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Kommentierung zu
Art. 65 DSG

Eine Kommentierung von Jonas D. Gassmann

Herausgegeben von Thomas Steiner / Anne-Sophie Morand / Daniel Hürlimann

defriten

In Kürze

Wie bereits in der Bundesverfassung und in der Strafprozessordnung normiert, obliegen die Verfolgung und die Beurteilung strafbarer Handlungen gemäss 8. Kapitel des Datenschutzgesetzes den Kantonen. Dem EDÖB kommt ein Anzeigerecht zu und er kann sich im Strafverfahren als Privatkläger konstituieren.

I. Allgemeines

1 Die Bestimmung von Art. 65 Abs. 1 leitet sich aus Art. 123 Abs. 2 BV ab, wonach die Zuständigkeit für die Rechtsprechung in Strafsachen sowie für den Straf- und Massnahmenvollzug primär und hauptsächlich bei den Kantonen liegt. Sie deckt sich mit der Bestimmung von Art. 22 StPO. Art. 65 Abs. 1 ist insofern rein deklaratorischer Natur, als diese Bestimmung keine Bundeskompetenz und damit keine Abkehr von der bereits nach den vorstehend erwähnten Bestimmungen vorgesehenen kantonalen Kompetenz festschreibt. Auch ohne explizite Norm wären mit anderen Worten die Kantone für die Verfolgung und die Beurteilung strafbarer Handlungen gemäss 8. Kapitel zuständig.

2 Die Bestimmung von Art. 65 Abs. 1 war so bereits im Vorentwurf vorgesehen. Im Vernehmlassungsverfahren sprach sich die Mehrheit der Kantone dagegen aus, dass die Verfolgung und Beurteilung strafbarer Handlungen auch weiterhin den Kantonen obliegen.

Begründet wurde die ablehnende Haltung mit der Befürchtung, die Strafverfahren könnten aufgrund der höheren Anzahl rechtswidriger Verhaltensweisen und der schärferen Sanktionen zunehmen, was die Anstellung spezialisierter Mitarbeitender erfordere. Auch wurde geltend gemacht, die kantonale Zuständigkeit würde einen einheitlichen Vollzug des Datenschutzrechts erschweren.

3 Art. 65 Abs. 2 stärkt die Stellung des EDÖB, indem sie ihm ausdrücklich das Recht einräumt, Strafanzeige einzureichen und sich im Strafverfahren als Privatkläger i.S.v. Art. 118 StPO ff. zu konstituieren.

4 Die Bestimmung von Art. 65 Abs. 2 war im Vorentwurf noch nicht enthalten, sondern erst im Entwurf. In der Vernehmlassung wurde mehrfach gefordert, den EDÖB zur Verhängung von Verwaltungssanktionen zu ermächtigen.

Im Gegensatz zum europäischen Recht wurde jedoch gegen eine Sanktionsmöglichkeit durch den EDÖB entschieden. Stattdessen wurde die fehlende Kompetenz zur Verhängung von Verwaltungssanktionen durch die Einführung anderer Bestimmungen im DSG kompensiert.
Dazu gehören namentlich Art. 65 Abs. 2, wodurch der EDÖB bei der kantonalen Strafbehörde Anzeige erstatten und im Strafverfahren die Rechte einer Privatklägerschaft wahrnehmen kann oder die Strafbestimmungen von Art. 60 Abs. 2 sowie von Art. 63.

II. Zuständigkeit für Strafverfolgung und Rechtsprechung

A. Kantonale Zuständigkeit (Abs. 1)

5 Sowohl die Verfolgung als auch die Beurteilung strafbarer Handlungen gemäss 8. Kapitel fallen in die Zuständigkeit der Kantone (sog. originäre kantonale Gerichtsbarkeit

).

6 Grundsätzlich nicht anwendbar ist damit das Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR)

(für dessen Anwendbarkeit wäre vorausgesetzt, dass die erwähnte Zuständigkeit bei einer Verwaltungsbehörde des Bundes liegen würde, Art. 1 VStrR). Kraft expliziten Verweises in Art. 64 Abs. 1 finden indes bei Widerhandlungen in Geschäftsbetrieben die Artikel 6 und 7 VStrR Anwendung.
Dieser Verweis ändert nichts an der erwähnten kantonalen Zuständigkeit.

7 Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Gerichtsstandsregeln von Art. 31 ff. StPO.

B. Mehrfache Zuständigkeit

8 Art. 65 äussert sich nicht zur Konstellation, wenn in einer Strafsache sowohl kantonale als auch Bundesgerichtsbarkeit gegeben ist. Zu denken ist hier an einen Täter, der nicht nur gegen eine oder mehrere Tatbestände des 8. Kapitels verstösst, sondern auch gegen einen oder mehrere Tatbestände, die der Bundesgerichtsbarkeit unterstehen.

9 Mangels expliziter Regelung ist hier auf Art. 26 Abs. 2 StPO abzustellen: Danach kann die Staatsanwaltschaft des Bundes «die Vereinigung der Verfahren in der Hand der Bundesbehörden oder der kantonalen Behörden anordnen.»

III. Rechte des EDÖB (Abs. 2)

A. Anzeigerecht

10 Der EDÖB ist berechtigt (aber nicht verpflichtet

), bei der zuständigen Strafverfolgungsbehörde Anzeige zu erstatten. Er hat allerdings kein Strafantragsrecht. Das Recht, Strafantrag zu stellen, kommt einzig der betroffenen Person zu, deren Rechte (wie z.B. Informationsrecht, Auskunftsrecht, Recht auf sicheren Transfer der eigenen Personendaten an Dritte) verletzt wurden.

