-Pakt II zum Ausdruck bringen, indem sie nur das Recht, sich «friedlich» zu versammeln, schützen.
18 Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit kann zudem durch Art. 17 EMRK und Art. 5 UNO-Pakt II konturiert sein.
19 Schliesslich können Fälle der Grundrechtskonkurrenz die Anwendbarkeit von Art. 22 BV beeinflussen.
20 Unechte Grundrechtskonkurrenz besteht insbesondere zur Wirtschaftsfreiheit i.S.v. Art. 27 BV.
3. Abwehransprüche gegen den Staat im Besonderen
21 Die Versammlungsfreiheit ist ein Freiheitsrecht und vermittelt den Grundrechtsberechtigten deshalb primär Abwehransprüche.
22 Den Teilnehmenden einer Versammlung steht es frei, Formen und Mittel ihrer Kommunikation zu wählen: Möglich ist ein Ausdruck in Wort, Schrift, Bild oder rein symbolisch – etwa in einem Sitzstreik oder einem Schweigemarsch – aber auch der Einsatz von Lautsprecheranlagen.
23 Die durch eine Versammlung kommunizierten Inhalte können auf Widerstand stossen und ihrerseits eine dagegen gerichtete zweite Versammlung provozieren – etwa eine Gegendemonstration.
4. Ansprüche auf ein staatliches Tun im Besonderen
24 Neben ihrer negativen Funktion fliessen aus der Versammlungsfreiheit auch positive staatliche Handlungspflichten.
a. Ort der Versammlung
25 Unter die positiven Pflichten subsumiert die Lehre insbesondere, dass der öffentliche Raum zum Zweck von Versammlungen genutzt werden darf, auch wenn dies regelmässig gesteigerten Gemeingebrauch darstellt, d.h., die gleichartige Nutzung durch Dritte einschränkt.
26 In jedem Fall ist aber zu berücksichtigen, dass der zur Verfügung stehende Ort «dem Publizitätsbedürfnis der Veranstalter» Rechnung trägt.
27 Der dargestellte grundrechtliche Anspruch wird gemeinhin als bedingter Leistungsanspruch auf Nutzung des öffentlichen Grunds bezeichnet.
28 Die Bedingtheit dieses Leistungsanspruchs ergibt sich gemäss höchstrichterlicher Praxis aus drei Elementen: Erstens bezieht sich der grundrechtliche Anspruch nur auf bestehende Infrastruktur. Es gibt keinen Anspruch darauf, dass der Staat neue Einrichtungen schafft. Zweitens gibt es grundsätzlich kein Recht auf Nutzung eines bestimmten Orts zu einer bestimmten Zeit. Schliesslich, drittens, muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, wenn der öffentliche Raum in gesteigerter Form genutzt wird.
b. Teilnehmende einer Versammlung
29 Weiter ist der Staat verpflichtet, «durch geeignete Massnahmen wie etwa durch Gewährung eines ausreichenden Polizeischutzes dafür zu sorgen, dass öffentliche Kundgebungen tatsächlich stattfinden können und nicht durch gegnerische Kreise gestört oder verhindert werden».
30 Die Konfrontation mit anderen – möglicherweise provozierenden und für die grosse Mehrheit der Gesellschaft absonderlichen – Ansichten kann demnach nicht nur für die Behörden, sondern auch für private Dritte beschwerlich sein. Die heftige Ablehnung einer geäusserten Meinung rechtfertigt aber selbstverständlich nicht, zum Mittel der Gewalt zu greifen oder sich sonst als «Diskurspolizei» zu gebärden.
31 Wo es trotz staatlichem Schutz zu Gewalttätigkeiten gegen eine Versammlung kommt, sind die Behörden verpflichtet, diese zu untersuchen und die Verantwortlichen gegebenenfalls zu bestrafen.
32 Zusätzliche Schutzansprüche können sich ergeben, wenn sich Teilnehmende einer Versammlung neben der Versammlungsfreiheit noch auf weitere Grundrechte berufen können. Dies gilt etwa bei Personen, die aufgrund einer körperlichen Behinderung besonders vulnerabel sind (Art. 8 Abs. 4 BV; Art. 1 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [BehiK]).
C. Einschränkbarkeit der Versammlungsfreiheit
33 Den Kommunikationsgrundrechten ist gemein, dass sie nicht nur eine individual-rechtliche, sondern auch eine demokratisch-funktionale Bedeutung haben.
34 Gleichwohl kann die Versammlungsfreiheit als klassisches Freiheitsrecht nach Art. 36 BV eingeschränkt werden.
1. Unmittelbare Einschränkung der Versammlungsfreiheit
35 Die umfangreiche Rechtsprechung zur Versammlungsfreiheit zeigt, dass deren Einschränkung in ganz unterschiedlicher Gestalt auftreten kann.
