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Kommentierung zu
Art. 53 BPR
defriten

I. Entstehungsgeschichte

A. Konstituierende Sitzung

1 Das Bundesgesetz betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrathes vom 21. Dezember 1850 sah Bestimmungen zur konstituierenden Sitzung des Nationalrates und zur Wahlprüfung vor.

Es statuierte, dass sich die neu gewählten Abgeordneten des Nationalrates «ohne weitere Einladung am ersten Montage im Christmonate
Vormittags um 10 Uhr zu der konstituierenden Sitzung des Nationalrathes in der Bundesstadt einzufinden»
haben. An jeder konstituierenden Sitzung durften Gewählte teilnehmen, die «mit einem ihre Wahl beurkundenden Schreiben einer Kantonsregierung versehen»
waren. An der konstituierenden Sitzung wurden jeweils die Wahlen geprüft,
wobei während der Behandlung von Wahleinsprachen diejenigen Abgeordneten in den Ausstand treten mussten, deren Wahl beanstandet wurden.

2 1872 wurde das Bundesgesetz betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen erlassen. Die Regelungen aus dem Bundesgesetz betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrathes von 1850 in Bezug auf den Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des Nationalrats und der Wahlprüfung wurden ohne materielle Änderungen übernommen.

Damit fanden von 1850 (Beginn der 2. Legislaturperiode) bis 1967 (Beginn der 38. Legislaturperiode) die konstituierenden Sitzungen des Nationalrates stets am ersten Montag im Dezember statt.

3 1971 wurde das Gesetz in Bezug auf den Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des Nationalrates wie folgt ergänzt: Gemäss dieser Änderung kann die konstituierende Sitzung durch «einen in der vorangehenden Session vom Nationalrat im Einvernehmen mit dem Ständerat gefassten Beschluss auf den letzten Montag im November, 10 Uhr, vorverschoben werden.»

Die Notwendigkeit der Revision wurde vom Bundesrat insbesondere damit begründet, dass die Änderung ermögliche, auf «besondere Umstände eines Kalenderjahres» einzugehen oder «der Traktandenliste Rechnung zu tragen».
Dies war 1971 der Fall: Der erste Montag im Dezember fiel auf den 6. Dezember 1971. Damit verblieben dem Parlament «bis zum Weihnachtstag nur rund 2 ½ Wochen (19 Tage)», womit die Zeitdauer für die Erledigung der «ordentlichen Geschäfte der Wintersession (Voranschlag der Eidgenossenschaft, der SBB und der PTT, Nachtragskredite, Geschäftsbericht und Rechnung der Alkoholverwaltung)» und der «Geschäfte der Bundesversammlung» viel zu kurz bemessen war.
Die konstituierende Sitzung des Nationalrates der 39. Legislaturperiode fand am letzten Montag im November, am 29. November 1971, statt. Die darauffolgende 40. Legislaturperiode wurde wieder, wie gewohnt, am ersten Montag im Dezember (1. Dezember 1975) eröffnet.

4 Mit der Schaffung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte 1976 wurde ebenfalls eine Bestimmung betreffend die Wahlprüfung geschaffen (Art. 53 BPR i.d.F.v. 17. Dezember 1976

). Diese besagte zwar, dass in der konstituierenden Sitzung nach der Wahl des Nationalrates zunächst über die Gültigkeit der Wahlen zu befinden ist, jedoch verpasste es der Gesetzgeber, den Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung zu statuieren.
Damit war der Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung von 1978 bis zur Inkraftsetzung der heute geltenden Bestimmung in Art. 53 Abs. 1 BPR 2003 gesetzlich nicht geregelt. Die Daten der konstituierenden Sitzungen des Nationalrates wurden in dieser Zeit nach den Bestimmungen zur Festsetzung des Beginns der Wintersession festgelegt.
Dementsprechend fanden die konstituierenden Sitzungen von 1978 bis 2003 entweder am letzten Montag im November oder am ersten Montag im Dezember statt.

