Eine Kommentierung von Caroline Kindler
Herausgegeben von Damian K. Graf / Doris Hutzler
Art. 28 Entzug der Anerkennung
1 Die FINMA entzieht einer Selbstregulierungsorganisation auf Grund von Artikel 37 FINMAG die Anerkennung nicht ohne vorgängige Androhung.
2 Wird einer Selbstregulierungsorganisation die Anerkennung entzogen, so müssen die ihr angeschlossenen Finanzintermediäre innerhalb von zwei Monaten ein Gesuch um Anschluss an eine andere Selbstregulierungsorganisation einreichen.
3 und 4 …
I. Entzug der Anerkennung (Abs. 1)
A. Gesetzliche Grundlage
1 Bis zum Inkrafttreten des FINMAG am 1. Januar 2009 waren die Voraussetzungen für den Entzug der Anerkennung einer Selbstregulierungsorganisation (SRO)
B. Voraussetzungen nach Art. 37 FINMAG: Entzugsgründe
2 Die FINMA verfügt den Entzug der Anerkennung
1. Wegfall der Tätigkeitsvoraussetzungen
3 Unter den Tätigkeitsvoraussetzungen sind die Anerkennungsvoraussetzungen für eine SRO gemäss Art. 24 GwG zu verstehen: (1) Die SRO muss über ein Reglement gemäss Art. 25 GwG verfügen;
4 Diese Ankerkennungsvoraussetzungen müssen nicht nur zum Zeitpunkt der Anerkennung, sondern dauerhaft eingehalten werden.
5 Ferner müssen die Anerkennungsvoraussetzungen kumulativ erfüllt sein, sodass der Wegfall auch nur einer Voraussetzung grundsätzlich ausreichend wäre, um die Anerkennung in Frage zu stellen.
2. Schwere Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen
6 Alternativ zum Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen kann auch eine schwere Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen den Entzug der Anerkennung rechtfertigen. Dabei ist von einer weit gefassten Definition der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen auszugehen, die neben dem FINMAG
7 Die «Schwere» einer Verletzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, bei dessen Auslegung der FINMA ein gewisser fachtechnischer Beurteilungsspielraum zukommt.
C. Subsidiarität
8 Art. 28 Abs. 1 GwG schreibt vor, dass der Entzug der Anerkennung nach Art. 37 FINMAG «nicht ohne vorgängige Androhung» erfolgen darf. Diese zwingende vorgängige Androhung des Anerkennungsentzugs geht über den Wortlaut von Art. 37 FINMAG hinaus. Es bleibt fraglich, ob dieser zusätzlichen Voraussetzung und damit Art. 28 Abs. 1 GwG insgesamt eine eigenständige Bedeutung zukommt, da sich, wie im Folgenden dargelegt, die Subsidiarität des Anerkennungsentzugs bereits aus Art. 31 FINMAG sowie aus den Grundprinzipien des Verwaltungsrechts ergibt, die bei einem Anerkennungsentzug beachtet werden müssen. Zu diesen Grundprinzipien zählt insbesondere der verfassungsrechtlich verankerte Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 2 BV), der sicherstellt, dass staatliche Eingriffe nur dann zulässig sind, wenn sie geeignet, erforderlich und verhältnismässig im engeren Sinne sind.
9 Der Gesetzgeber betrachtet den Entzug der Anerkennung nach Art. 37 FINMAG als ultima ratio des Aufsichtssystems. Nach dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz darf dieser nur angeordnet werden, wenn keine geeignete, mildere Massnahme zur Verfügung steht.
10 Der Entzug der Anerkennung ist verwaltungsrechtlich als Widerruf einer ursprünglich erteilten (Polizei-)Bewilligung im Sinne einer Verfügung nach Art. 5 VwVG zu verstehen. Dieser Widerruf stellt wiederum eine neue Verfügung dar, die den Anforderungen eines korrekten Verwaltungsverfahrens unterliegt.
11 Beim Widerruf einer Verfügung ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, wenn keine klare gesetzliche Regelung vorliegt oder ein Auslegungsspielraum besteht. Hierbei müssen das Interesse an der korrekten Anwendung des objektiven Rechts und das Interesse an der Rechtssicherheit bzw. dem Vertrauensschutz gegeneinander abgewogen werden.