36 Es ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen, ob diese Einschränkungen als schwerwiegend zu qualifizieren sind.
37 Besonders schwerwiegende Einschränkungen sind das präventive Verbot und die repressive Auflösung einer Versammlung, da mit diesen Massnahmen die Grundrechtsausübung komplett untersagt respektive beendet wird.
38 Allerdings sind nicht nur Versammlungen, die sich an die Öffentlichkeit richten, besonders geschützt. Dies gilt auch für Versammlungen im privaten Rahmen; sie können nur aus schwerwiegenden Gründen eingeschränkt werden.
39 Ebenfalls als schwerwiegende Einschränkung zu qualifizieren ist m.E. ein allgemeines Verbot von Versammlungen durch Festlegung einer «Bannmeile».
40 Darüber hinaus hat das Bundesgericht in einer ganzen Reihe von Urteilen, welche in die amtliche Sammlung aufgenommen wurden, Beschränkungen der Personenzahl von Versammlungen während der Corona-Pandemie als schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen bezeichnet.
41 Schliesslich sind Sanktionen im Nachgang zu einer Versammlung in der Regel als schwerwiegende Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu betrachten.
2. Mittelbare Einschränkung der Versammlungsfreiheit
42 Neben den erwähnten direkt grundrechtsbeschränkenden Massnahmen sind auch mittelbare Beeinträchtigungen der Grundrechte möglich.
43 Die Lehre vertritt dies insbesondere für das flächendeckende Observieren und Registrieren der Teilnehmenden einer Versammlung.
44 Zudem hat das Bundesgericht anerkannt, dass die Überwälzung von Kosten, die aufgrund eines durch die Versammlung ausgelösten Polizeieinsatzes entstanden sind, einen chilling effect haben kann.
45 In vergleichbarer Weise wie die Kosten kann eine Strafverfolgung im Nachgang zu einer Versammlung geeignet sein, einen chilling effect zu entfalten, wie der EGMR wiederholt festgehalten hat.
46 Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass auch ein mangelnder Schutz von Demonstrationen für künftige Kundgebungen eine Furcht vor Störungen erzeugen und damit eine Abschreckungswirkung entfalten kann.
3. Rechtfertigung von Einschränkungen
a. Gesetzliche Grundlage
47 Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 BV bedürfen schwerwiegende Einschränkungen einer Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinn, während weniger weit gehende Einschränkungen auch auf tieferer Normstufe verankert sein können.
48 Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 3 BV kann in Fällen ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr statt auf eine gesetzliche Grundlage auf die polizeiliche Generalklausel abgestellt werden.
49 Relevant ist bei Versammlungen im Weiteren, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Anforderungen an die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage im Polizeirecht herabgesetzt sind.
50 Ebenso gelten herabgesetzte Anforderungen an die gesetzliche Grundlage im Sonderstatusverhältnis, was sich in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 EMRK spiegelt.
51 Nach geltender bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann zudem ein Gemeinwesen als Folge seiner Sachherrschaft über den öffentlichen Raum eine Bewilligungspflicht für gesteigerten Gemeingebrauch ohne besondere gesetzliche Grundlage einführen. Die Sachherrschaft soll hier an die Stelle der gesetzlichen Grundlage treten.
b. Rechtfertigendes Interesse
52 Bei Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stehen als öffentliche Interessen die klassischen Polizeigüter und die geordnete Nutzung des öffentlichen Raums im Vordergrund.
53 Verwirrlich ist die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung anzutreffende Formulierung, dass bei Versammlungen im öffentlichen Raum weitergehende Einschränkungen zulässig seien.
54 Ein weiteres häufiges Eingriffsinteresse bei Versammlungen ist der Schutz von Grundrechten Dritter.
55 Das Vorliegen eines rechtfertigenden Interesses zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit rundweg verneint hat der EGMR schliesslich bei unterschiedlichen Vorfällen, welche den russischen Oppositionellen Aleksey Navalnyy betrafen.
c. Verhältnismässigkeit
56 Die Verhältnismässigkeitsprüfung, welche Art. 36 Abs. 3 BV fordert, orientiert sich am Interesse, welches der Staat als Rechtfertigung für die Grundrechtseinschränkung anruft, und setzt sich aus den Elementen der Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit zusammen.
57 Von den genannten typischen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit wird in einem Teil der Lehre geltend gemacht, dass eine Bewilligungspflicht nicht erforderlich sei, sondern mit der Meldepflicht ein milderes Mittel vorhanden wäre.