5 Bei der Revision des BPR im Jahr 2001 merkte der Bundesrat in seiner Botschaft an, dass der Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung des Nationalrates im Gesetz nicht geregelt sei. Da es sich dabei aber «um eine wichtige Bestimmung im Sinne von Art. 164 BV» handle, «ist doch die Konstituierung Voraussetzung dafür, dass der Rat überhaupt verhandeln kann», schlug der Bundesrat dem Parlament vor, den Zeitpunkt der konstituierenden Sitzung im BPR zu regeln.

Das Parlament folgte dem Ansinnen des Bundesrates und definierte in Art. 53 Abs. 1 BPR i.d.F.v. 21. Juni 2002
, dass die konstituierende Sitzung des neu gewählten Nationalrates am siebenten Montag nach der Wahl stattfindet.

6 Bereits 1994 musste Art. 53 Abs. 3 BPR aufgrund eines gesetzgeberischen Versehens revidiert werden.

In seiner ursprünglichen Fassung bestimmte Art. 53 Abs. 3 BPR
, dass ein neu gewähltes Mitglied aufgrund Nachrückens bzw. einer Ergänzungswahl erst an den Verhandlungen teilnehmen darf, nachdem seine Wahl als gültig erklärt wurde. Da dies selbstverständlich auch für durch Ersatzwahlen neu gewählte Mitglieder des Nationalrates gilt, wurde Art. 53 Abs. 3 BPR bei der BPR-Revision 1994 entsprechend ergänzt.

B. Wahlprüfung ohne Behandlung von Wahlbeschwerden

7 Bis zur Justizreform 2003 war der Nationalrat im Rahmen der Wahlprüfung, die an der konstituierenden Sitzung stattfindet, für die letztinstanzliche Behandlung von Wahlbeschwerden gegen die Nationalratswahlen zuständig.

Mit der Implementierung der Justizreform erlangte jedoch das Bundesgericht die Zuständigkeit zur Beurteilung von Streitigkeiten wegen Verletzung von eidgenössischen Bestimmungen über die politischen Rechte (Art. 189 Abs. 1 lit. f BV).
Damit entscheidet seither das Bundesgericht letztinstanzlich über Wahlbeschwerden (siehe auch Art. 77 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 80 Abs. 1 BGG
). Der Nationalrat ist im Rahmen der Wahlprüfung nur noch für die Validierung (Erwahrung) der Wahl zuständig.
Der Gesetzgeber hat damit die von «der Bundesverfassung gebotene Aufteilung von Beschwerdeerledigung und Validierung der Wahlen» vollzogen und Art. 53 BPR entsprechend angepasst.
Damit kam das Parlament dem Ruf der Lehre nach: Nach den heutigen Vorstellungen von Rechtstaat und Demokratie ist die «Verquickung der Validierung einer Wahl unter gleichzeitiger Behandlung von Wahlbeschwerden durch das neu gewählte Parlament»
unzeitgemäss.

II. Rechtsvergleich

A. Konstituierende Sitzung

8 Die Mehrheit der Kantone definiert in ihren Erlassen betreffend die Wahl ihres Parlaments bzw. in den Geschäftsordnungen der Parlamente den Zeitpunkt der Konstituierung des Parlaments. Vielfach haben sich die neu gewählten Mitglieder der kantonalen Parlamente, analog zu Art. 53 Abs. 1 BPR, in einem durch Gesetz bestimmten Zeitpunkt nach der Wahl zur konstituierenden Sitzung zu versammeln.

9 In einer Minderheit der Kantone ist die Regierung für die Einladung der neu gewählten Parlamentsmitglieder nach der Gesamterneuerung zur konstituierenden Sitzung zuständig.