11 Es liegt an der zuständigen Strafbehörde, eine Strafuntersuchung einzuleiten, wenn ihr konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass möglicherweise eine Straftat begangen wurde (Art. 7 Abs. 1 StPO).

Im Rahmen von Art. 8 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen und namentlich ein bereits eröffnetes Strafverfahren einstellen, etwa wenn es sich um einen Bagatellfall
handelt oder der Täter den angerichteten Schaden widergutgemacht hat und keine einer Einstellung des Strafverfahrens entgegenstehende Interessen bestehen.

B. Konstituierung als Privatkläger

12 Der EDÖB ist auch berechtigt, sich im kantonalen Strafverfahren als Privatkläger (und damit als Partei, Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO) i.S.v. Art. 118 StPO zu beteiligen. Scheint es ihm im Interesse einer einheitlichen Anwendung des DSG geboten, kann der EDÖB damit etwa

  • Einstellungsverfügungen anfechten (Art. 322 Abs. 2 StPO) und Rechtsmittel gegen kantonale Urteile ergreifen (Art. 382 Abs. 1 StPO)

    ;

  • Akteneinsicht (Art. 101 Abs. 1 StPO) verlangen;

  • an Verfahrenshandlungen (Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO) und Beweiserhebungen (Art. 147 ff. StPO) teilnehmen; und

  • Beweisanträge stellen (Art. 107 Abs. 1 lit. e StPO).

Literaturverzeichnis

Kipfer Daniel, Kommentierung zu Art. 22 StPO, in: Niggli Marcel Alexander/Heer Marianne/Wiprächtiger Hans (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafprozessordnung/Jugendstrafprozessordnung (StPO/JStPO), 2. Aufl., Basel 2014.

Rosenthal David/Gubler, Seraina, Die Strafbestimmungen des neuen DSG, SZW 1/2021, S. 52 ff.; Wohlers Wolfgang, Kommentierung zu Art. 65 DSG, in: Baeriswyl Bruno/Pärli Kurt/Blonski, Dominika (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar, Datenschutzgesetz, 2. Aufl., Bern 2023.

Materialienverzeichnis

Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15.9.2017, BBl 2017 S. 6941 ff. (zit. Botschaft 2017), abrufbar unter https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2017/6941.pdf, besucht am 8.8.2023.

Zusammenfassung des Bundesamts für Justiz BJ der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens vom 10.8.2017 betreffend Vorentwurf für das Bundesgesetz über die Totalrevision des Datenschutzgesetzes und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 21.12.2016 (zit. Zusammenfassung Vernehmlassung VE-DSG), abrufbar unter https://www.bj.admin.ch/dam/bj/de/data/staat/gesetzgebung/datenschutzstaerkung/ve-ber-d.pdf.download.pdf/ve-ber-d.pdf, besucht am 8.8.2023.

Fussnoten

  • Vgl. BSK-Kipfer, Art. 22 StPO N. 1.
  • Siehe Zusammenfassung Vernehmlassung VE-DSG, Ziff. 4.8 (S. 51 und S. 53).
  • Ibid, Ziff. 4.8 (S. 51). Vgl. auch SHK-Wohlers, Art. 65 DSG N. 1, der zurecht darauf hinweist, dass der Einwand der Erschwerung eines einheitlichen Vollzugs des Datenschutzrechts nicht überzeuge, weil er konsequenterweise für sämtliche Strafnormen gelten müsste, also auch für jene des StGB, die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung aber über das Instrument der Rechtsbeschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht zu gewährleisten sei.
  • Ibid, Ziff. 4.8 (S. 50).
  • Botschaft 2017, S. 6973 f.
  • Vgl. auch BSK-Kipfer, Art. 22 StPO N. 2.
  • Vgl. dazu auch Botschaft 2017, S. 7103 f.
  • Vgl. dazu OK-Gassmann zu Art. 64 DSG.
  • Auch hinsichtlich des Gerichtsstands ist auf die Bestimmungen der StPO abzustellen (Art. 31 ff. StPO).
  • SHK-Wohlers, Art. 65 DSG N. 17.
  • Rosenthal/Gubler, S. 58 f. Zur verfahrensrechtlichen Stellung der betroffenen Person im Allgemeinen vgl. SHK-Wohlers, Art. 65 DSG N. 15 f.
  • Zur Strafuntersuchung im Allgemeinen und Anfechtungsmöglichkeiten vgl. SHK-Wohlers, Art. 65 DSG N. 7 ff.
  • SHK-Wohlers, Art. 65 DSG N. 10 weist zurecht darauf hin, dass eine Einstellung nicht mit dem Verweis darauf erfolgen könne, dass Verstösse gegen das DSG generell keine schweren Delikte sind, «sondern nur dann, wenn das in Frage stehende Delikt gemessen am Regelfall der Delikte, die unter die in Frage stehende Strafnorm zu subsumieren sind, eher bagatellartigen Charakter hat.»
  • SHK-Wohlers, a.a.O.
  • Der EDÖB kann aber weder gegen Strafbefehle (vgl. Art. 354 Abs. 1 StPO) noch gegen das Strafmass (vgl. Art. 382 Abs. 2 StPO) ein Rechtsmittel ergreifen, was gemäss Botschaft «hinsichtlich seiner Aufgaben aber auch nicht erforderlich scheint» (Botschaft 2017, S. 7104).

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10.17176/20230812-163711-0

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