58 Schliesslich ist noch anzumerken, dass der Ausgleich bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen auch mit der Herstellung praktischer Konkordanz umschrieben wird.
d. Kerngehalt
59 Was nach Art. 36 Abs. 4 BV zum unantastbaren Kerngehalt der Versammlungsfreiheit gehört, hat die bundesgerichtliche Rechtsprechung bisher kaum geklärt.
60 Ebenso gehört nach hier vertretener Auffassung zum Kerngehalt von Art. 22 BV, dass ein Bewilligungserfordernis für Versammlungen im Privaten oder für Spontandemonstrationen unzulässig wäre. Ersteres würde die Privatsphäre faktisch ihres Gehalts berauben. Letzteres würde Spontandemonstrationen praktisch unmöglich machen. Versammlungen als Reaktion auf ein plötzliches Ereignis müssen aber möglich bleiben.
61 Kerngehaltswidrig wäre auch ein unbefristetes und vollständiges Verbot von Versammlungen an sich.
62 Das Zensurverbot i.S.v. Art. 17 Abs. 2 BV stellt nach wohl überwiegender Auffassung in der Lehre ein Kerngehalt aller Kommunikationsgrundrechte dar.
63 Dem System der EMRK sind Kerngehaltsgarantien fremd, das völkerrechtliche ius cogens und die notstandsfesten Garantien der EMRK weisen aber Parallelen mit den Kerngehalten auf.
D. Verwirklichung der Versammlungsfreiheit
64 Unabhängig von individual-rechtlich durchsetzbaren Ansprüchen ist der Staat verpflichtet, zur Verwirklichung der Grundrechte und damit auch der Versammlungsfreiheit beizutragen (Art. 35 BV).
65 Diese objektiv-rechtliche Dimension bindet alle Staatsgewalten, richtet sich aber primär an den Gesetzgeber.
66 Hinsichtlich der Regelung der Nutzung des öffentlichen Raums sind dabei hauptsächlich die Kantone und Gemeinden in der Verantwortung; sie müssen sicherstellen, dass allen Anliegen, die sich auf den öffentlichen Raum richten, Rechnung getragen wird.
67 Darüber hinaus kann auch der Bundesgesetzgeber zur Verwirklichung der Versammlungsfreiheit tätig werden. So etwa, wenn er in Art. 336 Abs. 1 lit. b OR bestimmt, dass eine Kündigung missbräuchlich ist, wenn eine Partei sie ausspricht, weil die andere Partei ein verfassungsmässiges Recht ausübt, es sei denn, dies verletze eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis oder beeinträchtige wesentlich die Zusammenarbeit im Betrieb.
68 Hinzu kommt die grundrechtskonforme Auslegung von Rechtsnormen durch Exekutive und Judikative.
E. Neue Technologien und Versammlungsfreiheit
69 Die Digitalisierung verändert zahlreiche Lebensbereiche und vor allem auch die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren.
70 Eine von der Anwendbarkeit der Versammlungsfreiheit zu trennende Frage ist diejenige, ob und wie das Internet und Soziale Medien staatlicher Regulierung unterworfen werden können und sollen. Aus Sicht der Versammlungsfreiheit stehen dabei folgende Probleme im Raum: Auf den ersten Blick ist das Angebot an digitalen Informationsquellen und Austauschmöglichkeiten sehr gross. Dies führt dazu, dass ein eigentlicher Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzenden stattfindet. Der mit diesem Kampf einhergehende Verdrängungsprozess hat wiederum zur Folge, dass die digitalen Foren unserer Zeit von einigen wenigen Privaten kontrolliert werden. Diese sind primär ihrerseits grundrechtsberechtigt und anders als der Staat nicht grundrechtlich verpflichtet, allen Personen unterschiedslos Zugang zu ihrer Infrastruktur zu gewähren.
71 Schliesslich führt die heute zur Verfügung stehende Technologie dazu, dass der Staat auf neue Art und Weise in die Versammlungsfreiheit eingreifen kann. Zu erwähnen sind insbesondere der Einsatz von Software zum Gesichtsbildabgleich und Drohnen. Bereits existieren dazu auch Projekte in der Schweiz: Das Bundesamt für Polizei möchte den manuellen Abgleich von Gesichtsbildern automatisieren und nennt als Anwendungsfeld die Pädokriminalität und Geldautomatensprengungen.
IV. Zukunft der Versammlungsfreiheit
72 Ist die Freiheit, sich in der realen Welt zu versammeln, nach dem Gesagten zukünftig überhaupt noch von Relevanz? Oder werden sich die Menschen endgültig in digitale Filterblasen zurückziehen, in welchen sie sich höchstens noch mit Gleichgesinnten austauschen?