Diese Variante ist in Bezug auf die Gewaltenteilung problematisch, weil dadurch das neu gewählte Parlament zur Konstituierung auf die Partizipation der Regierung angewiesen ist. Deshalb ist diejenige Variante, wonach der Zeitpunkt der Konstituierung des Parlaments durch Gesetz bestimmt wird, zu bevorzugen.

B. Inhalt der Wahlprüfung

10 Im Rahmen ihrer konstituierenden Sitzungen nehmen sämtliche kantonalen Parlamente eine Wahlprüfung vor. Der Inhalt der Wahlprüfung unterscheidet sich in den Kantonen und lässt sich grob in zwei Kategorien einteilen:

11 In den meisten Kantonen beschränkt sich die Wahlprüfung auf die Validierung (Erwahrung) der Wahl. Die Überprüfung von eingegangenen Wahlbeschwerden wird in diesen Kantonen abschliessend durch Verfassungs- bzw. Verwaltungsgerichte erledigt. Diese in den meisten Kantonen vollzogene Trennung von Erwahrungs- und Rechtsmittelinstanz in Wahlsachen entspricht nicht nur einer langjährigen Forderung der Lehre, sondern auch den in der Rechtsweggarantie gemäss Art. 29a BV

enthaltenen Vorgaben.

12 In anderen, wenigen Kantonen ist die Trennung zwischen Erwahrungs- und Rechtsmittelinstanz (noch) gar nicht vollzogen. In den Kantonen Zürich

, Luzern
, Schwyz
, Thurgau
und Wallis
entscheidet das neu gewählte Parlament sowohl über eingegangene Wahlbeschwerden als auch über die Validierung der eigenen Wahl. Diese Verknüpfung zwischen Erwahrungs- und Rechtsmittelinstanz ist nicht mit den bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar, da der Beschluss des kantonalen Parlaments in diesen Kantonen nicht an ein oberes kantonales Gericht weitergezogen werden kann.
In den Kantonen Graubünden
und Waadt
ist das neu gewählte Parlament im Rahmen der Wahlprüfung zwar auch für die Behandlung von Wahlbeschwerden und für die Validierung der Wahl zuständig. Diese Entscheide können jedoch mit Beschwerde an das jeweilige kantonale Verfassungsgericht angefochten werden, womit die Rechtsweggarantie eingehalten wird.

III. Bedeutung der Vorschrift und Norminhalt

13 Art. 53 BPR hat die konstituierende Sitzung und nicht nur die eigentliche Wahlprüfung (so die Überschrift des Artikels) zum Inhalt. Die Bestimmung setzt den Termin für die konstituierende Sitzung eines neu gewählten Nationalrates fest und definiert, ab welchem Zeitpunkt ein nachrückendes bzw. bei Ersatz- oder Ergänzungswahlen neu gewähltes Mitglied an den Verhandlungen des Nationalrates teilnehmen darf. Mit der Konstituierung – der Feststellung der Ergebnisse der Parlamentswahl

– verwirklicht sich der bundesrechtliche Anspruch auf einen Nationalratssitz der einzelnen Mitglieder, die dadurch sämtliche von Verfassung und Gesetz vorgesehenen Rechte und Pflichten erlangen (siehe Art. 6 ff. ParlG
).
Sie begründet zudem die Handlungsfähigkeit des Nationalrates.

A. Abs. 1

1. Konstituierende Sitzung

14 Nach jeder Gesamterneuerung des Nationalrats versammeln sich sämtliche wieder und neu gewählten Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des Nationalrates. Die Konstituierung des neu gewählten Nationalrates findet am siebenten Montag nach der Wahl statt (Art. 53 Abs. 1 Satz 1 BPR). Die Konstituierung bezeichnet das erstmalige Zusammentreten des neu gewählten Parlaments, um wichtige, zumeist organisatorische Beschlüsse zu fassen und gewisse Organe des Parlaments neu zu bestellen. Mit der Konstituierung beginnt die Amtsdauer (Legislaturperiode) des neu gewählten Rates (als Organ),

während jene des früher gewählten Nationalrates endet (Art. 57 BPR).

