Eine Kommentierung von Jonas D. Gassmann
Herausgegeben von Thomas Steiner / Anne-Sophie Morand / Daniel Hürlimann
Art. 66 Verfolgungsverjährung
Die Strafverfolgung verjährt nach fünf Jahren.
In Kürze
Bei den strafbewehrten Verstössen gegen das Datenschutzgesetz handelt es sich um Übertretungen. Abweichend von der allgemeinen Bestimmung des Art. 109 StGB verjährt die Strafverfolgung nicht nach drei, sondern erst nach fünf Jahren. Dies deshalb, weil Untersuchungen von möglichen datenschutzrechtlichen Verstössen regelmässig technisch komplex sind, entsprechendes Spezialwissen voraussetzen, und die Strafverfahren nicht an einer zu kurz bemessenen Verjährungsfrist scheitern sollen. Von der Verfolgungsverjährung abzugrenzen ist die Vollstreckungsverjährung, die drei Jahre beträgt.
I. Allgemeines
1 Art. 66 stellt eine besondere Verfolgungsverjährungsbestimmung für Übertretungen gegen das Datenschutzgesetz auf. Die Bestimmung gilt für die gemäss 8. Kapitel strafbewehrten Verstösse gegen das Datenschutzgesetz (Art. 60-63).
2 Art. 66 ist neu. Unter bisherigem Recht verjährte die Strafverfolgung kraft Art. 333 Abs. 1 StGB gemäss einschlägiger Bestimmung des allgemeinen Strafrechts (Art. 109 StGB) nach drei Jahren.
II. Verfolgungsverjährung
A. Dauer
3 Die gemäss 8. Kapitel strafbewehrten Verstösse gegen das Datenschutzgesetz sehen Busse als Strafe vor und qualifizieren daher nach Art. 333 Abs. 3 StGB als Übertretungen.
4 Gemäss Art. 109 StGB verjährt die Strafverfolgung bei Übertretungen nach drei Jahren. Untersuchungen allfälliger Verstösse gegen das Datenschutzgesetz setzen regelmässig Wissen über die zugrundeliegenden technischen Vorgänge voraus, und solche Untersuchungen werden nicht selten komplex sein. Die für die Durchsetzung der Strafbestimmungen nach Art. 65 Abs. 1 zuständigen kantonalen Strafverfolgungsbehörden verfügen (anders als etwa die unter der DSGVO für die Verhängung von Bussen zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden) regelmässig über keine oder nur wenig Erfahrung mit datenschutzrechtlichen Fragen (vgl. auch oben, N. 1). Damit entsprechende Strafverfahren nicht an zu kurzen Verjährungsfristen scheitern, wurde die Verjährung der Strafverfolgung im Vergleich zur allgemeinen Bestimmung von Art. 109 StGB um zwei Jahre auf fünf Jahre erhöht.
B. Beginn
5 Der Beginn der Verfolgungsverjährung richtet sich gemäss Art. 104 StGB nach Art. 98 StGB: Bei den als Tätigkeitsdelikt ausgestalteten Straftatbeständen beginnt die Verjährung am Tag, an dem die Übertretung begangen wurde bzw. am letzten Tag, an dem der Tatbestand erfüllt wurde. Handelt es sich um ein Dauerdelikt, beginnt die Verjährung am Tag, an dem das strafbare Verhalten endet. Bei den als Unterlassungsdelikt ausgestalteten Straftatbeständen beginnt die Verjährung nicht, solange die Unterlassung andauert
C. Wiederholte Übertretungen
6 Von Dauerdelikten abzugrenzen sind wiederholte Übertretungen, die sich gegen denselben Rechtsgutträger richten. Diese verjähren nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist einzeln.
III. Vollstreckungsverjährung
7 Art. 66 regelt ausschliesslich die Verfolgungs-, nicht auch die Vollstreckungsverjährung. Letztere richtet sich nach der allgemeinen Bestimmung von Art. 109 StGB. Sie beträgt drei Jahre ab dem Tag der Vollstreckbarkeit des Bussenentscheids (Art. 333 Abs. 1 i.V.m. Art. 109 i.V.m. Art. 100 StGB), d.h. ab dem Tag, an dem der Entscheid in Rechtskraft erwächst.
Literaturverzeichnis
Heimgartner Stefan, Kommentierung zu Art. 109 StGB, in: Niggli Marcel Alexander/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht (StGB/JStGB), 4. Aufl., Basel 2018.
Niggli Marcel Alexander/Maeder Stefan, Kommentierung zu Art. 34 und 35 aDSG, in: Maurer-Lambrou Urs/Blechta Gabor-Paul (Hrsg.), Basler Kommentar, Datenschutzgesetz / Öffentlichkeitsgesetz, 3. Aufl., Basel 2014.
Rosenthal David/Gubler Seraina, Die Strafbestimmungen des neuen DSG, SZW 1/2021, S. 52 ff.; Rosenthal David/Jöhri Yvonne, Handkommentar zum Datenschutzgesetz sowie weiteren, ausgewählten Bestimmungen, Zürich 2008; Wohlers Wolfgang, Kommentierung zu Art. 66 DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski, Dominika (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar, Datenschutzgesetz, 2. Aufl., Bern 2023.
Materialienverzeichnis
Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15.9.2017, BBl 2017 S. 6941 ff. (zit. Botschaft 2017), abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2017/6941.pdf, besucht am 8.8.2023.
Zusammenfassung des Bundesamts für Justiz BJ der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens vom 10.8.2017 betreffend Vorentwurf für das Bundesgesetz über die Totalrevision des Datenschutzgesetzes und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 21.12.2016 (zit. Zusammenfassung Vernehmlassung VE-DSG), abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/staat/gesetzgebung/datenschutzstaerkung/ve-ber-d.pdf.download.pdf/ve-ber-d.pdf, besucht am 8.8.2023.
Fussnoten
- Weil die Strafandrohung bei Art. 62 im Rahmen der parlamentarischen Beratungen von «Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe» zu «Busse» angepasst wurde, ist die Bestimmung von Art. 66 auch auf Art. 62 anwendbar.
- Vgl. auch Rosenthal/Gubler, S. 59.
- Vgl. auch BSK-Niggli/Maeder, Vorb. zu Art. 34-35 aDSG N. 24; Rosenthal/Jöhri, Art. 34 aDSG N. 13 und Art. 35 aDSG N. 5; SHK-Wohlers, Art. 66 DSG N. 1.
- Siehe Zusammenfassung Vernehmlassung VE-DSG, Ziff. 4.8 (S. 54).
- Vgl. auch SHK-Wohlers, Art. 66 DSG N. 1.
- Botschaft 2017, S. 7104.
- Urteil des Obergerichts des Kantons Appenzell-Ausserrhoden vom 27.8.1956, RS 1958 Nr. 9 (zu Art. 109 aStGB).
- SHK-Wohlers, Art. 66 DSG N. 3 m.w.H.
- SHK-Wohlers, a.a.O.
- Vgl. BSK-Heimgartner, Art. 109 StGB N. 12.
- BGE 105 IV 307 E. 1.
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