73 Auch und gerade in einer digitalen Welt können nicht nur virtuelle, sondern auch physische Versammlungen – insbesondere für Minderheiten – ein wirksames Mittel sein, um die breite Öffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
Zum Autor
Patrice Martin Zumsteg, Dr. iur., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW, Winterthur, sowie Rechtsanwalt bei AAK Anwälte und Konsulenten AG, Zürich. Er ist erreichbar unter zumg@zhaw.ch
Der Autor dankt der Herausgeberschaft, Stefan Schlegel und Odile Ammann, sowie den beiden anonymen Personen, welche den Review übernommen haben, für wertvolle Rückmeldungen zu frühreren Versionen des Textes.
Weitere empfohlene Lektüre
Bosshart Jürg, Demonstrationen auf öffentlichem Grund, Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte zum Problem der Demonstrationsfreiheit, Diss., Zürich 1973.
Daly Aoife, A Commentary on the United Nations Convention on the Rights of the Child, Article 15, The Right to Freedom of Association and to Freedom of Peaceful Assembly, Leiden/Boston 2016.
Jaag Tobias, Gemeingebrauch und Sondernutzung öffentlicher Sachen, ZBl 93 (1992), S. 145 ff.
Jacquat Graziella, La liberté de réunion en droit suisse, Diss., Zürich 1982.
Kern Markus, Kommunikationsgrundrechte als Gefahrenvorgaben, Umgang mit kommunikationsbedingten Gefahren in den Rechtsordnungen der USA, Deutschlands und der Schweiz, Diss., Zürich/Basel/Genf 2012.
Malinverni Giorgio, La liberté de réunion, Etude de droit constitutionnel suisse, Genf 1981.
Moeckli Daniel, Exclusion from Public Space, A Comparative Constitutional Analysis, Habil., Cambridge 2016.
Moser André Werner, Der öffentliche Grund und seine Benützung, im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage im Kanton Bern, Diss., Bern 2011.
Poledna Tomas, Staatliche Bewilligungen und Konzessionen, Habil., Bern 1994.
Rüesch Adrian, Die Versammlungsfreiheit nach schweizerischem Recht, Diss., Zürich 1983.
Salát Orsolya, The Right to Freedom of Assembly, A Comparative Study, Oxford und Portland (Oregon) 2015.
Saxer Urs, Die Grundrechte und die Benutzung öffentlicher Strassen, Eine Untersuchung der Bundesgerichtspraxis unter Berücksichtigung deutscher Entscheidungen, Diss., Zürich 1988.
Siehr Angelika, Das Recht am öffentlichen Raum, Theorie des öffentlichen Raumes und die räumliche Dimension von Freiheit, Habil., Tübingen 2016.
Thurnheer Simon, Demonstrationsfreiheit in England und der Schweiz, Eine vergleichende Untersuchung und ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik, Diss., Zürich/Basel/Genf 2010.
Uebersax Peter, La liberté de manifestation, RDAF 2006, S. 25 ff.
Wyssmann Ursula, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, Dargestellt am Beispiel des Bahnhofs Bern, Diss., Zürich/St. Gallen 2009.
Zumsteg Patrice Martin, Demonstrationen in der Stadt Zürich, Verwaltungsrecht und Behördenpraxis am Massstab der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Diss., Zürich/Basel/Genf 2020.
Literaturverzeichnis
Arndt Felix/Engels Anja/von Oettingen Anna, in: Karpenstein Ulrich/Mayer Franz C. (Hrsg.), EMRK, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 3. Aufl., München und Basel 2022.
Baigger Katja, Neonazis treffen sich in Waldhütte, NZZ vom 20. Juni 2022, S. 11.
Biaggini Giovanni, BV Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2017.
Errass Christoph, in: Ehrenzeller Bernhard/Egli Patricia/Hettich Peter/Hongler Peter/Schindler Benjamin/Schmid Stefan G./Schweizer Rainer J. (Hrsg.), Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen und Zürich/Basel/Genf 2023.
Errass Christoph/Rechsteiner David, in: Ehrenzeller Bernhard/Egli Patricia/Hettich Peter/Hongler Peter/Schindler Benjamin/Schmid Stefan G./Schweizer Rainer J. (Hrsg.), Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen und Zürich/Basel/Genf 2023.
Gonin Luc, in: Gonin Luc/Bigler Olivier, Convention européenne des droits de l’homme (CEDH), Commentaire des articles 1 à 18 CEDH, Stämpflis Handkommentar, Bern 2018.