15 Das Verfahren der konstituierenden Sitzung wird nicht im BPR selbst, sondern im Geschäftsreglement des Nationalrates

geregelt (Art. 53 Abs. 1 Satz 4 BPR). Die Traktanden der konstituierenden Sitzung sind in Art. 1 Abs. 2 GRN festgesetzt und in der durch das Geschäftsreglement festgelegten Reihenfolge zu behandeln: Die konstituierende Sitzung beginnt stets mit einer Rede der Alterspräsidentin oder des Alterspräsidenten
sowie einer Rede des jüngsten neu gewählten Mitglieds des Nationalrates (Art. 1 Abs. 2 lit. a GRN). Anschliessend stellt der Nationalrat seine Konstituierung fest (Art. 1 Abs. 2 lit. b GRN). Die Feststellung der Konstituierung erfolgt auf Antrag des provisorischen Büros
. Das provisorische Büro prüft vorgängig zur konstituierenden Sitzung, ob die Wahlen der Mehrheit der Mitglieder des Rates unangefochten geblieben oder für gültig erklärt worden sind und stellt dem Rat entsprechend Antrag (Art. 4 Abs. 1 lit. a GRN). Unmittelbar nach der Feststellung der Konstituierung folgt die Vereidigung der anwesenden Ratsmitglieder, deren Wahl unangefochten geblieben oder für gültig erklärt worden ist (Art. 1 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 5 GRN). Nachdem allfällige Unvereinbarkeiten auf Antrag des provisorischen Büros festgestellt wurden (Art. 1 Abs. 2 lit. d i.V.m. Art. 4 Abs. 1 lit. b GRN und Art. 14 ParlG), folgt die Wahl des Präsidenten bzw. der Präsidentin, des Ersten Vizepräsidenten bzw. der Ersten Vizepräsidentin, des Zweiten Vizepräsidenten bzw. der Zweiten Vizepräsidentin, der Stimmenzählenden und der Ersatzstimmenzählenden (Art. 1 Abs. 2 lit. e–i GRN).

16 Die konstituierende Sitzung des Nationalrates wird mit der Darbietung oder dem Abspielen des Schweizerpsalms beendet. Das Abspielen der Nationalhymne

zu Beginn einer neuen Legislaturperiode ist zwar weder gesetzlich noch geschäftsreglementarisch geregelt, jedoch entspricht dies seit 2011 der Praxis des Nationalrates.
Die Etablierung dieser Praxis ist auf eine Motion der damaligen Nationalrätin Ada Marra (SP/VD) aus dem Jahr 2009 zurückzuführen.
Wie das Büro des Nationalrates auf die Beantwortung dieser Motion klarstellte, würde das Erklingen der Landeshymne «den feierlichen Charakter des Legislaturbeginns […] unterstreichen», indes sei es «jedem Ratsmitglied selbst überlassen, die Hymne mitzusingen oder nicht».

2. Wahlprüfung («Feststellung der Konstituierung»)

17 Der Nationalrat ist konstituiert, sobald die Wahlen von wenigstens der Mehrheit seiner Mitglieder für gültig erklärt wurden (Art. 53 Abs. 1 Satz 3 BPR). Dieser Beschluss des Nationalrates («Feststellung der Konstituierung») wird von Amtes wegen durchgeführt, auch wenn keine Wahlbeschwerden erhoben wurden.

18 An der konstituierenden Sitzung nimmt der Nationalrat die Wahlprüfung vor. Als Wahlprüfung wird das Verfahren bezeichnet, mit dem die Rechtmässigkeit und Gültigkeit einer Wahl überprüft wird. Bis zur Justizreform 2003 hat der Nationalrat im Rahmen der Wahlprüfung sowohl hängige Wahlbeschwerden gegen die Wahl des Nationalrates behandelt als auch die Validierung der Wahl vollzogen. Im Zuge der Justizreform folgte eine Aufteilung von Beschwerdeerledigung und Validierung der Wahl.