D. Rechtsfolgen des Entzugs für die SRO
12 Mit dem Entzug der Anerkennung verliert die SRO gemäss Art. 37 Abs. 2 FINMAG das Recht, ihre Tätigkeit nach Art. 24 GwG weiterzuführen. Für die übrigen Folgen des Entzugs verweist Art. 37 Abs. 2 FINMAG auf die entsprechenden Finanzmarktgesetze, die im konkreten Fall Anwendung finden. Es ist zu beachten, dass Art. 28 GwG beim Entzug der Anerkennung keine zusätzlichen Rechtsfolgen vorsieht, im Gegensatz zu anderen Finanzmarktgesetzen, die in der Regel die Auflösung des bewilligten Unternehmens verlangen.
II. Folgen für die angeschlossenen Finanzintermediäre (Abs. 2)
13 Art. 28 Abs. 2 GwG schreibt vor, dass alle Finanzintermediäre innerhalb von zwei Monaten ein Gesuch um Aufnahme bei einer anderen SRO stellen müssen, sofern ihrer bisherigen SRO die Anerkennung entzogen wurde.
14 Mit dem Inkrafttreten des FINIG am 1. Januar 2020 entfiel die Wahlmöglichkeit zwischen einer FINMA-Direktaufsicht und dem Anschluss an eine SRO. Der Gesetzgeber hat in diesem Zusammenhang lediglich vorgesehen, dass Finanzintermediäre, deren SRO die Anerkennung entzogen wurde, sich einer anderen SRO anschliessen müssen.
Literaturverzeichnis
Arpagaus Reto, Kommentierung zu Art. 23quinquies BankG, in: Zobl Dieter/Schwob Renate/Winzeler Christoph/Kaufmann Christine/Weber Rolf H./Kramer Stefan (Hrsg.), Bodmer Daniel/Kleiner Beat/Lutz Benno, Kommentar zum Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen, Zürich 2015 (zit.: B/K/L-Arpagaus)
de Capitani Werner, in: Schmid Niklaus (Hrsg.), Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Band II, Zürich 2002.
Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl., Zürich/St. Gallen 2020.
Neese Martin, Kommentierung zu Art. 28 GwG, in: Peter Ch. Hsu/Daniel Flühmann (Hrsg.), Basler Kommentar, Geldwäschereigesetz, Basel 2021.
Poledna Tomas, Staatliche Bewilligungen und Konzessionen, Bern 1994.
Poledna Tomas/Jermini Davide, in: Watter Rolf/Vogt Nedim Peter/Bauer Thomas/Winzeler Christoph (Hrsg.), Basler Kommentar, Bankengesetz, 2. Aufl., Basel 2013.
Ramelet Nicolas, Kommentierung zu Art. 28 GwG, in: Peter V. Kunz/Thomas Jutzi/Simon Schären (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar (SHK) zum Geldwäschereigesetz (GwG), Bern/Zürich 2017.
Roth Pellanda Katja/Kopp Lara, Kommentierung zu Art. 37 FINMAG, in: Watter Rolf/Bahar Rashid (Hrsg.), Basler Kommentar, Finanzmarktaufsichtsgesetz/Finanzmarktinfrastrukturgesetz, 3. Aufl., Basel 2019.
Thelesklaf Daniel, Kommentierung zu Art. 25 GwG, in: Wyss Ralph/van Thiel Mark/Ordolli Stiliano (Hrsg.), Orell Füssli Kommentar, Geldwäschereigesetz, 3. Aufl., Zürich 2019.
Zulauf Urs/Wyss David/Tanner Kathrin/Kähr Michel/Fritsche Claudia M./Eymann Patric/Ammann Fritz, Finanzmarktenforcement, 3. Aufl., Bern 2022 (zit.: Zulauf et al.).
Materialienverzeichnis
Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Revision des Bankengesetzes vom 13.5.1970, BBl 1970 1144, abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/1970/1_1144__/de, besucht am 23.8.2024.
Botschaft zum Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finanzmarktaufsichtsgesetz; FINMAG) vom 1.2.2006, BBl 2006 2829, abrufbar unter https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2006/303/de, besucht am 23.8.2024.
Fussnoten
- Zur Anerkennung der Selbstregulierungsorganisation (SRO) siehe Kommentierung zu Art. 24 GwG.