Grabenwarter Christoph/Pabel Katharina, Europäische Menschenrechtskonvention, 7. Aufl., München und Basel und Wien 2021.
Harris David/O’Boyle Michael/Bates Ed/Buckley Carla, Harris, O’Boyle, and Warbrick, Law of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl., Oxford 2018.
Hertig Maya, in: Waldmann Bernhard/Belser Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015.
Kälin Walter/Epiney Astrid/Caroni Martina/Künzli Jörg/Pirker Benedikt, Völkerrecht, Eine Einführung, 5. Aufl., Bern 2022.
Kiener Regina/Kälin Walter/Wyttenbach Judith, Grundrechte, 3. Aufl., Bern 2018.
Magarian Gregory P., The Internet and Social Media, in: Stone Adrienne/Schauer Frederick (Hrsg.), The Oxford Handbook of Freedom of Speech, Oxford 2021, S. 350 ff.
Malinverni Giorgio, in: Martenet Vincent/Dubey Jacques (Hrsg.), Commentaire romand, Constitution fédérale, Basel 2021.
Moeckli Daniel, Politische Werbung auf öffentlichem Grund, recht 2013, S. 263 ff.
Mohler Markus, Grundzüge des Polizeirechts in der Schweiz, Basel 2012.
Moor Pierre/Bellanger François/Tanquerel Thierry, Droit administratif, Volume III: L’organisation des activités administratives, Les biens de l’Etat, 2. Aufl., Bern 2018.
Müller Jörg Paul, Demokratische Gerechtigkeit, Eine Studie zur Legitimität rechtlicher und politischer Ordnung, München 1993 (zit. Müller, Demokratische Gerechtigkeit).
Müller Jörg Paul, Verwirklichung der Grundrechte nach Art. 35 BV, Der Freiheit Chancen geben, Bern 2018 (zit. Müller, Verwirklichung).
Pariser Eli, The Filter Bubble, What the Internet is Hiding from You, New York 2011.
Schabas William A., Nowak’s CCPR Commentary, U.N. International Covenant on Civil and Political Rights, 3. Aufl., Kehl am Rhein 2019.
Schefer Markus, Die Beeinträchtigung von Grundrechten, Zur Dogmatik von Art. 36 BV, Bern 2006 (zit. Schefer, Beeinträchtigung).
Schefer Markus, Kommunikationsgrundrechte, in: Diggelmann Oliver/Hertig Randall Maya/Schindler Benjamin (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, Band II, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2020, S. 1413 ff. (zit. Schefer, Kommunikationsgrundrechte).
Schweizer Rainer J./Krebs Alina, in: Ehrenzeller Bernhard/Egli Patricia/Hettich Peter/Hongler Peter/Schindler Benjamin/Schmid Stefan G./Schweizer Rainer J. (Hrsg.), Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 4. Aufl., Zürich/St. Gallen und Zürich/Basel/Genf 2023.
Tschannen Pierre/Müller Markus/Kern Markus, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Bern 2022.
Villiger Mark E., Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Schweizer Fällen, 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf und Baden-Baden und Wien 2020.
Vischer Benedict, Wie ist das Verhüllungsverbot mit den Grundrechten zu vermitteln?, Art. 10a BV im Kontext der Grund- und Menschenrechtsgarantien, Jusletter vom 4. April 2022.
Wyssmann Ursula, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, Dargestellt am Beispiel des Bahnhofs Bern, Diss., Zürich/St. Gallen 2009.
Zeller Franz/Kiener Regina, in: Waldmann Bernhard/Belser Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.), Basler Kommentar, Bundesverfassung, Basel 2015.
Zick Timothy, Parades, Picketing, and Demonstrations, in: Stone Adrienne/Schauer Frederick (Hrsg.), The Oxford Handbook of Freedom of Speech, Oxford 2021, S. 369 ff.
Zumsteg Patrice Martin, Demonstrationen in der Stadt Zürich, Verwaltungsrecht und Behördenpraxis am Massstab der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, Diss., Zürich/Basel/Genf 2020 (zit. Zumsteg, Demonstrationen).
Zumsteg Patrice Martin, «Fridays for Future» und Menschenrechtsschutz, Sicherheit & Recht 2020, S. 4 ff. (zit. Zumsteg, «Fridays for Future»).
Zumsteg Patrice Martin, Versammlungsfreiheit und persönliche Freiheit, in: Helbing Lichtenhahn Verlag (Hrsg.), COVID-19, Ein Panorama der Rechtsfragen zur Corona-Krise, Basel 2020, S. 801 ff. (zit.: Zumsteg, COVID-19).