19 Gemäss der aktuellen Fassung von Art. 53 Abs. 1 BPR ist die Wahlprüfung durch den Nationalrat akzessorisch zu den bei den Kantonsregierungen und vor Bundesgericht erhobenen Wahlbeschwerden gemäss Art. 77 lit. c i.V.m. Art. 80 Abs. 1 BGG.

Aufgrund des Vorrangs der Wahlbeschwerden muss der Nationalrat «den Ausgang der betreffenden Beschwerdeverfahren bis vor Bundesgericht abwarten und das Ergebnis der für ihn Bindungswirkung entfaltenden Entscheidungen berücksichtigen»
. Das Bundesgericht hat bei ihm hängige Beschwerden gegen Entscheide der Kantonsregierungen in Bezug auf die Nationalratswahlen vor der Konstituierung des Nationalrates abschliessend zu behandeln.
Aufgrund der Teilung der Zuständigkeiten kann der Nationalrat nur noch die Gültigkeit all jener Wahlen feststellen, die nicht vor dem Bundesgericht angefochten oder deren Beschwerden vom Bundesgericht rechtskräftig erledigt wurden.
Die Wahlprüfung des Nationalrates beschränkt sich demnach nur noch auf die Validierung (Erwahrung) der Wahl. Mit der Validierung der Wahl stellt der Nationalrat seine Konstituierung fest (Art. 53 Abs. 1 Satz 2 und 3 BPR).

B. Abs. 2: Teilnahme- und Stimmrecht an der konstituierenden Sitzung

20 Bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrates dürfen nur designierte Mitglieder teilnehmen und stimmen, die eine Wahlbestätigung ihrer Kantonsregierung aufweisen (Art. 53 Abs. 2 BPR). Die Wahlbestätigung der Kantonsregierung gemäss Art. 53 Abs. 2 BPR wird den designierten Nationalratsmitgliedern ausgestellt, wenn auf Kantons- und Bundesebene keine Beschwerde erhoben worden sind oder wenn der Ausgang bundesgerichtlicher Verfahren in Bezug auf die Anfechtung der Wahl feststeht.

Die Wahlbestätigung ist nicht zu verwechseln mit der Wahlanzeige gemäss Art. 52 Abs. 1 BPR. Letztere ist lediglich eine Notifikation der Kantonsregierung an die gewählte Person über die vorläufig ermittelten Wahlergebnisse.

21 Zudem statuiert Art. 53 Abs. 2 BPR eine Ausstandsregel: Mitglieder, deren Wahl bestritten ist, haben bei ihrer eigenen Wahlprüfung («in eigener Sache») in den Ausstand zu treten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei der Beurteilung der Wahlen in den anderen Kantonen (Wahlkreisen) auch ein Mitglied mitentscheiden kann, dessen Wahl bestritten ist. Damit wird die Beschlussfähigkeit des Nationalrates bei der Wahlprüfung gewährleistet.

C. Abs. 3: Teilnahmerecht bei Nachrücken sowie bei Ersatz- oder Ergänzungswahl

22 Absatz 3 von Art. 53 BPR regelt das Teilnahmerecht der nachgerückten oder durch Ersatz- oder Ergänzungswahlen neu gewählten Mitglieder des Nationalrates. Ein nachrückendes bzw. durch Ersatz- oder Ergänzungswahl neu gewähltes Mitglied des Nationalrates darf an den Verhandlungen des Nationalrates erst teilnehmen, wenn seine Wahl als gültig erklärt ist. Für die Teilnahme an den Verhandlungen des Nationalrates genügt demnach weder die Erklärung der Kantonsregierung, dass jemand als erster Ersatzmann gewählt wurde (bei Nachrücken; Art. 55 Abs. 1 BPR), noch die Wahl selbst bei der Ergänzungs- oder Ersatzwahl (Art. 56 bzw. Art. 51 BPR).