- Botschaft FINMAG 2006, S. 2830.
- Botschaft FINMAG 2006, S. 2884.
- So auch BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 2.
- Vgl. hierzu N. 8.
- Zur Rechtsnatur der Anerkennung einer SRO siehe Kommentierung zu Art. 24 GwG N. 4.
- BGE 98 Ib 269 E. 4; BSK-Poledna/Jermini, Art. 23quinquies BankG N. 7.
- Art. 24 Abs. 1 lit. a GwG.
- Art. 24 Abs. 1 lit. b GwG.
- Art. 24 Abs. 1 lit. c GwG.
- Art. 24 Abs. 1 lit. d GwG.
- Zu den Anerkennungsvoraussetzungen im Einzelnen siehe Kommentierung zu Art. 24 GwG N. 5 ff.
- BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 12; BSK-Neese, Art. 28 GwG N. 2.
- BGE 143 II 162, Sachverhalt lit. B.
- Häfelin/Müller/Uhlmann, Rz. 1229; BSK-Poledna/Jermini, Art. 23quinquies BankG N. 6, 10; BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 15.
- Botschaft BankG 1970, S. 1179; BGE 98 Ib 269 E. 4.
- BSK-Poledna/Jermini, Art. 23quinquies BankG N. 8; BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 13, 15.
- z.B. Auskunfts- und Meldepflicht der SRO gemäss Art. 29 FINMAG.
- z.B. Informations- und Meldepflichten der SRO gemäss Art. 26 f. GwG; vgl. Botschaft GwG 1996, S. 1150.
- BVGer B-4639/2014 vom 23.11.2015 E. 2.3; BVGer B-6815/2013 vom 10.6.2014 E. 6.1.
- BVGer B-4639/2014 vom 23.11.2015 E. 2.3; BVGer B-6815/2013 vom 10.6.2014 E. 6.1.
- Botschaft FINMAG 2006, S. 2884; BVGer B-2204/2011 vom 24.7.2012 E. 11.2.
- B/K/L-Arpagaus, Art. 23quinquies BankG N. 2; BSK-Poledna/Jermini, Art. 23quinquies BankG N. 9; BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 18 f.
- Botschaft FINMAG 2006, S. 2884.
- BVGer B-2204/2011 vom 24.7.2012 E. 11.2.
- B/K/L-Arpagaus, Art. 23quinquies BankG N. 2.
- BGE 143 II 162 E. 3.2.4, 5.1; BVGer B-2204/2011 vom 24.7.2012 E. 11.2; BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 9.
- Zulauf et al., S. 220.
- Häfelin/Müller/Uhlmann, Rz. 1215 ff.; zur Rechtsnatur der Anerkennung einer SRO siehe Kommentierung zu Art. 24 GwG N. 4.
- Art. 5 Abs. 2 BV.
- Art. 9 BV.
- Art. 29 Abs. 2 BV.
- Häfelin/Müller/Uhlmann, Rz. 1227; BGer 1C_573/2014 vom 29.4.2015 E. 2.2.
- BSK-Roth Pellanda/Kopp, Art. 37 FINMAG N. 8.
- Poledna, Rz. 340.
- BGer 1C_573/2014 vom 29.4.2015 E. 2.2.
- Vgl. z.B. Art. 23quinquies Abs. 1 BankG, Art. 52 VAG, Art. 36 BEHG, Art. 87 Abs. 2 FinfraG.
- OK II-de Capitani, Art. 28 GwG N. 5; SHK-Ramelet, Art. 28 GwG N. 7.
- SHK-Ramelet, Art. 28 GwG N. 7; BSK-Neese, Art. 28 GwG N. 16.
- So die SRO/SLV, SRO Treuhand|Suisse sowie SRO SVIG.
- OK II-de Capitani, Art. 28 GwG N. 6; BSK-Neese, Art. 28 GwG N. 16.
- OFK-Thelesklaf, Art. 28 GwG N. 3.
- Kritisch zu den fehlenden gesetzlichen Lösungen für die «erheblichen praktischen Probleme»: BSK-Neese, Art. 28 GwG N. 20 f.; relativierend, insbesondere in Bezug auf die Aufsichtslücke: CR-Zufferey, Art. 28 GwG N. 12.
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