23 Die Feststellung der Gültigkeit der Wahl bei Nachrückenden bzw. durch Ersatz- oder Ergänzungswahl neu gewählten Mitgliedern des Nationalrates erfolgt analog zu den Regeln der konstituierenden Sitzung des Nationalrates. Jedoch erfolgt die Prüfung nicht durch das provisorische Büro, sondern durch das bis dann bereits bestellte Büro gemäss Art. 8 Abs. 1 GRN. Das Büro prüft, ob die Wahl des Mitglieds unangefochten geblieben ist oder für gültig erklärt wurde. Zudem prüft es, ob Unvereinbarkeiten nach Art. 14 ParlG bestehen. Kam die Wahl gültig zustande und sind keine Unvereinbarkeiten festgestellt worden, beantragt das Büro dem Nationalrat, die Wahl formell festzustellen. Wenn keine Gegenanträge vorhanden sind, wird der Antrag des Büros ohne Abstimmung als angenommen erklärt.

Nach der Vereidigung ist das neue Mitglied zur Teilnahme an den Verhandlungen des Nationalrates berechtigt.

Ich danke Benjamin Böhler, BLaw, Hilfsassistent am Zentrum für Demokratie Aarau, für die Mithilfe bei der Materialrecherche und die wertvollen Anmerkungen sowie Janis Denzler, BLaw, Hilfsassistent am Zentrum für Demokratie Aarau, für die kritische Durchsicht des Textes und die wertvollen Anmerkungen.

Literaturverzeichnis

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Hangartner Yvo/Kley Andreas/Braun Binder Nadja/Glaser Andreas, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl., Zürich 2023.

Krause José, Die Rechtsweggarantie im Bereich der politischen Rechte, insbesondere mit Blick auf Probleme bei der Beschwerde in eidgenössischen Stimmrechtssachen, Diss. Zürich, Zürich 2017.

Lammers Guillaume, Kommentierung zu Art. 149 BV, in: Martenet Vincent/Dubey Jacques (Hrsg.), Constitution fédérale, Commentaire romand, Basel 2021.

Markić Luka, Das kantonale Rechtsschutzverfahren im Rahmen der politischen Rechte, Diss. Zürich 2021, Zürich 2022.

Markić Luka, Kommentierung zu Art. 52 BPR, in: Glaser Andreas/Braun Binder Nadja/Bisaz Corsin/Tornay Schaller Bénédicte (Hrsg.), Onlinekommentar zum Bundesgesetz über die politischen Rechte, abrufbar unter https://onlinekommentar.ch/de/kommentare/bpr52, besucht am 18.10.2023.

Markić Luka, Kommentierung zu Art. 57 BPR, in: Glaser Andreas/Braun Binder Nadja/Bisaz Corsin/Tornay Schaller Bénédicte (Hrsg.), Onlinekommentar zum Bundesgesetz über die politischen Rechte, abrufbar unter https://onlinekommentar.ch/de/kommentare/bpr57, besucht am 18.10.2023.

Steinmann Gerold/Mattle Adrian, Kommentierung zu Art. 82 BGG, in: Niggli Marcel Alexander/Uebersax Peter/Wiprächtiger Hans/Kneubühler Lorenz (Hrsg.), Bundesgerichtsgesetz, Basler Kommentar, 3. Aufl., Basel 2018.

Thurnherr Daniela, Kommentierung zu Art. 149 BV, in: Waldmann Bernhard/Besler Eva Maria/Epiney Astrid (Hrsg.), Bundesverfassung, Basler Kommentar, Basel 2015.

Tornay Schaller Bénédicte, Le recours au Tribunal fédéral en matière d’élections fédérales, in: AJP 2017, S. 351–367.

Fussnoten

  • Siehe Art. 30–33 des Bundesgesetzes betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrates vom 21.12.1850, BBl 1850 III 884.
  • Frühere Bezeichnung für den Monat «Dezember» (zwölfter Monat des Jahres des gregorianischen Kalenders).
  • Art. 30 des Bundesgesetzes betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrates vom 21.12.1850, BBl 1850 III 884.
  • Art. 32 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrates vom 21.12.1850, BBl 1850 III 884.
  • Art. 32 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrates vom 21.12.1850, BBl 1850 III 884.
  • Art. 27–30 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19.7.1872, BS I 157; AS X 915.
  • Art. 27 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19.7.1872 i.d.F.v. 10.6.1971, AS 1971 1365.
  • Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 25.11.1970, BBl 1970 II 1509, hier S. 1510.
  • Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Änderung des Bundesgesetzes betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 25.11.1970, BBl 1970 II 1509, hier S. 1509.
  • Vgl. Art. 53 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17.12.1976 i.d.F.v. 17.12.1976, AS 1978 688.
  • Ebd.
  • Siehe Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Formen, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse vom 23.3.1962 (Geschäftsverkehrsgesetz; AS 1962 773) i.d.F.v. 17.3.1974, BBl 1974 I 627.
  • Die Bundesversammlung – Das Schweizer Parlament, Frühere Sessionen; in: parlament.ch, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/sessionen/fruehere-sessionen, besucht am 1.8.2023.
  • Bundesrat, Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401, hier S. 6416.
  • AS 2001 3193.
  • Die Wahlen für die ordentliche Gesamterneuerung des Nationalrates finden am zweitletzten Sonntag im Oktober statt (Art. 19 Abs. 1 Satz 1 BPR).
  • Bundesrat, Botschaft über eine Teiländerung der Bundesgesetzgebung über die politischen Rechte vom 1.9.1993, BBl 1993 III 445, hier S. 489.
  • AS 1978 688.
  • Vgl. Art. 82 BPR i.d.F.v. 17.12.1976, AS 1978 688; siehe auch Nationalrat, Beschluss vom 4.12.1995, E. 3.3.–3.5, publ. in: VPB 1996 Nr. 70, S. 631 ff.
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 679; BSK-Steinmann/Mattle, Art. 82 BGG N. 79; Tornay Schaller, S. 352.
  • Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17.6.2005 (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110).
  • Zum Wahlprüfungsverfahren siehe Rz. 17 ff. hiernach.
  • Bundesrat, Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401, hier S. 6415.
  • Markić, Rz. 226 m.w.Verw.
  • Statt vieler § 2 Abs. 1 des Kantonsratsgesetzes des Kantons Zürich vom 25.3.2019 (KRG/ZH; LS 171.1); § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Kantonsrates des Kantons Schwyz vom 17.4.2019 (GOKR/SZ; SRSZ 142.110); Art. 4 Abs. 1 der Loi du Canton de Vaud sur le Grand Conseil du 8.5.2007 (LGC/VD; RSV 171.01).
  • Siehe bspw. Art. 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landrates des Kantons Uri vom 4.4.2012 (GO/UR; RB 2.3121).
  • Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (BV; SR 101).
  • Siehe hierzu ausführlich Markić, Rz. 218–226.
  • § 42 lit. b des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich vom 24.5.1959 (VRG/ZH; LS 175.2).
  • § 167 des Stimmrechtsgesetzes des Kantons Luzern vom 25.10.1988 (StRG/LU; SRL Nr. 10) i.V.m. § 58a des Gesetzes des Kantons Luzern über die Organisation und Geschäftsführung des Kantonsrates vom 28.6.1976 (KRG/LU; SRL Nr. 30).
  • § 53 Abs. 3 des Wahl- und Abstimmungsgesetzes des Kantons Schwyz vom 15.10.1970 (WAG/SZ; SRSZ 120.100).
  • § 55a des Gesetzes des Kantons Thurgau über die Verwaltungsrechtspflege vom 23.2.1981 (VRG/TG; RB 170.1).
  • Art. 217 Abs. 3 e contrario des Gesetzes des Kantons Wallis über die politischen Rechte vom 13.5.2004 (kGPR/VS; SGS 160.1).
  • Markić, Rz. 225 m.w.H.u.Verw.
  • Art. 102 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons Graubünden über die politischen Rechte vom 17.6.2005 (GPR/GR; BR 150.100).
  • Art. 172 Abs. 2 i.V.m. Art. 182 Abs. 1 der Loi du Canton de Vaud sur l’exercice des droits politiques du 5.10.2021 (LEDP/VD; RSV 160.01).
  • Markić, Rz. 225.
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 1445.
  • Bundesgesetz über die Bundesversammlung vom 13.12.2002 (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10).
  • Immunitätskommission des Nationalrates, Entscheid vom 25.4.2012 betreffend Immunität von Nationalrat Christoph Blocher, https://www.parlament.ch/centers/documents/de/entscheid-ik-12-190-2012-04-25-d.pdf, E. 3.1.
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 1448 m.w.H.
  • Vgl. SGK-Glaser/Brunner, Art. 145 N. 7; CR-Lammers, Art. 149 BV N. 29; BSK-Thurnherr, Art. 149 BV N. 16–18.
  • Zum Ende der Amtsdauer des früher gewählten Nationalrates siehe OK-Markić, Art. 57 BPR N. 7.
  • Geschäftsreglement des Nationalrates vom 3.10.2003 (GRN; SR 171.13).
  • Der Alterspräsident oder die Alterspräsidentin im sich konstituierenden Rat ist dasjenige Mitglied des Rates, das die längste ununterbrochene Amtsdauer aufweist, wobei bei gleicher Amtsdauer das biologisch ältere Mitglied Vorrang hat (Art. 2 Abs. 1 GRN).
  • Das provisorische Büro wird durch den Alterspräsidenten oder die Alterspräsidentin ernannt (Art. 3 Abs. 1 lit. a GRN).
  • An seiner Sitzung vom 12.9.1961 erklärte der Bundesrat auf Antrag des Eidgenössischen Departements des Innern das Lied «Schweizerpsalm» von Alberich Zwyssig (Melodie) und Leonhard Widmer (Text) zur Nationalhymne der Schweiz (Bundesratsbeschluss vom 12.9.1961, Dispositiv-Ziff. 1, in: Protokoll der 62. Sitzung des Schweizerischen Bundesrates vom 12.9.1961 einschliesslich Präsidialverfügungen vom 9.9.1961 bis 12.9.1961).
  • AB 2011 NR S. 1887. Auch wenn der Ständerat selbst keine konstituierende Sitzung und damit auch keine Legislaturperioden kennt, wird die Landeshymne seit 2011 zur Eröffnung der Wintersession nach den Gesamterneuerungswahlen des Nationalrates auch im Ständerat abgespielt (siehe AB 2011 SR S. 1046).
  • Motion 09.3946 Marra, Nationalhymne zur Eröffnung der Legislaturperiode, https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20093946, (besucht am 5.10.2023).
  • Stellung des Büros des Nationalrates vom 6.11.2009 auf die Motion 09.3946 Marra (vgl. ebd.).
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 675.
  • Bundesrat, Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401, hier S. 6415; siehe auch N. 7 hiervor.
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 679.
  • Ebd.; vgl. auch BSK-Steinmann/Mattle, Art. 82 BGG N. 100a; Tornay Schaller, S. 366.
  • Krause, Rz. 298.
  • Bundesrat, Botschaft über eine Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 30.11.2001, BBl 2001 6401, hier S. 6415.
  • BGE 138 I 61 E. 3.2.
  • Zur Wahlanzeige der Kantonsregierung siehe OK-Markić, Art. 52 BPR N. 8 ff.
  • Hangartner/Kley/Braun Binder/Glaser, Rz. 677.
  • Statt vieler AB 2020 NR S. 2.

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